Zeitreise: Werbespiele der 90er Jahre

Logistics Master ist ein reinrassiger Sokoban-Klon.

Logistics Master (1995)

Neben all den aufwendigen Adventures, Simulationen und Jump’n’Runs der letzten Seiten gab es damals auch kleinere Werbespiele, oft Klone klassischer Spielkonzepte. Logistics Master für das österreichische Gütertransportunternehmen Rail Cargo ist ein Paradebeispiel. Denn hier handelt es sich um einen richtig netten Sokoban-Klon. Das Ziel ist es, alle Kisten in die Markierungen zu schrieben, ohne dass man sich den Weg verbaut.

Entwickelt wurde das Spiel von Top Job, eine der wenigen österreichischen Werbespiel-Entwickler jener Zeit. Ansonsten hatte das Studio sehr hübsche Werbe-Adventures wie Börnie’s Journey, Lion’s Help, Courage und Arnie Goes 4 Gold verantwortet. Das waren recht hochwertige Adventures, die es definitiv mit den Titeln von Art Department aufnehmen konnten.

„News in Space“ wandelt auf den Spuren des 1987er Puzzle-Hits „Deflektor“.

News in Space (1993)

Auf Seite 5 habe ich bereits meine eher ambivalente Haltung zu den politischen Quizspielen von Glamus zum Ausdruck gebracht. Wesentlich besser gefallen mir die Puzzle- und Geschicklichkeitsspiele, die Glamus damals für die Privatwirtschaft produzierte! Hier haben wir zum Beispiel einen Klon des Puzzlespiels Deflektor aus dem Jahr 1987: Der Sendestrahl muss über die rotierenden Spiegel zur Station des Nachrichtenmagazins Spiegel gelenkt werden. Dabei hat man für jeden Level ein Zeitlimit und natürlich werden die Aufgaben immer komplexer!

Autos über ein scrollendes Pinball-Feld schnippen – was kann es schöneres geben?

Ping Pong Polo (1994)

Wie ihr spätestens seit meinen Pinball-Galerien wisst, bin ich ein großer Fan des Flipper-Genres. Bei diesem Spiel für Volkswagen von ad games aus Düsseldorf wurde das Genre etwas kreativer interpretiert: Das Konzept besteht aus drei kleinen Autos, die durch ein automatisch scrollendes Spielfeld geschnipst werden. Einfach mit der Maus das Auto in die gewünschte Richtung ziehen und loslassen.  Die vielen Pinball-Elemente wie Bumper, sorgen jedoch für hektische Richtungswechsel. Fliegt ein Auto unter den unteren Bildschirmrand, ist es verloren. Für mich definitiv eines der interessantesten Minispiele der damaligen Zeit.

Dieses Puzzlespiel stammt aus einer Zeit, in der Autos über besonders viel Stauraum vermarktet wurden.

Pack ’n Puzzle (1995)

Und das nächste Spiel für Volkswagen, nochmal von ad games. Könnt ihr euch noch an die Zeit erinnern, als Autohersteller ihre neuesten Modelle über das Thema Stauraum an Familien verkaufen wollten? Das ist doch auch ein hübsches Spielkonzept für ein Werbespiel, oder?

Ob Familie oder Zirkustruppe – in so einen Sharan passte alles rein. Zumindest, wenn man die Personen und Gegenstände so verdreht wie in diesem Puzzlespiel. Denn bevor man sie ins Auto quetschen kann, müssen einige Dinge miteinander kombiniert werden: Der Tiger will sein Fleisch, der Zauberer seine Hasen und dem Schwertschlucker wird das Schwert kurzerhand in den Hals gesteckt. Leider gibt es nur acht Levels, aber für ein Minispiel wirklich nett gemacht!

Brachte das klassische Werbespielgeschäft zu Fall: das Moorhuhn!

