Schnupferich: Die Melodie des Mumintals

Die Mumins gehören seit den 1940er Jahren zu den Klassikern der Jugendliteratur. Ob das Spiel den Zauber der Mumins einfangen kann, zeigt der Test.

Während die Muminbücher in den skandinavischen Ländern zu den bekanntesten Kinder- und Jugendbüchern gehören, sind die Geschichten rund um die Muminfamilie, Schnupferich, Klein-Mü, Snorkfräulein und Schnüferl in Deutschland weniger bekannt. Zwar wurden die zahlreichen Fernsehserien seit den 1950er Jahren auch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, doch im Vergleich etwa zu den Werken Astrid Lindgrens sind die Muminbücher der Finnlandschwedin Tove Jansson im kollektiven Gedächtnis weniger präsent.

Die Geschichten in den Büchern spielen meistens im Mumintal, das irgendwo in Finnland liegt. Dort leben die verschiedensten Trolle und Tiere zusammen. Die Muminfamilie ist herzlich, tolerant und nimmt jeden auf. Die Hemule sind zwanghaft überkorrekt und haben Berufe wie Polizist, Parkwächter oder Zoowärter. Sie fungieren in vielen Geschichten als Antagonisten, sind aber nicht per se böse. Sie sind lediglich das Gegenstück zum verspielt-freiheitlichen Drang der anderen Talbewohnern. Das Kind von Muminpapa und Muminmama heißt einfach Mumin (die Mumins selbst haben keine Rufnamen) und ist ein aufgeweckter, neugieriger Junge. Sein bester Freund ist Schnupferich, ein freiheitsliebender Abenteurer, der sich meist zwischen Frühling und Herbst im Tal aufhält. Wenn die Mumins ihren Winterschlaf halten, geht Schnupferich auf Wanderschaft. Daneben leben im Mumintal noch andere Trolle und Figuren, wie die freche Klein-Mü, das etwas ängstliche Schnüferl oder auch die Filifjonka, eine Trollart, die hauptsächlich aus weiblichen Individuen besteht. Und dann wäre natürlich auch die Morra zu nennen – ein kaltes, einsames Wesen, vor der viele Bewohner im Tal Angst haben, obwohl sie harmlos ist und lediglich Freunde sucht.

Die Autorin und Zeichnerin Tove Jansson veröffentlichte zwischen 1945 und 1970 neun Romane und in Zusammenarbeit mit ihrem Bruder Lars zahlreiche Comics und Bilderbücher. So gab es auch viele Jahre lang Comicstrips in Tageszeitungen. In den 50er und 60er Jahren wurden zudem die ersten Adaptionen für das Fernsehen produziert, in Deutschland zum Beispiel von der Augsburger Puppenkiste.

In den 90er Jahren wurde vor allem die Anime-Serie populär, die in Deutschland ab 1992 vom ZDF sowie in vielen anderen Ländern ausgestrahlt wurden. Doch all diese Umsetzungen stießen bei der Autorin auf wenig Gegenliebe. Denn ein wichtiges Merkmal ging dabei verloren: die Melancholie. Zwar erzählen die Muminbücher in den ersten Bänden Abenteuergeschichten, doch gleichzeitig legt sich immer ein leicht melancholischer Schleier über die Figuren. Dieser Aspekt wurde in den späteren Bänden vertieft, die sich mit Themen wie Einsamkeit und Altern befassten und eher dem psychologisch-beobachtenden Dramengenre zuzuordnen sind. Lediglich die polnische Puppentrickserie aus den Jahren 1977 bis 1982 wurde von Jansson als stimmige Umsetzung ihrer Bücher akzeptiert. In der deutschen Synchronisation übrigens kongenial von Hans Clarin eingesprochen. Wer irgendwann einmal auf die seltene DVD-Box dieser Serie stößt, sollte unbedingt zugreifen!

Kommen wir zum eigentlichen Spiel

Ihr seht schon: Die Mumins in ein anderes Medium zu übertragen, ist gar nicht so einfach. Zumindest, wenn es auf eine stimmige Weise geschehen soll. Mit Schnupferich – Die Melodie des Mumintals erschien nun eine Versoftung vom norwegischen Indie-Studio Hyper Games für Steam und Nintendo Switch. Vertrieben wird das Spiel von Raw Fury. Ich habe mir für euch die Switch-Version angeschaut und auch die Screenshots in diesem Artikel stammen aus dieser Version.

