Old Skies

Ein Zeitreise-Adventure mit zahlreichen Toden, wiederholendem Gameplay und der Abkehr von der geliebten Pixel-Grafik? Wir verraten euch, ob sich Wadjet Eye Games hier so richtig verhoben haben oder ob Old Skies ein echtes Meisterwerk geworden ist.

Nur wenige Wochen nach Rosewater erscheint auch schon das nächste heiß erwartete AGS-Adventure. Das letzte selbst entwickelte Spiel von Wadjet Eye Games liegt mittlerweile auch schon fast sieben Jahre zurück. Damals hatte sich Firmen-Gründer Dave Gilbert mit Unavowed gewagt, die gewohnte Auflösung seiner klassischen Wadjet-Eye-Titel zu verdoppeln, mit Old Skies verabschiedet er sich nun endgültig von der Pixel-Optik.

Zurück in die zukünftige Vergangenheit

Auf die grafische Gestaltung komme ich später noch zurück, zunächst einmal soll es um die Geschichte gehen, die in Old Skies erzählt wird. In guter alter Wadjet-Eye-Tradition darf wieder eine alternative Version von Gilberts Heimat New York als Setting herhalten. Das Adventure spielt (zunächst) in den 2050er Jahren – eine Zeit, die durch professionalisierte Zeitreisen geprägt ist. Möglich wurden diese durch die Entdeckung des „Quansonic Particles“ und darauffolgend des „Timestreams“ in den 2040er Jahren. Nach Jahren der Forschung und später auch egoistischer Ausnutzung dieser Technologie schufen die Regierungen der Welt strikte Regularien, um Missbrauch von Zeitreisen zu unterbinden und zu verhindern, dass dadurch größere Katastrophen ausgelöst werden können. Ihr merkt schon: Das Spiel versucht eine möglichst „realistische“ Annäherung an dieses Thema zu bieten und erschafft sich so eine eigene Logik, mit der das Konzept von Zeitreisen gerechtfertigt werden soll.

Anders als in Unavowed habt ihr keine Charakterauswahl, sondern seid (für die meiste Zeit) darauf festgelegt, die Berufs-Zeitreisende Fia Quinn zu spielen. Sie ist eine von wenigen auserwählten Personen, die (aus Gründen, die ihr im Spielverlauf erfahrt) für die Arbeit bei der Zeitreise-Agentur ChronoZen geeignet sind. Diese Firma wurde offiziell autorisiert, Zeitreisen durchzuführen und ist darauf spezialisiert, ihren gut zahlenden Kunden ein Zeitreise-Erlebnis nach Maß zu bieten. Ihr seid also so etwas wie eine Reiseleiterin für reiche Zeit-Touristen und müsst darauf achten, dass sich eure Kunden brav an das Protokoll halten – nicht, dass diese es noch irgendwie versehentlich (oder absichtlich) schaffen, die Zukunft ins Chaos zu stürzen. Dabei ist es durchaus erlaubt, die Zukunft einer Person aus der Vergangenheit zu verändern – solange sie ein niedriges „Timeline Ranking“ hat. Diese Rankings werden von „höheren offiziellen Stellen“ vergeben und legen fest, welche Auswirkungen auf die Menschheitsgeschichte zu erwarten wären, wenn sich die Zeitreisenden in das Schicksal einmischen.

Als Konsequenz ist die Zukunft ständig im Wandel – in der „Gegenwart“ der 2050er Jahre gehört es zum Alltag, dass durch Zeitmanipulation beispielsweise Menschen mit niedrigem „Timeline Ranking“ plötzlich nie existiert haben oder einfach verändert wurden („Chronoshifting“). Dies ist allerdings nur den eingeweihten Zeitreisenden bewusst, die „normale“ Bevölkerung bekommt davon so gut wie nichts mit. Nur besonders wichtige Orte sind „Chronolocked“ und können nicht durch Zeitmanipulationen verändert werden. Weitere Details könnt ihr beim Spielen herausfinden, aber es dürfte klar sein, dass hier auch moralische Fragen, die Zeitreisen mit sich bringen, aufgeworfen werden.

