Versoftungen #4: Die Scheibenwelt (1996-2006)

In diesem zweiten Teil erzähle ich euch, wie es nach den ersten Versoftungen von Terry-Pratchett-Werken weiterging und wie die dabei entstandenen Spiele bei Presse und Publikum angekommen sind.

Ihr habt gar nicht mitbekommen, dass es einen ersten Teil dieses Artikels gab?  Dann holt ihn schnell nach! Alle anderen dürften sich noch erinnern: Nach dem ersten Textadventure-Ausflug seiner Marke im Jahr 1986 war Terry Pratchett, der Autor der Scheibenwelt1-Romane, doch recht ernüchtert vom nicht gerade überwältigenden Erfolg von The Colour of Magic. Es dauerte daher einige Jahre, bis er wieder Vertrauen in ein Spiele-Projekt setzen konnte. Das Ergebnis war das Point-and-Click-Adventure Discworld aus dem Jahr 1995. Und mit dem Spiel kam auch der Erfolg, so dass ein Nachfolger der nächste logische Schritt war….

  1. Was ist die Scheibenwelt?
    Grob zusammengefasst ist die Scheibenwelt Pratchetts Fantasy-Universum, in dem er seine abstrusen Persiflagen auf das Genre erzählen konnte. Allein die Mythologie der Welt liest sich äußerst bizarr: Die Scheibenwelt besteht aus einer riesigen flachen Scheibe, die auf vier gigantischen Elefanten thront, welche wiederum von einer noch riesigeren Schildkröte durch das All getragen wird.

    Ihre Bewohner sind auf den ersten Blick typische Fantasy-Charaktere wie Zauberer, Hexen, Trolle und Zwerge, bei näherem Hinsehen sind die wichtigsten Figuren aber auf eine besondere Art „anders“. Die Geschichten, die Pratchett in seiner Welt erzählte, sprühten vor Wortwitz (der leider in der deutschen Übersetzung manchmal verloren geht), einfallsreichen Ideen und spannenden Handlungsbögen voller Humor. ↩︎

Discworld 2 – Vermutlich vermisst…?!

Die Produktion des Nachfolgers begann direkt im Anschluss an die Veröffentlichung von Discworld. Pratchett zögerte nicht und erteilte die sofortige Freigabe, so dass sich Greg Barnett unverzüglich an das Design von Discworld 2 machen konnte. Im The Art of Point-and-Click Adventure Games-Buch erinnert er sich an seine ersten Ideen:

„Diesmal wollte ich die Aufgaben des Hauptcharakters zwischen Rincewind und Tod aufteilen und auch neue Orte in der Scheibenwelt erkunden. So kam ich auf die Idee, dass Rincewind und der Bibliothekar in betrunkenem Zustand versehentlich den Tod ausschalten, während sie versuchen, eine Bombe zu entschärfen, und Rincewind dann gezwungen wird, der Tod zu sein. Das war eigentlich nur eine Ausrede für noch mehr verrückte Rätsel!“

Der Plot des Spiels bediente sich größtenteils beim Roman Alles Sense! und fügte noch Elemente aus Voll im Bilde sowie Lords und Ladies hinzu. Während es im ersten Teil unter anderem um Ärger mit einem Drachen ging, führte hier die Abwesenheit des Todes zu unverhergesehenen Problemen.

Bei der Konzeption nahm sich Barnett vor, eine Sache zu verbessern, über die sich einige Spieler beim Vorgänger beschwerten: Rincewind sagte einfach zu oft (im übertragenen Sinne) „Das klappt so nicht!“. In der Fortsetzung sollten Rincewinds Äußerungen auf den Spieler eingehen und ihm im besten Fall Tipps geben. So wollte er auch das Schwierigkeits-Problem in den Griff bekommen, das als großer Negativpunkt bei Discworld angesehen wurde.

