1988 startete der Publisher Software 2000 eine Qualitätsoffensive im Adventure-Bereich. Zumindest verkaufte er es so.
Unter dem wohlklingenden Wortspiel „Artventure“ veröffentlichte der deutsche Publisher Software 2000 zwischen 1988 und 1995 eine neue Reihe angeblich besonders hochwertiger Spiele, die nicht nur auf dem Bildschirm sondern auch bei der Packungsausstattung Maßstäbe setzen sollte. Im Rückblick betrachtet, handelt es sich bei der Reihe eher um eine Sammlung verschiedener Ansätze verschiedener Firmen, wie man eine dichte Story transportieren könnte.
Das klappte mal besser, mal schlechter und manchmal ging es richtig in die Binsen. Ob jedes der zehn Spiele einen Platz in eurem Regal verdient, sei mal dahingestellt. Denn bei mehr als einem der Titel stellt sich die Frage, wo denn die namensgebende „Art“ versteckt ist. Aber ein spannender Ritt durch die Kunst der deutschen Adventure-Entwicklung ist die Reihe allemal.

Holiday Maker
Der erste Entwickler im Artventure-Reigen war die Firma PM Entertainment. Das Unternehmen konnte sich leider nicht allzu lange am Markt halten und veröffentlichte neben den drei hier vertretenen Spielen nur noch das Physik-Puzzle-Spielchen Century. Aber 1988 war diese kurze Lebensdauer noch nicht absehbar und so legten der Texter/Grafiker Chris Földing-Hornschuh und der Coder Markus Frisch einfach ihre Vision eines Adventures vor.
In diesem Spiel macht ihr Urlaub. Was dank des Titels vielleicht nicht ganz so überraschend ist. Aber mit den Verstrickungen und Verwirrungen, in die wir mit unseren Freunden Tim, Laura und Bernie geraten, hatten wir nicht gerechnet. Auf Einladung unseres alten Freundes Kevin schippern wir auf die idyllische Insel Beady Island. Aber Kevin wartet nicht am Hafen, um uns abzuholen. Stattdessen werden wir von ein paar grimmig wirkenden Männern kontrolliert. Und der nächste Tag beginnt mit einer Toten am Strand! Klingt als Einstieg ganz spannend – und Freunde gepflegter Groschenheft-Unterhaltung bekommen genau das Gesuchte. Ein höheres Niveau-Plateau als GZSZ erklimmt der Holiday Maker aber leider nicht. Und selbst dann schafft es das Spiel, bei einer recht linearen Aneinanderreihung von Texten, seltsame Kapriolen zu schlagen.
Das liegt an der Spielmechanik, die alle aktuell wählbaren Aktionen hinter Schaltflächen am unteren Bildrand auflistet. Das kann dazu führen, dass Texte ausgelöst werden, die erst später Sinn ergeben würden. Oder Abschnitte aufeinanderfolgen, die nicht richtig zueinander passen wollen. Besagter Leichenfund wird zum Beispiel mit ein paar Zeilen inklusive Verhör aller Augenzeugen abgehandelt. Die gedrückte Stimmung wird schön beschrieben: Erst nach zwei Stunden Wartezeit sind auch wir an der Reihe, vom Sheriff befragt zu werden. Und dann? Auf dem gleichen Bildschirm folgen auf diese spannenden, belastenden Zeilen, die Worte „Endlich könnt ihr zum Strand… Den Nachmittag genießt ihr mit Baden, Spielen usw.“ Leiche? Sheriff? War was? Kurz darauf wieder der Schwenk zu eurer Besorgnis, dass Kevin immer noch nicht aufgetaucht ist. All das auf einem einzigen Bildschirm! Innerhalb von 24 Zeilen springt ohne das Zutun des Spielers die Stimmung dreimal um, denn ganz unten steht noch „Heute ist für euch Disco-Time“.

