If I can make it there / I’ll make it anywhere / It’s up to you / Oh, Ho-bo-keeeeeen!
Legend Entertainment startete als reine Adventure-Firma, die die Fackel Infocoms weiter durch das drohende dunkle Zeitalter der Casual-Spiele tragen wollte. Aber im Laufe der Jahre schrumpfte der Markt in diesem Segment trotz der durchgehend hohen Qualität der Legend-Spiele weiter und die Firma begann, ihre Formel aufzuweichen. Mit Companions of Xanth und Death Gate entstanden Adventures mit einer neuen graphischen Oberfläche und mit der Superhero League of Hoboken traten einige Recken in den Ring, von denen die Welt bis dato noch nicht wusste, dass sie sie brauchte. Dass sie ihre Heldentaten nicht nur nach dem Muster „Benutze Hitzeblick mit Stahltür“ oder „Ziehe enge Leder-Klamotten an und betrachte dich bewundernd im schimmernden schwarzen Lack deines Autos“ vollbringen würden, war dem Schöpfer des Spiels von Anfang an klar. Sieben Jahre, bevor das Spiel erschien.
Super-Hero League of America
Ehe Steve Meretzky als Freiberufler für Legend Entertainment arbeitete, erdachte er einige der besten Textadventures der Firma Infocom. Unter anderem Planetfall, A mind forever voyaging und The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gingen auf sein Konto. Und auch die Leather Goddesses of Phobos entsprangen seiner Phantasie, bei denen er schon einmal den Penäler-Humor seiner Spellcasting-Serie ausprobieren konnte. 1987, nachdem er Stationfall abgeschlossen hatte, schickte er acht Ideen im Infocom-Team herum, die er für ein nächstes mögliches Spiel hatte und bat um Rückmeldungen. Auf der Seite Internet Archive sind alle acht Kurzentwürfe samt der daneben gekritzelten Kommentare der Kollegen zu finden. Neben einer „Interactive Bible“, für die sich Steve schon die Werbeanzeigen vorstellt („Spiel das Buch!“ oder „Hast du dir schon immer gedacht, dass Gott es versaut hat? Dann versuch es selber!“) schlägt er auch ein Mystery-Spiel unter dem Schlagwort „Mini Mysteries“ vor, das vier kürzere Geschichten in unterschiedlichen Zeiten bündeln sollte. Da einer der Handlungsstränge auf einem Kreuzfahrtschiff spielen sollte, meldete er schon einmal Recherche-Bedarf an Bord an. Western-Comedy, die Titanic, Zork Zero... Und mittendrin bietet er die Super-Hero League of America (der Bindestrich verlor sich im Laufe der Entwicklungs-Jahre) an. Er schreibt dazu:
Als Marvel Comics fragte, ob wir an einer Zusammenarbeit interessiert wären, dachte ich, Steve, Kumpel, Freundchen, du könntest dir viel interessantere und seltsamere und lustige Superhelden ausdenken als diese abgenutzten langweiligen Marvel-Comics-Superhelden. Wie Farm Stand Man, der sich in jedes Gemüse verwandeln kann, das mit einem Vokal beginnt. Dr. Madmoiselle Mozzarella, die den Belag auf jeder Pizza erkennen kann, bevor die Schachtel überhaupt geöffnet wird! Dies wäre ein Spiel im Stile des Hitchhikers / Rashomon, in dem du einen von einem halben Dutzend Superhelden deiner Wahl spielen könnest. Die Geschichte würde etwas anders sein, je nachdem, welche du wählst. Wenn du Annelid Man wählen würdest (der mit jedem Mitglied der Wurmfamilie kommunizieren kann), würdest du nicht so viel Respekt genießen wie Dr. Asphalt (der ganze achtspurige Highways verschlingen kann), und die anderen Superhelden würden dir nicht so bereitwillig gehorchen. Potenzial für viele interessante Rätsel. Mögliche RPG-Elemente.
