Dieser Artikel ist Teil der DKSN-Halloween-Woche 2024.
Es war eine dunkle und stürmische Nacht, in der sich die Prozession einiger verängstigter Dorfbewohner den Pfad zum Schloss Ritter voranschiebt. Taschenlampen beleuchten ihre verhärmten Gesichter, als sie zaghaft an das Tor des Schattenjägers pochen. Er soll ihnen helfen: Ein Mädchen ist verschwunden – und es sieht ganz nach der Tat eines Monsters aus. Der Schlossherr wirkt angemessen schockiert – und da er mit seinem aktuellen Roman sowieso gerade nicht vorankommt, sagt er seine Hilfe zu.
Mit dieser kurzen, aber stimmungsvollen Sequenz beginnt das zweite Spiel aus der Reihe rund um Gabriel Knight. The Beast Within erschien 1995 und änderte so ziemlich alles, was den ersten Titel Sins of the Fathers ausgemacht hatte. Doch der Reihe nach:
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Nachdem sich die Geschichte rund um den Schattenjäger als erfolgreich erwiesen hatte, bekam Jane Jensen grünes Licht für eine Fortsetzung. Sierra On-Line hatte schon frühzeitig erkannt, dass Serien gute Verkäufe generieren können – und im Falle von Gabriel Knight gab es schon von Beginn an eine Idee, die Jensen nun wieder aufgriff. Denn schon in der frühen Entwicklungsphase von Sins of the Fathers hatte Jensen Werwölfe als Antagonisten im Blick. Diesen Ansatz verwarf sie zunächst zugunsten einer Origin-Story in New Orleans, doch nun wollte sie die Lykanthropen auf die Gamerschaft loslassen.
Das Spiel greift das Ende des ersten Teils auf: Gabriel hat das Erbe seiner Familie sowohl physisch als auch psychisch angenommen: Er wohnt nun am Rande der fiktiven deutschen Ortschaft Rittersburg im Familienschloss Ritter und hat seine Rolle als Schattenjäger – eines Kämpfers gegen finstere Mächte – akzeptiert. Allein mit seiner hübschen deutschen Haushälterin Gerde verbringt er seine Tage. Dank der Tantiemen für seinen letzten Roman, in dem er die Geschehnisse von Sins of the Fathers verarbeitet, scheint er sich das auch leisten zu können. Allerdings treffen wir unseren Helden wider Willen im Einführungsfilmchen verzweifelt über der Schreibmaschine brütend an. Ein neuer Roman scheint nicht gerade zum Greifen nahe.
Doch bevor wir in der Geschichte weitergehen, frieren wir das Geschehen kurz ein. Als wir unseren Helden zuletzt gesehen haben, sah er so aus wie hier rechts oberhalb dieses Abschnitts. Fein gepixelt, tolle Stimme, von sich und seiner Wirkung überzeugt. Und jetzt? Hier ein Bild direkt aus dem Eröffnungs-Film:
Volle Bewegung Filme!
Was war passiert? Nun, Sierra On-Line war immer darum bemüht, die neuesten Trends zu bedienen. So kam es, dass nach den Pixel-Adventures nun mit Hochdruck an Full-Motion-Video-Spielen gearbeitet wurde. Für das 1995 veröffentlichte Phantasmagoria, den Horror-Ausflug von Sierras Adventure-Königin Roberta Williams, wurde am Sierra-Standort in Oakhurst ein eigenes Studio eingerichtet. Es befand sich im Gebäude der Oakhurst Water Company und war geräumig genug für die große Hauptbühne, Umkleiden, eine Küche, Aufenthaltsräume und im ersten Stock die Technik samt Blick auf die Bühne. Natürlich war diese erste Produktion geprägt von Erfahrungen nach dem Motto „Learning by doing“. Die Beleuchtung war nicht ausreichend, die Wände warfen bei Dialogen den Schall hin und her, die Belüftung musste wegen der Geräuschentwicklung während der Takes ausgeschaltet werden – und auch die immer mal wieder über das Gebäude fliegenden Flugzeuge sorgten für unbrauchbare Aufnahmen. Vor allem wurde während dieser ersten Produktion auch klar, dass die Vorbereitung für die Szenen extrem wichtig war. Kameramann Randy Littlejohn war bei beiden Spielen dabei und erinnert sich:
Da ich einen Hintergrund in der Video- und Filmproduktion hatte, konnte ich sofort sehen, dass es zwar ein Spieldesign-Dokument gab, aber die Vorproduktion für die FMV-Elemente nicht berücksichtigt worden war. Ich sagte das zwar, aber niemand hörte auf mich. Die Folge war, dass das Produktionsteam und die Schauspieler jeden Tag verwirrt herumstanden, während Leute über unserer Gehaltsklasse miteinander stritten, was als nächstes zu tun sei. Es wurde eine Menge Geld verschwendet. Wäre die Vorproduktion richtig gemacht worden, wäre jede Minute eines jeden Produktionstages genau geplant worden. Vorproduktion ist billig. Die Produktion ist teuer. Es ist sinnvoll, Zeit in die Vorproduktion zu investieren, um die teure Produktionszeit effizient nutzen zu können. (epidodic content 2015 / Interview mit David L. Craddock)
Kaum hatte dieses Team die Dreharbeiten abgeschlossen, übernahmen Regisseur Will Binder und seine Crew die Location und begannen mit dem Dreh für Gabriel Knight 2. Ungefähr 90 Prozent des Spiels sollten auf dieser Bühne in Szene gesetzt werden. Vor dem Bluescreen hatten die Schauspieler wenig mehr als Markierungen auf dem Boden und aus blau bespannten Kisten gebaute Treppen. Interagierte der Mensch auf der Bühne zum Beispiel mit einer Tür, drückte er gegen ein Metallgestell, über das in der Postproduktion die entsprechende Animation gelegt wurde.
