Discworld
In einem Interview aus dem Jahr 1995 mit PC Gamer verriet Terry Pratchett, dass er bereits in jungen Jahren ein Gamer war. Sein erster echter Computer war ein ZX81, auf dem er frühe Actiontitel wie Mazogs oder das Handelsspiel Merchant of Venus zockte:
„Ich bin 1985 auf einen PC umgestiegen, weil das das Einzige war, was mir den Platz bot, den ich wollte, und ich bin seitdem dabei geblieben. Heutzutage, mit Super VGA und einer guten Soundkarte, bekommt man gute Spiele. Aber ich habe viele Jahre damit verbracht, all diese Bastarde mit Amigas und Ataris zu beobachten, die alle die guten Sachen hatten, während das, was wir hatten, eher wie Pong war. Jetzt bekommen wir aber die guten Sachen.“
Anders als seine Tochter, die damals Fan von The Secret of Monkey Island war, stand Pratchett eher auf Actionspiele als auf Adventures. Zu seinen Highlights zählten Wing Commander und Prince of Persia. Zu einem sehr bekannten, leicht süchtig machenden Spiel hatte er ein besonders zwiespältiges Verhältnis:
„Tetris. Ich habe es nicht nur von meiner Festplatte gelöscht, sondern auch weggeworfen und Norton Utilities verwendet, um sicherzustellen, dass ich es nie wieder benutzen kann. Es ist ein Computervirus, den sich auch Menschen einfangen können.“
Doch wie kam es trotz des kommerziellen Misserfolgs des The Colour of Magic-Textadventures zu einem weiteren Scheibenwelt-Abenteuerspiel? Dazu gehen wir ein paar Jahre zurück. 1991 gründete Angela Sutherland das Studio Teeny Weeny Games, das später mit Perfect 10 Productions von Greg Barnett fusionierte und zu Perfect Entertainment wurde. Der Australier hatte schon bei Beam Software Erfahrungen mit Adventures gesammelt, etwa bei der C64-Version von The Hobbit. Eben jener Barnett hatte auch die Idee, ein Discworld-Point-and-Click-Adventure zu entwickeln.
Da er wusste, dass Pratchett wie eine Glucke auf seiner Scheibenwelt-Lizenz saß, und dass es ihm vor allem darum ging, dass seine Schöpfungen mit Respekt behandelt werden, schlug er ihm eine ungewöhnliche Vorgehensweise vor: Barnett würde ohne vertragliche Zusicherung von Pratchett einen Protoypen entwickeln und ihm diesen vorstellen. Erst dann müsse Pratchett entscheiden, ober er die Lizenz erteilt oder nicht. Dieser ließ sich darauf ein, schließlich hatte er dadurch nichts zu verlieren.

Ein halbes Jahr später stand Barnett wieder auf Pratchetts Matte und präsentierte ihm den Prototypen. Ursprünglich wollte Pratchett, dass das erste Point-and-Click-Adventure wiederum auf seinem ersten Scheibenwelt-Roman basiert, aber Barnetts Grundidee war, ein modernes Adventure zu entwickeln, dass auf der Serie und nicht auf einer einzelnen Geschichte basiert und zudem die gerade in Mode gekommene CD-ROM-Technologie vollständig ausschöpfen kann. Er präsentierte den Anfang des Spiels, in dem sich Rincewind in seinem Zimmer in der Unsichtbaren Universität aufhält und mit Hilfe eines Besens seinen Begleiter, die Truhe mit den unzähligen Beinen, von seinem Kleiderschrank befördert. Der Autor war überzeugt und die beiden hatten einen Deal. Pratchett sagte dazu im o. g. Interview:
„Sie haben mich dauernd auf das Spiel angesprochen und mich bedrängt. Dabei mussten sie viel Geduld aufbringen, denn ich bin ein richtiger Bastard, wenn es darum geht, mit mir zu arbeiten.
Außerdem bin ich sehr vorsichtig mit dem, was mit meiner Scheibenwelt passiert. Aber nachdem ich mit ihnen gesprochen habe und gesehen habe, was sie bisher gemacht haben, war ich überzeugt.“
Neben den vertraglichen Bedingungen stimmte auch die Chemie zwischen Pratchett und den Entwicklern, so dass der Produktion von Discworld nichts mehr entgegenstand. Barnett entschied sich naheliegenderweise für Rincewind, den Zauberer als spielbaren Protagonisten, da dieser zumeist häufig in den früheren Romanen auftrat. Die Geschichte basiert auf mehreren Werken von Pratchett und enthält hauptsächlich Elemente aus den Romanen Wachen! Wachen! und Die Farben der Magie. In The Art of Point-of-Click-Adventures erinnert sich Barnett:
„Dies war eigentlich der erste kreative Streit mit Terry. Offensichtlich war es für ihn sinnvoller, ein Buch nach dem anderen zu lizenzieren – viel sicherer und finanziell rentabler. Ich wollte aber die Lizenz für die Scheibenwelt selbst, nicht für ein bestimmtes Buch. Der Grund dafür war, dass ich eine originelle Geschichte schreiben wollte, die auf Terrys Ideen basiert und diese aufgreift, aber nicht an die Handlung eines bestimmten Buches gebunden ist. Wir wollten ein großes Spiel mit vielen verschiedenen Rätseln machen.“
Mitgründerin Sutherland hatte die Produzenten-Rolle inne, während Barnett für die gesamte Umsetzung verantwortlich war. Die beiden konnten sogar Sierra On-Line als Publisher gewinnen und deren Adventure-Engine lizenzieren.