Ich erinnere mich daran, dass ein Problem besonders an mir nagte: Jedes Spiel über Robin Hood musste Bogenschießen und damit Pfeile beinhalten. Aber wie unterscheidet man Pfeile in einem Textadventure?
>Take arrow. “Which arrow do you mean – the first arrow, the second arrow…?” oder genauso lächerlich “the red arrow, the blue arrow, the green arrow…”?
Superhero League von wo?
Das Cover des Spiels deutet schon zart die Stoßrichtung des Titels an: Ernst ist hier bis auf die Spielmechanik nichts. Steve suchte sich als Standort seiner Superhelden-Truppe eine Stadt jenseits von New York oder San Francisco. Abseits, aber nicht abwegig – schließlich sollten seine Helden ja trotzdem in einer Stadt operieren. Da bietet sich doch eine kleine Stadt an, die immer ein wenig im Schatten ihres Nachbarn liegt. Am Hudson River gelegen bietet Hoboken einen hervorragenden Blick auf die Skyline von New York. Drüben locken das Empire State Building, Greenage Village und der Times Square, hüben schlägt Google Maps Einkaufszentren, eine Kletterhalle und das Hoboken Historical Museum vor.
Hoboken bietet einige Persönlichkeiten auf, die dort geboren wurden – wobei Frank Sinatra neben vielleicht noch Pia Zadora der bekannteste sein dürfte – und dessen Name vor Ort ein Park und ein Fußballplatz ziert. Wer wie ich aber ein wenig über die Karte stromert, entdeckt auch einen Laden namens „Pilsener Haus & Biergarten„, in dem diverse deutsche Biere wie Hofbräu Original Lager oder Weihenstephaner Hefeweißbier (für 18 Euro den Liter) ausgeschenkt werden. Na gut, es gibt auch Kölsch (der halbe Liter für 10 Euro). Hoboken mit seinen 60.000 Einwohnern mag also ein guter Ort zum Leben sein (bis auf das Kölsch…) – aber auf der anderen Seite des Zauns ist das Gras ja immer grüner – oder in diesem Fall der Beton am anderen Ufer des Hudson Rivers bestimmt ein bisschen weniger grau. Der perfekte Ort für eine Liga von Superhelden, die den großen Sprung nach New York nicht geschafft haben.
Marvel und DC? Adventure und RPG!
Als Steve nach seinem Activision-Abstecher wieder für Legend Entertainment arbeitete, legte er den am Ende von Spellcasting 301 – Spring Break angekündigten Nachfolger zu den Akten. Der dritte Teil der Zauberer-Serie hatte sich wohl eher zäh verkauft und vermutlich hatte Steve auch einfach Lust auf etwas Abwechslung. Vielleicht mit der Ausnahme von Lane Mastodon vs. the Blubbermen, seinem letzten Werk für Infocom, hatte er immer reine Adventures entworfen. Nun war die Zeit gekommen, um seine alte Idee auszugraben und zwei Wörtchen des ersten Entwurfs mit Leben zu füllen: „Mögliche RPG-Elemente“.
Wobei er sein eigenes Infocom-Konzept eigentlich über Bord werfen wollte. In dem umfangreichen Buch „Game Design: Theory and Practise“ von Richard Rouse III geht Meretzky in einem Interview auch auf die Entstehung der Superhero League of Hoboken ein:
Ursprünglich hatte ich vor, daraus ein vollwertiges Rollenspiel zu machen. Aber Legend hatte noch nie etwas gemacht, das kein normales Abenteuerspiel war. Daher war die Firma nervös, und ich konnte sie nur davon überzeugen, es zu einem Rollenspiel/Adventure-Hybriden zu machen.
