Prison City ist ein neuer Action-Platformer in bester NES-Tradition von Spielen wie Power Blade oder Shatterhand. Warum es ein Vorbild für die restliche Indie-Szene wäre, erfahrt ihr im Artikel.
Mit seinem actionreichen Puzzlespiel Dumpy & Bumpy ist mir der Indie-Entwickler Programancer aus Michigan bereits vor zwei Jahren positiv aufgefallen. Seitdem warte ich mit großer Spannung auf die Fertigstellung seines Fangames The Transylvania Adventure of Simon Quest, eine Parodie auf die alten Castlevania-Spiele der NES-Ära. Doch die Fertigstellung wird noch eine Weile dauern. Das liegt auch daran, dass der Entwickler nebenbei an kommerziellen Projekten arbeitet. Sein neuestes Werk trägt den Namen Prison City und entführt euch in eine dystopische Vergangenheit.
Über die Prämisse des Spiels sollte man nicht nachdenken: Im Jahr 1995 wurde die heruntergekommene Stadt Detroit evakuiert und in ein Mega-Gefängnis verwandelt. Zwei Jahre später wird dieses Gefängnis von Terroristen infiltriert und nur der muskelbepackte Ex-Polizist Hal Bruzer ist in der Lage, diese Mission zu meistern. Im Nachhinein fragt man sich manchmal, ob die Actionfilme der 80er Jahre wirklich solche furchtbaren Prämissen hatten. Man muss sich nur B-Movies dieser Dekade wie Trancers oder Hell Comes To Frogtown ansehen, um zu erkennen, dass es oft noch viel, viel absurder zuging. Also diese Filme, die nie für das Fernsehen oder gar das Kino produziert wurden, sondern für die Videothek. Die damaligen Videospiele wie beispielsweise Shatterhand oder Power Blade haben diese B-Movies dann auf das NES übertragen. Der Entwickler von Prison City hat diese, ich nenne es mal “Videothekenästhetik”, gekonnt eingefangen.
Mit dem Chakram gegen Verbrecher und Roboter
Spielerisch hat sich der Entwickler vor allem an den beiden oben genannten Spielen Shatterhand und Power Blade orientiert. Was nach all den Mega Man– und Castlevania-Klonen der letzten Jahre eine nette Abwechslung ist. Auch wenn die erstgenannten Spiele damals auf dem NES eher zur B-Riege gehörten. Von Shatterhand wurde vor allem die Fähigkeit übernommen, sich an Maschendrahtzäunen festzuhalten und entlang zu hangeln. Diese hängen häufiger im Levelhintergrund und dienen dazu, entweder höher gelegene Plattformen zu erreichen oder einen Hindernisparcours zu meistern.
Das Kampfsystem wurde im Wesentlichen von den beiden Power Blade-Spielen übernommen. Während der Held in diesen Spielen seine Gegner mit einem Bumerang besiegt, stehen dem Helden in Prison City elektrisch geladene Chakrams zur Verfügung. Chakrams sind Wurfwaffen, die ursprünglich aus Indien stammen. In jedem Level sind drei Teile eines Power-Ups versteckt. Findet man alle Teile, wird die Waffe einmalig verstärkt und vergrößert. Allerdings nur so lange, bis ihr dreimal von Gegnern getroffen werdet und euch wieder mit den normal großen Chakrams begnügen müsst.
Ansonsten ist die Balance zwischen Action und Jump & Run ausgewogen: In jedem der acht frei wählbaren Levels gibt es Abschnitte, in denen der Kampf gegen Gegner im Vordergrund steht, und solche, in denen es verschiedene Hindernisparcours zu überwinden gilt. Das Leveldesign wirkt auf mich nicht schlecht, aber doch wie vom Reißbrett. Die Levels wirken für mich nie organisch gewachsen, sondern ich hatte beim Spielen immer wieder das Gefühl, dass der Entwickler an verschiedenen Stellen gedacht hat: “Oh, die obligatorischen Platforming-Passagen habe ich noch gar nicht eingebaut. Die kommen jetzt.”
Vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich schon viel zu viele Titel dieser Art gespielt habe, aber hier merke ich die Formelhaftigkeit sehr stark. Das ist kein großer Kritikpunkt, denn das Leveldesign der Aufgaben ist zwar herausfordernd, aber immer fair gestaltet. Da habe ich im Indie-Bereich schon wesentlich Schlimmeres gesehen. Ich vermisse nur ein wenig die Überraschungen. Oft konnte ich schon im Voraus erahnen, welches Spielelement als nächstes kommt.
