Wenn es um Klassiker der Videospiele geht, wird ziemlich sicher Jordan Mechners Werk Prince of Persia genannt. Warum Karateka mindestens genauso wichtig war, zeigt diese interaktive Dokumentation.
Das kalifornische Entwicklerstudio Digital Eclipse ist mir schon vor Jahren durch seine liebevollen Spielesammlungen aufgefallen. Von Street Fighter 30th Anniversary Collection über Blizzard Arcade Collection bis hin zu Teenage Mutant Ninja Turtles – The Cowabunga Collection. Gemeinsam ist diesen Spielesammlungen die Liebe zum Detail in der Präsentation sowie zahlreiche Bonusmaterialien wie zum Beispiel Designdokumenten. Der Goldstandard in Sachen Spiele-Konservierung sollte jedoch 2022 mit Atari 50 – The Anniversary Celebration gelingen. Hier standen erstmals nicht die zahlreichen Spiele im Vordergrund, sondern ein aufwendig recherchiertes, interaktives Museum zur Firmengeschichte mit Hunderten von Bildern, Texten, Interviews und Videos.
Nachdem Atari 50 sensationelle Kritiken erhalten hat, wird dieser Ansatz nun in einer neuen Reihe namens Gold Masters Series fortgesetzt. Dabei handelt es sich um eine Serie von interaktiven Dokumentationen, die einzelne Spiele und ihre Entstehungsgeschichte beleuchten.
Die ersten Schritte eines Wunderkindes
Die Dokumentation beginnt in der frühen Jugend von Jordan Mechner. Er wurde am 4. Juni 1964 geboren und interessierte sich schon früh für Computer, Filmgeschichte, Comics und Zeichnen. Bereits im Alter von 13 Jahren veröffentlichte Jordan in Zeitschriften Artikel über die Programmierung des damals neuen Heimcomputers Apple II. Mit 16 Jahren programmierte er sein erstes Spiel: einen Klon des Atari-Hits Asteroids auf dem Apple II, den er auch an einen Verlag verkaufen konnte. Klone bekannter Arcade-Titel waren damals auf Heimcomputern weit verbreitet und beliebt. Deshalb begann Atari zu dieser Zeit, gegen solche Klone vorzugehen. Mechners Asteroid-Spiel kam daher trotz mehrfacher Überarbeitung nie in den Handel. Die alten Prototypen des Spiels sind im Programm spielbar.
Ebenso spielbar sind die Prototypen seines zweiten Spiels Deathbounce. Ein Arcade-Shooter, der ursprünglich für Brøderbund entwickelt werden sollte. Jordan war so besessen vom Programmieren, dass er sein Studium an der renommierten Yale University aufs Spiel setzte. Der Verleger lehnte das Spiel ab, nachdem es einer Fokusgruppe vorgelegt worden war, die vernichtende Kritiken abgegeben hatte.
Karateka schreibt Spielegeschichte
Erst Jordans drittes Spiel, Karateka, brachte schließlich den Durchbruch. Das lag unter anderem an der Rotoskopie-Technik, die Jordan erstmals für ein Spiel einsetzte. Dabei werden die Bewegungen echter Menschen gefilmt und dann ins Spiel übertragen. Das sorgte für einen bis dahin nicht gekannten Realismus der Bewegungen. Außerdem wurde das Spiel wie ein echter Kampfsportfilm inszeniert, zum Beispiel mit Gegenschnitten von heranstürmenden Gegnern.
Das Programm beleuchtet jeden Aspekt von Karateka: Beispielsweise, warum Jordan auf die Idee kam, die Rotoskopie-Technik zu verwenden. Aber auch das allgemeine Design des Spiels und die Zusammenarbeit mit seinem Vater Francis sind prominente Themen. Letzterer war seit den 1950er Jahren ein anerkannter und bekannter Psychologe und Wissenschaftler. Im Alter von 19 Jahren war Francis jedoch Konzertpianist, und die Musik blieb über die Jahrzehnte sein Hobby. So komponierte Francis den Soundtrack für das Spiel seines ältesten Sohnes. Eine Aufgabe, die er einige Jahre später für Prince of Persia noch einmal wiederholen sollte.
Das Programm zeichnet all diese Themen, wie schon bei Atari 50, in verschiedenen Zeitachsen nach. Diese bestehen aus Fotos, Designdokumenten, vielen erklärenden Texten sowie Videos mit Jordan und seinem Vater Francis, aber auch weiteren Personen, die an Karateka beteiligt waren.