Im offiziellen Lösungsbuch erinnert sich Grace-Darstellerin Joanne Takahashi:
Das Spiel in einen Computer zu kriegen, damit die Leute die Wahl haben, es mit echten Schauspielern zu spielen, haut mich einfach um. Ich habe keine Ahnung, wie sie das machen. Ich habe zwar eine Vorstellung davon, weil wir mit dem Bluescreen arbeiten. Aber wie sie all diese phantastischen Hintergründe einbauen und wie sie die Storyline mit den verschiedenen Enden und den vielen verschiedenen Wegen zusammenfügen, ist mir unbegreiflich.
Doch bevor dies alles stattfinden konnte, mussten die passenden Schauspieler gefunden werden. Tim Curry, der im Vorgänger Gabriel seine Stimme geliehen hatte, entsprach äußerlich nicht dem, was sich Jane Jensen für ihren Titelhelden ausgedacht hatte. Und auch Grace-Nakimura-Sprecherin Leah Remini ging im realen Leben nicht als asiatisch-stämmige Amerikanerin durch. Während viele kleinere Rollen – wie schon bei früheren Sierra-Produktionen bei den Vertonungen üblich – günstig durch Menschen aus der näheren Umgebung gespielt wurden, suchte Casting Director Dan Parada für die Hauptrollen in Los Angeles nach passenden Gesichtern. Grace war schnell mit Joanne Takahashi besetzt, der Titelheld war allerdings schwerer zu finden als erwartet. Doch dann hatte das Team endlich Glück:
Dean Erickson
Den zukünftigen Schattenjäger hatte es ursprünglich eher zufällig auf Bühne und Bildschirm verschlagen. 2020 erinnert er sich in einem Video mit fmvworld:
Nachdem ich meinen Job an der Wall Street an den Nagel gehängt hatte, wollte ich Geld für die Gründung eines Hedgefonds sammeln. Das ist sowieso schon keine leichte Aufgabe, aber ich war besonders ungeeignet, Geld einzusammeln: Ich fühlte mich damals nicht wohl damit, vor Leuten zu sprechen. Also nahm ich an einem Schauspielkurs teil, um mich bei so etwas wohler zu fühlen. Aber dann interessierte ich mich mehr für die Schauspielerei als für die Arbeit im Finanzwesen.
