Blade Runner
In der Zwischenzeit, 450 km weiter nordöstlich, in Las Vegas, Nevada. Westwood hat mit Command & Conquer seinen größten Hit gelandet und arbeitet verständlicherweise an Ablegern und Fortsetzungen. Doch 1997 kehren sie noch einmal zum Adventure-Genre zurück und veröffentlichten einen ganz besonderen Vertreter mit einer bewegten Hintergrund-Geschichte: Blade Runner.

Die Wurzeln liegen im 1968er Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? von Philip K. Dick, der 1982 von Ridley Scott unter dem Namen Blade Runner verfilmt wurde. Darin übernahm Harrison Ford die Hauptrolle des „Replikanten-Jägers“ (= Blade Runner) Rick Deckard. Sowohl Buch als auch Film drehen sich um die Frage, was „echte“ Menschen von „replizierten“ Menschen (Androiden) unterscheidet. Und so viel sei bereits verraten: Auch das Spiel wirft diese Frage auf. Doch wie kam es überhaupt zu dieser Versoftung?
Eine Videospiel-Umsetzung zu einem der beliebtesten und einflussreichsten Science-Fiction-Filme aller Zeiten liegt zwar nahe, wurde aber durch die äußerst komplizierte Rechte-Lage erschwert. (Dies führte übrigens auch dazu, dass sich das oben erwähnte Studio Trilobyte von der Idee verabschiedete, die Lizenz für eine Umsetzung zu erwerben.) Ein Teil dieser Rechte lag bei der Produktionsfirma The Blade Runner Partnership, die nach einigen Gesprächen mit großen Studios schließlich bei Westwood landete. Blade Runner war der Lieblingsfilm von Westwood-Mitgründer Louis Castle, der die entscheidende Idee hatte, um diesen Auftrag an Land zu ziehen und dabei auch manche Lizenzhürde aus dem Weg zu räumen: Anstatt die Handlung des Films nachzuerzählen, schlug er vor, eine parallel stattfindende Geschichte eines anderen Blade Runners zu erzählen, die die Erlebnisse von Rick Deckard nur am Rande streifen sollte.

Westwood erstellte eine kurze Demo und Castle stellte sie den Verantwortlichen vor. Dabei erklärte er seine Idee, dass der Spieler sich nie sicher sein soll, ob er möglicherweise nicht selbst auch ein Replikant ist. Dennoch sollte das Spiel ihm immer das Gefühl vermitteln, dass er sich an den Stellen, die den Ausgang der Geschichte beeinflussen, richtig entschieden hat. Für die Demo hatte Westwood die Anfangssequenz des Films in Rendergrafik nachgestellt und blieb diesem Look auch im fertigen Spiel treu.
Castle sammelte ein großes Team um sich, darunter auch alte Bekannte, die schon an den Kyrandia-Adventures gewerkelt hatten, wie Aaron E. Powell, der zum Lead Artist ernannt wurde, sowie die Musik- und Soundexperten Frank Klepacki und Paul S. Mudra. Aber auch Spezialisten wie der Designer Syd Mead, der auch schon an der Filmvorlage gearbeitet hatte, waren an dem Projekt beteiligt. Sie fragten auch bei Harrison Ford an, ob dieser sein Antlitz für ein digitales Ebenbild zur Verfügung stellen würde. Er lehnte unter anderem aus dem Grund ab, dass er digitale Charaktere als Bedrohung für das Schauspiel-Geschäft ansah. Andere Darsteller aus dem Film sagten hingegen zu und erhielten kleinere Auftritte im Spiel. Darüber hinaus wurden etliche Schauspieler für Motion-Capturing-Aufnahmen angeheuert.
Das Ziel von Westwood war es, Blade Runner so cineastisch wie möglich zu gestalten. Die vorgerenderten Hintergründe trugen dazu bei, die Darstellung der Charaktere war aber zunächst ein Problem. Sie experimentierten mit 3D-Polygonen, konnten aber zu der Zeit nicht das qualitativ hohe Ergebnis erzielen, dass sie sich dabei vorgestellt hatten. Daher griffen sie auf die Voxel-Technologie zurück und gaben sich besonders bei den Hauptcharakteren viel Mühe bei der Gestaltung. Laut Castle blieb allerdings nicht genug Zeit für die restlichen Figuren, so dass er von den klotzigen Modelle der Nebencharaktere eher enttäuscht war. Ein weiterer Grund für die Reduzierung der Qualität war der enorme Speicherplatzverbrauch. Westwood komprimierte alle Daten soweit runter, dass das Spiel auf 4 CD-ROMs ausgeliefert werden konnte, dabei aber noch für damalige Verhältnisse gigantische 1,4 GB Festplattenplatz belegte. Darin enthalten war (selbstverständlich) auch eine professionelle englische Vertonung, teils mit den Originalstimmen aus dem Film. Eine vollständig lokalisierte deutsche Fassung wurde ebenfalls erstellt.

