Beavis & Butt-Head in Virtual Stupidity

Am 8.3. 1993 gingen Beavis & Butt-Head in den USA auf Sendung. Grund genug für einen nostalgischen Blick zurück und auf das Spiel “Virtual Stupidity” aus dem Jahr 1995.

Wenn ich eine persönliche Rangliste aufstellen müsste, welche Figuren den Zeitgeist der 90er-Jahre am besten verkörpern: Beavis & Butt-Head würden dieses Ranking anführen. Zumindest aber sind die MTV-Chaoten eng mit meiner Kindheit verwurzelt. Denn musikalisch wurde mein frühkindliches Ich mit dem Programm von MTV Europe der frühen 90er-Jahre sozialisiert. Sendungen wie Alternative Nation, Most Wanted und natürlich der legendäre Headbangers Ball haben meinen Musikgeschmack nachhaltig geprägt. Während bei Gleichaltrigen damals Boygroups oder Eurodance angesagt waren, mochte ich Grunge, Hard Rock und Heavy Metal. Eine musikalische Erziehung, für die ich dem alten MTV noch heute dankbar bin.

Der respektlose und politisch unkorrekte Humor prägte eine ganze Generation.

In dieses Umfeld passte die Show von Beavis & Butt-Head, die am 8.3.1993 in den USA startete, perfekt: Zwei strunzdumme, sexistische Metalheads kommentieren Videoclips und erleben in kurzen Cartoons die unterschiedlichsten Abenteuer. Diese bestehen allzu oft darin, dem anderen Geschlecht irgendwie näher zu kommen oder einfach nur Chaos in Schule und Nachbarschaft, einer fiktiven texanischen Kleinstadt namens Highland, anzurichten. Schon die ersten Sendungen waren von einem derben, tiefschwarzen und anarchischen Humor geprägt, wie man ihn bis dahin selten gesehen hatte. Die beiden Jungs sind zwar dumm, aber in ihrer bedingungslosen Unangepasstheit an die Gesellschaft wurden sie zu Identifikationsfiguren einer ganzen Generation.

Keine Frage: Die Show löste in den USA sofort einen jahrelangen Skandal aus. Zu vulgär, zu derb, zu gewalttätig. Häufig wurde die Show seitens US-Medien auch dafür verantwortlich gemacht, dass Jugendliche straffällig geworden sind. Für Mike Judge, Erfinder, Musiker, Produzent und Synchronsprecher der Hauptfiguren, die ideale Vorlage, um die Show in den Folgejahren noch subversiver auszurichten. Spätestens ab der dritten Staffel ging es nicht mehr nur um derben Slapstick, sondern es flossen immer mehr gesellschaftskritische Aspekte in die Geschichten ein: Angefangen von medialer und politischer Doppelmoral und Political Correctness über Konsumkritik und Bildungspolitik bis hin zur Frage, warum die damalige US-Gesellschaft nicht in der Lage war, den Jugendlichen eine Zukunftsperspektive zu geben. Und indem sich die Jugendschützer auf diese Show einschossen, wurde ihnen – sowie Teilen der US-Gesellschaft – gleichzeitig der Spiegel vorgehalten.

Wobei das alles lediglich auf die US-Version zutrifft. Bei RTL2 gab es 1995 die Idee, Beavis & Butt-Head mit einer deutschen Synchronisation auszustrahlen. Die damaligen deutschen Übersetzer haben es nicht mal ansatzweise geschafft die subversive Kommentierung auf die US-Gesellschaft zu transportieren. Viel mehr meinte man wohl wirklich, dass in Beleidigungen der Humor liegt. Weswegen man dieses Element im Vergleich zum Original auch noch überbetonte. Und damit haben die Übersetzer die Intention von Mike Judge gehörig missverstanden. Auch sonst war die deutsche Version schlicht katastrophal: Angefangen bei den grausamen Sprechern bis hin zu wirklich schlechten Gags. Beavis & Butt-Head lässt sich meiner Ansicht nach fast gar nicht übersetzen, da der Charme des Originals sehr stark mit Mike Judges Synchronisation verbunden ist.

