Spiele von Legend Entertainment #5: Death Gate

Endlich aus einem tödlichen Labyrinth entkommen. Jetzt erst einmal die Füße hochlegen und entspannen? Von wegen! Begleitet Haplo auf seiner Reise durch eine ganz besondere Fantasy-Welt.

Was Companions of Xanth für Michael Lindner war, war Death Gate für Glen Dahlgren. War er bei den beiden Gateway-Spielen noch Teil eines Gespanns, durfte er hier erstmals in kompletter Eigenverantwortung ein Projekt entwickeln. Und da bei Legend seit einiger Zeit Wünsch-Dir-Was-Wochen ausgerufen waren, konnte er sich die Rechte an einem Werk des Autoren-Paars Margaret Weis und Tracy Hickman sichern. Nach zwei Science Fiction-Ausflügen sehnte er sich nach ein wenig Abwechslung und da kam ihm ein Fantasy-Großwerk gerade recht. Wie es so schön im Handbuch heißt:

Glen Dahlgren ist kein echter Patryn-Kriegsherr, aber er spielt einen im Spiel. In seiner Freizeit, wenn er nicht gerade Menschensklaven zerquetscht oder verlorene mystische Künste erforscht, beutet er sich entweder selbst aus oder schreibt Abenteuerspiele (was so ziemlich das Gleiche ist). Er war Co-Autor der Legend-Spiele Frederik Pohl’s Gateway und Gateway 2: Homeworld, bevor er erkannte, dass das Schreiben von Science-Fiction normalerweise eine gewisse Neigung zur Wissenschaft erfordert. Mit Death Gate hat Glen ein Genre gefunden, in dem er sich viel mehr zu Hause fühlt, weil er mit Magie alles wegerklären kann.

Tracy Hickman hatte mit seiner Frau Laura zuvor bereits Dragonlance aus der Taufe gehoben, das aber in den Jahren zuvor schon von einigen Computerspielen als Grundlage genutzt wurde. Die heutzutage vermutlich noch bekanntesten Vertreter sind die Goldbox-Titel von SSI: Champions of Krynn, Death Knights of Krynn und The Dark Queen of Krynn. Doch Dahlgren hatte sein Augenmerk sowieso auf den sich aktuell in der Entstehung befindlichen Death Gate-Zyklus gerichtet, da dieser seiner Meinung nach wegen seines Welt-Designs perfekt für ein Adventure geeignet sei. Siehe Beweisbild A:

Die Welt von Death Gate ist zerstückelt. Dies ist Arianus, die Welt des Luft-Elements

Größenwahn

Im Gegensatz zu Frederik Pohl, der sich für die beiden auf seinen Werken basierenden Spiele praktisch überhaupt nicht interessierte, waren Hickman und Weis begeistert von der Idee und standen dem Design-Team jederzeit für Fragen zur Verfügung. Das war um so wichtiger, weil Dahlgren einen großen Traum hegte, der ein klein wenig überambitioniert klang: Basierten die Gateway-Spiele im Kern “nur” auf der Welt, die Pohl erschaffen hatte und folgte Companions of Xanth der Geschichte eines einzelnen Bands aus der Buchreihe, wollte Dahlgren den kompletten Zyklus in seinem Spiel abbilden. Ein kleiner Vergleich: Demons don’t dream, das Xanth-Buch, ist 304 Seiten lang. Alle sieben Death Gate-Bände zusammen kommen auf 3204 Seiten. Nicht, dass Dahlgren das damals schon so genau wissen konnte. Denn zum Zeitpunkt der Entwicklung waren erst fünf der sieben Bände erschienen und er musste auf Informationen der Autoren zurückgreifen.