Hat Földing-Hornschuh hier einfach verschiedene Szenarien aneinander geklatscht? Es wirkt leider so. In besagter Disco können wir dann nach einem kurzen einführenden Text unter der Schaltfläche „Aktion“ „Die Einladung annehmen“. Welche Einladung denn? Von wem? Wir sind doch gerade erst reingekommen und haben mit niemandem gesprochen. Solche Ungereimtheiten liefert das Spiel in Sekundentakt, weil wir die Geschichte mit sämtlichen Informationen nicht nur aus dem Beschreibungstext, sondern auch aus den Optionen hinter den Schaltflächen am unteren Bildschirmrand zusammen puzzeln müssen. Das klingt erst einmal nach einer guten Idee, sorgt aber bei schlechter Umsetzung eben zu Ungereimtheiten wie dieser Einladung. Schade. Ich weiß nicht, wie verbreitet ähnlich gelagerte Spiele 1988 schon waren. Heutzutage gibt es die Telltale-Spiele oder Visual Novels, die dem Spieler ähnlich viel Kombinationsgabe abverlangen. Ähnlich wie zum Beispiel bei The Walking Dead wird gerne eine gewisse Komplexität vorgegaukelt, die aber bei genauerem Hinsehen nicht existiert. Im Gegensatz zu den genannten Beispielen gibt uns der Holiday Maker aber leider gleichzeitig Freiheiten an die Hand, die wie in der Disco zu ständigem Kopfschütteln führen. Oder wir dürfen gleich zu Spielbeginn unseren Koffer packen und dabei aus 33 Gegenständen auswählen. Aber eine Falschauswahl ist praktisch nicht möglich.
Dem Spiel und dem Erzählfluss wäre mehr gedient, wenn entweder weniger oder mehr Spielmechanik hinter dem Holiday Maker stünde. Denn das schöne Wort „Spiel“ trifft es beim Holiday Maker nicht so ganz: So besteht die Mechanik doch hauptsächlich darin, die unter dem Bild aufgereihten Schaltflächen abzuarbeiten. Dort gibt es zum Beispiel „Emotion“, „Aktion“ oder auch „Sehen“. Und zu sehen gibt es hier einiges. Die Grafiken sind zwar nicht immer stilsicher, aber zahlreich. Und technisch schön gemacht. Der Genuss des Titels wird dem Spieler erleichtert, wenn er gerne Bilder von leicht bekleideten Frauen sieht. Denn davon gibt es reichlich. Bei meinen Urlauben sieht das immer anders aus – aber ich war auch noch nie auf Beady Island. Doch so sehr das Spiel bei den Grafiken und den Texten klotzt, so sehr kleckert es beim Sound oder bei einer Save-Funktion: beides ist schlicht nicht vorhanden. Ein Adventure ohne Speichermöglichkeit? Klingt befremdlich und hat sich zum Glück nicht durchgesetzt. Ein Indiana Jones and the Fate of Atlantis in einem Rutsch ohne Fehler ist zumindest mal eine Herausforderung. Beim Holiday Maker ist die fehlende Komfortfunktion aber nicht ganz so schlimm: Ein Durchgang, der auf Youtube zu sehen ist, schlägt mit gerade mal 77 Minuten zu Buche. Dennoch ein ärgerlicher Lapsus.

Die Stadt der Löwen

Das Stundenglas
Mit diesem Spiel änderte sich 1990 die Machart der Artventures. Weg von der limitierenden Icon-Steuerung hin zu einem offenen Textadventure mit untermalenden Grafiken. Verantwortlich dafür war ein Entwicklungsstudio namens Weltenschmiede, das kurz zuvor von Harald Evers und Andreas Niedermeier gegründet worden war. Die Geschichte deutschsprachiger Genre-Spiele war zu diesem Zeitpunkt noch nicht besonders alt. Der älteste Titel, den ich gefunden habe, stammt aus dem Jahre 1982 und nennt sich The Mask of the Sun – Das Geheimnis der Aztekenmaske, das auf dem C64, dem Apple II und auf Atari XL/XE erschienen ist. Im Laufe dieser acht Jahre hat sich zum Glück einiges verbessert, aber natürlich kämpft auch Das Stundenglas mit den typischen Schwierigkeiten, dem Parser „schönes“ Deutsch beizubringen. Die eigenen, eher prosaischen Eingaben stehen in starkem Kontrast zur recht üppigen Sprache, die Evers verwendet.
Hier als Beispiel der erste Beschreibungstext des Spiels:
In einer KleinstadtIrgendwo in Mitteleuropa, in den Ruinen einer der vielen, verwüsteten Kleinstädte des Kontinents, beginnt ein weiterer Tag unter der gnadenlos glühenden Sonne – im Staub und Dunst einer trostlosen Welt ohne Hoffnung. Eine einsame, versandete Straße führt von Ost nach West – gesäumt von Reihen verlassener und zum Teil niedergebrannter Häuser. Es ist früher Vormittag. Die wenigen Menschen, die hier hausen, haben sich schon wieder vor der sengenden Sonne in die Häuser verkrochen. Etwas westlich von hier blinkt etwas im Sonnenlicht, seltsam – in dieser verwüsteten Stadt schien es eigentlich keine intakte Fensterscheibe mehr zu geben!
Ein bis zwei Schritte weiter bemerke ich ein paar Unzulänglichkeiten des Parsers: Zum Beispiel mag er es überhaupt nicht, wenn ich Himmelsrichtungen abkürze. „Osten“ bleibt „Osten“ – so viel Zeit muss sein. Und das „Büchlein“, das ich im Spielwarenladen entdecke, ist auch kein ausgewachsenes „Buch“. Aber über solche Problemchen stolpere ich nur am Anfang. Später habe ich mich daran gewöhnt.
Wer anhand des einleitenden Textes und der ersten paar Räume davon ausgeht, dass er sich hier in einer postapokalyptischen Welt samt entsprechender Gesellschaftskritik bewegt, hat natürlich recht. Anfangs. Denn diese ganze liebevoll aufgebaute Atmosphäre der Trostlosigkeit verlassen wir schon nach wenigen Zügen wieder.

