Die „Adventure-Schatzkiste“ ist eine Kolumne unseres Gast-Autoren André Savetier, der uns eine neue Perspektive auf übersehene und/oder unterschätzte Adventure-Spiele aus der weitreichenden Vergangenheit des Genres bieten möchte.
Ein roher Diamant

Diamonds in the Rough ist ein 3D-Point-and-Click-Adventure, das im Februar 2008 von den mittlerweile nicht mehr existierenden Atropos Studios veröffentlicht wurde. Entwickelt von dem griechischen Indie-Entwickler Alkis Polyrakis, wurde das Spiel von den Lesern von Adventure Gamers zum besten unabhängigen Adventure des Jahres 2008 gewählt und erhielt durchweg positive Kritiken. Trotz der guten Resonanz erzielte das Spiel nicht den erwarteten kommerziellen Erfolg, weshalb es leider Polyrakis‘ letztes Spiel werden sollte.
Zur Realisierung seiner Vision hat der Entwickler unsere Lieblings-Engine Adventure Game Studio (AGS) verwendet, wodurch das Spiel auch heute noch ganz einfach durch ScummVM zum Laufen zu bringen ist. Die Entwicklung von Diamonds in the Rough dauerte etwa zweieinhalb Jahre, wobei Polyrakis die Geschichte selbst schrieb und die Programmierung übernahm, während Jura Kalinkin für die Grafiken und Nikolas Sideris für die Musik und Soundeffekte zuständig war.
Die Kritiken zu Diamonds in the Rough fielen insgesamt sehr positiv aus. Alexander Tait von Just Adventure verlieh dem Spiel eine A-Bewertung und bezeichnete es als das vielleicht bedeutendste Adventure-Spiel, über das er je gestolpert sei. Gustavo Calvo-Simmons von Adventure Classic Gaming vergab 4 von 5 Sternen und hob hervor, dass das Spiel neue Maßstäbe für unabhängige Entwickler gesetzt hat. Auch wenn die Redaktion von Adventure Gamers dem Titel 3 von 5 Sternen gab und anmerkte, dass die spannende Grundidee nicht immer optimal umgesetzt wurde, bleibt der allgemeine Eindruck, dass das Adventure viele Spieler begeistert hat und in deren Köpfen geblieben ist.
Eine fesselnde Handlung

Wir schlüpfen in die Rolle des 20-jährigen Highschool-Abbrechers Jason Hart, der als Büroangestellter arbeitet. Jason führt ein normales, unauffälliges Leben, bis er eines Tages von einem geheimnisvollen Mann angesprochen wird, der mehr über ihn zu wissen scheint, als Jason selbst. Der Mann behauptet, für eine Organisation namens „Diamonds in the Rough“ (DITR) zu arbeiten, die Menschen mit „besonderen Fähigkeiten“ rekrutiert.

Diese Fähigkeiten sind z. B. Telepathie, Telekinese oder andere außergewöhnliche Kräfte. Jason verfügt selbst über eine solche Fähigkeit: Er findet immer, wenn es mehrere Auswahlmöglichkeiten gibt, die richtige Lösung. Er nimmt das Jobangebot an und zieht in eine kleine Stadt, wo er für die Organisation arbeiten soll. Wo sich diese Stadt befindet, weiß er nicht, denn während der Reise wurde er von einer seltsamen Müdigkeit übermannt…
In dieser unbekannten Stadt bekommt Jason ein Haus zum Wohnen zugewiesen. Jeden Tag muss er unter ärztlicher Aufsicht im DITR-Center gewisse Aufgaben bewältigen. Das ist im Prinzip alles, was er tun muss. Die Stadt ist von der Außenwelt abgeschirmt, es gibt kein Internet und Jason darf sie laut Vertrag auch nicht verlassen. Außer unserem Protagonisten gibt es noch einige andere Einwohner, die wie er über besondere paranormale oder telekinetische Kräfte verfügen. Im Prinzip fühlt sich Jason wohl hier, bis er eines Tages auf seinem Dachboden auf eine seltsame Nachricht stößt, die ihn dazu bringt, die wahren Absichten seiner Arbeitgeber zu hinterfragen.