Um den Vorgänger toppen zu können, wollte Barnett zudem die „Production Values“ hochsetzen. Das bedeutete zunächst einmal den Sprung von VGA-Grafiken (ja, das waren noch 320×200 Pixel!) auf SuperVGA (unfassbare 640×480 Pixel). In dieser für damalige Verhältnisse hohen Auflösung sah das Spiel gleich umso besser aus. Für die Erstellung der Animationen (ganze 25.000 Einzelbilder) wurde das bekannte Zeichentrickstudio Hanna-Barbera beauftragt, was dem Adventure einen ganz besonderen Cartoon-Look bescherte.

Pratchett war angetan, hielt sich aber bei der Produktion etwas zurück: 

„Ich habe ihnen ein bisschen mehr Freiraum gelassen. Es schien, als könnten sie ein Spiel entwickeln, das das richtige Gefühl vermittelt, so dass ich sie nicht so sehr anleiten musste. Diesmal gab es nicht so viel Geschrei.“

Seine offizielle Rolle in den Credits: „Throwing rocks from afar“ („Aus der Ferne mit Steinen werfen“).

Discworld 2: In SVGA sehen die hübschen Zwerginnen noch schärfer aus.

Ansonsten übernahm ein Großteil des Teams die Aufgaben wie beim Vorgänger: Angela Sutherland produzierte, Gregg Barnett konzipierte, David Johnston programmierte. Paul Mitchell und Nick Martinelli gaben die grafische Marschrichung vor, während Rob Lord erneut für die musikalische Untermalung zuständig war. Durch die bereits vorhandene Tinsel-Engine und die passenden Tools, das Outsourcing der Animationen sowie ein leicht gewachsenes Team (in mittlerweile dreistelliger Größe) gelang es, das Spiel in nur anderthalb Jahren fertigzustellen.

Natürlich durften auch die großen Stimmen nicht fehlen. Eric Idle (bzw. Arne Elsholtz in der deutschen Version) kehrte als Rincewind zurück und auch die anderen Rollen wurden wieder hochkarätig besetzt. Idle erschuf mit That’s Death darüber hinaus einen schwarzhumorigen Ohrwurm, den ihr euch direkt zu Beginn des Spiels (oder hier) anhören könnt und der die Stimmung des Spiels perfekt setzt.

Mitten in der Produktion, am Samstag, dem 15. Juni 1996, ging plötzlich eine Bombendrohung in Manchester ein. Auch aufgrund der zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Fußball-Europameisterschaft mussten geschätzte 80.000 Menschen aus der Innenstadt evakuiert werden. Da es an einem Wochenende passierte,  befand sich kein Perfect Entertainment-Mitarbeiter in den dortigen Büros. Da die Entschärfung der Bombe fehlschlug, wurden die Räumlichkeiten von Perfect Entertainment im Zuge des Bombenanschlags der IRA nahezu vollständig zerstört. Glück im Unglück: Die meisten Entwicklungs-PCs waren noch brauchbar, so dass so gut wie keine Daten verloren gingen. Ein neues Büro konnte ebenfalls schnell gefunden werden.

Trotz dieses traumatischen Erlebnisses schaffte das Team, das Spiel fertigzustellen. Ende 1996 war es soweit und Discworld 2 – Vermutlich vermisst…?! erschien in Europa für den PC auf zwei CD-ROMs. Neben der deutschen Version des im Original Discworld 2 – Missing Presumed…!? betitelten Adventures gab es auch weitere Lokalisierungen für Frankreich (Discworld 2 – Mortellement Votre) und Spanien (Mundodisco 2 – ¿Presuntamente Desaparecido?). Für die USA wurde der Titel des Spiels auf Discworld 2 – Mortality Bytes! geändert. Die Konsolen-Ports für Playstation und Saturn folgten einige Monate später im Jahr 1997.

Pressespiegel: Discworld 2 – Vermutlich vermisst…?!

