Nischenliebhaber nimmt euch mit auf eine Zeitreise in die 90er Jahre, in der Werbespiele für Privatwirtschaft und Politik geworben haben. Wie kam es zu diesen Trend? Und welche Spiele gab es?
Wir befinden uns im Deutschland der frühen 90er Jahre: Die deutsche Entwicklerszene war in Aufruhr, als der 1984 gegründete Publisher Rainbow Arts in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Dort hatte sich in den 80er Jahren alles versammelt, was Rang und Namen hatte: von Chris Hülsbeck über Manfred Trenz bis Armin Gessert. Von Martin Gaksch über Thomas Hertzler bis zu Teut Weidemann. Klassiker, die bis heute für warme Nostalgie sorgen, wurden in Neuss entwickelt: Turrican, Mad TV, M.U.D.S., Logical, und natürlich die legendären Giana Sisters. Rainbow Arts gehörte zeitweise sogar zu den größten Publishern in Europa und war der kreative Schmelztiegel der deutschen Branche. Die finanziellen Probleme begannen, als sich die DOS-PCs gegenüber den Heimcomputern von Commodore immer stärker durchsetzten und die Konsolen von Nintendo und Sega relevanter wurden. Das Management versäumte es schlichtweg, sich auf das neue Marktumfeld einzustellen, und so verließen viele kluge Köpfe das Unternehmen, um eigene Firmen zu gründen.
Darüber hinaus gab es noch ein Problem: Spieleentwicklung war schon damals nicht billig. Büros mussten angemietet, Mitarbeiter bezahlt, die Spiele selbst produziert und in die Läden gebracht werden. Und während es heute europaweit gute Publisher aus dem Indie- und AA-Bereich gibt, war die europäische Branche damals selbst noch in der Findungsphase. Zwar gab es drüben auf der Insel bereits erfolgreiche Firmen wie Ocean oder Psygnosis, von einer europaweiten Vernetzung war die Branche jedoch weit entfernt. Das Geld musste also vor Ort in Deutschland aufgetrieben werden. Da kam das Konzept der Werbespiele gerade recht: Kunden wie Hersteller aus den Bereichen Essenserzeugung, Autos oder auch tabakhaltige Genussmittel übernahmen die Entwicklungs- sowie die Vertriebskosten eines Spiels. Sehr früh engagierten sich zudem Bundesministerien und Bundesämter im Markt. Erste Versuche derartige Titel zu produzieren, gab es bereits 1990. Das wohl erste deutsche Spiel in diesem Bereich war Sunny Shine on the Funny Side of Life. Es war ein Point & Click Adventure, hergestellt für den Zigarettenhersteller Philip Morris und wurde von Boris Schneider-Johne, damals kurzzeitig bei Rainbow Arts, geschrieben. Aus heutiger Sicht ein interessantes Experiment, um es diplomatisch auszudrücken. Große Verbreitung fand das Spiel nie.
Gleichzeitig gründete der damals erst 17-jährige Abiturient Thorsten Rauser die Agentur COMAD, die später in Rauser Advertainment umbenannt wurde. Mit einem wachsenden Netzwerk von externen Entwicklern und Firmen wurden Computerspiele für namhafte Werbekunden entwickelt. Das erste bekannte Spiel war sicherlich das Adventure Das Erbe aus dem Jahr 1991, das für das Umweltbundesamt entwickelt wurde. Ein heute eher krudes Adventure, in dem es darum ging ein heruntergekommes Haus umweltfreundlich zu sanieren. Es wurde damals als Freeware – also kostenlos – veröffentlicht und es war explizit gewünscht, dass die Spieler dieses Spiel auf Disketten kopieren und etwa auf dem Schulhof verbreiten. Diese Strategie ging auf und so verbreitete sich das Spiel in den folgenden Wochen.
In den nachfolgenden Monaten wurden weitere Firmen gegründet und es entstand in der ersten Hälfte der 90er Jahre eine immer größer werdende Welle von Werbespielen der unterschiedlichsten Genres. Kein Unternehmen, kein Bundesministerium, keine Partei und kein größerer Verband, der etwas auf sich hielt, kam ohne eigenes Computerspiel aus. Für die deutsche Spieleindustrie war das ein Glücksfall, denn so konnte Geld eingenommen werden, mit dem dann kommerzielle Spiele produziert wurden. Die Gewinnmargen wurden von den Spieleherstellern bewusst etwas höher angesetzt.
Dennoch war das Geschäftsmodell kein Selbstläufer. Der Preis für die Entwicklung dieser Spiele war häufig an die Verbreitung eines Spiels gekoppelt. Es nutzte den Firmen und Ministerien nichts, wenn sie ein paar hunderttausend D-Mark für die Entwicklung dieser Spiele investieren und am Ende würden diese von niemanden gespielt. Also mussten die Spiele ein Mindestmaß an Qualität besitzen, sonst würden die Spieler diese Spiele nicht kopieren und verbreiten. Um die Verbreitung zu messen, gab es in vielen Werbespielen ein Gewinnspiel. Am Ende eines Spiels gab es ein Lösungswort und wenn man eine Karte an den Werbetreibenden abschickte, gab es die Chance auf teils recht wertvolle Sachpreise. Auf diese Art konnten die Werbekunden den Erfolg eines Spiels zumindest grob messen.
