Drova: Forsaken Kin – Die Überraschung des Jahres?

Wie beginne ich am besten diesen Artikel zu einem Spiel, das wie kein anderes in den letzten Jahren ziemlich viele positive Triggerpunkte getätigt hat? Ich könnte einen Ausflug in die frühen 2000er Jahre machen, wo mich als junger Erwachsener „Gothic“ von Piranha Bytes regelrecht begeisterte. Aber Drova wurde schon so oft mit Gothic verglichen, dass es schon wieder ausgetretene Pfade sind.

Fangen wir lieber mit folgender Frage an: Was ist für mich ein gutes Rollenspiel? Ich glaube mit dieser Eröffnungsfrage kann ich mich dem Spiel der Magdeburger von Just2D sehr gut nähern. Veröffentlicht wurde das Erstlingswerk mit der Hilfe von Deck13 am 15. Oktober und eigentlich wollte ich nichts zu diesem Spiel schreiben. Denn ich wollte Drova genießen, in meiner Spielgeschwindigkeit spielen und nicht einfach durchhetzen. Nun habe ich nach circa 45 Spielstunden doch die Credits gesehen, aber keine Screenshots während des Spielens angefertigt. Also greife ich mal auf Material des Herstellers zurück.

Vom Lauch zum Brokkoli

Rollenspielregel Nr. 1: Ich möchte das Gefühl haben, dass mein Charakter an seinen Aufgaben wächst. Leider ist dieses Gefühl in der modernen Spieleindustrie nur noch selten anzutreffen. Zu oft scheuen sich die Spieldesigner davor, den Spielern Grenzen zu setzen. Es geht darum, den Spielern von Anfang an Erfolgserlebnisse zu verschaffen, um sie bei der Stange zu halten. Drova tut das nicht. In den ersten Stunden des Spiels seid ihr nicht nur schwach, ihr seid ein Niemand. Man ist kein auserwählter Held, kein Spross eines Königshauses, sondern einfach nur eine Figur, die eher zufällig in diese Fantasiewelt gerät. Dazu später mehr. Ihr seid ein Niemand, und so werdet ihr von den Charakteren der Spielwelt zu Beginn auch behandelt.

Die Charakterentwicklung kann im Spieldesign sehr gut durch Werte wie Stärke oder Geschicklichkeit dargestellt werden. Die erzählerische Progression wird jedoch allzu oft vergessen. Wenn ihr eure ersten Schritte in dieser Welt macht, landet ihr ziemlich schnell in einem Holzfällerlager. Das hat schon bessere Zeiten gesehen: Die Brücke zum Dorf Nemeton wurde bei einem Erdbeben zerstört und viele Arbeiter sind in das nahe gelegene Ruinenlager geflüchtet, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Arbeit gibt es also genug. Sobald ihr ein paar Aufgaben erledigt habt, erhaltet ihr eine Arbeiterkleidung und vielleicht habt ihr auch schon eine erste Waffe gefunden. Damit könnt ihr die eine oder andere Ratte oder Blutfliege erledigen.

Bald werdet ihr das besagte Ruinenlager besuchen und ein wenig die Welt aus deren Sicht kennenlernen, bis ihr nach einigen Quests weiter nach Nemeton zieht und deren Sicht kennenlernt. Im Laufe des ersten von fünf Kapiteln entscheidet ihr euch für eine Fraktion. Erst dann erhaltet ihr eine Rüstung, mit der ihr euch weiter in die Wildnis vorwagen könnt. Vorher bleibt ihr besser auf den vorgegebenen Pfaden, sonst töten euch die zahlreichen Gegner mit zwei, drei Angriffen.

Eine triste Sagenwelt

Doch worum geht es in Drova? Wir steuern einen Charakter – ob männlich oder weiblich bleibt euch überlassen – der aus Neugier zwei Druiden folgt. Diese wollen nach Drova, einer Welt, in der es der Legende nach paradiesisch zugehen soll. Also folgt unsere Figur den Druiden. Doch in Drova angekommen, stellt sich das Paradies als ein ziemlich unwirtlicher Ort heraus. Die Bäume sind verdorrt, die Häuser längst verlassen. Auch die ersten Charaktere, denen man begegnet, machen einen eher mürrischen Eindruck. Drova ist also alles andere als eine Märchenwelt. Dementsprechend will das Ruinenlager so schnell wie möglich aus dieser Welt verschwinden. Die Bewohner von Nemeton hingegen nehmen Naturgeister gefangen um Drova doch noch zu einer lebenswerten Welt machen. Wir haben also eine interessante Storyprämisse und damit Rollenspielregel Nr. 2 erfüllt.