„Kränkelte Teil 1 noch an biederer Technik und abwegigem Puzzledesign, hat man beim Nachfolger aufgepaßt. Der bietet zwar immer noch viel Spiel fürs Geld, ist aber zugänglicher und auch von Normalsterblichen zu lösen. Nun mag ich die Pratchett-Bücher sehr, finde den Autoren ganz nett und bin auch Wortwitz im allgemeinen nicht abgeneigt – aber müssen es gleich solch endlose Labereien sein? Auch frage ich mich, weshalb man es nicht schafft, Zeichentrickfiguren lippensynchron sprechen zu lassen. Die Rätsel sind schwierig, teils verschroben, aber weit entfernt von den Gehirnschmalz-Überhitzern des ersten Teils. Allerdings muß man sich darüber im Klaren sein, daß Discworld 2 extrem aufs Objektsuchen hinausläuft. Andererseits schafft es Discworld 2 ohne allzu starkes Anbiedern, an den Humorgehalt der Buchvorlage heranzukommen.“

Jörg Langer in der PC Player 1/1997 (via kultboy.com) (Wertung: 4 von 5)

„Terry Pratchett ist ein Mann des Wortes – das merkt man auch diesem Spin-Off-Produkt seiner Romane an: ellenlange, amüsante Dialoge, die aber meist nur locker mit der Lösung von Puzzles verknüpft sind. Es wird mit Sicherheit Leute geben, denen dieser übermächtige „humoristische Overkill“ mit der Zeit so sehr auf die Nerven geht, daß sie sich durch eine Fülle ideenreicher Kopfnüsse nicht versöhnt werden können. Wer jedoch in jeder Szene auf einen hintergründigen Gag spekuliert, wird hier mehr als einmal fündig.“

 Ulrich Smid in der Power Play 1/1997 (via kultboy.com) (Wertung: 82 %)

 „Psygnosis und Terry Pratchett stellen mit dußligen Trollen und kauzigen Magiern genau das an, was LucasArts und Ron Gilbert mit Grog-bechernden Piraten und korpulenten Voodoo-Priesterinnen vorgemacht haben – und das ist in beiden Fällen für eine Menge Lacher gut. Hier ist’s der Gebrauchtschiff-Makler, dort der Second-Hand-Kamel-Markt. Doch lohnt sich die Investition wirklich? Kommt drauf an. Auf Dauer fühlt man sich etwas penetriert von all den Anspielungen und dem übertriebenen Sich-selbst-auf-die-Schippe-nehmen. Wenn Sie minutenlange Debatten à la Baphomets Fluch durchhalten, ohne der Versuchung des Durchklickens zu erliegen, dann heißt es für Sie: Willkommen in der Zielgruppe! Ausgezeichnete Grafik, pointenbewahrende Übersetzung, hochwertige Synchronisation, originelle Soundtracks, phasenweise Referenzklasse-Puzzles – da können sich viele Adventures eine Scheibe davon abschneiden.“

Petra Maueröder in der PC Action 12/1996 (via kultboy.com) (Bewertung: 83 %)

Auch die später erschienenen Konsolenversionen wurde in der deutschen Presse gelobt und fuhren Wertungen im mittleren 80er-Bereich ein.

Barnett berichtete im Nachhinein, dass auch der zweite Teil ein großer Erfolg war. Außer in den USA, wo man schon den Vorgänger nicht sonderlich mochte. Was folgte also nach einer erfolgreichen Fortsetzung eines bereits erfolgreichen Spiels?
Richtig, noch eine Fortsetzung!

Discworld 2: Der Tod lässt es sich gut gehen. Hat er sich aber auch verdient, oder?
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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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2 Comments on “Versoftungen #4: Die Scheibenwelt (1996-2006)”

  1. Habe jetzt beide Artikel endlich back-to-back gelesen. Es war super faszinierend. Ich habe glaub ich nur den ersten Teil auf der Playstation gespielt.
    Vielen Dank!

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