Versoftungen #5: Stephen King

Stephen King-Verfilmungen gibt es wie Sand am Meer. Aber wie sieht es bei den Versoftungen aus? Eine Flut an Spielen oder doch eher Ebbe in der Versoftungs-Kiste?

Der US-amerikanische Autor Stephen King hat bereits eine stattliche Anzahl an Romanen und Kurzgeschichten veröffentlicht, die meisten davon im Horror-Genre. Viele wurden auch mehr oder weniger erfolgreich verfilmt. Da sollte es doch einige nette Spiele geben, schließlich ist der Mann doch seit etwa 50 Jahren aktiv und viele seiner Geschichten bieten sich geradezu für eine Umsetzung als Spiel an. Aber weit gefehlt! In diesem Artikel erzähle ich euch die  kuriose Geschichte der Stephen King-Versoftungen.

Der erste King-Roman Carrie kam 1974 heraus und war zugleich der Durchbruch für den Amerikaner. Außerdem war er der Beginn einer langen Reihe von Lizenzierungen seiner Werke, davon hauptsächlich Filmumsetzungen. 1976 erschien mit Carrie – Des Satans jüngste Tochter die Kino-Interpretation des Stoffs von Regisseur Brian De Palma. An eine Umsetzung als Computerspiel hat da noch niemand gedacht.

The Mist

Die erste Person, die auf die Idee kam, ein King-Werk zu versoften, war ausgerechnet der Kinderbuchautor Mercer Mayer, der 1984 zusammen mit John Sansevere in New York das Spiele-Studio Angelsoft gründete. Angelsoft wollte in den Heimcomputermarkt eindringen und dort hauptsächlich Gelegenheitsspieler ansprechen. Und wie ginge das leichter, als mit lizenzierten Produkten, die die Spieler schon aus anderen Medien kennen? Im 1981er Roman Cujo erwähnte King den Kinderbuchautor in einer Szene des Buchs, was dieser ein paar Jahre später, 1984, als Türöffner benutzte, um mit King ins Gespräch zu kommen. Hierzu sei euch auch der Artikel von Jürgen ans Herz gelegt, der diese Hintergründe sehr schön beleuchtet.

The Mist: Ja, liebe Kinder, so sahen die Adventures vor 40 Jahren aus. (Danke an Jürgen für das Ausborgen des Screenshots.)

King ließ also prüfen, welches seiner Werke er an Angelsoft lizenzieren könnte. Tatsächlich hatten sich die Filmstudios schon gierig auf alle seine Bücher gestürzt. Nur eine kleine Geschichte, die später in der 1985er Sammlung Im Morgengrauen (im Original The Skeleton Crew) wieder veröffentlicht wurde, blieb übrig: Der Nebel (im Original The Mist). King schrieb sie 1976, danach dauerte es noch vier Jahre bis sie in Dark Forces, einer Sammlung von Geschichten verschiedener Autoren, erstmals veröffentlicht wurde. Darin geht es, wie der Titel schon vermuten lässt, um einen mysteriösen Nebel, der eine Kleinstadt umhüllt und offenbar tödliche Gefahren in sich birgt. Später sollte diese Geschichte einmal als große Inspirationsquelle für Half Life und Silent Hill in die Videospielgeschichte eingehen.

Mercer Mayer ließ sich nicht zweimal bitten und schlug bei der Lizenz zu. Kurze Zeit später konnte er sich auch die Rechte an dem James-Bond-Streifen Im Angesicht des Todes (im Original A View to Kill) sichern.

Für die Umsetzung stellte Angelsoft den Autoren Raymond Benson ein, der nun sowohl für das King- als auch das Bond-Projekt verantwortlich war. Seine erste Amtshandlung war, bei King anzurufen und ihn zu fragen, ob seine Vorlage im Spiel verändert werden durfte. King gab ihm praktisch einen Freifahrtschein, trotzdem nahm sich Benson vor, nur das Nötigste anzupassen. Zusammen mit einem kleinen Team entstand die erste Versoftung eines King-Stoffs innerhalb von nur wenigen Monaten und wurde 1985 von Mindscape veröffentlicht. Wie gut dies gelang, könnt ihr dem bereits erwähnten Artikel entnehmen.