1993 erhielt er eine kleine, aber immerhin in vier Folgen wiederkehrende Rolle in der ersten Staffel der Serie Frasier. Davon alleine lässt sich vermutlich keine Miete zahlen, also war Erickson dankbar, als ihn sein Agent auf das Casting für Gabriel Knight 2 aufmerksam machte. Seine ersten beiden Vorsprech-Termine liefen gut. Sowohl Casting Director Dan Parada als auch Regisseur Will Binder hielten große Stücke auf ihn. Binders einzige Bitte: Erickson müsse seinen Pferdeschwanz abschneiden. Doch da war ja noch Jane Jensen. Sie erinnert sich:
Wir hatten schon länger nach einem Gabriel gesucht und langsam dachte ich, dass wir nie einen finden würden. Niemand passte. Um ehrlich zu sein, mochte ich Dean nicht einmal, als ich mir sein Vorsprechen auf Video ansah. Aber unser Regisseur Will Binder hatte ihn persönlich gesehen und hatte das Gefühl, dass er es schaffen würde. Er überredete mich, mich mit Dean zu treffen, und als ich ihn sah, wusste ich sofort, dass er Gabriel war. (The Inventory 2003)
Auch Erickson erinnert sich an dieses Treffen in einem Restaurant:
Ich wurde nach Oakhurst eingeflogen, um Jane zu treffen und um von ihr die letzte Absegnung für die Rolle zu erhalten. Sie hat sich um ihre GK-Schöpfung verdient gemacht und wollte diese schützen, so dass sie sicher gehen wollte, dass ich die notwendigen Zutaten hätte, um die Rolle so zu spielen, wie sie sie geschrieben hatte. Ich glaube nicht, dass sie recht beeindruckt war, bis wir eine emotionale Szene lasen und ich sie dabei zu Tode ängstigte. Danach hatte ich mir ihren Respekt verdient und bekam die Rolle. (Adventure Gamer 2003)
Was neben seinem schauspielerischen Talent mit ausschlaggebend gewesen ist: Erickson sah dem Pixel-Abbild des Schattenjägers so ähnlich, wie es einem realen Menschen eben möglich war. Er stürzte sich sofort in die Arbeit. Um Currys Performance halbwegs zu übertragen, versuchte er mit britischen Filmen und Sprachkursen auf Cassette, die Sprachmelodie des ersten Spiels so gut es ging zu treffen. Um ehrlich zu sein: mit mäßigem Erfolg.
(Wer-)Wölfe
Ein Spiel, das sich um Werwölfe dreht, benötigt diese Wesen natürlich auch auf dem Bildschirm. Nur: Wie? Mechanische Puppen waren während der Produktion nie ein Thema. Will Binder erinnerte sich noch gut an die Probleme, die die Hai-Puppe bei Der weiße Hai verursacht haben soll. Er wollte wie damals Steven Spielberg seine Monster so selten und so spät wie möglich in der Handlung zeigen. Dies würde einerseits Spannung erzeugen, andererseits die Kosten reduzieren. Also wurden die CGI-Werwölfe tatsächlich nur sehr selten gezeigt.
Im offiziellen Guide zum Spiel spricht der Regisseur Will Binder ein wenig über die verschiedenen Effekte, die verwendet wurden:
Wir haben eine Szene, in der sich eine der Hauptfiguren in einen Wolf verwandelt. Wir haben unserem Schauspieler ein spezielles weiß-graues Make-up in Abstufungen für die Konturen des Gesichts aufgetragen. Wir versetzen ihn in die Situation und lassen ihn die Handlung durchlaufen. Dann lassen die Künstler die Haare Schritt für Schritt mit dem Computer erscheinen.
Der Interviewer vergleicht diese Vorgehensweise mit der des Films An American Werewolf in London. Ein Vergleich, den Will Binder aufgreift:
Es ist das gleiche Konzept, nur dass diese Leute animierte Wölfe und andere Sachen für Hunderttausende von Dollar bauen lassen, während wir hier alles mit einem Minimum an Mitteln machen müssen.
Während seiner Recherche trifft Gabriel allerdings auch auf echte Wölfe. Schließlich steht ja im Raum, dass das kleine Mädchen ganz un-übersinnlich von einem Wildtier getötet wurde. So besucht er recht früh in der Handlung auf den Münchner Zoo und puzzelt sich bis zum Wolfsgehege durch. Für die Dreharbeiten wurden von Tiertrainern aus Los Angeles ein männliches und ein weibliches Exemplar ans Set gebracht. Die Szene, in der ein Wolf seine Zähne entblößt und knurrt, benötigte allerdings noch spezielle Vorbereitung: Das Tier wurde mit einem Metallgeschirr um die Brust gesichert, das an einer Stahlkette hing. Dann wurde vor dem Wolf ein Stück Fleisch aufgedeckt – die Szene war im Kasten.
Dreharbeiten
Das Script, das Jane Jensen für The Beast Within geschrieben hatte, war 600 Seiten dick. Dies wird in so ziemlich jedem Interview und jeder anderen Quelle betont. Im Vergleich zu einem Film-Drehbuch ist es wegen der vielen Dialog-Optionen und möglichen Abzweigungen zwar fünfmal so dick, allerdings war auch schon das Phantasmagoria-Script 550 Seiten stark. Seltsamerweise wird dies selten so stark herausgestellt.