In dem Spielzeugladen, in dem wir uns vor marodierenden Plünderern verstecken, stoßen wir auf eine alte Truhe, durch die wir in das Munterwassertal gelangen. Klingt schon mal ganz aufmunternd, der Name. Und die begleitende Grafik vermittelt auch ein viel positiveres Gefühl als die zerstörte Kleinstadt. Aber natürlich gibt es trotzdem ein paar Probleme: das titelgebende Stundenglas ist verschollen. Das hat Auswirkungen auf den Lauf der Zeit und ist auch an unserer zerstörten Heimat schuld. Die Bewohner des Tals tragen alle jeweils eine Münze bei sich, mit der wir wiederum Tore aktivieren können. Alles in allem eine kleine Schnitzeljagd durch eine nett gestaltete Welt. Auf Dauer zieht sich das Spiel allerdings.
Ursprünglich war der Titel als reines Text-Adventure konzipiert, aber nachdem Software 2000 ihn in dieser Form ablehnte und auf Grafiken bestand, wurde er entsprechend erweitert. Mag sein, dass die Weltenschmiede den Sinn hinter den Grafiken bezweifelte. Ebenfalls möglich, dass sie die Entwicklung schnell zum Abschluss bringen wollten. So oder so: Den Grafiken speziell der PC-Version hätte ein wenig mehr Liebe gutgetan. Die zwei Monate später veröffentlichte Amiga-Fassung sieht ein wenig bunter aus – aber auch hier wäre noch viel Luft nach oben gewesen. Der Parser wirkt für heutige ungeübte Spieler natürlich etwas sperrig und kleinlich, aber für 1990 war er mit seinen 2.500 Objekten, 300 Verben und vielen „unwichtigen“ Wörtern schon sehr umfangreich. Diese Zahlen stammen aus einem Bericht der ASM 7/91, in der auch die Anekdote erzählt wird, dass Harald Evers, der damals als freier Journalist und Taxifahrer arbeitete, die ersten Grafikentwürfe in besagtem Fahrzeug auf die Rückseite eines Abrechnungszettels kritzelte.