Die Karriere von Mike Judge

Mike Judge, Erfinder von Beavis & Butt-Head (Gage Skidmore, Mike Judge by Gage Skidmore, CC BY-SA 3.0)

Mehr als 200 Episoden von Beavis & Butt-Head wurden in den 90er-Jahren bis 1997 ausgestrahlt. Die Serie war ein Riesenerfolg und prägte die amerikanische Popkultur. Und natürlich lief die Merchandising-Maschinerie bei Viacom, dem Mutterkonzern von MTV, auf Hochtouren: CDs, Comics, Bücher, T-Shirts – alles, was man sich nur vorstellen konnte. Sogar ein erfolgreicher Kinofilm schaffte es 1996 in die Lichtspielhäuser. Ironischerweise also genau die Maschinerie, die in der Serie so oft angeprangert wurde. Kapitalismus eben.

Für Mike Judge war Beavis & Butt-Head der große Durchbruch. 1997 erhielt er von FOX einen 60-Millionen-Dollar-Deal für eine eigene Serie und mehrere Filme. Daraufhin verließ er MTV und widmete sich seinem bisher größten Erfolg: King of the Hill. Bis 2010 entstanden 13 Staffeln der Animationsserie um eine kleinbürgerliche Vorstadtfamilie. Im Gegensatz zu Beavis & Butt-Head schlug King of the Hill einen ruhigeren, subtileren und einfacheren Ton an. Im Filmbereich entstanden Office Space, Idiocracy sowie Extract. In den 2010er Jahren feierte er einen weiteren Erfolg mit der Comedy-Serie Silicon Valley für HBO.

Nach einer enttäuschenden Revival-Staffel von Beavis & Butt-Head im Jahr 2011 folgte 2022 ein neuer Film: Beavis & Butt-Head Do The Universe. Darin geraten die beiden Chaoten durch ein schwarzes Loch in der Gegenwart. Auf dieser Prämisse baut auch die neue Serie auf, die von Paramount+ für zwei Staffeln bestellt wurde. Die erste Staffel erschien im Herbst 2022, die zweite folgt voraussichtlich im folgenden Herbst. Zwar fehlt der neuen Serie die subversive Gesellschaftskritik, welche die Serie der 90er-Jahre auszeichnete – aber immerhin durften Beavis & Butt-Head ihren herrlich grenzdebilen Humor behalten.

Die Pioniere des Point & Click kommen nach Highland

Zurück in die Vergangenheit. Wie zu jeder Lizenz, die damals bei Drei noch nicht auf den Bäumen war, musste es natürlich auch entsprechende Videospiele geben. Diese entstanden bis 1997 direkt bei Viacom New Media, einem von Viacom gegründeten Spieleentwickler. Man wollte die Marken von MTV und Nickelodeon auch auf Spielkonsolen und PC bringen. Zu diesem Zweck übernahm der Konzern in den Jahren 1993 und 1994 mehrere Spielestudios, darunter auch ICOM Simulations, das fortan unter dem Namen Rabid Entertainment firmierte.
ICOM Simulations wurde 1981 von Tom Zipnick gegründet. Bereits 1985 veröffentlichten sie mit Déjà Vu: A Nightmare Comes True das erste Point & Click Adventure der Spielegeschichte. Grundlage war eine eigene Engine für Mac-Computer: MacVenture. Sie ermöglichte es, ein Adventure-Spiel nur mit Maussteuerung zu entwerfen und diente als Vorbild für zahlreiche weitere Engines für Maussteuerung in Computerspielen, darunter auch die SCUMM-Engine von Lucasfilm Games.

Nach einer Reihe durchaus erfolgreicher Spiele auf Basis der MacVenture-Engine erkannte man Ende der 80er Jahre die CD-ROM als zukunftsträchtiges Medium. Mit Sherlock Holmes: Consulting Detective erschien 1991 das erste Spiel auf CD-ROM für den PC. Im selben Jahr verstarb der Firmengründer Tom Zipnick im Alter von nur 35 Jahren an den Folgen seiner Erkrankung am Hodgkin-Lymphom. 1993 erschien noch der Nachfolger zu Shadowgate, dem finanziell erfolgreichsten Spiel aus MacVenture-Tagen: Beyond Shadowgate für die PC Engine. Danach wurde das Studio an Viacom verkauft.

Während 1994 grausame Konsolenspiele um Beavis & Butt-Head von anderen Abteilungen innerhalb von Viacom New Media programmiert wurden, erschien 1995 der große Aufschlag der Adventure-Experten: Beavis & Butt-Head in Virtual Stupidity für den PC.