Das eigentliche Prunkstück ist aber nicht unbedingt die Präsentation des Spiels, sondern die Logik, mit der es funktioniert. Ein Zufallsgenerator entscheidet, wer in der Geschichte ein Replikant und wer ein Mensch ist. Ihr könnt euch in der Rolle von Ray McCoy also, wie von Castle versprochen, wirklich nie sicher sein, ob ihr nicht auch selbst eine Mensch-Maschine seid und wer von den anderen handelnden Personen eine ist. Der Fokus liegt auf Detektivarbeit, Befragungen und Entscheidungen, die ihr treffen müsst. Dies führt zu einem von zwölf Enden, die eine große Bandbreite abdecken und euch das Gefühl geben sollen, dass ihr wirklich etwas bewirkt habt. Trotz der eingestreuten Action-Sequenzen, in denen ihr eure Schusswaffe verwenden dürft, handelt es ich um ein klassisches Point-and-Click-Adventure, das jedoch auf ein Inventar verzichtet. Stattdessen sammelt ein digitaler Assistent für euch Dinge wie Notizen, Fotos oder Gesprächsmitschnitte, um euch bei euren Ermittlungen zu unterstützen.
Als Blade Runner Ende 1997 veröffentlicht wurde, war das Adventure-Genre längst nicht mehr das, was es einmal war. Viele Stimmen hatten es schon für tot erklärt, nichtsdestotrotz konnte das letzte Westwood-Adventure über eine Million verkaufte Exemplare verzeichnen. Eine stattliche Zahl, auch wenn der Gewinn durch die hohen Produktionskosten nicht übermäßig hoch war. Dieser Umstand verhinderte auch eine mögliche Fortsetzung, die im Raum stand und verworfen wurde.
Die deutschen Magazine testeten Blade Runner in den Januar-Ausgaben des Jahres 1998 und vergaben Wertungen im Bereich zwischen 80 und 92 %. Gelobt wurden vor allem die „stimmungsvolle Präsentation“, die „dichte Atmosphäre“ und das „brillante Spielsystem“. Wahrlich ein beeindruckender Schlussakkord für das abwechslungsreiche Konzert der Westwood-Adventures.

Toonstruck und Blade Runner habe ich beide geliebt. Die Filmumsetzung hat es tatsächlich geschafft, die Atmosphäre von der Leinwand auf den Monitor zu transportieren. Nur hat mein damaliger Rechner bei einigen Lichteffekten Atemprobleme bekommen und ich hätte mir locker jedes einzelne Bild abmalen können, wenn diese „Lichtschwerter“ von hinten in den Raum eindrangen.
Kyrandia 3 habe ich zwar bei GoG in der Sammlung, aber mehr als das Intro und die ersten paar Räume habe ich noch nie gesehen. Mir hat sich das Konzept einfach nicht erschlossen.
Danke für diesen ausführlichen Artikel samt Nebenstraßen. Von hier aus kannst Du jetzt hervorragend die einzelnen C&C-Teile würdigen.
Das überlasse ich jemandem, der sich damit auskennt.
C&C strunzdumme Sammler..
„Ihr Sammler wird angegriffen.“ Dann fahr halt nicht in die gegnerische Basis.
Was hab ich bei den Spielen vor mich hingeflucht..
Aber ich liebe sie trotzdem
Bei Teil 1 und Alarmstufe Rot war ich noch voll mit dabei, danach hat mich die Serie (und das Genre) mehr oder weniger verloren.
Tststs, C&C Tiberian Sun wurde von den Fans nicht gescholten, das waren die gehypten Casuals! Das Spiel ist immer noch gut, auch wenn das Gameplay von Alarmstufe Rot 2 einfach nochmal runder funktioniert.
Und Generals, das ja nur dem Namen nach Command & Conquer ist ja nicht das letzte RTS von den Leuten von EA Pacific, die haben ja danach noch Schlacht um Mittelerde gemacht.
Für Blade Runner gibts einiges bei ScummVM zu lesen, kann leider den ursprünglichen Text nicht mehr finden, der sehr detailiert war. Aber hier bekommt man das wichtigste:
https://forums.scummvm.org/viewtopic.php?p=94442#p94442
https://www.vice.com/en/article/dedicated-fans-spent-8-years-making-the-1997-blade-runner-game-run-on-a-modern-pc/
Angeblich soll es noch eine erweiterte Mod für Blade Runner neben der ScummVM Restored Content Fassung geben, an der aktuell aktiv gearbeitet wird. Falls die kommt, wirds echt nochmal echt spannend um das Spiel.
Rick Parks verstarb ja leider während der Entwicklung von Lands of Lore 2 (Throne of Chaos kam ja zur gleichen Zeit wie Kyrandia 2 , das war also kein Hinderungsgrund für ihn, an Kyrandia 3 mitzuarbeiten. Er bekam noch ein verstecktes Tributsvideo in LOL2: https://www.youtube.com/watch?v=AdEOiwN2P-E
Auf deinen Kommentar habe ich sehnsüchtig gewartet! 🙂
EA Pacific wurde ja noch ein paar Mal umbenannt. 2003 wurde EA Pacific dicht gemacht, 2004 kam Schlacht um Mittelerde unter dem Label „EA Los Angeles“. Ich wollte aber keine EA-History machen. 😉
Die Links zu den ScummVM-Infos finde ich sehr interessant und schaue ich mir noch genauer an.
Das Video für Rick Parks war wirklich rührend. Und ich hätte es so ausdrücken können, dass Parks noch einen kleinen Anteil an Kyrandia 3 hatte, laut Credits arbeitete er an der „Introduction Art“. Leider war er nicht mehr Lead Artist wie in den ersten beiden Teilen.
Danke für deine Ergänzungen! 🙂
War denn wenigstens etwas Neues für dich dabei?
Wusste nicht, das Burst zu Westwood Pacific wurde. Und die allgemeinen Toonstruck Kyrandia Verbindungen
Dann hat’s sich ja schon gelohnt.