Das war Neuland für Steve Meretzky. Zwar gab es in Infocoms Beyond Zork rudimentäre Rollenspiel-Anteile wie steigerungsfähige Charakterwerte, aber daran hatte er nicht mitgearbeitet. Wie also bringt man der Adventure-Engine von Legend die Rollenspiel-Töne bei? Nun, das werden wir gleich sehen. Denn erst einmal startet das Spiel mit einem netten Intro, in dem uns die drastische Zukunft unserer Erde vor Augen geführt wird. In zweihundert Jahren wird sich die Welt gewandelt haben. Massen an Fast-Food-Packungen und sich zersetzenden Nintendo-Packungen haben für einen steigenden Meeresspiegel und den Zerfall zivilisierten Lebens gesorgt. In der Bevölkerung gehen Mutationen sprunghaft nach oben – selbstverständlich nicht unbedingt immer zum Guten. Ein Glück, dass sich auf dem amerikanischen Kontinent die Streiter des Guten zu Superhelden-Teams zusammenschließen, um ihre unglaublichen Kräfte für die Gerechtigkeit einzusetzen. Leider gibt es auch innerhalb solcher Strukturen eine soziale Rangordnung. Zivilisations-Verfall hin oder her: Je uncooler die Superkräfte, desto weniger bekannt die Stadt, in der der Held seine Festung der Einsamkeit errichtet. Und das führt uns natürlich nach Hoboken.
Die Stadt liegt nun nicht mehr nur am Ufer des Hudson sondern teilweise unter Wasser. Vom Hauptquartier aus sieht man die zerfallende Skyline Manhattans. Zeit für die Superhelden-Liga, sich zu formieren und erste Aufträge in Empfang zu nehmen. Im Aufenthaltsraum können wir die gewünschten Team-Mitglieder anheuern, die wir mit Waffen und Ausrüstung versorgen. Euer Haupt-Held ist Crimson Tape, dessen Spezial-Fähigkeit (schicke Organisationsschema erstellen) so ziemlich die nutzloseste aller Heldenfähigkeiten sein dürfte. Dazu kommen noch Kämpen wie Iron Tummy (kann ohne Probleme Unmengen von scharfem Essen in sich stopfen), Captain Excitement (strahlt eine solche Aura von Lethargie und Dumpfheit aus, dass er die meisten Gegner-Typen in Tiefschlaf versetzen kann) oder Princess Glovebox, die Landkarten wieder zusammenfalten kann. Leser dieses Artikels werden sich an die grauenhafte patentierte Faltung der Falk-Karten erinnern. Die meisten dieser Helden-Kräfte werden im Adventure-Teil genau einmal gebraucht – und auch im Rollenspiel-Bildschirm könnt ihr die Superkräfte zwar theoretisch auswählen, praktisch sind sie aber nutzlos. Ein Glück, dass wir im Spielverlauf noch weitere Superkräfte erhalten können, indem wir unterschiedliche Tränke schlucken. Die Dinger haben so unterschiedliche Farben wie türkis, Zitrone, rotbraun oder blutfarben (für Männer: blau, gelb, braun und rot) und verschaffen unseren Helden neue Möglichkeiten. Zum Beispiel können sie dann Dinge rosten lassen oder Wassertreten. Letzteres klingt unspektakulär, spart eurer Truppe aber Zeit und Geld, weil sie nicht ständig gewisse Stellen mit Fähren überqueren oder Umwege in Kauf nehmen müssen.