Man könnte also an dieser Stelle überrascht einen Schritt zurückweichen und bewundernd “Was für eine Aufgabe!” ausrufen. Oder aber man macht sich so seine Gedanken, wie durchführbar so ein Plan ist. Dahlgren selbst erinnert sich in seinem hervorragenden Blog-Eintrag über die Entstehung des Spiels so an diese Zeit:

Sogar andere Designer bei Legend waren etwas verwirrt von meinen Absichten. Mein Chef Mike Verdu sah mich etwas seltsam an, als ich sagte, ich wolle das Spiel “Death Gate” nennen. Er fragte: “Warum nicht Dragon Wing? Das ist das erste Buch, richtig?” Ich schüttelte nur den Kopf. Er verstand die Größe dessen, was ich geplant hatte, nicht und es dauerte lange, bis er an Bord kam (was er schließlich tat, als er das gesamte Design sah).

Um die schiere Größe des Vorhabens umzusetzen, löste sich Dahlgren von der Vorlage, um ihrer Idee treu zu bleiben: Er übernahm Figuren, Orte und Ideen der Bücher, verdichtete diese und nahm sich davon die Teile, die er für seine Geschichte brauchte. Der grundsätzliche Weltenbau bleibt aber natürlich erhalten und damit auch die Vorgeschichte der Welt. Wer wie ich die Romane nicht gelesen hat, bekommt zu Beginn des Spiels alles Wichtige erklärt.

Die Geschichte

Einige tausend Jahre vor dem Beginn des Spiels und der Romane stritten die Sartan und die Patryn um die Vorherrschaft auf der Erde. Beide Völker standen dank ihrer Fähigkeiten weit über den Dingen und hatten ihre ganz eigenen Vorstellungen der Herrschaft: Während die Patryn die anderen typischen Fantasy-Völker unterjochen wollten, strebten die Sartan ein gemeinschaftlich-friedliches Miteinander an. Nun, der Streit eskalierte und deshalb explodiert im Intro des Spiels unsere schöne Erde in vier große Stücke, die durch den Weltraum fliegen. Schuld daran sind die Sartan, die ihre Streitigkeiten mit den Patryn endgültig beilegen wollen, deshalb das Weltensiegel der Erde zerbrechen und so die Völker dank des zerstörten Planeten vielleicht endgültig voneinander trennen. Und das funktioniert natürlich am Besten, indem man die unliebsamen Nebenbuhler um die Vorherrschaft in eine tödliches Labyrinth einsperrt. Die Sartan selbst sind mit der neuen Situation aber auch nicht besonders glücklich, versetzen sich in Stasis und überlassen die neu geschaffenen Teilreiche sich selbst.

Diese neue Welt teilt sich in fünf Reiche auf: Arianus, die Welt der Lüfte und Heimat der Zwerge. Pryan, die Welt des Feuers oder auch der Energie. Abbarach, die Welt aus Stein und Chelestra, die Welt des… hm, irgendwas fehlt… die Welt des… Wassers! Genau! Des Wassers! Und natürlich das Labyrinth als Gefängnis der Patryn. Um ihrem Gefängnis zu entkommen, müssen die Patryn diverse Tore überwinden – und dies ist vor einiger Zeit Lord Xar, dem derzeit mächtigsten Zauberer seines Volkes gelungen. Nun residiert er im Nexus und studiert Bücher, um die alte Stärke und auch das Wissen seines Volkes wieder zu erlangen. Diese schöne Umgebung wurde von den Sartan geschaffen. Angeblich, um den dann geläuterten Patryn eine neue Heimstatt zu sein. Stattdessen sitzt nun dort Lord Xar fest und steigert sich immer weiter in seine Wut auf seine Peiniger hinein. Laut seiner Erzählung haben die Sartan nur deshalb die Erde zerstört, weil sie im Begriff waren, gegen die Patryn zu verlieren – und er möchte genug Macht anhäufen, um den alten Kampf wieder aufzunehmen.

Wer möchte, kann Lord Xar sehr sehr lange zuhören.