Auf eurer Reise trefft ihr immer wieder auf bodenständige Charaktere mit eigenen Hoffnungen und Wünschen. Glücklicherweise haben die Entwickler auch die Nebencharaktere nicht so verrückt gestaltet, wie es bei ähnlichen Genrevertretern oft der Fall ist. So entsteht mit der Zeit eine schöne Immersion. Jeder versucht irgendwie, das Beste aus dieser Welt herauszuholen. Ein Beispiel wären die Banditen auf dem Weg zur Mine. Diese überfallen euch und wollen Geld. Schafft ihr es, sie zu verprügeln und in die Flucht zu schlagen, kann man ihnen folgen. Was glaubt ihr, wohin sie gehen? Vielleicht in ein Banditenlager, wo es was zu holen gibt? Nein, zu einem kleinen Lager, in dem eine Person schwer krank in einem Zelt liegt. Es stellt sich heraus, dass es sich um die Schwester der beiden Banditen handelt, die nur deswegen von Passanten Geld erpressen, um die Suche nach einem Heilmittel für ihre Schwester zu finanzieren.

Solche kleinen erzählerischen Überraschungen hält Drova oft bereit, und darin liegt die große Stärke des Spiels.

Eine mittelgroße Welt wartet auf Erkundung

Drova ist eine Open World, in der ihr theoretisch von Anfang an überall hingehen könnt. Theoretisch deshalb, da die Gegner nicht mit eurem Charakterlevel skalieren und somit eine natürliche Barriere darstellen. Sobald ihr jedoch die Voraussetzungen erfüllt habt, könnt ihr zahlreiche Ruinen und Höhlen finden. Einige davon sind in den Wäldern und Sümpfen versteckt, in denen ihr entweder Schätze oder relevante Questgegenstände finden könnt. Seltener auch Waffen und Ausrüstungsgegenstände.

Darüber hinaus bietet Drova ein umfangreiches Crafting-System. Mit gesammelten Ressourcen wie Kräutern, Pilzen, Fellen oder Leder lassen sich verschiedene Tränke, Fallen, Ringe und Amulette herstellen. Dazu benötigt ihr allerdings die entsprechenden Rezepte. Diese findet ihr bei Händlern oder verschlossen in den Truhen der Bewohner. Eine nächtliche Diebestour durch die Zelte und Häuser der Bewohner lohnt sich also auf jeden Fall.

An sich ist die Welt nicht zu klein und nicht zu groß. Gerade am Anfang, wenn alles neu ist, braucht man etwas Zeit, um sich zurechtzufinden. Denn eine Weltkarte muss erst gekauft werden und selbst dann verzichtet das Spiel darauf, euch die Questziele auf der Karte zu markieren. Stattdessen könnt ihr selbst Markierungen anbringen, sobald ihr etwas Interessantes entdeckt habt.

Es ist nicht so, dass Drova keine Hilfestellungen gibt. Diese werden durch die Spielwelt selbst gegeben, zum Beispiel durch Dialoge. Wenn euch gesagt wird, dass ihr den Weg jetzt lieber nicht betreten sollt, weil dort hinten eine Meute Snapper wartet, dann solltet ihr das beherzigen. Außerdem gibt es überall Steine mit roten Markierungen, die auf besonders gefährliche Stellen hinweisen.

Diese Art von natürlicher Spielerführung ist tatsächlich ziemlich selten und ich mag das sehr viel mehr als beispielsweise mitlevelnde Gegner wie in den Elder Scrolls Spielen.

Gameplay

Das Kampfsystem ist auf den ersten Blick sehr einfach. Ihr habt die Wahl zwischen einhändigem Kampf mit Schild und Schwert, zweihändigem Kampf mit Äxten, Fernkampf mit Pfeil und Bogen, aber man kann sich auch auf Speere und Dolche spezialisieren. Jede Waffengattung hat ihre Vor- und Nachteile. Mit Dolchen könnt ihr beispielsweise schnelle Aktionskombos ausführen, verzichtet aber auf den Schutz eines Schildes. Ihr solltet euch auf eine, maximal zwei Waffengattungen spezialisieren, da die Erfahrungspunkte – vier pro Levelaufstieg – nicht ausreichen, um alle Arten zu meistern. Um eure Fähigkeiten zu verbessern, sucht ihr in der Spielwelt nach geeigneten Lehrern. Neben den Kampffertigkeiten gibt es auch Handwerks-, Diebes- und Jagdfertigkeiten.

Außerdem gibt es ein rudimentäres Magiesystem. Physische Angriffe laden die Fokusanzeige auf. Wenn diese einen bestimmten Punkt erreicht hat, könnt ihr eine ausgerüstete Fähigkeit einsetzen. Das können Giftpfeile sein oder eine magische Barriere, die Gegnern um euch herum pro Sekunde einige Lebenspunkte abzieht. Am Anfang werden die Zauber mit gefundenen Schriftrollen ausgeführt, später könnt ihr Fähigkeitsrunen finden und kaufen, die ihr unbegrenzt einsetzen könnt.

Mein Tipp: In den ersten beiden Kapiteln solltet ihr vor allem die Quests angehen, welche die Story vorantreiben. Oft begleiten euch andere NPCs auf den Missionen. Diese können im Kampf mit Gegnern zwar nicht sterben, bleiben aber für einige Sekunden bewusstlos, wenn sie ihre Lebenspunkte verlieren. Hebt euch vor allem die Heilkräuter und Pilze für die Herstellung von Heilsalben und Tränken auf, da diese in späteren Kapiteln leider nicht nachwachsen und auch die Händler keine neuen Ressourcen erhalten. Die Anzahl der möglichen Heiltränke ist daher begrenzt. Nutzt daher in den ersten Stunden vor allem Nahrung und Schlaf, um Lebensenergie zu regenerieren.

