Noch während der Produktion von Simon 3D beginnt Headfirst mit den Arbeiten an Dark Corners of the Earth und kehrt damit ein wenig zu seinen Wurzeln als Horror Soft zurück.
In diesem abschließenden Artikel der Reihe „Das Adventure Soft-Vermächtnis“ geht es um die Hintergründe von Call of Cthulhu – Dark Corners of the Earth und warum es das letzte Spiel von Headfirst bleiben sollte.
Der Grundstein für Dark Corners of the Earth wird etwa ein Jahr nach Beginn der Arbeiten an Simon the Sorcerer 3D im Jahr 1999 gelegt.
Headfirst produzieren jetzt 3D-Spiele und parallel zum Comedy-Adventure soll auch wieder ein Horror-Spiel entwickelt werden, so wie in den guten alten Horror Soft-Zeiten. Headfirst Creative Director Simon Woodroffe beschließt, dass das Spiel auf den Werken von H. P. Lovecraft und seinem Cthulhu-Mythos basieren soll. Der Game-Artist und -Designer Andrew Brazier besucht also die Usenet-Gruppe alt.horror.cthulhu und fragt frei heraus, was sich die Cthulhu-Fans von einer Computerspiel-Umsetzung wünschen würden. In der englischen Retro Gamer Ausgabe 172 erinnert er sich:
Damals war es der einfachste Weg, um mit engagierten Fans in Kontakt zu kommen, und ich lernte sehr schnell, dass der Mythos eine große und leidenschaftliche Anhängerschaft hat. Ich bekam viele gute Vorschläge, was im Spiel vorkommen sollte und was nicht, und einige meinten sogar, die Idee eines Lovecraft-Videospiels sei ein Sakrileg. Die Herausforderung bestand darin, etwas zu entwickeln, das Cthulhu-Fans interessiert, aber auch ein neues Publikum anspricht, und gleichzeitig sicherzustellen, dass das fertige Spiel tatsächlich Spaß macht. Was die Geschichte angeht, bestand eine der Hauptaufgaben darin, die Schlüsselereignisse so zu verdichten, dass sie eine spannende Erzählung ergeben würden.
Retro Gamer (UK) #172
Für Simon 3D hat sich das Headfirst-Team in NetImmerse 3D eingearbeitet, und somit beginnen die Arbeiten an Dark Corners of the Earth auch auf Basis dieser Engine. Der ursprüngliche Plan ist, das intern zunächst „FPHAS – a First Person Horror Adventure Shooter“ genannte Spiel im dritten Quartal 2001 für Playstation 2 und PC zu veröffentlichen – doch wie so oft, kommt es anders als man denkt.
Eine Pen-and-Paper-Umsetzung des Stoffs und damit eine Menge an Quellenmaterial und Ressourcen gibt es schon seit 1981. Um Zugriff darauf zu bekommen, macht Headfirst-Geschäftsführer Mike Woodroffe einen Deal mit Chaosium, dem Verlag hinter dem Cthulhu-Rollenspiel. Als Hauptinspiration gilt die Novelle Schatten über Innsmouth, wohl eines der bekanntesten Werke von Lovecraft überhaupt. In einem IGN-Interview aus dem Jahr 2000 erklärt Brazier, inwieweit Chaosium die Entwicklung beeinflusst hat:
Wir haben uns Anfang des Jahres mit den Jungs von Chaosium unterhalten, und ihnen gefiel wirklich, was wir vorhatten. Es gibt nicht viele Leute, die den Cthulhu-Mythos besser kennen als sie. So können sie uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Außerdem haben sie uns jede Menge Quellenmaterial zur Verfügung gestellt, was eine echte Hilfe war.
IGN
Dark Corners of the Earth ist zwar kein Rollenspiel, es beinhaltet aber Elemente davon. Wir wollten nicht, dass seitenweise Statistiken und Attribute das Gameplay und die Atmosphäre zerstören, deshalb haben wir Teile des RPG-Systems beibehalten, sie aber im Code ‚versteckt‘.
Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Spiels nimmt auch Producer und Lead Designer Chris Gray ein. Im Retro Gamer-Interview erklärt er:
Ich hatte schon viele Rollenspiele gespielt und wusste, dass Lovecraft ein bahnbrechender Autor war, aber ich hatte die Bücher nicht gelesen. Trotzdem wurde ich schnell zum Fan, teilweise aus der Not heraus, aber vor allem, weil der Mythos ein so reichhaltiges Universum ist. Ich erinnere mich an Brainstorming-Sitzungen, bei denen diese Schlüsselkonzepte festgelegt wurden und bei denen der Schwerpunkt auf der Geschichte und nicht auf dem Schießen lag. Es fühlte sich einfach wie eine natürliche Richtung an, in die das Spiel gehen sollte.
Retro Gamer (UK) #172
Zu diesem Zeitpunkt stößt Gareth Clarke zum Team hinzu und übernimmt die Rolle als „Lead Engineer“. Kurz vor der E3 2001 ist das Spiel nach eigenen Angaben „zu 70 Prozent fertig“, der Release wird aber immer wieder verschoben.
Immer Ärger mit den Publishern (schon wieder)
Wie schon bei Simon 3D gibt es mitten in der Produktion plötzlich Probleme mit dem Publisher. Eigentlich soll das Spiel über Ravensburger Interactive Media, respektive deren Label Fishtank Interactive erscheinen. Doch dann wird Ravensburger Interactive Media samt Fishtank Mitte 2002 an JoWooD Productions verkauft. Und die lassen Dark Corners of the Earth fallen wie eine heiße Kartoffel. In der bereits erwähnten Retro Gamer bezeichnet Chris Gray die Situation als „einen absoluten Albtraum – wie immer, wenn man sich mitten in der Entwicklung befindet.“
Mittlerweile befinden wir uns im dritten Produktionsjahr, und wieder geht die Publisher-Suche für Woodroffe & Co. los. Erst im Mai 2003 wird man fündig und schließt einen Vertrag mit Bethesda Softworks ab. Allerdings besteht Bethesda darauf, dass es vorrangig eine Xbox-Version geben müsse, und die anderen Plattformen hinten anstehen sollten. Im gleichen Jahr wird der aktuelle Stand des Spiels auf der E3 präsentiert und als Releasezeitraum das erste Quartal 2004 angegeben. Was sich, wieder einmal, als Wunschdenken herausstellen sollte.