Wie dem auch sei: Binders Aufgabe war nun, diese Geschichte in verfilmbare kleine Brocken zu unterteilen und möglichst ressourcenschonend zu verfilmen. So wurden Szenen, die zwar in der Story zu völlig verschiedenen Zeiten aber am gleichen Ort spielten, direkt nacheinander gedreht. Die einzelnen Schnipsel konnten minutenlange Dialoge und Zwischensequenzen sein – es gab aber auch sehr viele kurze Einstellungen, in denen sich ein Charakter zum Beispiel nur bückt oder umdreht. Die wichtigsten Aktionen wie zum Beispiel Laufen mussten aus verschiedenen Blickwinkeln eingefangen werden, um später passend in die Hintergründe eingefügt zu werden. Für die Kontinuität war es auch äußerst wichtig, dass eine Aktion wieder möglichst in der gleichen Körperhaltung endet, um fließende Übergänge zu ermöglichen.
War Binder nicht mit den Dreharbeiten beschäftigt, kümmerte er sich viel um die Vorproduktion – offensichtlich hatte das Knight-Team aus den Phantasmagoria-Fehlern gelernt. Sowohl Budget als auch Zeitplan saßen dieser Produktion von Anfang an im Nacken und nur mit genaustens geplanten Tagesabläufen waren die Filmaufnahmen überhaupt stemmbar. Gabriel-Darsteller Dean Erickson war insgesamt dreieinhalb Monate ganztags mit den Dreharbeiten beschäftigt – und bereits davor und danach wurden noch Szenen mit anderen Schauspielern gedreht. Immerhin verließen die Darsteller bei unterschiedlichen Gelegenheiten auch mal das Studio und durften vor Ort drehen – doch dazu später mehr.
Zwei Amis in Bayern
Kommen wir zurück zur Ausgangssituation: Gabriel quartiert sich im Hof der Bauernfamilie ein, deren Tochter von einem Wolf getötet worden sein soll. Von dort aus beginnt er seine Ermittlungen, die ihn schnell nach München führen. Es besteht der Verdacht, dass entflohene Wölfe aus dem dortigen Zoo für die Todesfälle verantwortlich sind.
Grace Nakimura, seine enge Mitarbeiterin aus dem ersten Teil, ist zu Spielbeginn noch in New Orleans und hält in Gabriels Buchladen die Stellung. Wobei die Art und Weise, wie sie Kunden und Gabriel-Fans behandelt, nicht mehr (wie im Vorgängerspiel) schnippisch ist. Diese „neue“ Grace wirkt leider in einigen Teilen des Spiels neidisch und verbittert. So auch gleich zu Beginn ihres Handlungsbogens. Sie erreicht ein Brief von Gabriel, in dem er folgendes schreibt:
Gracie – es ist etwas dazwischen gekommen. Ich bin an einem neuen Fall dran. Schade, dass du nicht hier bist, um zu helfen, aber Gerde kann alle Nachforschungen machen, die ich brauche. Ich rufe an oder schreibe, sobald ich kann. In der Zwischenzeit kannst du den Laden ein bisschen auf Vordermann bringen, wenn du willst – du weißt schon, Blumen und so, aber übertreibe es nicht! Mir gefällt der alte Laden so, wie er ist.
Grace sieht rot, wirft die Kunden raus, schließt den Laden und bucht einen Flug nach Deutschland. Gerde, ha! Allein ihr hochnäsiger Auftritt, wenn sie auf Schloss Ritter erstmals auf besagte Gerde, Gabriels Haushälterin, trifft, macht sie in höchsten Maße unsympathisch. Aufbrausend eifersüchtig reißt sie die Recherche an sich. Nun, zum Glück ist sie ja nur Nebenfigur. Oder?
Grundsätzlich hatte Jane Jensen eine hervorragende Idee für The Beast Within: Sie wollte die Rolle der bei den Fans des Vorgängers beliebten Grace ausbauen. Gleichzeitig könnten sich die zwei getrennt steuerbaren Protagonisten auf zwei unterschiedliche Aspekte des Mysteriums konzentrieren: Während Gabriels Nachforschungen ihn immer mehr Richtung Werwölfe führen, entdeckt Grace bald Verbindungen zwischen dem Komponisten Richard Wagner und dem bayerischen König Ludwig II., die bis dahin verborgen waren. Dies führt dazu, dass die beiden Protagonisten jeweils abwechselnd in den Kapiteln des Spiels agieren. Wenn der Spieler die anfängliche Skepsis gegenüber Grace – die die Figur selbst geschürt hat – überwindet, ist diese Spielweise auch gut gelungen. Bleibt die unglückliche Charakterzeichnung der Figur zu Beginn.