Nach der Pflicht kommt die Kür
Wie schon bei Atari 50 haben mich die Zeitleisten mehr fasziniert, als ich erwartet hatte. Es ist interessant zu lesen, welche Gedanken Jordan in den verschiedenen Phasen der zweijährigen Entwicklungszeit von Karateka hatte – und wie sich die Dinge dann in der Realität entwickelt haben. Die Texte sind gut geschrieben und man bekommt als Außenstehender einen sehr detaillierten, teilweise intimen Einblick in die Spieleentwicklung der frühen 80er Jahre. Allein dieser Teil ist den Jungs und Mädels von Digital Eclipse wieder hervorragend gelungen!
Die Firma hätte aber nicht ihren hervorragenden Ruf, würde sie nicht noch die berühmte „extra Meile“ gehen. Das fängt mit vielen Kleinigkeiten an. So könnt ihr bei den Spielen entscheiden, ob ihr selbst spielen wollt oder ein Video mit dem kompletten Gameplay eines Spiels zu sehen bekommt. Bei Karateka gibt es sogar einen optional zuschaltbaren Entwicklerkommentar von Jordan.
Des Weiteren bekamen Karateka und Deathbounce eine von Digital Eclipse entwickelte Remaster-Version spendiert. Die alten Karateka-Versionen auf dem Apple II oder dem C64 waren aufgrund der damaligen Technik alles andere als flüssig. In der Remaster-Version ist das Spiel erstmals in butterweichen 60 FPS spielbar und die Rotoskopie-Technik wirkt dadurch noch beeindruckender. Bei Deathbounce haben die Entwickler das Spiel basierend auf den Prototypen fertig entwickelt. Herausgekommen ist ein sehr spaßiger Twin-Stick-Shooter.
Dann gibt es natürlich auch verschiedene Sprachen, darunter Deutsch sowie deutsche Untertitel in den Videos. In den Spielen selbst gibt es auch die normalen Features wie Rückspulfunktion, Save States oder verschiedene Bildschirmfilter. Am Ende handelt es sich bei The Making of Karateka um ein sehr rundes Paket.
Wie ging es nach Karateka weiter?
Karateka war nicht nur ein technisch beeindruckendes Spiel, sondern auch ein kommerzieller Erfolg. Dennoch sollte es fünf Jahre dauern, bis Jordan Mechner sein nächstes und bekanntestes Spiel fertigstellte: Prince of Persia. Die Rotoskopie-Technik wurde stark verbessert und mit dem Fokus auf Exploration unterschied sich das Spiel von vielen Actionspielen dieser Zeit.
Nach einem zweiten PoP-Teil 1993 folgte 1997 mit The Last Express ein Point-and-Click-Adventure. Es erzählt eine Kriminalgeschichte im Orient-Express und läuft fast vollständig in Echtzeit ab. Trotz begeisterter Kritiken von Spielejournalisten entwickelte sich das Spiel zu einem finanziellen Desaster: Es wurden nur etwas mehr als 100.000 Exemplare verkauft.
2003 folgte die Rückkehr des persischen Prinzen, diesmal bei Ubisoft. Mit Sands of Time wurde die Serie erfolgreich wiederbelebt und vor allem die Kletter- und Akrobatikmechaniken werden bis heute von zahlreichen Action-Adventures kopiert.
Seit einigen Jahren hat sich Jordan aus der Spielebranche zurückgezogen und arbeitet vor allem an Graphic Novels.
Fazit
Natürlich habe ich in diesem Text nur die Spitze des Eisbergs gestreift. Wer tiefer und detaillierter in die Entstehungsgeschichte von Karateka eintauchen und mehr über die jungen Jahre des Prince of Persia-Erfinders erfahren möchte, bekommt mit dem neuesten Streich von Digital Eclipse eine liebevolle interaktive Dokumentation geboten. Selbst wenn ihr, wie ich, Karateka noch nie gespielt habt und somit keine nostalgische Verbindungen zum Titel bestehen, ist die Entstehungsgeschichte interessant, da sehr detailliert auf die Entwicklung von Spielen in den frühen 80er Jahren eingegangen wird. Bis ihr alles durch habt, vergehen locker zwei bis drei Stunden. Wer sich also für die Geschichte des Mediums interessiert, für den sind die 20 Euro sicherlich eine gute Investition. Alle anderen warten lieber auf einen Sale. Und: Mit Deathbounce gibt es einen äußerst spaßigen Twin-Stick-Shooter, in den ich mehr Zeit investiert habe als in Karateka selbst!
Das möchte ich unbedingt noch erwerben. Leider scheint es den Titel nur digital zu geben und ich würde gerne diese ganzen DE-Sachen nebeneinander im Regal stehen haben.