Die Kathedrale
Das zweite Spiel der Weltenschmiede greift nach der Fantasy-Welt des Vorgängers ein ganz anderes Thema auf. Der Spieler wird mit einer ehemaligen Klassenkameradin Dani in der fiktiven St. Pauls Kathedrale in Schönau über Nacht versehentlich eingeschlossen. Bei der Suche nach einem Ausgang finden sie alte Briefe und andere Hinweise, die auf eine große Gefahr hindeuten: Der Baumeister der Kathedrale, Victor Paz, verlor in seiner Kindheit seinen Halbbruder Jan Hus (der tatsächlich gelebt hat) an die Inquisition. Deshalb nutzte er den Bau des Gotteshauses, um 15 tödliche Fallen in das Gebäude zu integrieren und mit diesen Rache am Klerus zu üben. Und ausgerechnet in dieser Nacht werden die letzten fünf Fallen ausgelöst werden.
Das Thema „Zeit“ spielt in dieser Geschichte wie auch schon im Stundenglas wieder eine große Rolle. Genau genommen sogar zwei: einerseits stehen in jedem Abschnitt nur eine begrenzte Anzahl Züge zur Verfügung, bevor die Fallen ausgelöst werden. Andererseits springt der Spieler auch noch in der Geschichte zurück, da je fünf Fallen in den Jahren 1881 und 1437 aktiviert werden beziehungsweise wurden. Statt unserer Schulfreundin Dani helfen uns hier der Butler Jasper beziehungsweise der Mönch Daniel. So ganz logisch aufgebaut ist die Geschichte leider nicht. Einige Dinge, die wir 1992 bewirken, verändern die Vergangenheit. Wie das von statten gehen soll, bleibt leider ungeklärt. Und einige Teile der Kirche wirken so, als ob das Team während der Entwicklung einfach noch ein paar Räume mehr gebraucht und dann willkürlich die Maße verändert hat. Aber alles in allem ist der Schauplatz passend gestaltet und verströmt die passende düstere Atmosphäre.
Auffällig ist, dass einige Grafiken wie Danis Portrait eher gescannt und nachbearbeitet aussehen, andere scheinen selbst im Computer erstellt worden zu sein. Evers übernahm wieder die Texte, die im Vergleich zum Stundenglas noch ein wenig ausgefeilter und opulenter ausfallen – was aber eventuell auch an der Kirchenumgebung liegt. Leider lässt es sich das Spiel nicht nehmen, ab und zu aus dieser mühevoll aufgebauten Stimmung auszubrechen und gnadenlos durch die vierte Wand zu brettern. Nur, um dann im nächsten Satz im bisher gesetzten Ton weiter zu erzählen.

Musikalisch ist Die Kathedrale kein Meilenstein. Bis auf eine kurze Startmelodie hören wir nichts. Dabei bieten sich Kirchenräume doch geradezu an, sie mit düsteren Klängen zu untermalen. Schade, aber beim Rätseln auch nicht störend. Technisch geht das Spiel im Vergleich zum Stundenglas einen Schritt weiter: Die Grafiken sind nicht mehr nur schmückendes Beiwerk, sondern bieten anklickbare Objekte. In Verbindung mit dem neuen Bedienfeld, auf dem die wichtigsten Möglichkeiten als Icons dargestellt werden, könnt ihr euch eure Befehle auch zusammenklicken. Da ihr aber trotzdem nicht komplett auf die Tastatur verzichten könnt und die Klickerei im Vergleich zur Tipperei eher umständlicher ist, lasse ich diese Möglichkeiten normalerweise links liegen. Das Ganze wirkt eher unausgegoren und nimmt dem Textfeld Platz weg.
Die Ausstattung der Box dagegen lässt Abenteurerherzen höher schlagen: Neben einigen Briefen, auf die früh im Spiel referenziert wird, liegt noch eine Broschüre über den Kirchenbau bei. Und einige Grundrisszeichnungen der Kathedrale lagern ebenfalls in der Schachtel. Alles Gegenstände, die zur Lösung des Spiels wichtig sind. 1993 wandelte Evers das Spiel in einen gleichnamigen Roman um, der die Zeitreiseaspekte über Bord wirft und sich auf die Gegenwart der Kathedrale konzentriert. Das Buch ist zwar leider vergriffen, aber gebraucht noch erhältlich und auf jeden Fall eine Schmöker-Runde wert.

