Inspector Schmidt – The Ebbing

Anfang Februar 2023 veröffentlichte das kleine bayerische Studio Active Fungus Studios sein Erstlingswerk Totgeschwiegen – A Bavarian Tale, das vor einiger Zeit in eine Art Serien-Titel umgetauft wurde und nun unter Inspector Schmidt – A Bavarian Tale vertrieben wird. Damals geriet der Physikatsberichtersteller Valentin Schmidt in allerlei Intrigen eines bayerischen Dorfs im Jahre 1866. Diese hat er nicht nur überlebt, sondern war anscheinend mit seinem Abenteuer auch erfolgreich genug für ein Nachfolge-Spiel. Trotz einiger Hakeligkeiten war ich von Totgeschwiegen fasziniert. Schauen wir mal, ob The Ebbing dieses Kunststück ebenfalls schafft.

Eine Schifffahrt, die ist lustig (und hat drei „f“)

The Ebbing besteht im Grunde aus zwei Spielen. Active Fungus hatte zunächst eine Demo-Version des Spiels veröffentlicht, die sie später gegen einen anderen Spielabschnitt ausgetauscht hatten und einige Wochen vor Veröffentlichung des Hauptspiels als Prolog kostenlos zugänglich gemacht haben. Dazu gibt es bereits einen Artikel auf DKSN – bitte hier entlang. Ein Großteil dieser Geschichte hat mit den Geschehnissen in The Ebbing auch gar nichts zu tun, doch auf einige wenigen Mitreisende trifft Valentin Schmidt auch in seinem Urlaubsörtchen Havstedt. Wir schreiben das Jahr 1870 und der brave Beamte hat sich eine komplette Luftveränderung verordnet: Havstedt liegt an der Nordsee und bietet daher graphische Abwechslung zum bayerischen Dorf.

Was sich im Gegensatz zur Umgebung allerdings nicht verändert, ist das Wesen des Menschen: Rings um Valentin herum gibt es immer wieder mysteriöse Todesfälle. Was im Prolog begann, geht kurz darauf schon auf dem Festland weiter: Bente Hansen, der Betreiber des örtlichen Hotels, liegt ermordet auf der Straße. Warum? War es Eifersucht? Oder war Bente mit seiner Vorliebe für die neue Telegraphen-Technik einigen Havstedt-Bewohnern zu fortschrittlich? Oder reiht sich sein Tod in die Reihe der tragischen Fälle ein, die mit einem nächtlichen Monster in Verbindung stehen sollen? Valentin beginnt, mehr aus Langeweile, zu ermitteln. Denn die Gäste des Hotels dürfen den Hafenbereich nicht verlassen, bis der Fall aufgeklärt wurde. Ist das geschafft, vergrößert sich die Spielwelt beträchtlich, bleibt aber immer übersichtlich. Schließlich ist das Inselchen nicht besonders groß.

Konfrontationen

Ermittlungen führt Valentin immer noch wie in A Bavarian Tale durch. Er spricht mit Personen, die ihm wiederum Hinweise über andere Inselbewohner geben und damit dort wieder neue Gesprächsoptionen freischalten. Oder aber er findet Gegenstände, die ihm bei seinen Überlegungen weiter helfen. In einigen Fällen muss er durch eine Probe auf seine entsprechende Fertigkeit erst beweisen, dass er einen Hinweis auch wirklich finden kann. Diese Prüfung kann nicht wiederholt werden, also kann Valentin durchaus einige Dinge verpassen, wenn die Probe so schlecht wie im Bild rechts verlaufen ist.

Das Ganze funktioniert genau wie im Vorgängerspiel: Der Würfel zeigt eine Zahl zwischen eins und zwanzig an. Liegt das Ergebnis unter dem vom Spiel festgelegten Schwierigkeitsgrad, werden die fehlenden Punkte aus Valentins jeweiligen Fertigkeiten-Konto hinzu addiert. Und wie bei einer guten Flasche Wein gilt: Wenn leer, dann leer. Das mag für einige Spielertypen frustrierend wirken, während andere umso motivierter sind. Active Fungus denkt hier an alle und bietet im Menü die Möglichkeit, dass diese Sequenzen immer gewonnen werden. Wie es auch immer in Valentins Zimmer die Chance gibt, zwischen dem Detektivmodus und dem Storymodus umzuschalten. Die zweite Variante gibt sehr viele Hinweise und die einzelnen Aufgaben werden im Questlog gesammelt. Der Detektivmodus setzt voraus, dass neben der Tastatur immer Papier und Stift bereitliegen. Denn ohne eigene Notizen geht hier nichts.

Viele dieser Hinweise benötigt Valentin, um an verschiedenen Stellen des Spiels eine Konfrontation mit einer anderen Figur auszulösen. Zum Beispiel muss er beweisen, dass sein Wissen über diese neuartige Telegraphen-Technik umfassend genug ist, um ernst genommen zu werden. Auf eine Frage der konfrontierten Person werden Valentin mehrere Fragen eingeblendet und er sollte nun möglichst das Wissen parat haben, um sie korrekt zu beantworten. Raten ist selbstverständlich auch möglich, doch am Ende dieser Sequenz sollte der Balken mindestens halb voll sein, sonst war das ganze Gerede umsonst. Spätere Konfrontationen gehen natürlich ans Eingemachte, wenn Valentin zum Beispiel einen Verdächtigen mit seinen Beweisen konfrontiert oder einen Familienzwist beenden möchte.

