Der Name “Westwood Studios” weckt bei vielen erfahrenen Spielern wohl auch heute noch Erinnerungen an Klassiker wie Eye of the Beholder, Dune 2, Command & Conquer oder Lands of Lore. In diesem Artikel geht es allerdings vorrangig um die Adventures, die Westwood im Laufe der Zeit veröffentlichte.
Es war einmal in einer Garage
Vor fast 40 Jahren herrschte in der Spielebranche noch Aufbruch- und manchmal auch Goldgräber-Stimmung. Zu dieser Zeit beschlossen auch Brett W. Sperry und Louis Castle, ihre eigene Spielefirma zu gründen. Wie bei einigen anderen Beispielen, von denen wohl Microsoft eins der bekanntesten sein dürfte, starteten sie in einer Garage – in diesem Fall in Las Vegas, Nevada. Das war im März 1985. Erst kurz zuvor lernten sich die beiden in einem Apple-Store (“Century 23” – das wird später noch relevant) kennen, in dem Castle nach seinem Kunst- und Informatik-Studium als Verkäufer arbeitete, und freundeten sich an. Nebenbei programmierte Castle auf seinem Apple Computer und erstellte Grafiken für ortsansässige Spielefirmen. Und auch Sperry, der zuvor ein Studium der Psychologie und Architektur absolvierte, arbeitete zu der Zeit bereits als Entwickler.
Das gemeinsame Interesse an Computerspielen ist bei beiden unabhängig voneinander schon früh in der Jugend und Schulzeit entstanden. Castle war zu dieser Zeit ein großer Fan der frühen Adventures und versuchte sogar, mit seinen Freunden einen Publisher für deren gemeinsames Grafik-Adventure The Grail zu finden. Als er später auf Sperry traf, hatte dieser bereits Kontakte zu Publishern aufgebaut, die sich unter anderem auf Adventures und Rollenspiele spezialisiert hatten. The Grail wurde zwar offenbar trotzdem nie veröffentlicht, dennoch sollten Adventures später noch in der Firmengeschichte eine wichtige Rolle spielen.
Die gemeinsame Spielefirma wurde Brelous Software genannt, allerdings nur zwei Monate später in Westwood Associates umbenannt. Erst 1992 entstand daraus dann der Name Westwood Studios. Ihre ersten Erfahrungen machten die beiden (und ihr kleines Team) mit Portierungen von Spielen für Epyx und SSI von 8- auf 16-Bit-Systeme. So stammen etwa die Amiga-Versionen von California Games (Epyx) oder Pool of Radiance (SSI) von Westwood.
Ihr erstes eigenes Spiel war das rundenbasierte Rollenspiel Mars Saga, das 1988 als Auftragsarbeit für Electronic Arts auf dem Commodore 64 erschien. Hieran arbeitete ein kleines Team von Entwicklern, inklusive Sperry und Castle. Das Projekt stand allerdings unter keinem guten Stern, denn als es darum ging, die Versionen für Apple II und PC fertigzustellen, zog EA wegen finanziellen Problemen den Stecker. Dies zog einen Rechtsstreit nach sich, der damit endete, dass die geplanten Portierungen ein Jahr später über Infocom veröffentlicht wurden.
Der erste große Erfolg war dann das auf der Advanced Dungeons & Dragons-Lizenz basierende Rollenspiel Eye of the Beholder aus dem Jahr 1990. Uns interessiert in diesem Artikel allerdings zunächst ein weniger bekanntes Spiel, das im selben Jahr erschien und erstmals in einem Westwood-Spiel einige “echte” Adventure-Elemente bereithielt.
Circuit’s Edge
Die Rede ist von Circuit’s Edge, das auf dem Roman When Gravity Fails (inspiriert vom Bob Dylan-Song Just Like Tom Thumb’s Blues, der die Zeile enthält: “When your gravity fails and negativity don’t pull you through”) von George Alec Effinger aus dem Jahr 1986 basiert. In seiner Zukunftsvision der Erde gegen Ende des 22. Jahrhunderts florieren die muslimischen Länder, während sich der Westen im Niedergang befindet.
Die Umsetzung stammt nicht direkt von Sperry und Castle, die als “Director” bzw. “Art Director” in den Credits stehen, sondern zum großen Teil von Mike Legg, der uns auch später noch über den Weg laufen wird. Im Interview mit Stay Forever erzählte er eine schöne Anekdote, wie er zu Westwood kam:
Viele Westwood-Angestellte gingen hier in der Stadt auf die University of Nevada, Las Vegas. Wir hingen häufig in diesem Computerladen namens “Century 23” herum, als wir in der High School waren. Später, während unserer College-Zeit, arbeiteten auch einige von uns dort. So lernte ich Louis Castle kennen. Später traf ich Brett Sperry zufällig an einem Dienstag um Mitternacht im Caesar’s Palace. Wir spielten Gauntlet zusammen in dieser riesigen Spielhalle und stellten dabei fest, dass wir beide Louis kannten. Und dann haben sie Westwood ins Leben gerufen. Im Herbst 1986 riefen sie mich zu sich, obwohl ich noch Vollzeit zur Schule ging. Ich durfte mitmachen und somit Teil des Spaßes werden.