Die virtuelle Moorhuhnjagd (1999)

Es ist schon ironisch, dass ausgerechnet die Firma, welche die Werbespiele durch ihre Adventures in den frühen 90ern popularisierte, schlussendlich für das Ende des klassischen Werbespielemarktes verantwortlich sein sollte. Und das kam so:

1998 suchte der Whiskyhersteller Johnnie Walker nach einer Möglichkeit, die unter 30-Jährigen anzusprechen. Die Idee für ein Werbespiel war schnell geboren. Irgendwas mit Schottland vielleicht? Jedenfalls bekam die Bochumer Schmiede Art Department den Auftrag. Nach erfolgreichen Jahren, in denen sie ein Werbe-Adventure nach dem anderen produzierten, konzentrierten sich die Bochumer auf kommerzielle Titel wie D.O.G. – Fight For Your Life – daher waren die Entwickler schon ein wenig aus dem Werbespiel-Markt raus. An sich war das Moorhuhn auch kein großer Auftrag: Die Entwicklungszeit betrug gerade einmal zwei Monate, und so war der ursprüngliche Auftrag auch keiner, mit dem sich sonderlich viel Geld verdienen ließ. Auch von Johnnie Walker wurde das Spiel zunächst nur für Veranstaltungen wie Kneipenturniere eingesetzt.

Doch 1999 war das Internet verbreiteter und das Spiel wurde Ende des Jahres zu einen der ersten deutschen Netz-Phänomene. Art Department hatte sich inzwischen in Phenomedia umbenannt und die Server waren zeitweise völlig überlastet. Der Gallery-Shooter, bei dem es darum ging, innerhalb von 90 Sekunden möglichst viele Moorhühner abzuschießen, wurde nicht nur in Privathaushalten, sondern auch in Büros gespielt. Durch Artikel im Spiegel oder Heise wurde das Spiel noch bekannter und so entstand Anfang 2000 ein regelrechter Medienhype. Es wurde getitelt, das Moorhuhn bedrohe die deutsche Wirtschaft – weil die Menschen im Büro nicht mehr arbeiten, sondern lieber auf gackernde Hühner schießen. Tierschutzorganisationen warnten, das Spiel führe zu Empathielosigkeit gegenüber Tieren, und zu allem Überfluss produzierte Wigald Boning auch noch einen grausamen Song!

Bei so viel Medienrummel war doch alles in Ordnung, oder? Nicht ganz! Denn jetzt wollten alle Werbetreibenden „so etwas wie das Huhn“ – übersetzt: Spiele, die billig und schnell zu produzieren sind und gleichzeitig eine enorme Verbreitung finden. Vorbei waren die Zeiten, in denen Werbekunden bereit waren, Hunderttausende von Mark in die Produktion solcher Werbespiele zu investieren, wie sie auf den vorhergehenden Seiten dieses Specials zu sehen sind. Im Zuge des Moorhuhn-Hypes wurde das Internet mit billigen Spielen und noch billigeren Klonen überschwemmt. Erst zum Download, dann als Flash-Spielchen im Browser. Die alten Werbespielentwickler aus den 90ern haben sich entweder ganz auf kommerzielle Spiele konzentriert oder sind ins Webdesign und Webhosting gewechselt.

Nach dem Erfolg des Moorhuhns wurde das Internet mit billigsten Werbespielen geflutet und das Genre verlor schlagartig seinen früheren Charme.

Zum Abschluss

Damit kommen wir zum Ende dieses Specials. Für mich persönlich sind die Werbespiele der 90er Jahre kult und untrennbar mit der deutschen Spielebranche verbunden. Zwar gab es auch zahlreiche Werbespiele aus anderen Ländern – etwa Frankreich, Skandinavien oder natürlich den USA (dort wurden Spiele jedoch zum Vollpreis verkauft) – aber mit den deutschen Produktionen verbinde ich die nostalgischsten Gefühle. Nicht nur, weil ich viele Spiele damals selbst gespielt habe, sondern auch die Werbejingles, die Maskottchen mit den viele damalige Firmen geworben haben, schreien laut 90er Jahre. Und der etwas schrullige Humor, mit denen diese Spiele häufig umgesetzt wurden, gibt diesen Titeln zudem einiges an Charme. Aber das Wichtigste: Häufig waren das auch kompetente Spiele von häufig erfahrenen Entwicklern. Und auch deswegen haben damals manche Spiele eine enorme Verbreitung gefunden.

Wie war es bei euch? Habt ihr in den 90ern Werbespiele gespielt? Und wenn ja, welche sind euch besonders in Erinnerung geblieben?