Ziel eines Levels ist es nun, die Tür zum Bosskampf und auf dem Weg dorthin einen Informanten zu finden, der einem die entsprechende Schlüsselkarte übergibt. Außerdem ist in jedem Level ein permanentes Upgrade für die Lebensenergie versteckt.
Schwierigkeitsgrad und Optionsvielfalt
Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad würde ich Prison City als sehr herausfordernd und definitiv für Genre-Veteranen beschreiben. Wie schon erwähnt, sind die Sprungpassagen recht knackig, zudem sind jedoch auch die Kämpfe gegen die Gegner selbst herausfordernd. Es ist nich so, dass die mit ein, zwei Treffer erledigt wären. Sehr häufig ist es notwendig die Bewegungsverläufe zu lernen und sich eine entsprechende Strategie zu überlegen. Dazu kommen diverse Fallen und Hindernisse.
Wer keinen Wert auf Trophäen legt, hat die Möglichkeit, neben den drei voreingestellten Schwierigkeitsgraden einen eigenen Schwierigkeitsgrad zu bauen. Und was hier an Optionen geboten wird, ist erstaunlich! Die Optionen begnügen sich nicht damit, dass man einstellen kann, mit wie vielen Leben oder wie viel Gesundheitsenergie man starten möchte. Die Optionen gehen tief in die Spielmechanik: Soll man beim Sturz in den Abgrund ein Leben verlieren und beim letzten Checkpoint neu starten – oder möchtet ihr lediglich ein Punkt von der Gesundheit abgezogen haben und an der gleichen Stelle weitermachen? Soll das Chakram auch Gegenstände wie Granaten oder Lebensenergie aufnehmen können? Und wie lange soll der Schild halten, nachdem ihr entsprechende Power-Ups eingesammelt habt? Sogar die Droprate der Gegner lässt sich einstellen.
Auf den ersten Blick erscheinen die Möglichkeiten etwas überladen. Tatsächlich kann sich aber jeder seinen eigenen Schwierigkeitsgrad nach seinen Vorlieben zusammenstellen. Wer beispielsweise nicht so gut in Jump & Runs ist, kann mit den beiden Optionen “Nachsichtige Levelgefahren” und “Aus Gruben respawnen” viel Frustpotenzial aus dem Spiel nehmen, während die Option “Aggressive Feinde” die Kämpfe anspruchsvoll hält. Das Gleiche gilt natürlich auch umgekehrt.
Diese Optionsvielfalt finde ich ausdrücklich vorbildlich, denn oft habe ich bei modernen Indie-Spielen das Problem, dass mir der normale Schwierigkeitsgrad zu schwer, der leichte aber schon viel zu leicht ist. Mit solchen Optionen gibt mir der Entwickler die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie ich das Spiel spielen möchte und wo ich den Schwerpunkt setzen möchte. Ich wünsche mir, dass solche tiefgreifenden Optionen in Zukunft auch von anderen Entwicklern angeboten werden. Es nimmt niemandem etwas weg, der das normale Spielerlebnis haben will – aber es bietet einen großen Mehrwert für diejenigen, die mit bestimmten Spielelementen große Probleme haben.
Fazit
Normalerweise würde ich an dieser Stelle sagen, dass die aufgerufenen 17€ für Prison City allein für Genre-Veteranen gerechtfertigt wären, die dazu wieder mal ein Spiel à la Shatterhand oder Power Blade spielen möchten – also eine mehr als spitze Zielgruppe. Der Entwickler fängt das Feeling der NES-Actionspiele hervorragend ein, der Schwierigkeitsgrad ist schön hart und knackig – so wie wir Nostalgiker es eben lieben. Für alle anderen hätte ich an dieser Stelle keine Empfehlung abgegeben, denn für das Geld gibt es bessere und fairere Jump & Runs. Eigentlich war es auch nur ein Spiel, welches ich für die nächste DU-Galerie im Sinn hatte.
Aber dann habe ich die Vielfalt der Optionen entdeckt und war begeistert. Mittlerweile ist es ja nichts Besonderes mehr, dass Spieleentwickler zum Beispiel die Anzahl der Leben oder die Lebenspunkte einstellbar machen – auch wenn selbst das noch viel zu selten vorkommt. Dass ein Entwickler Optionen anbietet, die tief in die Spielmechanik eingreifen, habe ich in dieser Form noch nicht gesehen. Wie bereits erwähnt, kann sich so jeder sein eigenes Spielerlebnis zusammenstellen, in dem wesentliche Regeln des Spieldesigns von Prison City verändert werden können. So viel Vertrauen in die Spieler, selbst zu entscheiden, welche Aspekte des Spiels sie bevorzugen, würde ich mir von viel mehr Entwicklern wünschen. Auch wenn das bedeutet, dass man die Kontrolle an die Spieler abgibt.