Mit Spielen aus der MacVenture Serie, zum Beispiel Shadowgate, revolutionierte ICOM Simulations in den 1980ern das Adventure-Genre.

Wie designt man ein Adventure mit zwei Vollidioten?

Was haben Guybrush Threepwood, George Stobbart und Roger Wilco gemeinsam? Alle drei sind auf ihre ganz eigene Art und Weise kompetente Helden des Genres. Guybrush, ein gewitzter Abenteurer, der zum Piraten wird. George, ein logisch denkender Rechtsanwalt. Und Roger, der Weltraumheld, dessen Taten zur Rettung der Welt sich nur dem Spieler offenbaren. Es gehört unweigerlich zum Genre, dass die Helden eines Point & Click-Adventures Probleme erkennen und (mehr oder minder) logisch lösen können.

Beavis & Butt-Head können das nicht. Sie können nicht einmal richtig lesen und schreiben, geschweige denn logisch denken. Sie sind zwei triebgesteuerte Trottel. Um der Vorlage treu zu bleiben, ist dieses Spiel anders aufgebaut als die meisten anderen Vertreter des Genres. Es geht nicht darum, eine große Heldentat zu vollbringen. Nein, es geht vielmehr darum, dass Beavis & Butt-Head in Todds Gang aufgenommen werden wollen. Ein bekannter Schläger, den die beiden wegen seiner Gewalttätigkeit cool finden.

Insbesondere Beavis legt im Spiel zahlreiche Slapstick-Einlagen hin. Außerdem im Bild: Daria, die Ende der 90er eine eigene erfolgreiche Serie bekam.

In dieser losen Rahmenhandlung unterteilt sich das Spiel in viele kleine Szenen, die auch für sich funktionieren. Da ist ein Gangmitglied, das einen Burger will. Leider wird die örtliche Fast-Food-Kette Burger World gerade renoviert und man kann nur den Drive-In benutzen. Dafür braucht man ein Auto, so will es die Vorschrift. Also kapern Beavis & Butt-Head den Panzer, der vor der Veteranenhalle steht. Dafür kommen sie ins Gefängnis. Auf der Flucht retten sie zufällig Todd das Leben und so weiter.

Wie in vielen Episoden und den zwei Filmen sind Beavis & Butt-Head auch in dieser Geschichte eher passive Figuren. Die Handlung spielt sich um sie herum ab, ohne dass sie wirklich verstehen, was eigentlich passiert. Oder sie verstehen es falsch und lösen damit eine weitere Kettenreaktion von Ereignissen aus. Das ist eine Form des Geschichtenerzählens, die sehr viel Kreativität erfordert, weil man das Konzept des klassischen Storytellings um 180 Grad drehen muss.

Wenn Beavis einen Burger zubereitet, wird es bestimmt “lecker”.

Diese besondere Herangehensweise beeinflusst auch das Gamedesign: Rätsel sind Mangelware. Überhaupt kann man nur wenige Gegenstände einsammeln. Zu 70% besteht das Spiel aus Dialogen, die auch das große Highlight des Spiels sind. Zum einen wurde das Script des Spiels von Sam Johnson und Chris Marcil, zwei Drehbuchautoren der Serie, geschrieben. Zum anderen hat natürlich Mike Judge selbst die Synchronisation übernommen. Allein deswegen wirkt das Spiel eher wie eine ausgedehnte TV-Episode der Serie.

Neben Beavis & Butt-Head und Todd gibt es Cameos zahlreicher Nebenfiguren der Serie. Sei es der Hippie-Lehrer Van Driessen, der naive Nachbar Mr. Anderson und sogar der geisteskranke Serienkiller aus der frühen Phase der Serie hat einen herrlichen Auftritt.

Beliebte Freizeitgestaltung: Leuten auf den Kopf spucken!

Das bekannteste, auch weil es als Demo zum Spiel fungierte, ist sicherlich das Spiel, in der man als Butt-Head auf dem Dach der Highland High steht und auf Menschen und Tiere spuckt. Dazu gibt es eher uninspirierte Shooter-Spielchen.

