Zeitreise: Multimedia-CD-Roms der 90er Jahre

Ein wenig beachtetes Thema der 90er Jahre sind Multimedia-CDs, welche als Brückenmedium zwischen analoger und digitaler Gesellschaft fungierten. Nischenliebhaber nimmt euch mit auf eine Zeitreise.

Kein anderes Medium steht so exemplarisch für die Technik der 90er Jahre wie die CD-ROM. Vorbei waren die Zeiten, in denen auf Disketten nur 1,44 MB für Programme und Spiele zur Verfügung standen. Die gängigsten CD-ROM-Formate boten Platz für Daten bis zu 650 MB beziehungsweise 700 MB. Das entspricht etwa 450 Disketten. Ich kann mich noch gut an meine Kindheit erinnern, als viele PC-Besitzer in meiner Umgebung über diese Größe des neuen Mediums staunten. Oft wurde auch die Frage gestellt, wofür man denn so viele Speicherplatz brauchen könnte. Die Antwort war schnell gegeben: Für Videos, 3D-Grafiken und Sprachausgabe. So sah es zumindest bei den damaligen Computerspielen aus.

Darüber hinaus gab es ein weiteres Segment, das sich schnell großer Beliebtheit erfreute: Multimedia-CDs. Im letzten weitgehend analogen Jahrzehnt nutzten die Entwickler das neue Medium, um neue Erfahrungen zu vermitteln. Was wäre, wenn man Texte, Audio-Inhalte, Videos und manchmal auch kleine Minispiele zu einer neuen, interaktiven Erfahrung zusammenführen würde? Was diese CDs beinhalten sind nicht selten verspielte und experimentelle Vorläufer des heutigen Internets. Und damit sind Multimedia-CDs ein spannendes und lohnendes Thema für einen kleinen Rückblick.

Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen heute mit einem gewissen Befremden auf den damaligen Hype zurückblicken. Was natürlich daran lag, dass der Markt bald mit hunderten, ach was sag ich, tausenden billig produzierten Titeln geflutet wurde. Die Frage, der ich in diesem Artikel nachgehen möchte, ist, ob dieses Befremden gerechtfertigt ist. Ich möchte nachfolgend die charmanten, schrulligen und unterhaltsamen Ausprägungen des Mediums beleuchten. Gehen wir also 30 Jahre zurück in eine Zeit, in der an das heutige Internet noch nicht zu denken war.

Microsoft Dinosaurs (1993)

Digitale Enzyklopädien gibt es, seit es Computer gibt. Sie sind keine Erfindung der 90er Jahre. Dennoch würde ich die Microsoft Dinosaurs als Prototypen multimedialer Nachschlagewerke bezeichnen. Während frühere Programme viel Text und wenig Bilder boten, ist es bei Microsofts erstem Vorstoß ins Multimedia-Genre fast umgekehrt: Das Programm besteht aus über 150 wunderschön illustrierten Artikeln. Die Artikel und Bilder stammen aus den Eyewitness-Büchern des Verlags Dorling Kindersley, der damals noch nicht zu Random House gehörte. Microsoft investierte damals in den Verlag und so ergab sich die Möglichkeit, Artikel und Bilder aus den Büchern zu übernehmen.

Texte und Bilder wurden aus den Eyewitness-Büchern des Dorling Kindersley Verlags übernommen.

Nun ist das Programm natürlich schon 30 Jahre alt und die Wissenschaft hat sich seit damals weiterentwickelt. Viele Informationen sind daher nicht mehr aktuell. Was einen Blick in das Programm dennoch interessant macht, ist sein Aufbau. Jede Seite bietet Hyperlinks zu weiteren Artikeln und Pop-Up-Fenster, in denen Fachbegriffe erklärt werden oder Steckbriefe der Dinosaurier enthalten sind. So werden die unterschiedlichsten Artikel in einem thematisch passenden Kontext miteinander verknüpft. Das mag heute nichts Besonderes mehr sein, macht Wikipedia doch schon seit 2001. Nur: Dieses Programm stammt nicht aus dem Jahr 2001, sondern 1993. Auch sonst wurden hier viele Konzepte des späteren Internets vorweggenommen. Zum Beispiel die intuitive Navigation über klar erkennbare Buttons und die Möglichkeit, mit einem Mausklick auf vorherige Seiten zurückzukehren. Es mag seltsam klingen, wenn ich das so betone. Aber 1993 war diese einfache Navigation etwas Neues!

