Toonstruck
Nach diesem kleinen Exkurs widmen wir uns einem ganz besonderen Projekt, das auch heute noch einen Platz in den Herzen vieler Adventurespieler hat. Aus dem oben erwähnten Trouble in Toonland wurde, ihr habt es längst erraten, das Comic-Adventure Toonstruck.

Im neu gegründeten Studio waren zwei Veteranen verantwortlich: Neil Young, der zu dem Zeitpunkt bereits an über 60 Spielen (meist als Produzent) mitgewirkt hatte und Chris Yates, der zuvor für Westwood an Spielen wie Kyrandia beteiligt war. Ihre Aufgabe: ein eindrucksvolles, filmreifes Spielerlebnis erschaffen – koste es, was wolle. Also gingen die beiden auf Einkaufstour. Zunächst wurde das seit den 1970ern etablierte Animationsstudio Nelvana verpflichtet, dann kamen hochkarätige Synchronsprecher dazu. Tim Curry (u. a. bekannt als „Pennywise“ aus „Stephen Kings Es“), Dan Castellaneta (u. a. bekannt als „Homer Simpson“ aus „Die Simpsons“), Dom DeLuise (u.a . bekannt als „Victor Prinzum“ aus „Auf dem Highway ist die Hölle los“), um nur einige von ihnen zu nennen. Und natürlich brauchte das Projekt einen Hauptdarsteller. Die ursprüngliche Idee, hierfür einen Jungen zu besetzen, wurde verworfen. Stattdessen konnten die beiden den bekannten Schauspieler Christopher Lloyd (u. a. bekannt als „Dr. Emmet Brown“ aus „Zurück in die Zukunft“) unter Vertrag nehmen.
Lead Designer von Toonstruck wurde Richard Hare, der hier sein erstes großes Projekt stemmen durfte und zusammen mit Jennifer McWilliams die Geschichte ausarbeitete. Richards Bruder Douglas Hare und der erfahrenen Entwickler Gary Priest bekleideten die Positionen als Lead Programmer. Art Director wurde William D. Skirvin, der zuvor Grafiken für Sierra-Adventures erstellen durfte. Der Musiker Keith Arem wurde zum Audio Director ernannt. Und das war gerade einmal die Spitze des Eisbergs. Insgesamt, inklusive aller Sprecher und aller beteiligten Fremdfirmen, waren über 350 Mitarbeiter an diesem Mammutwerk beschäftigt, das die Ansprüche einer großen Filmproduktion hatte.

In Toonstruck spielt ihr den Cartoonzeichner Drew Blank (im Deutschen „Mal Block“), der von Christopher Lloyd dargestellt wird. Sein Boss drängt ihn dazu, neue Charaktere für seine laufende Zeichentrickserie zu erschaffen und dafür Überstunden zu machen. Drew ist davon gar nicht begeistert und hat darüber hinaus auch überhaupt keine passenden Ideen. Irgendwann schläft er völlig übermüdet ein. Als er mitten in der Nacht wieder aufwacht und sieht, dass sein Fernseher läuft, wird er beim Versuch, ihn abzuschalten, in den laufenden Cartoon gesogen. Nach diesem etwa fünfminütigen Intro in der realen Welt folgt eine Fünf-Minuten-Sequenz in der Cartoonwelt Cutopia („Niedlingen“), die von seinen eigenen Kreationen und weiteren Zeichentrickfiguren bevölkert wird. Der Regent des Landes, ein laufendes Smiley namens King Hugh („König Nick“), bittet Drew, dem bösen Count Nefarious („Graf Widerlus“) das Handwerk zu legen. Dieser versuche offenbar, das Land von niedlich auf widerlich umzukrempeln. Doch ihr müsst nicht alleine gegen das Böse antreten. Ihr werdet von Flux Wildly („Flux W. Wild“, im Original gesprochen von Tim Curry), einer von ihm erschaffenen lilafarbenen Comicfigur, als Sidekick begleitet.
Dies ist nur der Anfang des Abenteuers, gibt aber einen guten Ausblick, was für eine Art Geschichte euch hier erwartet. Die zunächst niedliche Cartoonwelt wird nach und nach immer verrückter, ihr dürft euch beispielsweise über Domina-Kühe, Killer-Clowns oder Ballerina-Bulldoggen freuen. Wie ihr schon an der Inhaltsbeschreibung erkennen könnt, wurde auch viel Aufwand in die deutsche Version gesteckt. Nicht nur die Namen wurden übersetzt, auch die Rätsel, die auf englischen Wortspielen basieren, versuchte man adäquat ins Deutsche zu übertragen. Passend zur hochkarätigen Originalbesetzung legte man auch wert auf eine hochwertige deutsche Lokalisation. Christopher Lloyds Rolle wurde von von Schauspieler und Sprecher Hellmuth Krauss synchronisiert, den ihr vielleicht noch als „Nachbar Paschulke“ aus Löwenzahn kennt, sein Sidekick von Robert Missler, der in unzähligen Spielen, Filmen und Serien zu hören war (z. B. als „Danny Heffernan“ in „King of Queens“). Und es werden euch beim Spielen ganz sicher auch viele anderen Stimmen bekannt vorkommen.