The Running Man

Die zweite offizielle King-Versoftung wurde 1989 vom kurzlebigen Studio Emerald Software mit Hilfe des Publishers Grandslam Entertainments veröffentlicht. Die Vorlage war der Arnold-Schwarzenegger-Actionfilm The Running Man aus dem Jahr 1987. Der Film wiederum basierte lose auf dem 1982er-Roman Menschenjagd von Richard Bachman. Und dieser Herr Bachman ist ja bekannterweise ein Pseudonym von Herrn King.

Ende der 1980er Jahre waren Textadventures out und Actionspiele in, also fokussierte sich Emerald Software auf die Action. Zugegebenermaßen ist die ursprüngliche Gesellschaftskritik aus dem Roman schon beim Film größtenteils verloren gegangen. Kein Wunder also, dass ihr in der Versoftung hauptsächlich in der Seitenperspektive durch die Bildschirme rennt und dabei eure menschlichen und tierischen Verfolger verprügelt (oder vor ihnen flieht). Die Geschichte gerät in den Hintergrund, was für die damalige Zeit aber auch nicht außergewöhnlich war.

The Running Man: Ja wo laufen sie denn?

Immerhin wurde die ganze Palette der damals angesagten Heimcomputer mit einer eigenen Version bedacht: Egal ob Amiga- , Atari ST- , C64-, MSX-, ZX Spectrum-, oder Amstrad CPC-User… alle durften zum “Rennenden Mann” werden. Bei der deutschen Presse fiel The Running Man durch:

Pressespiegel: The Running Man

“Running Man ist mal wieder eines der Spiele, bei dem versucht wurde, aufgrund eines prominenten Film-Titels viel Geld aus den Taschen der Spieler zu locken. Grafik gut, Vorspann stimmungsvoll, Spielwitz so gut wie nicht vorhanden.” 

Henrik Fisch in der Power Play  7/1989 (via kultboy.com) (Bewertung: 37 %)

“Insgesamt gesehen gehört The Running Man nur zu den Standard-Programmen. Durchschnittlich ist fast alles, was hier präsentiert wird. Die Grafiken sind nicht schlecht, die Animations-Sequenzen ganz ordentlich, der Sound echt gut. Der eigentliche Spielablauf allerdings läßt, ebenso wie die Steuerung, stark zu wünschen übrig.”

Manfred Kleimann in der ASM 9/1989 (via kultboy.com) (Bewertung: 4 von 12)

Das 1990er Actionspiel Smash TV nannte The Running Man als sein direktes Vorbild. Eine weitreichendere Wirkung hatte der Titel wohl aber nicht.

The Dark Half

Drei Jahre später waren Adventures wieder angesagt, und zwar in Form von grafischen Point-and-Click-Spielen. LucasArts & Co. machten es vor, viele Nachahmer folgten. Darunter auch das Studio Symtus, das für Capstone Software den 1989er King-Roman Stark – The Dark Half (im Original The Dark Half) umsetzen durfte. 

Im Buch kämpft der Autor Thaddeus Beaumont buchstäblich mit seinem Alter Ego George Stark, der ihm als Pseudonym zu großem Erfolg verholfen hatte. Als Beaumont sich von Stark trennen möchte und ihn symbolisch zu Grabe trägt, beginnt eine Mordserie, die Beaumont in den Augen der Polizei als Hauptverdächtigen dastehen lässt. 

The Dark Half: So schön gemütlich hier.

King-Kumpel und Horror-Regisseur George A. Romero verfilmte den Stoff 1990 mit Timothy Hutton in der Hauptrolle, auch wenn der Film aufgrund der schlechten finanziellen Lage der Produktionsfirma Orion Pictures erst 1993 erscheinen konnte. So kam es, dass die dritte King-Versoftung bereits 1992, ein Jahr vor Erscheinen des Films auf den Markt kam. Und sie unterbot so ziemlich alle Erwartungen, die in sie gesetzt wurden.

Das verantwortliche Studio “Symtus” war offenbar nur ein Label für Capstone Software, denn die Mitarbeiter von Symtus finden sich auch in den Credits etlicher anderer Produktionen von Capstone Software wieder, darunter auch in den Versoftungen von Filmkomödien wie Bill & Ted’s Excellent Adventure oder Wayne’s World. Deren Gemeinsamkeit waren die lieblosen Umsetzungen, die (nicht nur) in der deutschen Presse zu Niedrigstwertungen geführt haben.