Persönliche Erinnerungen an diese Zeit
Als der PC 1994 in unserem Haushalt Einzug hielt, war die erste Werbespiel-Welle auf dem Höhepunkt. Ich erinnere mich, dass ich damals viele dieser Spiele sehr gerne gespielt hatte. Diese waren zum Teil auf Shareware- und Freeware-CDs zu finden, später gab es auch immer mal wieder Spiele auf den Heft-CDs der Spielezeitschriften. So richtig beliebt waren diese Spiele in den Redaktionen der Zeitschriften jedoch nie. Zwar gab es viele Leseranfragen an PC Player, PC Games, Power Play & Co., diese Titel zu besprechen, doch kamen diese Besprechungen oft nicht über das Mittelmaß hinaus. „Zu langweilig“ war ein häufiges Fazit.
Uns Kinder hat das nicht gestört! Da diese Spiele meistens kostenlos waren (nur die Titel mit höherem Produktionsbudget kosteten zwischen 10 bis 20 DM), spielten wir sie einfach. Damals waren ich und die anderen Kids in meiner Umgebung mit wenig zufrieden und begeisterungsfähig. Und so ging es wohl vielen, denn nicht umsonst erreichten einige Spiele eine für die damalige Zeit enorme Verbreitung.
Auf den folgenden Seiten möchte ich euch einige dieser Spiele und die Firmen dahinter vorstellen. Spiele, die ich selbst in meiner Kindheit gespielt habe und Spiele, die ich erst in der retrospektiven Beschäftigung mit dem Thema entdeckt habe. Natürlich kann ich auch in diesem Artikel wieder nur die Eisbergspitze ankratzen – immerhin gab es damals hunderte Werbespiele! Dennoch wünsche ich euch viel Spaß bei dieser Reise in eine Zeit, als wir uns Werbung noch freiwillig angetan haben.
Mein erstes Werbespiel war tatsächlich auch „Das Erbe“ am guten alten Amiga 500 und das fand ich recht ok, besser war aber der offizielle Nachfolger „Das schmutzige Erbe“ mit einer schmissigen Intro-Musik von Rudi Stember! 😉 (https://youtu.be/GtXF_rhptXQ?si=wGE7YjUhQNip93tS)
Tatsächlich würde ich das ja gerne mal spielen. Aber Amiga-Emulation und ich stehen ein wenig auf Kriegsfuß. Mir konnte bis heute noch niemand ohne Fachchinesisch erklären, wie ich nen Amiga Emulator so konfiguriere, dass ich bspw. ne virtuelle Festplatte anlege und dann da Spiele drauf kopieren / installieren kann, u.ä.
Vielen Dank für diese „kleine“ Übersicht. Diese (nahezu) ausgestorbene Art einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen. „Victor Loomes“ war nicht mur mein erstes Werbespiel, sondern auch eines der ersten Adventures überhaupt. Und mittlerweile bin ich so alt, dass ich mich nur noch an die schicke Optik, aber nicht mehr an die Rätsel erinnern kann. 😉
Vielen Dank für Deinen Kommentar, Anke. Ja, das mit dem Alter kenne ich. 🙂
@Nischenliebhaber (sorry, sollte eigentlich ein Antwortpost auf deinen Kommentar werden, das hab ich aber irgendwie verbockt… grrrr.. 🙂
Der WinUA ist eigentlich ganz einfach zu bedienen wenn man sich vorher ein Erklärvideo ansieht. 😀 Aber pssssst, das Game ist so kurz, schau dir doch einfach das LP an, man hat das Game auch ohne Lösung in maximal einer halben Stunde durch. 😉
Das ist wirklich ein sehr liebevoll geschilderter und sorgsam recherchierter Rückblick auf eine bedeutsame Zeit. Natürlich konnte dabei nicht alles abgedeckt werden, aber es wurde dennoch sehr schön die Entwicklung aufgezeigt und die ganz wesentlichen Titel benannt. Super! 🙂 Die besten Werbeadventures bleiben für mich einfach „BiFi-Roll: Action in Hollywood“ sowie die ersten beiden Teile von „Dunkle Schatten“.
Trotzdem hätte ich mich noch über die Erwähnung von Titeln wie „Leas Reise durch die Zeit“, „Knorrli – Abenteuer Atlantis“, „Courage!“ und natürlich „Hariboy’s Quest“ gefreut. Letzteres war immerhin ein sehr umfangreiches, hochwertig produziertes und zudem kommerziell vertriebenes Werbeadventure, das tatsächlich mit einem (bei meinem Exemplar eher alt und unappetitlich anmutenden) Haribo-Päckchen ausgeliefert wurde.