Ein Stockwerk über dem Aufenthaltsraum überträgt uns Matilda, unser treuer Zentralrechner, die Aufträge. Das Spiel vergibt immer eine Handvoll Aufgaben gleichzeitig, die wir abarbeiten müssen, bevor der nächste Schwung ansteht. Zum Beispiel wird ein Computer religiös verehrt, auf dessen Bildschirm ein Feuerwerks-Screensaver zu sehen ist. Nun funktioniert er aber nicht mehr richtig und der Priester ist verzweifelt: Entweder wird ihn die Kultgemeinde teeren und federn oder (noch schlimmer) er muss sich eine richtige Arbeit suchen! Ein Glück, dass uns der daneben stehende riesige Blumentopf verdächtig vorkommt. Wir dürfen ihn zwar nicht an uns nehmen, aber wenn wir ihn zerbrechen, kann der Priester glücklicherweise nichts dagegen unternehmen. Und siehe da: Im Inneren versteckt sich ein riesiger Magnet! Damit ist der Bann gebrochen. Der Bildschirm zeigt wieder das Feuerwerk und der Priester ist sich sicher, dass die Ernte reichhaltig und die Frauen fruchtbar sein werden.
Für andere Rätsel im Spiel benötigt die Truppe Gegenstände, die sie bei Händlern kaufen muss. Zum Beispiel können wir eine wild gewordene Herde Schafe nur mit dem entsprechenden Spray vertreiben. Um die passenden Händler zu finden, müssen wir uns wiederum über die – leider nicht besonders hübsche – Landkarte bewegen und Stück für Stück die Gegend erkunden. Dort kommen dann die Rollenspiel-Elemente zu ihrem Recht. Denn ab und zu kommt es zu Zufalls-Begegnungen mit Gegner-Horden, die automatisch in einen Kampf münden.
Lex Luthor, der Joker und Vulture
Wer den Text bis hierher gelesen hat, wird nicht von den Standard-Bösewichtern ausgehen. Statt Soldaten, Wölfen oder meinetwegen auch Räuberbanden bekommt es unsere Truppe mit unterschiedlichen Mutationen zu tun, die sich im Laufe des Spiels auch abwechseln. Treffen wir zu Beginn noch eher auf mutierte Menschen , werden später auch Pflanzen oder Maschinenwesen unsere Gegner. Hier eine kleine Auswahl:
- Der Löwenzahn aus der Hölle setzt seine Samenkapseln als tödliche Geschosse ein
- Die Terrible Two sind emotional (und körperlich) im Kleinkindalter stehen geblieben und neigen zu Wutanfällen
- Die Anwälte sind im Vergleich zu unseren heutigen Modellen nicht besonders mutiert. Abstoßend, heimtückisch und tödlich.
- Der Food Processor ist eine mörderische Kreuzung aus einer Küchenmaschine und einem Textverarbeitungssystem.
- Die Ameisen aus der Hölle sind so groß wie eine Kuh und tragen Vergrößerungsgläser, mit denen sie Sonnenstrahlen aus euch bündeln können.
Logisch, dass unsere Truppe in Kämpfen auch verletzt wird. Wer einen Kampf überlebt, bekommt Erfahrungspunkte gutgeschrieben, wessen Gesundheitswert auf Null fällt, schaut in die Röhre. Erholen können sich die Recken nicht auf der eigentlichen Karte, sondern sie müssen sich auf eines der Spezialfelder bewegen (Marktplätze, U-Bahn-Stationen, Lagerhallen…) und dort rasten. Das funktioniert aber auch nur drei Mal, danach müssen sie wieder in ihr Hauptquartier zurück, um diese Möglichkeit aufzufüllen. Eile mit Weile heißt also das Erkundungs-Motto. Wenn unsere Truppe genügend Aufträge erfüllt hat und Dr. Entropy in die Schranken verwiesen hat, bekommen wir eine Nachricht aus dem Büro des Superhelden-Liga-Commisioners, der uns zu unserer Beförderung gratuliert. Stück für Stück steigen wir im Rang auf und arbeiten uns in der Liste der besten (oder wenigstens bekanntesten) Helden-Vereinigungen voran. Außer der Befriedigung, das geschafft zu haben, regnet es noch Erfahrungspunkte und vor allem bekommen wir pro Level-Aufstieg einen neuen Platz in der Kampf-Gruppe freigeschaltet.
