Der Beitrag “Spiele-Check: Twilight Oracle – Surrealer Adventure-Insel-Trip” erschien zuerst am 30.01.2024 auf GamersGlobal als User-Inhalt unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 DE DEED.
Im Mai 2023 schloss der Indie-Entwickler Aviv Salinas, besser bekannt als Cosmic Void, zum zweiten Mal (nach Blood Nova im Jahr 2022) erfolgreich eine Kickstarter-Kampagne ab. Zusammen mit Co-Entwickler und Kampagnenleiter Steven Don überzeugte er 438 Unterstützer davon, insgesamt 11.891 Euro in Twilight Oracle zu investieren. Wir sprechen also von einem wirklich kleinen Indie-Projekt mit Mini-Budget.
Das heute, nur wenige Monate nach Beendigung der Kampagne, erschienene Point-and-Click-Adventure hält glücklicherweise die gegebenen Versprechen und nimmt euch mit auf eine surreale Reise durch seltsame Orte, bevölkert von seltsamen Lebewesen.
Vier Verlierer versuchen vieles: Folgt vollständiges Versagen?
Ihr spielt den aufmüpfigen Schüler Leo, dem (nicht nur) aufgrund seiner Faulheit das Schicksal droht, in allen Fächern durchzufallen. Zu Beginn schickt euch euer Lehrer “Richter” auf eine abgelegene Insel, um dort einen abtrünnigen Schüler aufzuspüren und ihn zu Richter zurück zu bringen. Er erklärt euch, dass dies eure letzte Chance wäre, den Abschluss noch zu schaffen.
Doch ihr müsst nicht alleine gehen: Die ebenfalls schulisch unterbegabten Mitschüler Marcus, Jill und Olivia sollen euch dabei helfen, die Mysterien der Insel zu erkunden. Der besondere Kniff dabei: Jeder der vier Abenteurer wurde mit einer speziellen Begabung gesegnet, die ihr im Laufe des Spiels nutzen könnt. Eure eigene Spezialität ist die Unterwasseratmung, so dass es für euch kein Problem darstellt, auf dem Meeresboden spazieren zu gehen. Eure Mitstreiter können Gedankenlesen oder erschaffen Wind oder Feuer.
Relativ früh wird euch dabei klar, dass Richter mit euch ein doppeltes Spiel treibt, und dass eure Schule versucht, ein dunkles Geheimnis zu verbergen. Diese Rahmengeschichte dient als Hintergrund für die fantasievollen Orte, die ihr auf der Insel (und darüber hinaus) besuchen werden. Fast könnte euch das Gefühl beschleichen, ihr seid einem weißen Kaninchen zu weit in seinen Bau gefolgt und dabei im Wunderland rausgekommen. Ihr trefft einen bunten Strauß an Charakteren: Riesige fliegende Fische, schlechte Flötistinnen, Meerjungfrauen, “umgekehrte” Dschinns und so weiter sind also an der Tagesordnung. Generell wird ein eher heiterer, manchmal auch alberner Ton angeschlagen, was größtenteils am Protagonisten liegt.
I’m a loser baby, so why don’t you kill me?
Und hier kommt für mich einer der größten Schwachpunkte ins Spiel. Leo wurde laut Entwickler dem Vorbild eines Simon oder Guybrush nachempfunden, heraus kam aber leider nur ein dümmlicher und pubertärer Surfer-Dude-College-Boy-Teenager. Unterstrichen wird dies durch sein Charakterportrait, das immer wieder eingeblendet wird, wenn er etwas zum Besten geben muss. Seine Mitstreiter wirken etwas weniger nervig, kommen aber auch wirklich nur ganz kurz im Spiel vor. Jede der oben erwähnten Spezialfähigkeiten der Begleiter kommt jeweils nur einmal im ganzen Spiel zum Einsatz, das klingt schon etwas nach Mogelpackung.
Grafisch weiß die an Legend of Kyrandia angelehnte Pixeloptik durchaus zu gefallen, falls ihr so einen Stil nicht generell ablehnt. Auch die Musik- und Sounduntermalung halte ich für gelungen. Neben den deutschen Texten hört ihr bei den Gesprächen gut vertonte englische Sprachausgabe. Schade, dass die Figuren, die ihr trefft, nicht mir einem Portrait bedacht wurden. Dies ist vielleicht auch dem Kickstarter geschuldet, denn offenbar war es wichtiger, den Spendern der entsprechenden Stufe noch schnell kurz vor Schluss im Schnelldurchlauf Portraits ins Spiel einzubauen. Ähnlich wie die zufällig verteilten Zettel mit “Witzen”, die von den Kickstarter-Investoren eingereicht wurden und sogar mich, als Flachwitz-Connoisseur, nicht zum Lachen bringen konnten.
Dafür ist die Steuerung wirklich schön optimiert und kommt mit einem Klick aus. Das Inventar ist immer sichtbar und zeigt per Mausover Beschreibungen der Gegenstände. All dies führt dazu, dass sich Twilight Oracle auch ohne große Anpassung perfekt auf einem Touchscreen oder auf dem Steam Deck spielen lässt. Bei Gesprächen habe ich übrigens die Multiple-Choice-Auswahl vermisst, hier läuft alles mehr oder weniger automatisch ab.
Nichtsdestotrotz klickt ihr euch nicht einmal “so eben” durch das Abenteuer, an manchen Stellen ist schon etwas Gehirnschmalz und “um die Ecke denken” nötig, um die teilweise nicht ganz leichten Rätsel lösen zu können. Extreme Gehirnverrenkungen sind allerdings nicht nötig. Ebenso wurden solche Design-Sünden wie Sackgassen, übermäßig viele Maschinenrätsel, fieses Pixel-Hunting oder Spieler-Tode ohne Autosave sowie langweilige Labyrinthe vermieden.
Fazit
Mit einer Spielzeit von 4 bis 6 Stunden erhaltet ihr für einen relativ kleinen Kurs (derzeit durch den Einführungsrabatt um 20 Prozent auf 7,80 Euro reduziert) ein nettes Indie-Adventure, das nicht nur in Anbetracht des geringen Budgets ansprechend umgesetzt wurde. Die Geschichte, das Setting sowie der Protagonist sind wohl Geschmackssache. Gut, dass es mir gelang, die Spielfigur größtenteils auszublenden, sonst hätte das auf meinen Spielspaß drücken können. Insgesamt hatte ich insbesondere beim Lösen der Rätsel und dem Erkunden neuer Orte (gerade auch Unterwasser) mit den dortigen Lebewesen viel Spaß, die Geschichte hatte mich nicht sonderlich überzeugt. Nichtsdestotrotz war ich zufrieden, als das Spiel vorbei war und jetzt freue ich mich schon auf das Nachfolge-Projekt Devil’s Hideout. Im September soll es schon so weit sein, ich bin gespannt.
- Point-and-Click-Adventure für PC, MacOS und Linux
- Einzelspieler
- Für Einsteiger bis Fortgeschrittene
- Preis: 9,75 Euro
- In einem Satz: Dümmlicher Protagonist erlebt ungewöhnliche Abenteuer an fantasievollen Orten.
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