Baron Friedrich von Glower
Spiele leben wie viele andere Medien von der Güte des Antagonisten. Im Falle von The Beast Within findet Gabriel in München bald den Jagdclub einer kleinen Männergesellschaft. Dort trifft er auf Baron Friedrich von Glower und freundet sich mit ihm an. Von Glower strahlt ein Selbstbewusstsein und eine unterschwellige Gefährlichkeit aus, die selbst bei der damaligen Video-Auflösung greifbar ist.
Gespielt wird er vom polnischen Schauspieler Piotr Józef Andrzejewski, der sich in den USA unter dem Namen Peter J. Lucas versuchte. Nach einigen kleineren Rollen unter anderem in Independence Day und einer Folge von Baywatch Nights ging er wieder zurück nach Polen, wo er unter anderem auch in der dortigen Variante von Let’s Dance auftrat.
Von Glower hatte die Königlich-Bayerische Hofjagdloge 1970 wiederbelebt und seither peinlich genau darüber gewacht, wer Mitglied wird. Die fünf aktuellen Angehöriger sind handverlesen – und reich. Mittelpunkt der Runde ist aber immer der Baron – dessen Beschreibung der Jagd aufhorchen lässt: „Die Jagd hilft uns, wieder in Kontakt mit unserer Raubtierseele zu kommen.“ Gabriel gewinnt das Vertrauen dieses Mannes und geht bald in der Loge ein und aus. Es scheint, als habe hier jeder ein Geheimnis. Und das um von Glower scheint das größte zu sein. Sein ausschweifender Lebensstil übt eine magische Anziehungskraft auf Gabriel aus. Der Schattenjäger und von Glower sind sich in einigen Szenen schon sehr angetan – weshalb das Ende des Spiels mit Gabriel und Grace ein wenig wie ein Rückschritt anfühlt. Eventuell liegt es auch daran, dass Jane Jensen als Autorin Schwierigkeiten mit Beziehungen zwischen Männern und Frauen hat. Unter dem Pseudonym Eli Easton schreibt sie erfolgreich Romane, die sich um schwule Paare drehen. Auf der Webseite erklärt sie das so:
Obwohl ich schon als Teenager gerne Hetero-Liebesromane gelesen habe, war ich nie besonders gut darin, sie zu schreiben. Mich reizt die Vorstellung, wie sich zwei Menschen treffen und beschließen, ihr Leben gemeinsam zu verbringen – das Geben und das Nehmen von Charakteren und ihre Beziehungsdynamik. Aber ich finde es schwierig, eine typische Mann/Frau-Beziehung zu schreiben. Ich glaube, das liegt daran, dass ich schon immer ziemlich schlecht darin war, sehr weibliche Charaktere zu schreiben. Warum schreibe ich aber schwule Liebesromane? Weil ich es liebe, sie zu lesen. Ich habe während einer besonders stressigen Zeit im Jahr 2012 angefangen, dieses Genre zu lesen und es war meine Wunderwaffe in Sachen Entspannung und Flucht aus dem Alltag.
Richard, Ludwig und die Musik
Während sich Gabriel hauptsächlich in München und auf dem Hof der Familie Huber aufhält, führen die Nachforschungen von Grace ins bayerische Umland. Dies allerdings erst, nachdem sie sich mit Gerde auf denkbar peinliche Weise versöhnt hat. Gefühlvolle Szenen sind leider nicht die Stärke von Jensens Drehbuch.
Neben dem berühmten Schloss Neuschwanstein schaut sich Grace auch am Starnberger See und in zwei Museen um. Jane Jensen verwebt hier wunderbar die historischen Gestalten mit der Möglichkeit von übernatürlichen Wesen. Dies führt auch zu einigen beunruhigenden Träumen von Grace, in denen sich der bayerische Monarch vor ihren Augen in einen grauen Wolf verwandelt. Ja, Gabriels Träume aus dem ersten Spiel scheinen abzufärben. Am stärksten ist der Grace-Zweig, wenn er Figuren wie Otto von Bismarck und Ludwig II. mit ihren realen Ränken auf die Bühne des Spiels setzt und im gleichen Dialog, in dem Grace etwas darüber erfährt, Werwölfe oder eine verschollene Wagner-Oper einbaut. Unterfüttert werden diese kleinen Hinweise durch Briefe und Dokumente, die Grace in verschiedenen Museen anschauen kann. Auch hier verschwimmen wieder historische Wahrheit und spielerische Übertreibungen. Wer sich darauf einlassen kann, hat in diesen Sequenzen verblüffend viel Spaß.