Wenn wir das Spiel starten, werden wir von der bildgewaltigen Vorgeschichte begrüßt. Einmal mehr neigt sich ein Jahr zuende und die Muminfamilie verabschiedet sind in den Winterschlaf. Unterlegt mit einem Song der isländischen Post-Rock-Band Sigur Rós sehen wie den Schnupferich auf Wanderschaft, unterlegt mit den Credits des Spiels. Es ist tatsächlich ein sehr stimmiger und schöner Einstieg in das Spiel. Auf audiovisueller Ebene wird der nordische Hang zur ruhigen Melancholie transportiert. Das passt nicht nur ganz hervorragend zu den Mumins, sondern auch zur Herkunft der Trolle.

Es ist wieder Frühling, die letzten Schneereste weichen der erwachenden Natur und auch die Mumins erwachen aus ihrem Winterschlaf. Eigentlich sollten sich Schnupferich und Mumin wieder an ihrer Lieblingsbrücke unweit des Muminhauses treffen. Doch schon als Schnupferich das Tal betritt, merkt er, dass etwas anders ist als sonst. Die Tiere sind ängstlich, und schon bald entdeckt unser Held Parkanlagen der Hemule. Diese haben über den Winter im ganzen Tal ihre Parks angelegt und mit Verbotsschildern versehen. Mumin hat sich bereits auf seine Weise gegen diese Verbote aufgelehnt und wurde vom Zoowärter und der Polizei festgenommen. Nun ist es an unserem Abenteurer, die Parkanlagen zu sabotieren, indem er die Verbotsschilder entfernt und Mumin befreit. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob dieser Entführungstrope wirklich zu den Mumins passt. Warum nicht ein Spiel gestalten, bei dem wir Schnupferich und Mumin zusammen spielen können?

Zwischen verschiedenen Stühlen

Das Gameplay selbst folgt dem seit Jahren anhaltenden Trend der sogenannten Cozy Games. Das bedeutet, dass wir mit Schnupferich das Mumintal erkunden und kleine Rätsel lösen. Unser Held besitzt eine Mundharmonika, später kommen Flöte und Trommel hinzu. Damit lassen sich zum Beispiel kleine Waldtrolle herbeirufen, die eine Art Leiter zu einer höher gelegenen Plattform bauen. Hier und da gibt es kleine Schieberätsel und in den Parks einfache Schleichpassagen zu lösen. Spielerisch anspruchsvoll wird es dabei an keiner einzigen Stelle. Zwar haben die Entwickler versucht, abwechslungsreiche Aufgaben zu integrieren, doch das Lösen selbiger empfand ich als eher langweilig.

Nun könnte man argumentieren, dass das Spiel vielleicht für Kinder gemacht ist und es deswegen so einfach gehalten ist. Das mag sein. Das Problem ist jedoch: Dieses Spiel setzt direktes Vorwissen zu den Mumins voraus, um die Handlung zu verstehen. Als Leser der Bücher weiß ich, dass die Hemule zwanghaft überkorrekt sind und alles in Ordnung haben möchten – deswegen bauen sie die Parks. Um ihrer Ordnungssucht nachgehen zu können. Im Spiel wird das jedoch zu keiner Zeit wirklich erklärt.

Auch das Verhalten von Klein-Mü im Spiel ist nur zu verstehen, wenn man weiß, dass sie und Schnupferich Halbgeschwister sind. Er verhält sich ihr gegenüber passiv, weil er weiß, dass ihre frechen Sprüche ein Schutzmechanismus sind, um ihre eigene Unsicherheit zu verbergen. Schnupferich weiß das und ich als Leser der Muminbücher weiß das – aber wer nicht in der Lore steckt, wird sich an einigen Stellen eher fragend am Kopf kratzen. Warum reagieren die Figuren so und nicht anders? Und so zieht sich das durch das ganze Spiel: Als Fan der Bücher finde ich es sehr schön, überall bekannte Figuren zu entdecken und mit ihnen zu interagieren. Wer die Mumins aber nur oberflächlich kennt, wird sich vielleicht an einigen Stellen über das Gezeigte wundern, vielleicht aber auch nur Bahnhof verstehen. Ich denke, mit ein paar mehr erklärenden Dialogen könnte die Geschichte des Spiels vor allem für Kinder greifbarer werden.

Und so findet sich das Spiel schnell zwischen den Stühlen wieder und weiß am Ende nicht, wen es ansprechen soll. Der niedrige Schwierigkeitsgrad spricht für mich eher für ein Spiel, das sich an Kinder richtet. Gleichzeitig bleiben die Figuren konsequent untererklärt und Vorwissen aus den Büchern sollte definitiv vorhanden sein. Nun kann es ja sogar sein, dass kleine Kinder in den skandinavischen Ländern von ihren Eltern aus den Muminbüchern vorgelesen bekommen. Dann funktioniert die Herangehensweise. Aber tendenziell würde ich eher meinen, dass sich die Mumin-Lore eher im älteren Kindesalter oder gar erst im Jugendalter erschließt.