Ich schrieb oben zwar von Rätseln, aber gerade im Vergleich zu den bisherigen Legend-Titeln handelt es sich doch eher um die Einsteiger-Variante. Viele der Situationen (wie obiges Beispiel mit dem Magneten) lassen sich mit einem einzigen Gegenstand oder einer einzigen Superhelden-Kraft lösen. Laut Meretzky war das ganz bewusst so designt:
Da es sich um einen Adventure/RPG-Hybriden handelte, gingen wir davon aus, dass viele der Spieler Rollenspieler wären, die mit Adventures wenig Erfahrung hätten. Und viele andere Spieler wären Adventure-Spieler, die mit Rollenspielen keine Erfahrung haben würden. Also habe ich mich bemüht, die Rätsel sehr einfach zu machen – und wir haben versucht, die Benutzeroberfläche der RPG-Elemente so einfach und benutzerfreundlich wie möglich zu halten.
Wenn unsere Truppe die jeweils aktuellen Aufträge abgearbeitet hat, kommt uns jedes Mal unsere Nemesis, Doctor Entropy, in die Quere. Der Kastenteufel heckt ein ums andere Mal neue finstere Pläne aus, die wir jedes Mal aufs Neue verhindern – die uns aber wie im Spiel üblich nicht vor die größten Hürden stellen.
Wer wie ich keine naturwissenschaftliche Leuchte ist und sich bei dem Namen nicht vor Lachen krümmt: Laut Study Smarter ist die Entropie eine physikalische Größe, welche die Unordnung in einem Teilchensystem beschreibt. Oder um diese Seite mit den Worten des Bösewichts zu beschließen: „Entropy always increases, you know!“
Furious Floppy und Commander CD-ROM
Das Spiel erschien 1994 für MS-DOS auf 3.5″ Floppy Disk und kurz darauf in einer CD-ROM-Fassung mit einem völlig anderen Cover (im Artikel abgebildet ist die Floppy-Fassung). Zweitere Version bot Sprachausgabe auf Soundblaster-Karten, ist aber ansonsten inhaltsgleich. In der Disketten-Version benötigte der „Ich-will-alles-erleben“-Spieler besagte Soundblaster-Karte, um neben der Musik auch Effekte hören zu können. In einem Interview mit der PC Joker 7/8 1995 sagte Bob Bates auf die Frage, ob neue Großtaten von Steve Meretzky zu erwarten seien:
Ehe wir da über die Zukunft nachdenken, muss erst mal die Vergangenheit voll bewältigt sein. So ist doch eben erst die CD-Version seines „Superhero League of Hoboken“ erschienen, für das wir das Cover der Floppy-Fassung neu gestalten mussten. Es war einfach zu euro-avantgardistisch; in den USA konnte sich keiner so recht vorstellen, was für ein Spiel das sein soll – beim simpleren Motiv der CD dürfte das hingegen auf Anhieb klar werden.
Das Spiel sollte nach der ursprünglichen Planung Mitte 1994 erscheinen, verschob sich aber aus unterschiedlichen Gründen Stück für Stück um ein Jahr. Laut Meretzky waren andere Legend-Titel, die vor der Superhero League erscheinen sollten, nicht pünktlich und schoben daher natürlich auch sein Spiel nach hinten. Gleichzeitig hatte er aber auch Probleme damit, der Engine seine RPG-Elemente abzutrotzen. Ein hinzugezogener Programmierer machte sich wohl nur eine gute Zeit und lieferte keine Ergebnisse ab, so dass Legend-intern alles neu programmiert werden musste. Und so zogen die Monate ins Land. Um hier erneut ein kleines Zitat aus „Game Design – Theory and Practice“ einzubringen:
Es war ein VGA-Spiel. Inzwischen war aber alles Super-VGA geworden. Als es herauskam, sah es also sehr veraltet aus. Ich erinnere mich an ein anderes Spiel, das zur gleichen Zeit herauskam: Colonization. Ich habe Colonization gespielt und war schockiert, wie schrecklich es aussah. Ich bin sicher, dass die Erfahrung für Leute, die Hoboken zum ersten Mal sahen, sehr ähnlich war.