All diese Informationen werden in den Büchern Stück für Stück enthüllt. Das funktioniert in einem gerafften Adventure aber natürlich nicht. Also beginnt das Spiel damit, dass ihr in der Rolle des jungen Patryn Haplo frisch dem Labyrinth entkommen seid. Nachdem ihr euch ein wenig erholt habt, holt euch Lord Xar zu sich. Und nun braucht ihr Sitzfleisch – und eine Aufmerksamkeitsspanne jenseits eines Tiktok-Videos. Denn wenn ihr jede mögliche Gesprächsoption mit Lord Xar anklickt – was wegen der Hintergrundgeschichte ratsam ist – und die Sprachausgabe nicht abbrecht, dann seid ihr 23 Minuten und 22 Sekunden lang beschäftigt. Das war jedenfalls meine Zeit beim letzten Durchgang. Für das Spiel spricht, dass es mir nicht so lange vorkam, aber dennoch ist das ein großer Brocken, den Dahlgren dem Spieler direkt am Anfang auf die Zehen rollt.

Auch im späteren Verlauf des Spiels bleibt das Spiel ausufernd und bringt uns die Geschichte hauptsächlich über lange, wirklich lange Gespräche nahe. Aber: Sie sind hervorragend geschrieben und bis auf wenige Ausnahmen auch wunderbar vertont. Ausgerechnet unser Haplo ist leider ein hervorragendes Beispiel dafür, warum in anderen Spielen die eigene Figur gerne stumm bleibt, denn seine Fragen betont er in den allermeisten Fällen im Kontext des Gesprächs komplett falsch. Was schade ist, weil er mich jedes Mal wieder aus der Geschichte reißt. Gesprochen wurde er von David DeBoy, dessen weitere Credits auf Moby überschaubar sind. So steuerte er Sprache zu Morrowind, Hammer & SickleStar Trek – Legacy und Star Trek – Conquest bei. Hauptberuflich ist der gute Mann als Schauspieler in diversen Serien als Gaststar unterwegs.

Natürlich entsendet euch Lord Xar auf die oben angesprochenen Welten. Haplos Aufgabe ist logisch: Er soll die Siegel-Teile auf den Welten finden und zu Xar bringen. Zusätzlich wäre es natürlich auch nicht schlecht, wenn er noch ein wenig mehr Zauberei lernt, da das Wissen der Patryn in der Gefangenschaft so gut wie vollständig verloren ging. Wenn dies geschafft ist, kann Xar die Zusammenführung der Welten unter seiner Herrschaft beginnen: Die Reformation. Dann kann Xar endlich über die vereinten Völker regieren. Ob das eine ganz selbstlose Idee des schlecht gelaunten Herrn ist, sei hier mal dahin gestellt.

Zauberer und Drachen sollten in keiner Fantasy-Welt fehlen.

Das Spiel

Die anderen Welten erreicht Haplo mithilfe eines fliegenden Schiffes. Um in diese neuen Umgebungen vorzudringen, benötigen wir aber jeweils eine Rune, die wir auf den Steuerungsstein unseres Fluggeräts zaubern müssen. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Rune und Zauberspruch verrät uns Xar in dem Gespräch zu Beginn und zwingt uns dadurch elegant weiter in der Geschichte. Ist aber auch gut so, denn das Startgebiet besteht aus weniger als einer Handvoll Bildschirmen, während Arianus als zweites Gebiet aus ganz anderem Abenteuer-Holz geschnitzt ist. Und selbst innerhalb dieser (und der späteren Welten) erspielt sich Haplo seinen Zugang zu weiteren Gegenden Stück für Stück.

Natürlich sieht es nicht überall gleich aus und ebenso natürlich treffen wir auf unterschiedliche Völker. Neben den bereits erwähnten Patryn, Sartan und Zwergen gibt es natürlich noch Elfen, Drachen, überdimensionale Insekten, Menschen und seltsame Mischungen aus Eichhörnchen und Hunden. Aber was wäre eine Fantasy-Welt ohne einen Zauberer? Eben. Den entsprechenden Charakter dieser Welt treffen wir auf Pryan und er hört auf den Namen Zifnab. Oder Fizban. Oder Zanfib. Je nachdem, welche Weis/Hickman Romanreihe ihr gerade lest. Drei verschiedene Namen für die gleiche Figur? Oder drei verschiedene Zauberer, deren Namen aus der gleichen unvollständigen Scrabble-Packung gezogen wurden? Der Autor selbst hat es in The Annotated Dragonlance Chronicles 1999 mal folgendermaßen aufgeschlüsselt:

Die Antwort ist, dass Fizban ein verrückter Zauberer ist, der urheberrechtlich geschützt im Besitz von TSR ist, während Zifnab ein völlig anderer verrückter Zauberer ist, der Margaret und mir gehört. Übrigens haben weder Fizban noch Zifnab irgendeine Beziehung zu Zanfib – einem verrückten Zauberer aus unserer Starshield-Serie. Ich hoffe, ich habe das ein für alle Mal geklärt.

So oder so: Der gute Mann ist offensichtlich ein wenig durch den Wind und stellt sich gerne auch mal als James Bond vor. Wie er überhaupt gerne das Autoren-Ventil ist, um Popkultur-Referenzen in die Death Gate-Welt einzuschmuggeln.

Lohn der Mühe ist übrigens neben der Befriedigung, das Spiel geschafft zu haben, der Highscore von 1500 Punkten. Wie bei vielen anderen Spielen gibt es in Legend Punkte für erreichte Zwischenziele. Glen Dahlgren wollte aber jedem Spieler, der das Ende erreichte, das Glücksgefühl nicht trüben. Ergo wurde die bisher erreichte Punktzahl notfalls ein wenig aufgerundet und auf dem Bildschirm erschien: “Du hast Death Gate beendet. Du hast die Reiche vor einem schlimmeren Schicksal als dem Tod bewahrt. Und während du all dies erledigt hast, hast du 1500 von 1500 Punkten erreicht. Glückwunsch!”

Die Arianus-Rune wird in den Steuerungs-Stein eingetragen

Magie

Wie fast jede Fantasy-Welt besitzen natürlich auch die Welten des Death Gate-Zyklus magiebegabte Wesen. Hier allerdings reicht es nicht, ein Sprüchlein aufzusagen oder sich ganz ganz feste etwas zu wünschen. Hier wird Magie über Runen gewirkt, die in unterschiedlichen Zusammenstellungen ganz unterschiedliche Dinge bewirken. Haplo beginnt das Spiel bereits mit den Sprüchen, mit denen er Kälte und Hitze erzeugen kann. Dazu lernt er bereits im ersten Gespräch von Lord einen Identifikations-Zauber und den äußerst wichtigen Spruch für den Runen-Transfer. Dass er damit nicht besonders weit kommen kann, ist natürlich logisch. Im Laufe des Spiels kommen durch Gespräche und gelöste Aufgaben weitere Runen und Sprüche hinzu, die in einem eigenen Bildschirm angezeigt werden. Haplo kann aber natürlich auch die gefundenen Runen auf einem Hexfeld-Raster selbst zusammenfügen und hoffen, dass er dabei einen neuen Zauber findet. Meine anfängliche Faszination für diese Versuche ist zwar schnell erloschen, aber dass das grundsätzlich geht, ist eine feine Sache.

Doch in den meisten Fällen ruft Haplo einfach das Runen-Menü aus, wählt einen Zauber und die Runen fügen sich wie von Zauberhand zusammen. Dahlgren und sein Team haben sich sehr bemüht, zu all den Zauberspruch-Gegenstand- oder -Personen-Kombinationen eine Reaktion des Programms zu schreiben. Aber ich vermute, dass die wenigsten dieser Sprüche jemals von einem Spieler gelesen wurden. Denn so einfach die Sprüche auch angewandt werden können: Sie sind trotzdem in einem eigenen Menü und damit zwei bis drei Klicks entfernt.

Die ersten vier Zauber kennen wir schon schnell im Spiel, den Rest zu sammeln ist Arbeit.

Rätsel? Welche Rätsel?