Mit den Zeichnungen aus dem Hause Nelvana war das Comic-Adventure, wie erwartet, zum Erscheinungszeitpunkt grafisch äußerst beeindruckend. Drew Blank fügt sich sehr gut in die süß gezeichneten Hintergründe ein und auch die vielen Animationen wissen zu überzeugen. Die Rätsel sind teils recht leicht, teils erfordern sie aber auch intensives Um-die-Ecke-Denken. Spielerisch erwartet euch ein klassisches Point-and-Click-Adventure mit einem kontextsensitiven Mauszeiger. Da verwundert es wenig, dass unter der Haube eine Weiterentwicklung der Kyrandia-Engine steckt, die ja ebenfalls auf eine kontextsensitive Steuerung gesetzt hat.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass zunächst eine eigenproduzierte Engine im Einsatz war, die mitten in der Entwicklung verworfen wurde, um auf die erwähnte Engine von den Westwood-Kollegen aus Las Vegas zu wechseln. Nur ein verschwindend kleiner Teil des ursprünglichen Codes konnte wiederverwendet werden, der Rest wurde neu geschrieben. „Belohnt“ wurde dies mit einer Verzögerung von anderthalb Jahren, in denen die neu programmierten Zeilen debuggt werden mussten – am Ende war Toonstruck drei Jahre in der Entwicklung. Und dies war nur eine der vielen fragwürdigen Entscheidungen, die offenbar das „unbegrenzte“ Budget (am Ende wurden es über 8 Millionen US-Dollar) und das vernachlässigte Projektmanagement mit sich brachten. So ließ Burst beispielsweise Unmengen an Animationen und Filmsequenzen produzieren sowie etliche Sprachaufnahmen durchführen, von denen schlussendlich nur ein Teil den Weg ins Spiel fanden. Überhaupt sprudelten die Ideen aus den kreativen Köpfen nur so heraus, was dazu führte, dass der geplante Umfang des Adventures unverhältnismäßig anwuchs. Ab einem gewissen Zeitpunkt sahen die Verantwortlichen sich gezwungen, das Spiel in zwei Hälften zu teilen. Dazu wurde eigens eine neue Endsequenz mit einem Cliffhanger produziert, der den Abschluss des ersten Teils bilden und auf die kommende Fortsetzung vorbereiten sollte.

So kam Toonstruck 1996 auf zwei CD-ROMs, gefüllt mit 90 Minuten Filmsequenzen und einigen Stunden Spielspaß, auf den Markt. Die deutsche Presse war begeistert. Von der Power Play gab es satte 90 Prozent und auch die anderen deutschen Magazine werteten im mittleren bis hohen 80er-Bereich. Die Verkaufszahlen hingegen waren mehr als ernüchternd. In den ersten Monaten wurden gerade einmal 150.000 Exemplare verkauft, was im Hinblick auf die Produktionskosten viel zu wenig war. Richard Hare hatte dafür im Interview mit der Adventurecorner gleich mehrere Erklärungen:
- In der westlichen Kultur denkt man gewöhnlich, dass Cartoons für Kinder seien. Ich glaube es kam zu einer großen Verwirrung der Konsumenten hinsichtlich Toonstruck. Es konnte zu leicht mit einem Spiel für Kinder oder einem Lernspiel verwechselt werden.
- Das Spiel wurde nicht mit einer wirksamen, zeitgemäßen Marketing-Kampagne unterstützt. Es gab nur sehr wenig Werbung und keine davon erfasste wirklich das Wesen des Spiels.
- Die Adventurespiel-Verkäufe gingen bereits zurück.
- Das Verpackungsdesign war wirklich furchtbar – besonders in Europa.
Was er mit dem „furchtbaren Verpackungsdesign“ meinte, könnt ihr euch hier ansehen:

(Quelle: mobygames)

(Quelle: mobygames)