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich den zahlreichen Artikeln zu nähern. Entweder über einen Index, heute würde man Sitemap sagen, über einen Atlas und über eine Timeline. Außerdem gibt es Führungen von Don Lessem, Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Bücher über Dinosaurier und Gründer der Dinosaur Society. Er führt mit gesprochenen Kommentaren durch alle 150 Artikel und gibt ihnen einen erweiterten Kontext. Hintergrundbilder für den Desktop, Bildschirmschoner sowie kurze Videos vervollständigen das Programm.

Microsoft Dinosaurs war seinerzeit ein großer Erfolg. Der Zufall wollte es, dass im selben Jahr Jurassic Park in die Kinos kam und eine nie dagewesene „Dinomanie“ auslöste.

Links: Übersichtsseite zu Meeres-Reptilien, rechts: Mit der Timeline können verschiedene Zeitepochen angesteuert werden.

Exploration Series und weitere Lexika von Microsoft

Wie bereits erwähnt war Dinosaurs ein großer Erfolg, so dass in den folgenden Jahren weitere Umsetzungen von Eyewitness-Büchern folgten. Diese wurden nun unter dem Banner „Exploration Series“ vermarktet. In Ancient Lands geht es um die antiken Kulturen Roms, Griechenlands und Ägyptens; in Oceans um die Flora und Fauna der Weltmeere. Dangerous Creatures fasst die Biologie und das Sozialverhalten verschiedener Raubtiere zusammen, während Dogs alles über den zweitbesten Freund des Menschen erzählt. Diese Programme sind Dinosaurs in Handhabung und Aufbau sehr ähnlich. Mit dem Unterschied, dass es nun noch mehr Videos und Sprachausgabe gab.

Dangerous Creatures (1994) ist eines der „Exploration Series“-Titel und gleicht im Aufbau Dinosaurs.

Microsoft veröffentlichte außerdem interaktive Weinführer, Sammlungen von Kochrezepten, Chroniken der NBA und MLB, multimediale Bearbeitungen berühmter Sinfonien der klassischen Musik wie Beethovens Neunte. Auch komplexe Datenbanken zu Film- und Musikveröffentlichungen befanden sich im Angebot. Es ist faszinierend, wie aktiv Microsoft damals in diesem Bereich war. All diese multimedialen Titel waren liebevoll gestaltet und inhaltlich umfangreich.

Mit der Encarta Enzyklopädie gab es zwischen 1993 bis 2009 zudem ein umfangreiches Nachschlagewerk, das in den 90er Jahren jährlich per CD-ROM erweitert und später über das Internet (sowie DVD) aktualisiert wurde. Es enthielt Zehntausende von umfangreichen Artikeln aus allen Wissensgebieten, zahlreiche Bilder, Tondokumente und Videoclips. Hierfür erwarb Microsoft Lizenzen von Verlagen, Fernsehsendern und anderen Rechteinhabern. Im Jahr 2009 wurde die Encarta aufgrund der Expansion von Wikipedia eingestellt.

Zwei Screenshots der deutschen Encarta 1997 Ausgabe.

Das Geheimnis der Burg (1996)

Nach dem Erfolg, den Microsoft mit der Umsetzung der Bücher von Dorling Kindersley hatte, erkannte der britische Sachbuchverlag die Perspektiven des digitalen Mediums und brachte nach der Zusammenarbeit mit dem Konzern aus Redmond zahlreiche Programme in Eigenregie heraus. Von Lexika über Kinderspiele bis hin zu virtuellen Museen war alles dabei. Einige dieser Programme sind auch in Deutschland erschienen. Das Geheimnis der Burg ist einer dieser Titel.

Die Wimmelbilder sind meiner Ansicht nach schön gezeichnet. Klickt man auf die zahlreichen Hotspots, ploppen kleine Texte auf.

Die Hauptaufgabe besteht im Wesentlichen darin, sich durch riesige Wimmelbilder zu klicken und anhand von Erklärtexten Informationen über das Leben auf einer mittelalterlichen Burg zu sammeln. Einige Räume wie die Küche oder die Gemächer können auch in 3D erkundet werden. Optional kann man auch als Spion spielen. Dann kann es passieren, dass die Burgbewohner den Spieler nach Fakten aus den Texten fragen, um herauszufinden, ob man ein Spion ist oder nicht. Zum Beispiel fragt die Köchin, welches Gewürz der Burgherr immer vor sich stehen hat, um seine Macht zu demonstrieren. Wer falsch antwortet, landet im Kerker. Ansonsten beschränkt sich das Programm jedoch auf Wissensvermittlung.

Links: In der Bibliothek gibt es vertiefende Informationen, rechts: Manche Räume können auch in 3D besucht werden.
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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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