Im Finale des Spiels laufen die Handlungsstränge zusammen. In einer – für ein Computerspiel – aufwendig gedrehten Szene im Opernhaus schmuggelt sich Gabriel auf die Bühne, während Baron von Glower im Publikum einer neu entdeckten Wagner-Oper lauscht. Geschrieben hat die Musik der Sierra-Komponist Robert Holmes, der schon den Vorgänger vertont hat und auch den vollständigen Beast-Within-Soundtrack beigesteuert hat. Das Libretto verfasste Jane Jensen selbst. Natürlich ist die Szene für heutige Augen laienhaft gespielt. Die Musik hat bei aller Qualität keineswegs Wagner-Güte und die Schnitte verbergen nicht, dass das Bühnenbild recht rudimentär gehalten ist. Dennoch: So etwas muss man sich als Designerin erst einmal trauen! Die Oper dürfte nicht zu den am häufigsten genannten Lieblings-Musik-Genres der Sierra-Fans gehört haben. Und dennoch hat Jane Jensen einen solchen Höhepunkt gesetzt.
Gedreht wurde die Opern-Szene im Opernhaus der Stadt Seattle. Eingebunden sind auch Mitglieder des damaligen Ensembles. Übrigens ist zwar die Bühne des Opernhauses tatsächlich gut gefüllt mit Sängern und Tänzern, doch das große Publikum wurde wieder per Bluescreen getrickst. Will Binder dazu im Lösungsbuch:
Wir drehten jeweils zwei oder drei Personen und ließen sie verschiedene Arten von Zappel-Aktionen machen. Dann werden die Programmierer diese auf allen Sitzen platzieren. Es gibt etwa 500 Leute auf den oberen und unteren Rängen. An einer Stelle springt ein Mann von der mittleren Loge gesprungen; wir haben [im Studio] eine niedrige Decke, also mussten wir ihn beim Fallen in verschiedenen Stadien filmen… aber am Ende schaut man sich das an und sagt „Wow!“
Bild und Ton
Leider scheint das originale Video-Material verloren zu sein, so dass eine remasterte Fassung oder gar DVD-Qualität nicht zu erwarten ist. Natürlich gibt es einige Versuche, mittels KI die Bildqualität zu verbessern – doch die vielen kleinen Abzweigungen und kleinen Animationen werden dies zu verhindern wissen. Aktuelle Spieler sollten also die Augen ein wenig zusammenkneifen.
Auch der Ton leidet unter der Kompression, mit der die Daten auf sechs CDs gepresst wurden. Neben der originalen englischen Version gibt es auch eine deutsche Fassung, die sich einer ganz besonderen Problematik annehmen muss. Zwar wohnt Gabriel bereits seit einiger Zeit in Deutschland, doch scheint er es nicht nötig gehabt zu haben, auch nur einen einzigen deutschen Satz zu lernen. In der Original-Fassung ist das kein Problem: Er spricht englisch, die anderen Charaktere untereinander deutsch und mit ihm ebenfalls englisch. Wie aber transportiert man diese Konstellation, die immer wieder auch auf dem Bildschirm ausgespielt wird, in eine rein deutsche Fassung?
Kein Problem, dachte mal sich bei Voicegroup, der zuständigen Synchronisations-Firma. Während die ursprünglich englisch gehaltenen Passagen nun hochdeutsch vertont wurden, wurden die deutschen Dialog-Anteile ins Bayerische übertragen. Eine durchaus patente Lösung, wie jeder Besucher des Freistaats bezeugen kann.
Deutschland, das Land der Dichter, der Denker und der Zensur-findet-nicht-statt-Behörde, bekam ausnahmsweise eine vollständige Fassung spendiert. Geschnitten wurde stattdessen eine deutschsprachige Fassung, die in Großbritannien veröffentlicht wurde. An einigen Stellen fehlen die Bewegtbilder. Der Ton läuft weiterhin, doch auf dem Bildschirm sind nur Texttafeln zu sehen: „Ein Lebewesen hat totes Fleisch gefressen!“, „Lebe wohl, Gabriel Knight!“ und „Am Bein verletzt!“. Auf Schnittberichte.com könnt Ihr Euch die zugehörigen Bilder anschauen und die Stummfilm-Atmosphäre der Texttafeln genießen.