Circuit’s Edge: A conversation with Michael Legg (Stay Forever, März 2020)
In Circuit’s Edge spielt ihr den Protagonisten der Romanvorlage, Marîd Audran, einen abgebrannten Privatermittler im mittleren Osten. Aufgrund eurer prekären finanziellen Lage seid ihr gezwungen, unangenehme Jobs zu erledigen. Bei einem dieser Jobs findet ihr euren Auftraggeber tot auf und werdet daraufhin fälschlicherweise des Mordes bezichtigt. Beim Versuch, eure Unschuld zu beweisen und den wahren Mörder zu finden, werdet ihr in eine Geschichte verwickelt, die die Mafia und andere unschöne Gestalten beinhaltet und euch unter anderem durch das “Budayeen” genannte Ghetto führt.
Spielerisch handelt es sich hier mit etwas Wohlwollen um einen Adventure-Rollenspiel-Hybrid. Am besten lässt sich Circuit’s Edge mit der Maus steuern: So könnt ihr aus dem obigen Menü, das entfernt an spätere Betriebssystem-Fenster erinnert, relativ schnell die Befehle auswählen, die ihr Marîd in der jeweiligen Situation geben möchtet. Diese umfassen Adventure-typische Befehle wie “Look”, “Talk” oder “Inventory”. Um bestimmte “Spezial-Aktionen” ausführen zu können, könnt ihr euch “Skill-Chips” einplanzen lassen, die ihr zu diesem Zwecke vorher erwerben müsst. Um an Geld zu kommen, könnt ihr Aufträge erledigen oder im Casino zocken.
Leider spielt sich das ganz aus heutiger Sicht recht unkomfortabel. Hinzu kommt, dass ihr nur in eurem Appartement speichern könnt, und dabei auch nur einen Saveslot zur Verfügung steht. Schon damals waren die deutschen Spiele-Redakteure unter anderem aus diesen Gründen wenig angetan von Circuit’s Edge. Anatol Locker war es in seinem Kurztest in der PowerPlay 9/1990 nur 59 % wert (“Circuit’s Edge ist ein recht durchschnittliches Abenteuer ohne Biß”). Und auch Eva Hoogh vergab in der sonst so großzügigen ASM 9/1990 nur 8 von 12 Punkten.
Aber: Den ersten Schritt Richtung Adventure-Schmiede hatte Westwood damit getan. Und dabei sollte es natürlich nicht bleiben, denn zwei Jahre später arbeitete Legg bereits an einem weitaus bedeutenderen Westwood-Abenteuer.
Bei Xeen Music bzw. den einschlägigen Streaming-Plattformen gibt es die Soundtracks der ersten beiden Kyrandia-Teile in zig verschiedenen Aufnahmen. Ich finde es spannend, die Unterschiede zu hören.
Werde deinen Xeen-Music-Artikel im zweiten Teil verlinken.
Bei Teil 1 könnte man noch nachtragen, dass die CD Fassung ja auch mit eingesprochenen Texten daher kam. Dafür wurde damals Joe Kucan eingestellt, der dann auch Brandon eingesprochen hatte. Kucan schrieb dann ja mit seiner Portraitierung von Kane Spielegeschichte.
Guter Hinweis. Werde ich in Teil 2 einbauen.
https://wiki.mbbsemu.com/doku.php?id=modules:galkyr
Hier kann man das Kyrandia MUD runterladen (und zumindest die MSG Datei durchlesen). Das MUD hat aber abseits des Namens imo nicht viel gemein mit den Westwoodspielen. Ich gehe mal von aus, dass die da einfach ihren Nerdspaß hatten und wohl den Namen gut fanden.
Aber ich lass mal die Rechteinhaber sprechen:
Das Spiel war Gegenstand eines rechtlichen Streits. Ein Lizenznehmer des Moduls war mit Westwood Studios, einer Videospiel-Firma, verbunden. Im Jahr 1992 veröffentlichte dieses Unternehmen das Spiel The Legend of Kyrandia, gefolgt von Legend of Kyrandia Book Two: The Hand of Fate im Jahr 1993 und Book 3: Malcolm’s Revenge im Jahr 1994. Die Spiele übernahmen eindeutig den Namen und einige Lösungen (Änderung von Edelsteinnamen, Endziel zum König, etc.). Galacticomm hatte zunächst rechtlichen Beistand engagiert, aber als sich das Verfahren hinzog und sich die finanzielle Situation von Galacticomm verschlechterte, wurde die Klage aufgrund der Kosten fallen gelassen. Das war sehr enttäuschend, da die Spiele erfolgreich (und ziemlich gut!) waren, aber Galacticomm, Scott Brinker und Richard Skurnick erhielten nichts, trotz des offensichtlichen Diebstahls.
Wie so oft kann man so eine Sache immer von zwei Seiten sehen und wahrscheinlich sehen sich beide Firmen im Recht. Ich möchte da gar nicht Partei ergreifen, schon gar nicht nach 30 Jahren.
Schade dass es in mehreren Teilen bei Kyrandia aufgesplittet wurde. Aber bis hierher ein toller Bericht!
Fieser Cliffhanger 😉
Cooler Artikel, hat eigentlich noch irgendwer Infos über die ursprüngliche Version von Kyrandia 1?
Die ASM 5/92 hat wohl mal davon berichtet:
https://x.com/ATM_cashpoint/status/1797302204937724169
“It seems the first Kyrandia game was initially going to be a RPG hybrid like Sierra’s Quest for Glory. There were a variety of magic spells & a money system in early screenshots, and previews talked about buying healing from Zanthia! It also might explain all the mazes…”
Ich habe dazu leider auch keine weiteren Informationen.