„Der Name des Bruders“ ist ebenfalls ein ganz besonderes Spielerlebnis aus der Werbespiel-Branche, das zu Unrecht sehr unbekannt ist. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Adventure und Simulation, wunderbar düster gestaltet, und das Spielziel besteht darin, aus dem Untergrund heraus eine fiktive Diktatur zu stürzen. Pädagogisch äußerst wertvoll! (Was übrigens auch auf das Science-Fiction-Comicadventure „Courage!“ zutrifft.
Auch „Die goldene Mähne des Samson“ wurde nicht genannt – ein durchaus „denkwürdiges“ 1st-person-Adventure im Indiana-Jones-Stil, wenngleich es mir persönlich zu anstrengend gewesen ist.
Natürlich sind im Zuge des Trends auch ein paar äußerst saure Gurken entstanden. Unter den Werbeadventures sind besonders „Das Telekommando“, „Enrica Corsarella“, „Rail on“, „Auf der Suche nach Dr. Gara“ oder auch „Dunkle Schatten 3: Tod in der Südkurve“ mit Vorsicht zu genießen. 😀
Wie dem auch sei: Gute Arbeit! 🙂
Edit: Leider werden meine Leerzeilen regelmäßig ignoriert und entfernt, egal wie oft ich den Kommentar editiere. 🙁
Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Da es dein erster war, musste ich ihn noch freigeben. Vielleicht kam daher das Problem mit den Leerzeilen? Jedenfalls sieht er jetzt sehr ordentlich formatiert aus. 🙂
Jetzt sieht es auf jeden Fall gut aus, danke! 🙂
Schön Dich hier zu lesen. Hatten ja damals häufiger mal Kontakt, als ich das Werbespiel Archiv aufgebaut hatte. Das muss so die Zeit gewesen sein, als Du Deinen Blog zu First Person Adventures hattest? Daher kenn ich die aufgeführten Titel natürlich alle. 😉
Mein Ziel war es jedoch, den Trend als solches mal zusammenzufassen und nicht nur Adventures in den Mittelpunkt zu stellen. Auch für Leute, die den Trend so gar nicht mitbekommen hatten. 😀
Ach, DU bist das. 😀 Gut, dass du mich mal darauf aufmerksam gemacht hast. Im Nachhinein kommt mir der unter „Autoren“ angegebene Realname dann doch auch sehr bekannt vor. 🙂 Schön, dich hier wiederzusehen! Macht aber Sinn, dass der Artikel von dir stammt, da du ja nur wirklich ein ausgewiesener Experte bist, wenn es um Werbespiele geht.
Und ja, ich weiß, dass sich der Artikel nicht ausnahmslos um Adventurespiele dreht. Das macht ihn ja auch noch interessanter. Ich persönlich kenne mich aber besser mit den Adventure-Titeln aus. Natürlich habe ich auch „Tony and Friends“ gespielt, wer kennt es nicht?
Mal meinen Comment von Gamersglobal rüberretten:
Meinen ersten eigenen PC bekam ich erst im Jahr 1995, als die Zeit der großen Abenteuerspiele eigentlich schon vorbei war. Trotzdem hat mich „Bifi2“ fasziniert, weil es zunächst echt gut aussah und dazu noch kostenlos war. Aber irgendwie hat die Qualität dann in der zweiten Hälfte des Spiels nachgelassen, da wurden man wohl von den Hollywood-Inside-Gags geblendet.
Und dann war da noch „CaWaDo“, das auf unseren alten Schulrechnern sogar im Jahr 1998 noch das absolute Highlight war. Erst 1999 gab es wieder Geld für neue Computer. Ich hab „CaWaDo“ das erste Mal 1994 an einem Tag der offenen Tür gespielt und das Spiel war definitiv das Highlight damals :D. Es war ein ordentliches Adventure. Ich konnte es aber erst ein paar Jahre später durchspielen, weil ich erst ab 1999 überhaupt Zugang zum Computerraum hatte.
Das Jump-and-Run-Spiel von Kellogg’s hab ich auf einer Shareware-CD entdeckt und war echt überrascht von der Qualität und dem Umfang des Spiels. Es war so gut gemacht, dass es sich nicht hinter den Jump-&-Run-Spielen auf Konsolen verstecken musste. Als ich dann später erfuhr, dass das von Factor 5 kam, wurde mir einiges klar.
Und dann kam „Dunkle Schatten“. Ich bin irgendwie an „Dunkle Schatten 2“ gekommen, weiß aber nicht mehr wie genau. Das Spiel war echt gut gemacht, hatte gute Grafik und interessante Rätsel. Auch die Geschichte war echt gut gemacht. Ich hab dann auch „Dunkle Schatten 1“ nachgeholt, aber bis auf die Story war es nicht ganz so überzeugend. Aber das war auch nach Monkey Island 3 usw für mich.
Ich hab mich total auf „Dunkle Schatten 3“ gefreut. Aber was für ’ne Enttäuschung! Ein mieser Abklatsch von „Gabriel Knight 2“, einfach viel zu spät erschienen. Insgesamt einfach ein richtig schlechtes Spiel!