Verkäufe
Phantasmagoria war ein äußerst erfolgreicher Titel für Sierra. Innerhalb der ersten acht Monate verkaufte es über 600.000 Exemplare. Die Firma erhoffte sich also zurecht, mit dem technisch und spielerisch besseren The Beast Within einen ebenso großen Hit in der Hinterhand zu haben. Doch dies bewahrheitete sich leider nicht. Eine aussagekräftige Zahl habe ich leider nicht gefunden, doch laut Wikipedia haben sich die beiden Teile der Gabriel-Knight-Saga zusammen bis zum Dezember 1998 gerade einmal 300.000 mal verkauft. Kein Wunder also, dass Sierra nach dem ebenfalls nicht erfolgreichen Phantasmagoria: A Puzzle of Flesh mit dem Abenteuer „Full Motion Video“ größtenteils abschloss. Ein angedachter dritter Phantasmagoria-Teil wurde damit ad acta gelegt – und Gabriel Knight ermittelte in seinem dritten Fall in einer ganz neuen Dimension.
Zum Abschluss
Wie auch schon Sins of the Fathers verarbeitete Jane Jensen die Spiel-Geschichte zu einem Roman. Es ist leider nur noch antiquarisch zu beziehen – und wer nicht mindestens 150 Euro dafür hinblättern möchte – sollte beim Spiel bleiben. Das ist für sehr wenige Taler auf den gängigen digitalen Plattformen käuflich zu erwerben. Wer aber wissen möchte, ob es Unterschiede zwischen Buch und Spiel gibt, kann im Gabriel-Knight-Wiki blättern.
Im offiziellen Lösungsbuch zu The Beast Within – das ebenfalls nur noch teuer und antiquarisch zu bekommen ist – sind an vielen Stellen Zusatzinformationen wie Interviews oder Kurzbiographien enthalten. Besonders angetan hat es mir die Seite mit Filmen rund um Werwölfe. Da finden sich Perlen wie Werewolves on Wheels, Frankenstein meets the Wolfman, The Werewolf of Washington oder auch Wolf aus dem Jahre 1984. Viel Spaß beim Entdecken und Genießen.
Es gibt im Internet einige Seiten, auf denen Besucher die Stellen in Deutschland besuchen, die als Vorlage für Rittersburg und Schloss Ritter dienten. Bewegtbilder finden sich auf dem Youtube-Kanal von IPKISSFORLIFE, der die einzelnen kurzen Filme mit den entsprechenden Stellen aus dem Spiel verbindet.
Stephen Spielbergnqollte seine Monsternso spät wie möglich zeigen…. wenn ich da an einen Film mit einem fliegenden Fahrrad denke so war das zugegebener maßen kleine und niedliche Monster mit ddem Leuchtefinger recht feüh zu sehen 😀
Wenn ich das noch richtig weiß, war das Drehen mit den Haimodellen eine logistische Katastrophe und Spielberg überzog die geplanten Drehtage enorm. Das war eher Notwendigkeit, dass man den Hai nicht so oft sah, weniger ne künstliche Entscheidung. Jedoch hat das den Film ja sogar gut getan.
Ich halte es meistens für besser, den Schrecken in Filmen oder anderen Medien so spät wie möglich vollständig zu zeigen. Wenn in Alien 3 das ganze Vieh zu sehen ist, wie es durch einen Gang sprintet, wirkt das einfach weniger als das Alien im ersten Film. Hier bei GK2 kommt hinzu, dass der CGI-Wolf einfach teuer ist…
WIn Alien 3 war das halt glaub ich durch ne Comüuteranimation ersetzt und die wirken zuweilen so als würde für die keine Schwerkraft und andere Physikalischen gesetze gelten. Dadurch hat das halt auch weniger Impact. Ein Jurassicpark 1 wirkt daher immer noch vergleichsweise gut gealtert auf grund der wenigen CGI
Vielen Dank für den Bericht. Auch wenn ich nicht viel mit dem Nachfolger meines Lieblings-Sierra-Adventures anfangen kann, waren die ganzen Hintergründe spannend zu lesen. Bin gespannt auf deinen Artikel zu Teil 3, sollte es den geben.
Das könnte einige Jahre dauern, schätze ich. Erst müsste meine GoG-Version ohne Grafikfehler laufen.
Ein Fall für den Nischenliebhaber, der scheinbar alles zum Laufen bekommt?!
Sollte eigentlich über 86Box ganz gut lauffähig sein. Mal die Voraussetzungen schauen:
Windows 95
Pentium II 266
32 MB RAM
Für nen Spiel von 1999 doch recht genügsam. Ich schau es mir mal an.
Die GOG-Version kriegt man eigentlich recht gut zum Laufen.
Wichtig ist, dass man „Incremental Rendering“ im Spiel unter den Advanced-Grafik-Optionen abschaltet. Und ich finde, das Mipmapping ist etwas zu stark. Würde ich abschalten und vom Grafiktreiber handhaben lassen.