Durfte auf keinem Schulcomputer fehlen: Das Gesetzgebungsspiel von Glamus und das Verkehrsspiel Dig Dogs. Irgendwie habe ich selbst für diese Spiele einige nostalgische Erinnerungen.
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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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14 Comments on “Zeitreise: Werbespiele der 90er Jahre”

    1. Tatsächlich würde ich das ja gerne mal spielen. Aber Amiga-Emulation und ich stehen ein wenig auf Kriegsfuß. Mir konnte bis heute noch niemand ohne Fachchinesisch erklären, wie ich nen Amiga Emulator so konfiguriere, dass ich bspw. ne virtuelle Festplatte anlege und dann da Spiele drauf kopieren / installieren kann, u.ä.

  1. Vielen Dank für diese „kleine“ Übersicht. Diese (nahezu) ausgestorbene Art einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. „Victor Loomes“ war nicht mur mein erstes Werbespiel, sondern auch eines der ersten Adventures überhaupt. Und mittlerweile bin ich so alt, dass ich mich nur noch an die schicke Optik, aber nicht mehr an die Rätsel erinnern kann. 😉

  2. @Nischenliebhaber (sorry, sollte eigentlich ein Antwortpost auf deinen Kommentar werden, das hab ich aber irgendwie verbockt… grrrr.. 🙂

    Der WinUA ist eigentlich ganz einfach zu bedienen wenn man sich vorher ein Erklärvideo ansieht. 😀 Aber pssssst, das Game ist so kurz, schau dir doch einfach das LP an, man hat das Game auch ohne Lösung in maximal einer halben Stunde durch. 😉

  3. Das ist wirklich ein sehr liebevoll geschilderter und sorgsam recherchierter Rückblick auf eine bedeutsame Zeit. Natürlich konnte dabei nicht alles abgedeckt werden, aber es wurde dennoch sehr schön die Entwicklung aufgezeigt und die ganz wesentlichen Titel benannt. Super! 🙂 Die besten Werbeadventures bleiben für mich einfach „BiFi-Roll: Action in Hollywood“ sowie die ersten beiden Teile von „Dunkle Schatten“.

    Trotzdem hätte ich mich noch über die Erwähnung von Titeln wie „Leas Reise durch die Zeit“, „Knorrli – Abenteuer Atlantis“, „Courage!“ und natürlich „Hariboy’s Quest“ gefreut. Letzteres war immerhin ein sehr umfangreiches, hochwertig produziertes und zudem kommerziell vertriebenes Werbeadventure, das tatsächlich mit einem (bei meinem Exemplar eher alt und unappetitlich anmutenden) Haribo-Päckchen ausgeliefert wurde.

    „Der Name des Bruders“ ist ebenfalls ein ganz besonderes Spielerlebnis aus der Werbespiel-Branche, das zu Unrecht sehr unbekannt ist. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Adventure und Simulation, wunderbar düster gestaltet, und das Spielziel besteht darin, aus dem Untergrund heraus eine fiktive Diktatur zu stürzen. Pädagogisch äußerst wertvoll! (Was übrigens auch auf das Science-Fiction-Comicadventure „Courage!“ zutrifft.

    Auch „Die goldene Mähne des Samson“ wurde nicht genannt – ein durchaus „denkwürdiges“ 1st-person-Adventure im Indiana-Jones-Stil, wenngleich es mir persönlich zu anstrengend gewesen ist.

    Natürlich sind im Zuge des Trends auch ein paar äußerst saure Gurken entstanden. Unter den Werbeadventures sind besonders „Das Telekommando“, „Enrica Corsarella“, „Rail on“, „Auf der Suche nach Dr. Gara“ oder auch „Dunkle Schatten 3: Tod in der Südkurve“ mit Vorsicht zu genießen. 😀

    Wie dem auch sei: Gute Arbeit! 🙂

    Edit: Leider werden meine Leerzeilen regelmäßig ignoriert und entfernt, egal wie oft ich den Kommentar editiere. 🙁

    1. Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Da es dein erster war, musste ich ihn noch freigeben. Vielleicht kam daher das Problem mit den Leerzeilen? Jedenfalls sieht er jetzt sehr ordentlich formatiert aus. 🙂