Hexuma – Das Auge des Kal
1992 stellte dieser dritte Streich von Harald Evers einen vorläufigen Schlusspunkt der Verbindung Weltenschmiede/Software 2000 dar. Die Verpackung war wieder einmal gefüllt mit allerlei schönen Beigaben, die auch bitter nötig waren, um bei den Rätseln des Spiels überhaupt eine Chance zu haben. Wichtigstes Utensil hierbei ist das Tagebuch des Owen Jugger, das im ganzen Spiel immer mal wieder zu Rate gezogen werden sollte. Schön geschrieben und gestaltet ist es noch dazu, wenn es auch nicht an Indys Gralstagebuch heranreicht.
Als Mitarbeiter eines Maklerbüros verschlägt es den Spieler in das alte Hawthorne-Haus in England. Unser Chef möchte, dass wir einige Nächte dort verbringen und den bösen Gerüchten über Spukgestalten die Nahrung entziehen. Kaum haben wir uns dort ein wenig umgesehen, klopft der Postbote an die Tür und übergibt uns ein Paket, das 70 Jahre auf einem gesunkenen Postdampfer gelegen hatte. Darin lagert das Tagebuch, das uns eine schier unglaubliche Geschichte auftischt. Aber spätestens das Monster, das durch den Garten stapft und uns umbringen will, lässt uns doch daran glauben. Bei der Untersuchung des Hauses finden wir im Keller schließlich einen geheimnisvollen Raum, der uns Reisen in mehrere Zeitalter der Erdgeschichte ermöglicht. Denn es gilt, den bösen Gott Kal zu besiegen und ihn mit Hilfe von fünf Kristallsplittern endgültig loszuwerden. Unser wichtigstes Utensil dabei ist – so viel darf ich hier verraten – ein Billard-Queue.

So spannend das Setting klingt: Das Spiel zersplittert leider in ähnlich viele Einzelteile, wie der Kristall. Ist das Hawthorne-Haus noch ein klassisches Gruselspiel, wandelt sich der Erzählstil und auch die Umgebungen im Laufe der Reise immer mehr und schreckt auch vor Albernheiten nicht zurück. Einige der Szenarien passen noch halbwegs zu der Ausgangssituation, andere könnten aus einem vollkommen anderen Spiel sein. Wenn ihr hier bis zum Ende gespielt habt und dann noch einmal die Reise im Geiste Revue passieren lasst, werdet ihr euch ganz schön wundern, was da angeblich zusammen gehört. Außerdem finden sich hier wieder im Übermaß Späße, die die vierte Wand durchbrechen. Das kann mal vereinzelt amüsant sein, aber in dieser Häufung machen sie die Spannung des Spiels Stück für Stück kaputt. Und die letzten Szenen gehören für mich zu den unrühmlichsten Spiele-Enden, die ich in meiner Spieler-Karriere erleben durfte. Mein Tipp: Spielt den ersten Abschnitt im Haus und lasst dann die Finger von dem Spiel. Überlegt euch lieber selbst, wie die Geschichte weitergehen könnte.
Das Bedienfeld aus dem Vorgänger ist hier wieder verschwunden. Stattdessen finden sich Komfortfunktionen wie eine Automap oder eine Spul-Funktion durch den Text in den Zier-Elementen rund um die beiden Hauptfenster eingearbeitet. In den meist gelungenen Grafiken, die hier alle gezeichnet wurden, lassen sich wieder Gegenstände anklicken; der Parser versteht auch meistens, was ich von ihm will. Die Musikstücke der einzelnen Welten sind meistens geschmackvoll-unaufdringlich, lassen sich aber zum Glück auch jederzeit abstellen. Technisch gibt es also nichts zu meckern. Auch die schick gestaltete Verpackung macht sich wirklich gut im Regal. Nur inhaltlich ist Hexuma für mich ein Rückschritt hinter Die Kathedrale.