Die Steuerung von Diamonds in the Rough ist im Stil der klassischen Sierra-Spiele gehalten. Mit einer benutzerfreundlichen Point-and-Click-Oberfläche könnt ihr durch Rechtsklicks zwischen den verschiedenen Aktionen wechseln und durch Linksklicks mit der Umgebung interagieren.
Die Rätsel im Spiel sind überwiegend inventarbasiert, was bedeutet, dass ihr Gegenstände sammeln und kombinieren müsst, um im Spiel voranzukommen.

Im Laufe der Handlung kann das Inventar, das sich am oberen Bildschirmrand befindet, auch schon mal richtig voll werden. Ein bemerkenswertes, wunderbares, innovatives Feature ist das Gedanken-Panel, das als sekundäres Inventar fungiert. Hier können Jasons Gedanken, dargestellt durch Post-its, wie Inventarobjekte behandelt werden, um neue Erkenntnisse zu gewinnen oder neue Dialogoptionen freizuschalten.
Das Intro und die Dialoge sind auf Englisch vertont, und zwar ausgesprochen gut. Die Atmosphäre des Spiels wird durch die stimmungsvolle Musik von Nikolas Sideris untermalt, die sich zwar immer wiederholt, aber so gut ist, dass man das gar nicht bemerkt. Auch jetzt, eine Woche nach dem Fertigspielen, habe ich die Melodie immer noch im Ohr.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist hingegen die Grafik. Die Hintergründe dürften aus realen Fotos in 3D gerendert worden sein, die Figuren sehen seltsam aus und bewegen sich etwas steif. Die Kombination wirkt trashig, aber ich muss gestehen, dass mir so etwas durchaus gefällt (jedenfalls viel mehr als die frühe 3D-Grafik der späten 90er).

Fazit
Diamonds in the Rough hat mich wirklich überrascht – es ist ein äußerst gelungenes Indie-Spiel, das weit über meine Erwartungen hinausging. Die fesselnde Handlung regt zum Nachdenken an und zieht den Spieler in die Welt der paranormalen Ereignisse und Geheimnisse hinein. Obwohl die Sierra-Steuerung nicht mein Ding ist, bietet das Gameplay schon eine solide Erfahrung. Das Ende des Spiels ist ein echter Knaller und bewegt sich irgendwo zwischen WTF und OMG.
Diamonds in the Rough ist ein packendes Adventure, das sich Freunde obskurer Titel auf gar keinen Fall entgehen lassen sollten. Leider hatte der Entwickler einige Schwierigkeiten beim Verkauf, weswegen es bedauerlicherweise nie zu einem Sequel dieser faszinierenden Geschichte gekommen ist. Gerne wäre ich noch einmal in diese Welt eingetaucht, um zu sehen, wie es weitergeht.






Hier hast du mal einen AGS-Klassiker ausgegraben, den ich damals nicht gespielt hatte, weil mich die 3D-Optik so dermaßen abgeschreckt hatte. Die Story klingt aber echt interessant, da habe ich wohl was verpasst.
Mir ist es ähnlich gegangen, aber nun bin ich froh, dass ich mich drübergetraut habe 🙂
Ich schäme mich ein bisschen, es zuzugeben: Ich hatte mir damals die Screenshots angeschaut und war derart von der …ähem… miesen Optik abgeschreckt, dass ich dem Spiel nie eine Chance gab.
Dabei bin ich überhaupt nicht heikel, wenn es um Grafik geht – vor allem nicht bei einem Adventure -, aber irgendwie traf der Stil einfach einen Nerv bei mir. Leider keinen guten.
Durch den Artikel habe ich jetzt aber wirklich das Gefühl, dass es sich hier um einen Rohdiamanten handeln könnte. Ich werde das also demnächst mal korrigieren. Danke schön!
Ja, die Wahl der Grafik ist wohl etwas ungünstig gewesen… leider. Womöglich war das auch der Grund für den ausbleibenden Erfolg. Aber es freut mich, dass es mir gelungen ist, dich zum Spielen dieses sonst großartigen Adventures zu motivieren.