    2. Schön Dich hier zu lesen. Hatten ja damals häufiger mal Kontakt, als ich das Werbespiel Archiv aufgebaut hatte. Das muss so die Zeit gewesen sein, als Du Deinen Blog zu First Person Adventures hattest? Daher kenn ich die aufgeführten Titel natürlich alle. 😉

      Mein Ziel war es jedoch, den Trend als solches mal zusammenzufassen und nicht nur Adventures in den Mittelpunkt zu stellen. Auch für Leute, die den Trend so gar nicht mitbekommen hatten. 😀

      1. Ach, DU bist das. 😀 Gut, dass du mich mal darauf aufmerksam gemacht hast. Im Nachhinein kommt mir der unter „Autoren“ angegebene Realname dann doch auch sehr bekannt vor. 🙂 Schön, dich hier wiederzusehen! Macht aber Sinn, dass der Artikel von dir stammt, da du ja nur wirklich ein ausgewiesener Experte bist, wenn es um Werbespiele geht.

        Und ja, ich weiß, dass sich der Artikel nicht ausnahmslos um Adventurespiele dreht. Das macht ihn ja auch noch interessanter. Ich persönlich kenne mich aber besser mit den Adventure-Titeln aus. Natürlich habe ich auch „Tony and Friends“ gespielt, wer kennt es nicht?

  4. Mal meinen Comment von Gamersglobal rüberretten:

    Meinen ersten eigenen PC bekam ich erst im Jahr 1995, als die Zeit der großen Abenteuerspiele eigentlich schon vorbei war. Trotzdem hat mich „Bifi2“ fasziniert, weil es zunächst echt gut aussah und dazu noch kostenlos war. Aber irgendwie hat die Qualität dann in der zweiten Hälfte des Spiels nachgelassen, da wurden man wohl von den Hollywood-Inside-Gags geblendet.

    Und dann war da noch „CaWaDo“, das auf unseren alten Schulrechnern sogar im Jahr 1998 noch das absolute Highlight war. Erst 1999 gab es wieder Geld für neue Computer. Ich hab „CaWaDo“ das erste Mal 1994 an einem Tag der offenen Tür gespielt und das Spiel war definitiv das Highlight damals :D. Es war ein ordentliches Adventure. Ich konnte es aber erst ein paar Jahre später durchspielen, weil ich erst ab 1999 überhaupt Zugang zum Computerraum hatte.

    Das Jump-and-Run-Spiel von Kellogg’s hab ich auf einer Shareware-CD entdeckt und war echt überrascht von der Qualität und dem Umfang des Spiels. Es war so gut gemacht, dass es sich nicht hinter den Jump-&-Run-Spielen auf Konsolen verstecken musste. Als ich dann später erfuhr, dass das von Factor 5 kam, wurde mir einiges klar.

    Und dann kam „Dunkle Schatten“. Ich bin irgendwie an „Dunkle Schatten 2“ gekommen, weiß aber nicht mehr wie genau. Das Spiel war echt gut gemacht, hatte gute Grafik und interessante Rätsel. Auch die Geschichte war echt gut gemacht. Ich hab dann auch „Dunkle Schatten 1“ nachgeholt, aber bis auf die Story war es nicht ganz so überzeugend. Aber das war auch nach Monkey Island 3 usw für mich.
    Ich hab mich total auf „Dunkle Schatten 3“ gefreut. Aber was für ’ne Enttäuschung! Ein mieser Abklatsch von „Gabriel Knight 2“, einfach viel zu spät erschienen. Insgesamt einfach ein richtig schlechtes Spiel!

  5. An Tony and Friends kann ich mich noch gut erinnern, das spiele ich heute noch manchmal … Da gab es noch ein PomBär-Werbespiel, das auch ganz gut gewesen ist. Eine meiner ersten Spieleerinnerungen ist ein Plattformer-Werbespiel der Handelskammer Austria (heute Wirtschaftskammer Österreich) gewesen. Darüber finde ich aber leider nichts mehr, vielleicht hast du mehr Glück.

    1. Das würde mich interessieren, das Spiel von der Handelskammer Austria. Leider waren hier in Deutschland Werbespiele aus Österreich nicht sooo verbreitet. :-/

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