Pressespiegel: The Dark Half

“Gänsehaut ist also garantiert, allerdings weniger aufgrund der Story. Viel schauriger ist nämlich der Umstand, daß das Game alle fünf Minuten abzustürzen pflegt – falls es überhaupt läuft, was auf den wenigsten Rechnern der Fall ist. Damit nicht genug der grauenerregenden Features, bei etwa jedem dritten Szenenwechsel erscheint nur noch die Menüleiste, das neue Bild hält sich im Betriebssystem versteckt. Egal, die Grafik sieht in Natura ohnehin längst nicht so gut aus wie auf der Packung, aber zumindest klingt die Musik recht ordentlich. Was die Point & Click-Steuerung betrifft, so haben wir ebenfalls schon durchdachtere gesehen. Aber was will man bei so einem Dauerabsturz eigentlich steuern?”

Joachim Nettelbeck im PC Joker 6/1992 (via kultboy.com) (Wertung: 29 %)

“Stephen King dürfte zwar ein hartgesottener Bursche sein, aber was Capstone in The Dark Half seinen Figuren antut, das hat kein Autor verdient. Die Grafik bewegt sich auf unterstem Niveau und ist offensichtlich von einem absoluten Laien hingekritzelt worden. Die wenigen auftretenden Sprites sind klobig, haben grobe Gesichter und ruckeln ohne jede Eleganz durch die Gegend. Das abgekupferte Benutzerinterface ist umständlich und unlogisch. Das alles könnten King-Fans zähneknirschend ertragen, wären da nicht die Rätsel. Logik blitzt nur in seltenen Momenten auf, üblicherweise tragen wir Gegenstände von Punkt A nach B. Schnappt man sich Sachen, die jemandem gehören, dann steht der Besitzer unbeteiligt daneben.”

Volker Weitz in der Power Play 1/1993 (via kultboy.com)  (Wertung: 14 %)

Die vier Disketten von The Dark Half , die in der PC Joker- und Power Play-Redaktion mutmaßlich zu Leerdisketten umfunktioniert wurden, kamen in den November-1992-Ausgaben der PC Games und der Play Time noch recht gut weg: Hier gab es immerhin 58 respektive 59 Prozent, obwohl auch diese beiden Tests ähnliche Kritikpunkte wie die oben genannten anbrachten.

Etliche Jahre später gab es Pläne für eine weitere Versoftung des Stoffs unter dem Namen Dark Half – Endsville. Die Ankündigung erfolgte auf der E3 1997, die Verantwortlichen kamen aber noch rechtzeitig zur Vernunft und bliesen das Projekt wieder ab.

Der Rasenmähermann

War The Dark Half bereits der Tiefpunkt?! 1993 versuchten The Sales Curve Ltd. offenbar, den schlimmen Flop The Dark Half noch zu unterbieten. Damit dies gelingen konnte, suchten sie sich eine “ganz besondere” Vorlage aus. Die Wahl fiel auf den Film Der Rasenmähermann von 1992. Die “Verfilmung” der gleichnamigen Kurzgeschichte hatte so wenig mit der Vorlage zu tun, dass King sogar offiziell gegen die Verwendung seines Namens klagte. Was für tolle Voraussetzungen! (Während sich das Original um einen Mann drehte, der vor den Augen seines Auftraggebers das frisch gemähte Gras auf allen Vieren verzehrte, driftete der Film in eine “ganz besondere” Geschichte rund um Drogen und künstlicher Realität ab. Immerhin prägten die Bilder des Films die Vorstellung der Massen, wie so ein “Cyberspace” auszusehen habe.)

Der Rasenmähermann: Willkommen in der virtuellen Realität!

Am Ende muss man sagen, dass Sales Curve es nicht schaffte, die schlechteste King-Versoftung abzuliefern. Manche Magazine fanden das Spiel sogar richtig gut. Dabei waren es eigentlich zwei Spiele: Die PC-CD-ROM- bzw. Sega-CD-Version war eine Art “Interactive Movie”,  die SNES und MegaDrive-Version inklusive GameBoy-Konvertierung lässt sich als Sidescrolling-Action-Game beschreiben, das von Ego-Passagen unterbrochen wird.