Das Spiel stürzt aber gerne mal ab.
Noch besser läuft es, wenn man auf Software-Rendering umstellt. Dann gibt es allerdings natürlich kein Filtering mehr. Hat seinen ganz eigenen Charme.
Und wenn man beides will, kann man den dgVoodoo2-Wrapper draufhauen. Das ist vielleicht die hübscheste Variante.
Ich versuche es nochmal. Sonst per Emulator.
So, mit Software Rendering ist das Flackern und die schwarzen Flächen weg. Sieht bestimmt insgesamt schlechter aus, aber dafür tränen die Augen nicht mehr 😀
Die Gabriel Knight Serie ist für mich persönlich eine der besten Adventures-Serien überhaupt! Jedes der drei Spiele ist vollgepackt mit tollen Rätseln, viel Recherche, einer sehr guten plotprogression, tollen Dialogen und vor allem einer grandiosen Atmosphäre.
Und jedes der drei Spiele hat das eine doofe Rätsel. Hier in Teil 2 ist es wohl das Kuckucksuhr-Rätsel.
Der Wechsel auf FMV und echte Schauspieler war halt einfach dem Zeitgeist geschuldet. Natürlich kann man sich über die Produktionslimitationen einer Spielefirma amüsieren oder darüber, dass halt einfach ganz klar nicht jeder Nebendarsteller wirklich Deutsch konnte, aber es ist trotzdem ein beeindruckendes Werk geworden, das zu den Besten der FMV-Ära zählt.
Ja, Herr Erickson ist jetzt nicht unbedingt Tim Curry, passt aber immerhin recht gut. Ganz schlimm wird er aber vor allem in der deutschen Synchro, wo das letzte Bisschen seines Schauspiels kaputt gemacht wird.
Und, ja, Grace wirkt am Anfang etwas lasch und ungracig. Ich würde es jetzt nicht gerade unsympathisch nennen. So wie Gabriel sie abkanzelt, ist es schon ein bisschen nachvollziehbar.
Ich mag schlussendlich ihren Charakter in Teil 2 sehr. Vor allem auch ihren Teil des Handlungsstranges.
Ein echt schöner Bericht zu einem meiner liebsten Adventures (aber ich mag Teil 1 lieber).
Wie kannst du nach diesem Artikel Teil eins immer noch besser finden?! 😉
Ich bin eben unbelehrbar. 🙂
Aber du hast natürlich den wichtigsten Negativpunkt von GK2 gegenüber GK1 vergessen: Virginia Capers!
Aber mal von ihrer – meiner Meinung nach – echt genialen Stimmarbeit als Erzählerin abgesehen, war der/die Erzähler(in) für mich eigentlich auch immer eines jener Elemente, die ich an Sierra-Abenteuern so mochte. Klar schwankte die Qualität der Narration aber ich fand das halt immer schön, gewisse Dinge nicht mit der Stimme des/der Protagonist(e/i)n zu erfahren und manchmal auch Dinge, die die/der Protagonist(in) nicht sagen würde. Ich finde das spannend und bedeutet für mich einfach noch eine zusätzliche Ebene.
Mit King’s Quest 7 hat Sierra mit einer Erzählstimme aufgehört (kam nur ganz kurz mit Quest for Glory 5 zurück) und ich fand das schade.
Aber, wie gesagt, GK2 ist super! Auch ohne Erzähler. 🙂
Ich bin von ihrer Erzählstimme ja nicht so besonders begeistert. Ist mir zu langsam – auch wenn es vermutlich genau so beabsichtigt ist.
„Olle Zoowölfe troagen eine!“ und „Wer Sieeeee sinnnndddd?“
Also bei al den komischen Dialogen, die das Spiel hat und eine unfassbar nervige und zickige Grace, wo ich mich gern an das gebeefe zwischen Ihr und Gerde erinner. Dennoch hab ich das Spiel als Let’s Play genossen und werds auch selber sicherlich auf deutsch Durchspielen. Die Synchro find ich in vielen Fällen sehr gelungen, also besser als in Phantasmagoria 2, wo die Dialoge noch blöder waren, als ich Sie mir je vorstellen konnte. Aber von den ganzen Sierra FMV Adventures, würde ich dennoch Gabriel Knight 2 als den besten ansehen. Es hat dennoch seinen Charme und manche Schauspieler passen gut dennoch in das Spiel rein, wie ich finde.
Auch hier wieder ein schöner Artikel von Dir 😀