The Superhero League of Spiele-Wertungen
Die deutsche Presselandschaft jubelte verhalten: Manual Miracle Mick Schnelle vergab in der PC Joker 9/94 satte 85% und schrieb „Die Superhero League of Hoboken hat sich ihren Hit redlich verdient, vor allem, wenn der Humor des Spielers auf etwa derselben schrägen Ebene liegt wie Monty Pythons oder Spitting Image.“
Volker Weitz, The Weitz-Man, ist nur teilweise überzeugt: „Trotz Charakterwerten, Rundenkampf und massenweise Firlefanz mit Gegenständen und Superkräften, bleibt der Rollenspielteil nur witziges Beiwerk ohne spielerische Herausforderungen“. Trotzdem adelt er das Spiel mit 85 % und der Plakette „Besonders empfehlenswert“.
Masked Mustache alias Heinrich Lenhardt moniert in der PC Player 9/94 dagegen: „Verzweiflung löst die Tatsache aus, dass bei einigen Missionen bestimmte Reihenfolgen eingehalten werden müssen, die man erst durch leidvolles Ausprobieren rausbekommt. Ebenfalls weniger nett: Wenn man sich an einen Zielpunkt vorgekämpft hat, um festzustellen, dass man jetzt wegen eines fehlenden Talents zurück muss, um einen Superhelden auszuwechseln.“ Diese Torturen sind ihm dann nur 70 Prozentpunkte wert.
Steve Meretzky has left the building
Wertungen hin oder her: Was zählt, sind die Verkaufszahlen. Und die waren wohl leider ziemlich ernüchternd. In dem bereits vorhin erwähnten Buch „Game Design: Theory and Practise“ sagt Steve:
Es hat sich nicht besonders gut verkauft. Ich glaube nicht, dass es mehr als 20.000 bis 25.000 Exemplare waren. Und das war schon enttäuschend, denn ich entwickelte lange daran. Sicherlich länger als bei allen anderen Spielen, die ich für Legend entwickelt habe. Und es bekam ziemlich gute Kritiken, also waren die Verkaufszahlen schon sehr enttäuschend.
Superhero League of Hoboken blieb das letzte Spiel, das Meretzky für Legend Entertainment entwickelte. Zwar stellte das Ende dieses Spiels in guter alter Meretzky-Manier den Nachfolger Entropy’s Revenge in Aussicht, aber da war wohl nicht einmal der Wunsch der Vater des Gedanken. Nach fünf Jahren als Freischaffender, der mehr oder weniger ohne Verbindung zum Rest des Teams vor sich hin wirkte, wollte Meretzky wieder eine richtige Firma haben. Er kontaktierte Mike Dornbrook, der wie er ein Infocom-Gewächs war und gründete mit ihm gemeinsam die recht kurzlebige Firma Boffo Games. Dritter im Bunde war laut einem Interview mit CDMag.com ein Freund aus MIT-Tagen, den Meretzky wegen Zeitdrucks als Helfer bei der Superhero League angeheuert hatte. In besagtem Interview erzählt Meretzky auch über die Schwierigkeiten, denen sich Boffo Games immer wieder gegenüber sah:
Diese eine Erfahrung war ein hervorragender Ausblick darauf, wie die gesamten dreieinhalb Jahre bei Boffo aussehen würden. Wie ein Publisher nach dem anderen entweder unterging oder sich mitten im Projekt neu organisierte oder seine Meinung änderte . . . Handshake-Deals kamen nicht zustande, unterzeichnete Absichtserklärungen wurden nicht zu Verträgen.