Audiovisueller Genuss

Auf der positiven Seite sind die grafische Gestaltung und die Musik zu nennen. Fast jedes Bild könnte aus einem Bilderbuch stammen, die Figuren und Hintergründe fangen das Ausgangsmaterial nahezu perfekt ein. Gleiches gilt für die Musik. Für einige Passagen wurden, wie bereits erwähnt, Songs der Band Sigur Rós lizenziert. Ansonsten dominieren ruhige Klavierpassagen und die Musik, die Schnupferich mit seinen Instrumenten spielt. Ansonsten trauen sich die Gamedesigner auch, es einfach bei Naturgeräuschen zu belassen. Auf der audiovisuellen Ebene ist das Spiel eine regelrechte Wohlfühloase!

Fazit

Es ist bekannt, dass bei Spieleproduktionen nur selten Wert auf gute Dialoge und allgemein schöne Geschichten gelegt wird. Selten ist das jedoch so schade wie in diesem Fall. Die Präsentation in Ton und Bild ist fantastisch und trifft die Vorlage auf den Punkt. Allerdings bleiben die Figuren untererklärt und die Versatzstücke aus den Büchern verwirrend für diejenigen, die die Vorlage nicht kennen. Für jüngere Kinder könnte die Spielgeschichte zu wenig verständlich sein, für ältere Kinder oder Jugendliche ist das Spiel wiederum zu einfach. Mir scheint, dass die Entwickler sich nie darüber einig waren, wer die Zielgruppe des Spiels ist.

Daher kann ich lediglich eine Empfehlung für Mumin-Fans aussprechen, die speziell nach einem Cozy Game suchen und sich an der schönen audiovisuellen Präsentation erfreuen können.

Trailer des Spiels
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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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12 Comments on “Schnupferich: Die Melodie des Mumintals”

  1. Viel Spaß mit unserem ersten neuen Artikel! Nischenliebhaber hat sich für euch ins Reich der Mumins begeben. Wäre schön, wenn ihr neben dem inhaltlichen auch eure Eindrücke zu unserem neuen Spiele-Besprechungsformat hinterlassen würdet.

  2. Mit den Mumins verbindet mich gar nichts. Immer mal wieder habe ich eine Abbildung gesehen, aber mir war bis zu diesem Artikel nicht klar, was für ein Universum an diesen Figuren hängt. Danke für die Erleuchtung.
    Graphisch sieht das ja echt schnuffig aus – allerdings klingt dein Fazit ziemlich ernüchternd. Dann eben nicht 🙂

  3. Die Serie ist zu meiner Kindheit ab und zu im Kinderprogramm gelaufen und ich mochte die damals schon nicht so besonders, fand die Figuren immer sehr komisch und irgendwie machten mir die sogar Angst. Von dem her, no thx! 🙂

    Bei der Umsetzung und Aufmachung des Artikel habe ich nichts zu beanstanden, lediglich den Bildschirmzoom (STRG + Mausrad drehen) hab ich mir jetzt auf 150% gestellt weil mir die Schrift zu klein ist und links und rechts zu viel leer. Muss aber dazu sagen das ich eure Mobile Page am Smartphone noch nicht ausprobiert habe. 😉

  4. Ein toller Artikel mit vielen Hintergrundinfos! An die Munins hab ich nur ganz dunkle Erinnerungen, so richtig bekannt waren sie mir nicht. Grafikstil, Audio und Melancholie könnten mich aber die Gameplay-Tiefen vergessen lassen…

      1. Ich Doofkopf – es war Finnland – hatte es verwechselt und so steht es auch ganz groß auf dem Link, den ich kommentiert hatte.

  5. Mein erster neuer Artikel hier und ich finde das schlichte Layout gelungen. Besonders das Zoomen der Screenshots gefällt mir. 😉
    Ansonsten denke ich, dass ein Lizenzspiel schon davon ausgehen kann, dass die Spielenden die Vorlage und Charaktere kennen und daher nicht ihre Beziehungen und Eigenschaften unbedingt erst noch erklären muss.

  6. Erstmal: sehr schöne Seite, habe hier schon ein paar Artikel gelesen und fühle mich hier thematisch abgeholt!
    Eigentlich würde ich das Spiel wegen der Stimmung und der nostaligischen Erinnerungen an die Mumin-Serie gern spielen, und zwar auf der Switch. Habe aber ein bisschen die Befürchtung, dass die tollen Artworks und speziell die Texte nur auf dem TV wirken, und mobil auf dem kleinen Screen etwas untergehen… wie sieht das aus?
    VG

    1. Ich habe es nicht am TV gespielt und auf dem kleinen Screen sah das schon sehr nett aus. Auch die Texte waren für mich ausreichend groß. 🙂

      Ach ja, schön, dass Du hergefunden hast!

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