Wie im Urlaub

Abgesehen von der neuen Geschichte – und damit verbunden natürlich neuen Rätseln – fühlt sich The Ebbing ein wenig wie ein Familienurlaub an: Da fährt man häufig ja auch dorthin, wo alles schon vertraut ist. Praktisch alle Vorgänger-Mechaniken finden sich eins zu eins hier wieder. Statt einer Brezel braucht Valentin nun eine Sprotte, um seine Konzentration aufzufüllen. Mit dieser findet er nämlich Hinweise leichter. Und wie im Vorgänger kann der Herr Physikatsberichtersteller nur mit in der Spielwelt gefundenen Rezepten hilfreiche Gegenstände herstellen. Zum Beispiel ist er erst mit Rezept in der Lage, Wasser und Teebeutel zu einem schwarzen Tee zu kombinieren. Oder aus einem Brötchen und einer Krabbe ein leckeres Krabbenbrötchen zu zaubern. Einzig die Faustkämpfe des Vorgängers sind nicht mehr in The Ebbing enthalten. Abgesehen von der wirklich hübschen Musik, die solch eine Auseinandersetzung untermalt hat, eine sehr gute Idee.

Die Präsentation dieses Spiels ist ebenfalls gleich geblieben. Erneut gibt es schöne Landschaften, in denen sich wenige Personen tummeln. Bei der Inselbevölkerung gibt es gelungene und (seien wir mal höflich) weniger gelungene Modelle; und die Kirche von Havstedt lässt sich im Gegensatz zu der in Bayern auch tatsächlich betreten, wie auch grundsätzlich der Glaube bei einigen Bewohnern eine zentrale Rolle spielt. Überhaupt sind die unterschiedlichen Motivationen der Figuren wieder sehr gut gelungen. Es ist wieder alles an menschlicher Niedertracht und Unschuld vertreten, was man sich so vorstellen kann.

Weniger gelungen als bei A Bavarian Tale ist die Sprachausgabe. Während dort jede Figur bayerisch sprach, scheint Havstedt ziemlich durchmischt worden zu sein. Valentin trifft auf recht offensiv Dialekt sprechende Figuren, aber auch auf hochdeutsche Gesellen. Gut, ist natürlich bei einem Fischerstädtchen an der Nordsee auch wahrscheinlicher als im süddeutschen Hinterland. Aktuell arbeitet Active Fungus aber wohl auch an einer plattdeutschen Sprachvariante. Aktuell gibt es auch die Möglichkeit, das Spiel vollständig auf Englisch zu spielen.

Fazit

Ich stehe bei The Ebbing vor dem gleichen Dilemma wie anno Dunnemal bei A Bavarian Tale: Es gibt Kanten und Ösen, die mir eigentlich den Spielspaß verderben müssten. Warum zum Beispiel stehen in der Spielwelt Leitern rum, die Valentin aber nicht nutzen kann? Warum darf er sich auf Bänke setzen, nicht aber in die Strandkörbe? Warum liegen auf einem Tisch verführerische Werkzeuge wie ein Hammer und eine Säge, aber Valentin interessiert sich nur für die Dose, die dazwischen liegt? Warum kann ich ein kleines Kästchen nicht mitnehmen, das ich am Ende einer Schnitzeljagd gefunden habe, mangels Zahlencode aber noch nicht aufbekomme? Die nahezu nutzlose Karte ist in diesem Zusammenhang auch so eine Sache, weil ich den Standort des Kästchens nicht vermerken kann.

Nur: Das alles ist mir am Ende des Tages egal. Ich mag die knorrigen Figuren und ihre Geheimnisse. Mir gefällt, dass die Spielwelt an einigen Enden schlicht leer ist. Es ist schön, dass der Spieler sich seinen Schwierigkeitsgrad ziemlich passgenau zusammenbasteln kann. Im Rollenspiel-Bereich ist ja gerne vom Ruhrpott-Charme die Rede, wenn Piranha Bytes mal wieder ein ungeschliffenes Rollenspiel veröffentlicht hat. Während ich dort die Faszination nie nachvollziehen konnte, scheint es mit dem Münchner Charme bei mir zu funktionieren. Interessierten Lesern rate ich jedenfalls, sich den kostenlosen Prolog mal anzuschauen – und sich dann ab in den Nordsee-Urlaub zu machen.

Hinweis: Active Fungus Studios haben uns für diesen Artikel eine kostenlose Version des Spiels zur Verfügung gestellt.

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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7 Comments on “Inspector Schmidt – The Ebbing”

  1. Vielen Dank für den Test. Ich muss Mal Teil 1 spielen. Da wollte ich die englische Version Let’s Player aber es lief auf meinem echt alten PC zu schlecht und mein Laptop war noch nicht bereit.

      1. Jein, die reden dann bayrisches Englisch 😀 Hatte das im Zuge des Releases der englischen Version bei Keymailer angeboten bekommen. Es lief aber auf meinem PC zu schlecht und der Laptop war noch nicht ready. Dann war die Deadline rum. Will daher zumindest ein Video auf Englisch machen.

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