Die Abenteuer, die ihr mit Fia erlebt, sind in Kapitel unterteilt, führen euch in verschiedene historische Epochen und stellen euch vor einige individuelle Hürden. Gleich zu Beginn nimmt zum Beispiel euer erster Kunde in der Vergangenheit Reißaus – ihr müsst ihn natürlich stellen und ihn die Konsequenzen aus seinen Taten spüren lassen. Die Episoden sind zunächst scheinbar unabhängig von einander, doch ihr werdet immer wieder Verknüpfungen entdecken, die schließlich sogar das Schicksal von Fia beeinflussen. Und wenn ihr auf ein dramatisches Finale mit Zeitreise-Mechanismen hofft, werdet ihr nicht enttäuscht.

Modern Times

Old Skies ist in vielen Belangen ein „modernes“ Adventure, auch wenn es mit AGS technisch immer noch auf einen alten Unterbau setzt. Dazu gehört für mich in erster Linie eine interessante Geschichte mit entsprechenden Charakteren. Dazu gehören Rätsel, die zwar ein Hindernis aber kein Ärgernis darstellen dürfen. Dazu gehört eine angenehme Steuerung, die im besten Fall auch optional mit einem Controller gut funktioniert. Und gerne nehme ich dazu auch noch eine hübsche Optik, einen stimmigen Soundtrack und eine professionelle Synchronisation. All dies findet ihr in Wadjet Eyes neuestem Werk.

Die Hintergründe, die der altbekannte Grafiker Ben Chandler hier in ungewohnt hoher Auflösung auf dem Bildschirm gezaubert hat, wirken auf mich wunderschön. Die davor agierenden Figuren fand ich allerdings zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, im Laufe des Spiels ist mir aber auch dieser Grafikstil sehr ans Herz gewachsen. Lediglich die seltenen Nahaufnahmen fallen aus meiner Sicht qualitativ ein wenig ab, was mich aber nicht gestört hat.

Die Zeitreise-Thematik bietet viel Raum für einige clevere Rätsel, die Gilbert ins Spiel eingewoben hat. Ich finde es ebenfalls lobenswert, dass er die zwangsläufig aufkommenden Zeitreise-Logiklöcher ziemlich elegant versucht hat, zu stopfen. Zumindest hat mich das nicht aus der Story herausgerissen.

Lass mich das nochmal versuchen

Tode in Adventures sind ja ein Thema für sich. In Old Skies sind sie Teil der Spielmechanik, denn ihr werdet immer wieder in gefährliche Situationen geraten, die mit eurem Tod enden. Glücklicherweise habt ihr immer einen Aufpasser im Hauptquartier dabei, der dann einfach die Zeit ein paar Momente vor eurem Ableben zurückspult, um euch die Gelegenheit zu geben, lebendig aus der Situation zu entkommen. Teilweise müsst ihr also mehrfach sterben, bis ihr herausgefunden habt, wie ihr unbeschadet bleiben könnt. Das klingt möglicherweise schlimmer als es ist – ich fand diese Spielmechanik ganz erfrischend, und sie halten euch auch nie besonders lange auf. Es gibt keine Sackgassen oder Tode, die euch zum Laden eures Spielstandes zwingen würden – zumindest sind mir keine begegnet, genauso wenig wie Bugs oder andere technische Problem.

In den letzten Spielstunden laufen dann so langsam einige Storyfäden zusammen. Was wurde zum Beispiel aus einer Person, der ihr „nebenbei“ das Leben gerettet hat? Welche Umstände haben zu dem Unfall geführt, der einem eurer Kollegen das Leben gekostet hat? Was passiert, wenn sich Zeitreise-Agenten während ihres Jobs gezwungenermaßen selbst über den Weg laufen könnten? Und welche Konsequenzen zieht Fia für sich aus all diesen Erkenntnissen? Das erfahrt ihr in einem Finale, das der Zeitreise-Mechanik noch einen Twist hinzufügt und es schafft, eine gewisse (für ein Adventure ungewöhnliche) Dringlichkeit aufkommen zu lassen, und in einem abschließenden Epilog.