Noch ein Wort zum Schwierigkeitsgrad: Der klassische Schwierigkeitsgrad ist durchaus sehr fordernd und verlangt in den ersten beiden Kapiteln vorsichtiges Handeln. Ihr könnt aber jederzeit in den Entdecker-Modus wechseln und dort frei einstellen wie hoch der Schaden sein soll, den euch die Gegner zufügen. Wer also beispielsweise nur die Welt und die Geschichte genießen möchte, kann das problemlos so einstellen. Im „eisernen Modus“ habt ihr dagegen nur den Zugriff auf einen einzelnen Speicherstand – ihr müsst also mit den Konsequenzen eurer Entscheidungen leben. Auch könnt ihr in diesem Modus nicht in den Entdecker-Modus wechseln. Der Schwierigkeitsgrad in den Kämpfen unterscheidet sich jedoch nicht vom klassischen Modus.

Fazit

Drova ist ein Rollenspiel, dessen Designentscheidungen mir sehr gut gefallen. Die per Hand gestaltete Welt bietet interessante Möglichkeiten zur Exploration, die Charaktere und die Story sind interessant ausgearbeitet. Übrigens unter der Mithilfe von Falko Löffler, einem guten Freund unseres kleinen Blogs. Drova ist in seinem normalen Schwierigkeitsgrad definitiv kein Spiel, in denen ihr schnelle Erfolge feiern werdet. Umso schöner dann aber das Gefühl, wenn ihr langsam stärker werdet und immer mehr Monster und Quests erledigen könnt.

Das Spiel wurde in seiner Systematik erkennbar von den Spielen der Piranha Bytes beeinflusst, schafft es jedoch im World Building und der erzählten Geschichte eigene Akzente zu setzen. Dazu tragen übrigens auch die vielen starken weiblichen Charaktere bei, die in vielen anderen westlichen Rollenspielen häufig fehlen.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf weitere Spiele von Just2D. Nach Chained Echoes wurde mit Drova nun ein zweites großartiges Rollenspiel aus Deutschland innerhalb von zwei Jahren veröffentlicht. An dieser Stelle auch Glückwunsch an Deck13, die als Publisher einen guten Riecher und ein glückliches Händchen zu haben scheinen.

Trailer zu Drova: Forsaken Kin
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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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4 Comments on “Drova: Forsaken Kin – Die Überraschung des Jahres?”

  1. Sodele 😀

    Ich beobachte ja erstmal die Reviews zu Drova von außen, auch weil mir selbst mit 36 LENZEN, viele moderne Gamedesign Entscheidungen missfallen, abgesehen vom gleicherwerdenden Art Design. Ich fand hier das ganze zu lesen nochmals spannend und hat mir zumindest Appetit auf das Spiel gemacht, es doch vielleicht für die Switch zu holen. Wenns ne physische Version rauskommen sollte, ist abhängig von den Verkaufszahlen, wie ich es mitbekommen habe, bin ich doppelt definitiv dabei 😀

    Danke für den schönen Artikel 🙂

  2. Ich verfolge Drova schon seit drei oder vier Jahren und konnte es echt kaum erwarten, das Spiel endlich zu spielen! Und, was soll ich sagen: Meine Erwartungen wurden noch übetroffen.

    Es einfach nur Gothic in 2D zu nennen, finde ich fast schon ein bisschen ungerecht – wenn es auch eine passende Pitch-Line für das Spiel ist.
    Die Entwickler haben es aber verstanden, das, was Gothic 1 und 2 so gut machte, zu nehmen und die Formel behutsam zu erweitern. (Etwas, was Piranha Bytes selbst offenbar bei ihren letzten paar Spielen verlernt hat.)
    Gerade Erzählung und Charaktere sind besser als in ihrem Vorbild – aber, gut, sind ja auch mehr als 20 Jahre dazwischen – und dennoch verneigen sich die Entwickler in kleinen passenden Referenzen vor den Kultspielen. Sehr sympathisch.
    Plus, die atmosphärische 2D-Grafik ist hervorragend gelungen. Mit einer passenden Balance zwischen Weitsicht und Detailgrad.

    Man muss allerdings Bereitschaft mitbringen, Texte lesen zu wollen. Denn es gibt keine Quest-Marker oder ähnliches, man muss sich die relevanten Informationen schon erlesen. (Noch?) gibt es keine Sprachausgabe (ausser im Intro).

    Ich bin auf jeden Fall sehr begeistert von Drova und für mich ist das definitiv ein Anwärter auf das Spiel des Jahres in der Kategorie Rollenspiele.

  3. Moin!

    Danke für diesen starken Artikel. Keine Ahnung, wie ich als Gothic-Fanboy diese Perle bislang erfolgreich unter meinem Radar habe hindurchfliegen lassen können, dachte ich doch eigentlich, mein News-Horizont für Spiele dieser Art wäre zur Genüge abgedeckt. Pustekuchen! Hast einen Stammleser dazu gewonnen <3

    Thomas

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