Die erhoffte Rettung für Boffo, die dann der Sargnagel der Firma wurde, war die beginnende Entwicklung eines Adventures für PC und Playstation für MGM Interactive. Kein Problem für Meretzky, sollte man meinen. Doch dann wollte MGM lieber ein Tomb Raider-ähnliches Spiel. Gut, weit war die Entwicklung sowieso noch nicht voran geschritten, also zurück ans Reißbrett. Dann sollte das Spiel nicht mehr für den PC erscheinen sondern sich komplett auf die Playstation konzentrieren. Das wäre wohl auch noch möglich gewesen. Doch dann merkte MGM, dass Boffo ja gar keine Erfahrung mit der Plattform oder den gewünschten Spiel habe und zog den Stecker. Zwar hatte Boffo dieses Mal einen richtigen Vertrag und wurde von MGM ausbezahlt, aber die Pechsträhne hielt weiter an und nach einigen Monaten ging der Firma das Geld aus und sie musste schließen.
Um diesen Artikel mit einer positiven Note zu beenden: Superhero League of Hoboken ist eines der wenigen Legend-Spiele, dass problemlos digital bezogen werden kann. Sowohl auf GoG als auch auf Steam steht der Titel für wenige Taler im digitalen Schaufenster. Selbst Linux-Benutzer können sich mittlerweile Doctor Entropy in den Weg stellen.
Zwei Seelen schlagen, ach, in meiner Brust
Die Prämisse des Spiels mit der Vermählung eines Adventures und eines Rollenspiels hat also grundsätzlich geklappt. Das Spiel lebt, atmet und funktioniert. Dennoch sind es eigentlich zwei voneinander getrennte Teile, zwischen denen der Spieler hin und her springt. Der offensichtlichste Hinweis darauf ist, dass die beiden Inventare voneinander getrennt sind. Die Ausrüstung, die wir finden oder kaufen, ist nur im Rollenspiel-Teil relevant, während gefundene Gegenstände zur Rätselsuche im Adventure-Bildschirm auftauchen. Und dass die verbesserten Fähigkeiten der Recken nur im Rollenspiel eine Rolle spielen, ist eine vertane Chance. Festzuhalten bleibt: Das Spiel funktioniert trotzdem sehr gut – und mit wirklich guten Englisch-Kenntnissen samt Popkultur- und Sportwissen der USA der 1990er Jahre kommt ihr aus den Schmunzeln nicht mehr raus.
Teil 2: Bob Bates und die CIA
Teil 3: Frederik Pohl’s Gateway-Reihe
Teil 4: Companions of Xanth
Teil 5: Death Gate
Teil 6: Superhero League of Hoboken
Teil 7: Shannara
Teil 8: Mission Critical
Teil 9: Star Control 3
Teil 10: Callahan’s Crosstime Saloon
Teil 11: John Saul’s Blackstone Chronicles
Teil 12: The Wheel of Time
Teil 13: Unreal 2 und das Drumherum
(Dieser Artikel erschien zuerst am 14. Mai 2023 auf GamersGlobal)
Der schönste, beste, interessanteste Artikel den ich heute, ach, in diesem Monat,
nein, in diesem Leben gelesen habe! 🙂
Ganz ehrlich, es tut gut, zu wissen, daß es noch Leute gibt, sie diese Spiele auch so wertschätzen.
Ich danke Dir. Auch wenn ich meinen Kollegen damit mittlerweile auf den Keks gehe: Ich habe gerade die ganzen Legend-Artikel überarbeitet und zu einem Buch zusammengestellt. Deshalb kann ich sagen, dass die 20.000 Exemplare, von denen Meretzky ausging, wohl auch nicht stimmen. Anscheinend hat sich Marvel noch eingemischt, da sie den Begriff „Superhero“ angeblich geschützt haben. Legend hat die Erstauflage von ungefähr 10.000 Exemplaren abverkaufen dürfen und dann war Schicht im Schacht mit Hoboken. Unglaublich 🙁