Der Schatz im Silbersee

Oder die Rätsel: Laut des Amiga-Tests seien sie „streng logisch“ und wer „gesunden Menschenverstand walten“ lässt, dürfte keine Probleme haben. Nun, dann sollte ich mich mal dringend untersuchen lassen. Dazu müssen einige Aktionen pixelgenau ausgeführt und getimt werden, ohne dass das Spiel einem dies erklären würde. Und während der größte Teil des Spiels sich bemüht, die Rätsel in eine Westernumgebung einzubetten, wirkt der abschließende Akt in der Mine wie eine aufgepfropfte schlechte Nacherzählung des Atlantis-Abschnitts aus Indy 4. Gelungen ist dagegen, dass geöffnete Schubladen, Schränke und so weiter zu einem eigenen Inventarfenster führen, in dem die Gegenstände dargestellt sind. Weniger schön ist, dass das eigene Inventar schon nach kurzer Zeit aus allen Nähten platzt und etwas unübersichtlich wird. Aber das Problem hatten auch andere Spiele dieser Epoche. Wie dem auch sei: Der bereits vorab angekündigte Nachfolger „Durch die Wüste“ wurde sang- und klanglos in dieselbe geschickt und Linel konzertrierte sich fortan auf die Entwicklung von Kaiser Deluxe.
Jonathan
Das verwöhnte Publikum braucht ja heutzutage immer neue Sensationen. Nur folgerichtig also, dass nach einer Urlaubsinsel und Shanghai der nächste Schauplatz eines Artventures… die fiktive deutsche kleine Ortschaft Kronstadt ist. Hier lebt Jonathan: Jung, telekinetisch begabt und seit einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt. Zusammen mit seiner Freundin Inge und einigen anderen Freunden, die er im Laufe des Spiels um sich scharen muss, stellt er sich einer Bedrohung, die erst Kronstadt und dann den Rest der Welt in den Abgrund zu reißen droht.
Dabei fängt alles noch recht harmlos an: Jonathan träumt von einem geheimnisvollen Buch, das er kurz darauf bei einem Trödler findet. Während der nächsten Tage versucht seine Clique, es zu übersetzen und Zutaten für einen darin beschriebenen Zaubertrank aufzutreiben. Währenddessen nehmen in Kronstadt die Gewalttaten zu und ein geheimnisvoller Gegenspieler fordert Jonathan immer offensiver heraus. Dabei arbeitet das Spiel immer wieder gekonnt mit Jonathans Behinderung: Sobald er zu einem Ziel etwas außerhalb der Stadt möchte, ist er auf seine Freunde angewiesen, die ihn dort hinfahren müssen. Diese Einschränkung überträgt das Spiel gekonnt auf das Interface, das mit seiner umständlichen Oberfläche voller Schaltflächen und Verschachtelungen die Schwierigkeiten von Menschen mit Behinderungen innerhalb unserer Gesellschaft radikal darstellt. Wenigstens hoffe ich, dass das der Grund für dieses Sammelsurium ist. Keine Aktion kann Jonathan einfach mal so auslösen. Und wie schon in den Vorgängern ist der Spieler hier gezwungen, sich durch verschiedenste Textschnipsel sein eigenes Bild der Geschichte zusammenzupuzzeln. Immerhin gibt es hier weitaus mehr Möglichkeiten, auch mal abseits des Hauptpfads Dinge zu entdecken. Aber wie schon bei den anderen Phoenics-Spielen sind die Aktionen nicht unbedingt schlüssig und lassen den Spieler gerne ratlos zurück.

Sowohl Der Schatz im Silbersee als auch Jonathan wurden von Heinrich Lenhardt in seine Legendär-Schlecht-Reihe aufgenommen. So weit würde ich nicht gehen wollen. Ich würde sie eher in die Schublade mit der Aufschrift „legendäres unteres Mittelmaß mit interessanten Ansätzen“ stecken. Gerade die Phoenics-Werke könnten heutzutage als reine Visual Novels um einiges besser funktionieren.
Die Höhlenwelt-Saga – Der Leuchtende Kristall
Archibald Applebrook’s Abenteuer
Als ich anfing, für diesen Artikel zu recherchieren, war ich fest davon überzeugt, dass es insgesamt nur acht Artventures gab. In dieser Meinung wurde ich auch von allen Berichten und Datenbanken bestärkt, die online so zu finden sind. Sowohl Moby Games als auch die Wikipedia beenden die Reihe nach der Höhlenwelt-Saga. Umso überraschter war ich, als ich mit dem Kautzner Computer Museum wegen der Verpackungsbilder Kontakt aufnahm: Mir wurden bisher zwei Spiele unterschlagen!
Der erste dieser beiden Titel stammt erneut aus der Weltenschmiede. In dem Grafik-Adventure Archibald Applebrook’s Abenteuer geht es um den titelgebenden Schotten, der in einer Bücherei sein Dasein fristet. So ganz zufrieden ist er mit seinen Zukunftsaussichten nicht. Deshalb nimmt er ein gefundenes Reisetagebuch einer Expedition zum Anlass, sich in das ganz große Abenteuer zu stürzen. So ganz alleine wäre das natürlich zu fade – vielleicht inspiriert von Indys Sophia Hapgood wird Archibald von der Reporterin Melanie Mockingbird begleitet. An und für sich eine charmante Idee, aber die Chemie zwischen den beiden Figuren wird leider weder grafisch noch durch die Sprachausgabe transportiert.