Verstärkt wird der Eindruck einer ausgedehnten Serienfolge durch den akkuraten Zeichenstil. Alle Locations wirken auf ihre Art dreckig und heruntergekommen. Generell wurde der Look von Highland sehr schön in das Artdesign des Spiels übertragen. Und noch eine Gemeinsamkeit hat das Spiel mit den Cartoons der damaligen Show: Es wird weitgehend auf Hintergrundmusik verzichtet. Tatsächlich hört man hier meist Hintergrundgeräusche der einzelnen Locations.

Im Spiel wird nicht nur viel geredet und leichte, aber logische Rätsel gelöst. Es gibt ebenfalls vier Minispiele zu entdecken. Ansonsten wurde die Grafik im Jahr 1995 sicherlich als veraltet wahrgenommen. Gleichwohl konnten durch die Sprite-Figuren innerhalb kurzer Zeit viele Animationen für den Slapstick angefertigt werden. Außerdem finde ich, dass sich die Grafik sehr viel besser über die Zeit gerettet hat als viele andere PC-Spiele der mittleren 90er-Jahre.

Was schrieb die zeitgenössische Spielepresse?

Heinrich Lenhardt war in der PC Player (2/96) nur mäßig begeistert und vergab 63%. Er argumentierte richtigerweise, dass Beavis & Butt-Head sehr polarisieren. Entweder man mag den Humor oder eben nicht. Und er erkannte positiv an, dass die Entwickler gar nicht erst versuchten, die LucasArts-Formel zu kopieren. Steffen Schamberger hat in der PC Joker (3/96) den Humor, das Design und die Werktreue gelobt. Wertung: 74%. Markus Krichel vergab in der PC Games (1/96) 73%, auch wenn sein Text herrlich inhaltlos im Sinne einer eigenen Wertungsargumentation blieb.

Auch international sah es gut aus. Jeffrey Adam Young bilanzierte für Gamespot im Jahr 1996: „Manche Adventures stellen deine Gerissenheit, dein Geschick und deine MacGyver-ähnliche Begabung beim Bau einer Leuchtpistole aus Zahnstochern und öligem Stoff auf die Probe. Virtual Stupidity tut nichts von alledem, sondern ist stattdessen eine erfrischende, zeitgemäße und entspannende Übung in schwachsinnigem Humor.“ In der amerikanischen PC Gamer vergab Dan Bennett sogar die magische 90% – „Es ist unhöflich, ungehobelt, absolut getreu der urkomischen MTV-Sendung – und es ist ebenfalls ein solides Adventure.“

Wie ging es mit den MTV-Chaoten weiter?

Das Spiel bekam nicht nur gute Wertungen, sondern verkaufte sich auch ordentlich. Logisch, dass die Kuh noch ein wenig gemolken wurde und in der Folgezeit weitere CD-ROMs erschienen. Diese waren jedoch keine Adventure-Spiele.

  • Little Thingies stellt eine Sammlung von Minispielen dar. Die bereits bekannten Spiele aus Virtual Stupdity und drei neue.
  • Wiener Takes All ist noch das originellste der CDROMs und beinhaltet eine interaktive Quiz-Show rund um Popkultur der 90er.
  • Calling All Dorks enthält acht verschiedene Windows Themes und weitere Minispiele.
  • Screen Wreckers beschließt diese Sammlung mit verschiedenen, teils sehr lustigen Bildschirmschonern.
Wiener Takes All bot ein Quiz zur 90er-Jahre-Popkultur.

Viacom New Media wurde im Jahr 1997 geschlossen, da die sonstigen Produkte keinen kommerziellen Erfolg aufwiesen. GT Interactive erwarb darauf die Lizenzrechte. Ein Publisher, der 1993 als Tochterunternehmen des Vertriebs GoodTime Home Video gestartet ist und in den ersten Jahren in der Zusammenarbeit mit id Software und der Vermarktung von Doom erfolgreich wurde.

Schließlich sollte das kleine Indie Studio The Illusions Gaming Company, ein Entwickler der sich damals auf Point & Click Adventures mit diversen Lizenzen wie Scooby Doo spezialisierte, für GT Interactive ein weiteres Point & Click Adventure mit dem Titel Beavis & Butt-Head Do U entwickeln. Warum die Entwicklungsgeschichte sehr chaotisch war und das Spiel das letzte des Studios sein sollte, ist eine andere Geschichte für einen zukünftigen Artikel.

Wo Beavis & Butt-Head auftauchen, ist Ärger vorprogrammiert.
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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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