(Quelle: mobygames)
Wenig verwunderlich also, dass Virgin die geplante Fortsetzung verwarf, um zumindest die Verluste nicht noch weiter in die Höhe zu treiben. Es sollte das erste und letzte Adventure für die Burst Studios bleiben, die in den folgenden Jahren zunächst zu Westwood Pacific und später zu EA Pacific wurden.
Im Jahr 2010 hatte Audio Director Keith Arem den Wunsch geäußert, eine Remastered-Version von Toonstruck inklusive den Inhalten, die für den zweiten Teil geplant waren, zu erstellen. Auf der Webseite Toonstruck2.com könnt ihr euch einen Eindruck davon verschaffen. Ob es jemals zur Umsetzung kommt, ist jedoch fraglich.

Toonstruck und Blade Runner habe ich beide geliebt. Die Filmumsetzung hat es tatsächlich geschafft, die Atmosphäre von der Leinwand auf den Monitor zu transportieren. Nur hat mein damaliger Rechner bei einigen Lichteffekten Atemprobleme bekommen und ich hätte mir locker jedes einzelne Bild abmalen können, wenn diese „Lichtschwerter“ von hinten in den Raum eindrangen.
Kyrandia 3 habe ich zwar bei GoG in der Sammlung, aber mehr als das Intro und die ersten paar Räume habe ich noch nie gesehen. Mir hat sich das Konzept einfach nicht erschlossen.
Danke für diesen ausführlichen Artikel samt Nebenstraßen. Von hier aus kannst Du jetzt hervorragend die einzelnen C&C-Teile würdigen.
Das überlasse ich jemandem, der sich damit auskennt.
C&C strunzdumme Sammler..
„Ihr Sammler wird angegriffen.“ Dann fahr halt nicht in die gegnerische Basis.
Was hab ich bei den Spielen vor mich hingeflucht..
Aber ich liebe sie trotzdem
Bei Teil 1 und Alarmstufe Rot war ich noch voll mit dabei, danach hat mich die Serie (und das Genre) mehr oder weniger verloren.
Tststs, C&C Tiberian Sun wurde von den Fans nicht gescholten, das waren die gehypten Casuals! Das Spiel ist immer noch gut, auch wenn das Gameplay von Alarmstufe Rot 2 einfach nochmal runder funktioniert.
Und Generals, das ja nur dem Namen nach Command & Conquer ist ja nicht das letzte RTS von den Leuten von EA Pacific, die haben ja danach noch Schlacht um Mittelerde gemacht.
Für Blade Runner gibts einiges bei ScummVM zu lesen, kann leider den ursprünglichen Text nicht mehr finden, der sehr detailiert war. Aber hier bekommt man das wichtigste:
https://forums.scummvm.org/viewtopic.php?p=94442#p94442
https://www.vice.com/en/article/dedicated-fans-spent-8-years-making-the-1997-blade-runner-game-run-on-a-modern-pc/
Angeblich soll es noch eine erweiterte Mod für Blade Runner neben der ScummVM Restored Content Fassung geben, an der aktuell aktiv gearbeitet wird. Falls die kommt, wirds echt nochmal echt spannend um das Spiel.
Rick Parks verstarb ja leider während der Entwicklung von Lands of Lore 2 (Throne of Chaos kam ja zur gleichen Zeit wie Kyrandia 2 , das war also kein Hinderungsgrund für ihn, an Kyrandia 3 mitzuarbeiten. Er bekam noch ein verstecktes Tributsvideo in LOL2: https://www.youtube.com/watch?v=AdEOiwN2P-E
Auf deinen Kommentar habe ich sehnsüchtig gewartet! 🙂
EA Pacific wurde ja noch ein paar Mal umbenannt. 2003 wurde EA Pacific dicht gemacht, 2004 kam Schlacht um Mittelerde unter dem Label „EA Los Angeles“. Ich wollte aber keine EA-History machen. 😉
Die Links zu den ScummVM-Infos finde ich sehr interessant und schaue ich mir noch genauer an.
Das Video für Rick Parks war wirklich rührend. Und ich hätte es so ausdrücken können, dass Parks noch einen kleinen Anteil an Kyrandia 3 hatte, laut Credits arbeitete er an der „Introduction Art“. Leider war er nicht mehr Lead Artist wie in den ersten beiden Teilen.
Danke für deine Ergänzungen! 🙂
War denn wenigstens etwas Neues für dich dabei?
Wusste nicht, das Burst zu Westwood Pacific wurde. Und die allgemeinen Toonstruck Kyrandia Verbindungen
Dann hat’s sich ja schon gelohnt.