Fazit

Um die Frage vom Anfang des Artikels zu beantworten: Für mich ist Old Skies ein echtes Adventure-Meisterwerk geworden. In allen Punkten, die mir wichtig sind, trumpft das neueste Spiel von Wadjet Eye Games auf. Für manche deutsche Spieler dürfte die fehlende deutsche Übersetzung der größte Negativpunkt sein – die englische Version ist hingegen hervorragend gelungen und glänzt wieder einmal mit brillanten Sprechern. Wenn ich etwas bemängeln müsste, wären das die Großaufnahmen der Charaktere, die bei mir nicht ganz so gut angekommen sind. Ansonsten fühlte ich mich etliche Stunden pudelwohl in der Rolle einer Zeitreise-Agentin.

Ihr findet Old Skies ab sofort auf Steam und GOG für knapp unter 20 Euro, zum Start sogar um 10 Prozent rabattiert für unter 18 Euro. Der Release im Nintendo Store wird sich wohl noch leicht verzögern.

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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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12 Comments on “Old Skies”

  1. Klingt super. Allein die Thematik finde ich faszinierend und wenn so viele Aspekte davon beleuchtet werden, ist das allein schon ein Pluspunkt.
    Mein letztes Wadjet Eye Spiel ist schon sehr lange her… Gemini Rue war das und das fand ich auch sehr schön. Wobei halt… Hobs Barrow hab ich auch gespielt, aber kam irgendwann nicht weiter.

  2. Vielen Dank für den tollen Test! Das Setting spricht mich etwas mehr an als „Rosewater“, weshalb ich wohl mit „Old Skies“ beginnen werde. Lassen sich die beiden Titel vergleichen oder wäre das ein klassischer Apfel-mit-Birnen Fall?

  3. Rosewater ist auch nicht ganz mein Setting, daher habe ich da noch nicht zugeschlagen aber Old Skies, direkt am Launch Day.

    Der Entwicklerkommentar spricht von einem sehr langen Spiel. Mit wie viel Stunden Spaß kann man denn ungefähr rechnen?

  4. Danke für deinen Bericht. Ich hätte zwar auch so zugeschlagen, aber es ist natürlich schon schön zu wissen, dass Wadjet Eye das (eigentlich blinde) Vertrauen verdient. ^^

  5. Danke für den schönen Testbericht, ich hätte es aber so oder so gekauft ich traue Wadjet Eye wie Esmeralda quasi blind seit Gemini Rue.
    Ich bin jetzt im 5 Kapitel und muss sagen, das Spiel ist fantastisch.
    + Die Sprecher ,die Story (bislang) und Dialoge sind extrem gut. Kein Unterschied zu „großen“ Produktionen.
    + Die Grafik ist auch sehr ansprechend und gefällt mir sehr gut.
    + Die Puzzles sind gut in die Handlung eingebaut (bis auf ein paar kleine Ausnahmen) und spätestens mit Nozzos Hilfe gut zu lösen, was in meinen Augen auch gleichzeitig das einzige
    – ist…. Die Puzzles sind nicht wirklich schwer, bisher.
    Jeder der Adventures mag und etwas englisch kann (keine deutschen Untertitel) sollte unbedingt zuschlagen. Es gefällt mir noch deutlich besser als Rosewater und das war schon richtig gut.

  6. Old Skies hat neben Rosewater das Zeug zum Adventure des Jahres! Wirklich, wirklich gut geworden!

    Der Stil der Charaktere gefällt mir allerdings nicht so besonders – vor allem, wie auch im Artikel erwähnt, in den Nahaufnahmen. Das kann ich aber verschmerzen.
    Das Zweitreiseszenario ist recht erfrischend umgesetzt und dank dem „PFE“ zugleich toll und irgendwie auch faul umgesetzt. 😉
    Dafür wohl die für mich deprimierendste Variante, die ich bei einem Zeitreise-Spiel je erlebt habe.

    Was mir ganz persönlich nicht so gefällt, ist die Art und Weise, wie Dave Gilbert das Betrachten von Gegenständen bzw. Hotspots seit Unavowed mit den simplen Tool-Tips löst. Aber vielleicht empfinden das viele andere als brillante Variante.

    Nichtsdestotrotz ein verdammt gutes Adventure geworden!

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