Paul Mitchell, der zuvor bereits an Titeln wie MechWarrior an der Grafik gearbeitet hatte, war als Art Director für die künstlerische Umsetzung zuständig. Die auf Papier gezeichneten und später eingescannten Hintergründe stammten von Nick Martinelli, während John Millington und Simon Turner das Aussehen der Charaktere entwarfen. Letzterer war auch gemeinsam mit einem siebenköpfigen Team für die Animationen zuständig, und davon gab es eine Menge in dem Spiel. Die Musik stammte aus der Feder von Rob Lord. Und auch Pratchett persönlich hatte seinen Anteil am Spiel:
„Ich bringe mich bei der Entwicklung sehr stark ein. Meine Aufgabe besteht hauptsächlich daraus, das Team anzuschreien und zu bedrohen.“
Beim Schreien und Drohen blieb es allerdings nicht, nebenbei überarbeitete und verfeinerte Pratchett auch noch die etwa 8.000 Zeilen Text, die im Laufe der Entwicklung für das Adventure geschrieben wurden. Er nannte diesen Prozess „Feenstaub versprühen“.

Und dann gab es, wie so oft, Ärger mit dem Publisher. Sierra musst die Verluste, die es mit The Sierra Network einfuhr, kompensieren und stellte zugunsten von internen Produktionen jegliche Finanzierung von externen Projekten ein. Dies betraf auch Discworld, was schlussendlich dazu führte, dass die Engine von Grund auf neu entwickelt werden musste. Daraus entstand die Tinsel-Engine, die später auch noch in den beiden Nachfolge-Adventures zum Einsatz kam. Als Sierras Ausstieg bekannt wurde, meldeten unter anderem Electronic Arts und der britische Publisher Psygnosis Interesse an, letztendlich konnte Psygnosis sich durchsetzen.
Als es um die Vertonung ging, wollte Barnett den britischen Humor der Vorlage mit entsprechenden passenden britischen Sprechern unterstreichen. Seine erste Wahl für die Besetzung von Rincewind war John Cleese, der damals vor allem durch die Comedy-Truppe Monty Python bekannt war. Dieser sagte allerdings mit der Begründung ab, er stünde nicht für Computerspiele zur Verfügung. Stattdessen ging die Rolle an seinen Kollegen Eric Idle, was sich als großer Glücksgriff herausstellte. Rincewind wurde im Spiel sogar etwas angepasst, so dass er mehr an Idle in Monty Python erinnern würde. Für die Rolle des Todes dachte Barnett zunächst an den (zu diesem Zeitpunkt leider nicht bezahlbaren) Christopher Lee, oder auch an den Comedian Rowan Atkinson. Schlussendlich bekam aber das walisische Multitalent Rob Brydon den Zuschlag. Auch die deutsche Synchronisation wurde hochwertig produziert und besetzt. So wurde Rincewind folgerichtig von Arne Elsholtz, der deutschen Stimme von Eric Idle, gesprochen. Aber auch viele andere hochkarätige Sprecher, wie etwa die deutsche Stimme von Simon the Sorcerer, Eric Borner, wurden verpflichtet.
Die Sprachausgabe blieb dabei natürlich der CD-ROM-Version vorbehalten, bei der parallel erstellten Diskettenversion fielen zusätzlich sogar die Soundeffekte der Schere zum Opfer, um die Anzahl der Datenträger niedrig zu halten (trotzdem wurden es derer 15!). Beide Versionen erschienen 1995 für den PC und Mac sowie die Sony Playstation. Im Jahr darauf folgte eine Sega Saturn-Version. Andere Portierungen waren geplant, wurden aber nie veröffentlicht, darunter Versionen für Philips CD-i, 3DO, Atari Jaguar CD und Sega CD.