Bei der Interactive Movie-Variante gab es in der deutschen Presse zwei Lager. Die ASM war begeistert und vergab einen ASM-Hit-Stern sowie 10/12 Punkte. Der PC Joker war genauso von der Grafik angetan und wertete mit 72 Prozent. Regelrecht abgestoßen vom Gameplay hingegen war die Mega Fun mit ihren 20 Prozent, und auch die PC Player war ernüchtert und legte sich auf eine 31-Prozent-Wertung fest. Die dazugehörigen Testberichte findet ihr bei kultboy.com.

Die Action-Variante schnitt bei der ASM ebenfalls sehr gut ab: 11 von 12 Punkten und ein ASM-Hit-Stern. Alle anderen Magazine waren weniger begeistert: Mega Fun und Video Games vergaben Wertungen im 50er- bis 60er-Bereich für SNES, Mega Drive und Game Boy. Auch hier lohnt sich wieder der Blick auf kultboy.com.

Ende 1994 folgte eine überflüssige Fortsetzung namens Cyberwar, die schlecht bewertet wurde und offenbar nur noch versuchte, etwas Geld aus der Cyberspace-Kuh zu melken. Und damit wären wir bei der letzten King-Versoftung…

Stephen King’s F13 – Strg, Alt,… Entsetzen!

Was für ein Titel! Der geschätzte Bediener dieses Programms soll sich wohl erschrecken, dass hier eine nicht existente Taste seiner Tastatur zum Einsatz kommt?! Wie gruselig! Blöd nur, dass manche Mac-Tastaturen sogar eine F13-Taste besitzen, aber lassen wir das.

Der deutsche Untertitel hat mich zumindest einmal kurz grinsen lassen. “Strg, Alt,… Entsetzen!” klingt so cheesy, dass sich sogar John Sinclair dafür schämen würde. In diesem Fall gefällt mir die deutsche Übersetzung des “Wortspiels” sogar etwas besser als das Original “Ctrl, Alt, …Shiver”.

F13: Eine Kuh unter Riesen-Piranhas. Okay, aber: Warum?

Aber was ist diese letzte offizielle King-Versoftung aus dem Jahr 1999 eigentlich? Vermutlich lässt sie sich am ehesten noch als eine Multimedia-CD einordnen, die den Trend der 1990er schon wieder fast verpasst hatte. King-Fans haben sich damals vermutlich am meisten über die neue Kurzgeschichte “Alles ist riesig” gefreut. Ansonsten wären da noch ein paar “gruselige” Desktop-Hintergrundbilder, Bildschirmschoner und Systemsounds. Und ganze drei Mini-Spiele, von denen eins blöder als das andere ist. Oder wie klingt “Skelette-mit-Schaufel-hauen”, “Insekten-mit-Fliegenklatsche-hauen” oder “Piranhas-füttern” für euch?

Im PC Joker 4/2000 (via kultboy.com) befindet sich ein Kurztest dieses Machwerks. Der darin nicht genannte Autor stand bei der Bewertung wie die Kuh vor dem Riesen-Piranha und vergab daher ein “?”. Das Fazit: “Wäre da nicht die erstmals in Deutsch veröffentlichte Kurzgeschichte ‘Alles ist riesig’, könnte man die CD glatt als Frisbee verwenden… Dass die Story nur auf dem Bildschirm gelesen werden kann, ist ja schon schlimm, doch die Games sind schlimmer… Wie soll man so was bewerten?”

Die Geschichte der offiziellen King-Versoftungen geht damit zu Ende. Ob sich jemand noch einmal an einen neuen Versuch wagt, wird die Zukunft zeigen. Der große Wurf ist bisher noch nicht dabei gelungen, vermutlich auch, weil King kein großes Interesse daran hatte. Zum Filmstart von Es Kapitel 2 im Jahr 2017 gab es noch ein Online-Retro-Werbespielchen, das allerdings mittlerweile aus dem Netz verschwunden ist. Außerdem wurden viele Spiele von King inspiriert. Das bekannteste Beispiel ist wohl Alan Wake, das mit King-Anspielungen nur so vollgestopft ist. 

Das waren “alle Versoftungen im Überblick” von Stephen King. Vielen Dank für euer Interesse und bis zum nächsten Mal.

Alan Wake: Der inoffizielle King-Simulator

(Dieser Beitrag erschien zuerst am 28. Dezember 2023 auf GamersGlobal)

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