Optisch lehnt sich das Spiel ein wenig an Day of the Tentacle an. Gerade Flächen sind verpönt, alle Umgebungen wirken wie zu weich gewordenes Wachs. Leider können die Figuren dieses Niveau nicht halten. Aber im Vergleich zum Vorgänger gibt es immerhin ein paar Animationsphasen mehr zu bewundern. Und die Umgebungsgrafik alleine schafft es natürlich nicht, Humor auf LucasArts-Niveau zu liefern. Dafür wären auch geschliffene Dialoge und lustige Situationen notwendig. In beiden Disziplinen kommt Archibald aber leider nicht über ein „Er war stets bemüht“ hinaus. Zu sehr scheint sich das Spiel darauf zu verlassen, dass allein der Protagonist schon witzig genug ist. Ein bebrillter Schotte in einer Bücherei! Das ist doch lustig! Und zu allem Überfluss kann die Weltenschmiede nicht von ihrer Unsitte lassen, die vierte Wand durchbrechen zu müssen. Schade.

Talisman
Den letzten Artventure-Eintrag lieferte 1995 das Team MediaArt. Informationen zu diesem Spiel sind leider rar gesät. Und das, obwohl es auf der technischen Seite erneut einen neuen Ansatz verfolgt: Vor 2D-Hintergründen agieren relativ einfach gehaltene 3D-Figuren, die aber dennoch gut in diese Welt passen.
Wie bei Artventures bereits gute Tradition, bietet auch Talisman ein neues Spielelement: Gegenstände können erst dann aufgenommen werden, wenn sie für das Spiel relevant werden. Das verhindert natürlich ein überquellendes Inventar – aber die Mechanik fühlt sich schon sehr bevormundend an. Das gilt auch für die Steuerung, da sich eure Spielfigur nicht frei bewegen kann, sondern nur von Hotspot zu Hotspot läuft. Schön gelöst ist dagegen das kontextsensitive Menü, das beim Klick auf einen Gegenstand oder eine Person eingeblendet wird. Bei Gesprächen wird das Inventar am unteren Bildschirmrand ausgeblendet, um Platz für die Multiple-Choice-Dialoge zu machen.
Euer Protagonist ist der junge Alex, der vor zehn Jahren die Ermordung seines Großvaters mitansehen musste. Dieser weise Magier wurde von Dämonen getötet, die auch einen mächtigen magischen Stein stahlen. Alex selbst wurde entführt und kommt nun zurück, um mithilfe des Steins die Besatzer zu vertreiben.

Immer wieder interessant ist, wie unterschiedlich die Spielepresse auf einen Titel reagieren kann. So werden die Rätsellösungen in der PC Player 3/96 als „durchsichtig“ beschrieben, während die Power Play 1/96 von „unsinnigen Rätseln“ schreibt, die der PC Joker 12/95 als „größtenteils logisch“ deklariert. Die Wahrheit ist vermutlich noch irgendwo dort draußen.
Und das war er, mein kurzer Streifzug durch die Artventure-Geschichte. Auch, wenn nicht jeder der Titel ein längeres Spielen wert war: Was hier an unterschiedlichen Spielarten des Adventure-Genres aufgefahren wurde, ist ein schöner Genre-Überblick. Und sei es nur wegen der wunderschönen Verpackungen und der teilweise verschwenderisch schön gestalteten Beigaben. Hier noch einmal ein großer Dank an Andreas Zahrl vom Kautzner Computer Museum, ohne den dieser Artikel hier nur halb so bunt ausgefallen wäre. Ebenfalls ein herzlicher Dank an meinen Zankstellen-Mit-Podcaster Elfant, der sich Talisman Untertan gemacht und die beiden Screenshots des Spiels angefertigt hat.
Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr mit einem der Spiele selber Erfahrungen gesammelt? Oder habe ich euch auf einen Titel Appetit gemacht?
(Dieser Beitrag erschien zuerst am 13. Februar 2021 auf GamersGlobal)
Super-Artikel! Wie ich sie geliebt habe, die Software 2000-Adventures, trotz all der (durchaus berechtigten) Kritik. Das nächste Spiel in meiner Adventure-Schatzkiste ist Der Schatz im Silbersee 😉 Der Applebrook kommt vielleicht auch irgendwann dran, obwohl ich ernste Spiele den lustigen vorziehe.