Pressespiegel: Discworld
„Als Pratchett-Fan bin ich natürlich entzückt, ständig auf bekannte Plätze und Figuren zu stoßen. Der eher subtile Humor der Scheibenwelt-Bücher wird vom Computerspiel aber nur selten erreicht und auch die grafische Umsetzung hätte besser sein können. Trotzdem musste ich an einigen Stellen herzhaft lachen. Gerade die Vertonung mit Profisprechern steigert die Spielatmosphäre gewaltig. Doch das häufige ‚That doesn’t work‘ nervt auch dann, wenn es aus dem Mund von Eric Idle kommt – einige der Puzzles sind schlichtweg zu abstrus geraten. Durch solche Puzzle-Aussetzer und die etwas lieblose Grafik verpaßt Discworld den Sprung in die Spitzengruppe. Liebhaber witziger Adventures und Terry-Pratchett-Leser im besonderen werden trotzdem ihren Spaß an dem Programm haben.“
Jörg Langer in der PC Player 5/1995 (via kultboy.com) (Wertung: 75 %)
„Spieltechnisch können die Jungs von Teeny Weeny Games ihren Vettern jenseits des großen Teichs noch nicht ganz das Ankhwasser reichen. Es mag ja dramaturgisch ganz nett sein, daß Inventory zwischen Rincewind und Truhe zu teilen. Im rauhen Rätselalltag nerven die ständigen Verschiebeaktionen zwischen den beiden ungleichen Kumpels dann aber ganz schön. Wieso werden Rincewinds Zusatzfertigkeiten als Icons angeboten und nicht gleich in den Mauszeiger integriert, wie es logisch wäre? Wieso die blöde Aufteilung der Gesprächsicons, wenn man sowieso alle Buttons durchklicken muß, um jedes wichtige Detail zu ermitteln? Discworld ist ein Engel mit kleinen Fehlern und deshalb gibts von mir leider kein Prädikat.“
Bei Volker Weitz in der Power Play 5/1995 (via kultboy.com) (Wertung: 82 %)
„Grafisch geht es auf der Scheibenwelt ebenfalls hoch her, denn die farbenprächtig gestalteten Szenarien bestechen mit feinen Animationen – und herrlich anzusehenden Zwischensequenzen nach jeder geglückten Aktion. Wer also z.B. Monkey Island mochte, wird den Abenteuerurlaub auf der Discworld mit seinen zwerchfellerschütternden Gags und der genial simplen Steuerung garantiert lieben. Und wer ein CD-ROM besitzt und des Englischen mächtig ist, sollte unbedingt die Schiller-Version buchen, denn die Sprachausgabe ist hier noch mal eine Klasse für sich!“
Manfred Duy im PC Joker 6/1995 (via kultboy.com) (Wertung: 86 % Diskette / 91 % CD-ROM)
Auch die Konsolenversionen konnten in der deutschen Spielepresse Wertungen ab 85 Prozent abräumen, allerdings kamen die zu kleinen Texte und die fummelige Steuerung, wenn keine Maus vorhanden war, nicht so gut an.
Leider war die erste Release-Version alles andere als bugfrei, erst spätere Auflagen bereinigten die meisten technischen Probleme. Aber eine noch wichtigere Sache konnte manchen Spielern das erste Discworld-Adventure so richtig vermiesen: Manche Rätsel sind sehr abstrus und schrauben den Schwierigkeitsgrad in die Höhe. Auch dazu hat Barnett eine Erklärung:
„Discworld wurde häufig als das härteste Adventure aller Zeiten bezeichnet! Der Schwierigkeitsgrad wurde allerdings ironischerweise eher von Hardcore-Gamern bemängelt. Ich glaube, das liegt zu einem großen Teil daran, dass die Neulinge den von uns platzierten Wegweisern und Brotkrumen-Spuren gefolgt sind und sich sozusagen ein Stück weit leiten ließen. Es war viel einfacher, eine Aufgabe nach der anderen anzugehen, als alles einzusammeln und zu sehen, was wo funktioniert.“
Terry Pratchett war mit dem fertigen Spiel sehr zufrieden, obwohl auch er seine Schwierigkeiten beim Durchspielen hatte. Dennoch war er stolz auf das Ergebnis uns rührte gemeinsam mit Barnett die Werbetrommel. Mit Erfolg: Laut Barnett wurde Discworld in Großbritannien sowie in ganz Europa zu einem großen Verkaufshit, weniger allerdings in den USA. Vor allem der Humor, der durch die hervorragende Vertonung transportiert wurde, kam bei den meisten Pressevertretern und Spielern gut an. Der Weg für einen Nachfolger war frei!
Wie geht es weiter?
Damit endet der erste Teil des Überblicks zu den Versoftungen von Terry Pratchetts Scheibenwelt. Im abschließenden zweiten Teil stelle ich euch die beiden offiziellen Point-and-Click-Nachfolger sowie einen kuriosen Ableger vor.

(Dieser Beitrag erschien zuerst am 2. Dezember 2023 auf GamersGlobal)
