Adventure-Schatzkiste: Golden Life / Zolotoj Telënok (RU)

Die „Adventure-Schatzkiste“ ist eine Kolumne unseres Gast-Autoren André Savetier, der uns eine neue Perspektive auf übersehene und/oder unterschätzte Adventure-Spiele aus der weitreichenden Vergangenheit des Genres bieten möchte.

Zolotoj Telënok (auf Deutsch Das goldene Kalb) ist ein erfolgreicher sowjetischer Roman von Il’ja Il’f und Evgenij Petrov aus dem Jahre 1931, der die Geschichte des noch berühmteren Vorgängers Die 12 Stühle (1928) fortsetzt. Im Studium haben wir weiland beide Werke intensivst durchgenommen, weswegen ich mich besonders auf die Grafikadventure-Umsetzung von Akella aus dem Jahre 2006 gefreut habe.

Früher habe ich das Spiel nur auf Russisch gekannt, erst neulich habe ich herausgefunden, dass es auch eine deutsche Version unter dem Titel Golden Life – Unterwegs nach Brasilien gibt, die ich mir sogleich bei Medimops zugelegt habe, um das Spiel für euch unter die Lupe zu nehmen.

Hörner und Hufe

Die Handlung spielt in den frühen Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts, die Sowjetunion steckt noch in ihen Kinderschuhen. Diese Zeit ist als die Ära NĖP (Neue Ökonomische Politik) bekannt. Diese Phase folgt auf den Bürgerkrieg in Russland und ist geprägt von einer gewissen wirtschaftlichen Liberalisierung, die es den Menschen ermöglicht, kleine Unternehmen zu gründen und Handel zu treiben. Il’f und Petrov stammten beide aus Odesa, was erklärt, dass ihre Geschichten oft in der Ukraine angesiedelt sind. Ostap Bender, Kleinkrimineller und Schlitzohr, begibt sich auf eine abenteuerliche Reise durch die Ukraine, um genug Geld für eine Flucht nach Brasilien zu sammeln.

Ich will fort von hier. Im Laufe des letzten Jahres sind zwischen mir und der Sowjetmacht ernste Differenzen entstanden. Sie will den Sozialismus aufbauen und ich will es nicht. Es ist mir nämlich langweilig, den Sozialismus aufzubauen.

Ostap Bender

Dabei findet er sogleich drei Schicksalsgenossen: den Taxifahrer Adam Kozlevič, dessen Gefährt kurzerhand in das Rallyeauto Antilopa Gnu umfunktioniert wird, den jungen Matrosen Šura Balaganov und den alten Gänsedieb Panikovskij, die ebenfalls auf das leichte Geld hoffen. Kozlevič kennt nämlich einen versteckten Millionär in Čornomorsk, dem sie gemeinsam das Geld abknüpfen wollen.

Ostap ist ein Meister der List, dessen cleverer Umgang mit den Herausforderungen des Lebens für viele humorvolle Momente sorgt. Die beiden Romane von Il’f und Petrov sind im ostslawischen Raum so bekannt, dass Ostap Bender zum Inbegriff des sowjetischen Schelms geworden ist.

Das Automobil ist kein Luxusobjekt, sondern ein Fortbewegungsmittel

Was zuerst auffällt, ist die ansprechende Comicgrafik des Spiels. Sie ist ein echter Augenschmaus und trägt zur lebendigen Atmosphäre bei. Die Animationen sind flüssig und verleihen den Charakteren eine charmante Lebendigkeit.

Die Steuerung ist benutzerfreundlich und intuitiv, nur selten benötigt man den Rechtsklick, um von einer Lupe zur Benutzen-Hand zu wechseln. Das Inventar kann mit Leertaste aufgerufen werden. Ostap bewegt sich sehr gemächlich, aber mittels Doppelklick könnt ihr zum Glück schnell in den nächsten Raum wechseln. Die Rätsel sind logisch und nicht übermäßig herausfordernd, aber schwierig genug, um ein bisschen herumzutüfteln. Gegen Ende des Spiels wird deutlich, dass einige Abschnitte künstlich in die Länge gezogen werden.

Das Bier wird nur an Gewerkschaftsmitglieder verkauft

Ein besonderes Merkmal von Zolotoj Telënok sind die längeren Passagen zwischen den einzelnen Teilen, die die Geschichte in Buchform weitererzählt. Hier wendet sich das Spiel vor allem an jene, die mit der Romanvorlage nicht vertraut sind, was ich sehr gut finde. Im Prinzip ist dies auch eine geeignete Weise, um etwas Budget zu sparen. Außerdem ist der Roman auch nicht sehr einfach als Spiel umzusetzen.

Die deutsche Sprachausgabe ist solide, doch die originale russische Version bringt den regimekritischen Humor besser zur Geltung, da vor allem Wortspiele in der Übersetzung verloren gehen. Ich habe das Spiel in beiden Sprachen gespielt, habe aber mittlerweile eine, sagen wir, emotionale Blockade, wenn es um das Russische geht. Schade finde ich, dass die russischen Aufschriften in den Hintergrundgrafiken in der deutschen Version ebenfalls übersetzt worden sind, was ein bisschen an der Immersion nagt.

Das Spiel hat einige technische Schwächen, darunter Übersetzungsfehler, fehlende deutsche Sonderzeichen (Umlaute und das scharfe ß) sowie Synchronisationslücken. Das ist jetzt aber alles nicht besonders tragisch und sollte eurem Spielevergnügen nicht im Wege stehen. Besonders gut finde ich den Soundtrack, der sich zwar immer wiederholt, aber sehr gut ins Ohr geht. Die Menüs sind einfach gehalten, hier wären einige Optionen, wie das Spieltempo, wünschenswert gewesen. Ein besonderes Plus ist, dass Das Goldene Kalb mit Adventure Game Studio (AGS) erstellt worden ist, weshalb es ganz einfach mit ScummVM zum Laufen zu bringen ist.

Fazit: Nun werde ich mich zum Hausmeister umqualifizieren

Alles in allem ist Zolotoj Telënok ein unterhaltsames Abenteuer, das jedoch stark von der Kenntnis der Romanvorlage profitiert. Wenn ihr den Roman nicht gelesen habt (was ihr aber irgendwann nachholen solltet, weil er echt gut ist), keine Sorge, die buchartigen Zwischensequenzen sorgen dafür, dass ihr der Handlung auch so folgen könnt.

Die technischen Mängel schmälern den Gesamteindruck zwar, aber nur ein bisserl. Die wunderschöne Grafik und der bleibende Soundtrack machen das wieder wett. Für mich war es schön, wieder in eine Geschichte einzutauchen, die mich während meines Studiums der Slawistik begleitet hat, als die ganze ostslawische Geschichte noch ganz neu für mich gewesen ist.

Die seltsam anmutenden Zwischenüberschriften sind übrigens alles Zitate aus dem Buch, die in der Sowjetunion sprichwörtlich geworden sind.

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Über André Savetier

André hat zwei große Passionen: Musik und Adventure-Spiele. Für erstere fehlt leider die Zeit, aber ein Spielchen zwischendurch geht sich immer aus. Ein besonderes Interesse hat unser Österreicher an Adventure-Spielen, die etwas in Vergessenheit geraten sind, oder an solchen, die kaum jemand kennt.

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