Auch wenn Dahlgren ein Adventure schuf und dieses Genre von Rätseln lebt, konzentrierte er sich auf die konsequente Umsetzung der Roman-Welt. Er vernachlässigte den Puzzle-Anteil nicht, aber dieser war gerade im Vergleich mit den bisher erschienen Legend-Titeln einfacher gehalten. Wiederum Dahlgren in seinem Blog:

Ich habe Rückmeldungen gesehen, dass einige Spieler die Rätsel von Death Gate einfacher fanden als in einigen anderen Adventure-Spielen. Ich behaupte, dass die Rätsel nicht unbedingt einfacher sind. Sie sind einfach fair. Sie sind so konzipiert, dass sie logisch sind und durch den Kontext unterstützt werden. Das war mir in der Designphase sehr wichtig, weil ich die Alternative gesehen hatte.

Diese Alternative war Dragon Lore – Die Legende beginnt aus dem Hause Cryo Interactive. Das 1994 erschienene Spiel scheint Dahlgren inhaltlich nicht besonders beeindruckt zu haben (dennoch war es mit ca. 300.000 verkauften Exemplaren ein viel größerer Erfolg als die Legend-Spiele). Viele der Puzzles waren mit spieleigenem Wissen nicht zu lösen und verkamen zu stupiden Versuch-und-Irrtum-Stunden. Während er von Firmen wie LucasArts beeindruckt war, kam er nach ein paar Stunden mit Dragon Lore zu folgendem Schluss:

Die Rätsel waren schrecklich, unlogisch und unfair. Ich kann ehrlich sagen, dass dies das einzige Spiel ist, bei dem ich jemals die Diskette aus dem Laufwerk des Computers entfernt und an die Wand geworfen habe – kurz nachdem ich herausgefunden hatte, dass die Lösung eines Rätsels, an dem ich ewig feststeckte, nichts mit Logik zu tun hatte.

Dies sollte ihm nicht passieren. Bevor also auch nur eine einzige Zeile Code geschrieben wurde, erarbeitete Dahlgren das komplette Design des Spiels. In dem vorher bereits erwähnten Blogeintrag sind ganz unten auf der Seite 59 handschriftliche Seiten dieses Prozesses zu sehen. Zu sehen ist auch ein verworfener Teil auf Arianus oder auf Seite 58 der Beginn eines Produktions-Schemas über 32 Wochen Entwicklungszeit hinweg. Wenn ihr es denn entziffern könnt, denn das Dokument war nun einmal nicht für die Nachwelt gedacht. Trotzdem finde ich es faszinierend, virtuell durch die Seiten zu blättern.

Neben den genretypischen Inventar- und Dialog-Rätseln gilt es auf Arianus, das Rohrleitungssystem der großen Maschine namens Kicksey-winsey (ja, wirklich) in einer Art Verschiebe-Spiel wieder zusammen zu flicken. Oder ein Puzzle mit Steinpfeilen, die richtig angeordnet werden mussten. Um diese Sachen realisieren zu können, musste das Legend-Team die Engine entsprechend erweitern, wie auch die Dialog-Optionen und die im Spiel integrierten umfangreichen Bücher zusätzliche Programmierstunden bedeuteten. Arbeit, die sich meiner Meinung nach gelohnt hat, denn die Sachen integrieren sich wunderbar ins Spiel – und auch diese Minispiel-Rätsel fallen nicht unangenehm auf.

Bis auf das abschließende Rätsel, von dem Dahlgren selbst sagt, dass es gegen einige seiner eigenen Design-Prinzipien verstoße, sind die Rätsel also alles in allem logisch aufgebaut und mit ein wenig Grips (und natürlich aufmerksamer Lektüre der Dialoge) lösbar. Das alles bedeutet aber natürlich nicht, dass der Spieler in Death Gate sicher wäre. Es gibt 62 Möglichkeiten, zu sterben. Wer sich das genauer ansehen möchte, kann sich ein knapp vierzig Minuten langes Video dazu ansehen. Aber wie so oft in Legend-Spielen, ist der Undo-Button nur einen Mausklick entfernt und rettet euch den Tag. Außerdem sind viele dieser Tode so gestrickt, dass der Spieler sich schon ganz bewusst in die Klinge stürzen muss.

Die SVGA-Grafiken sehen auch heute noch gut aus.

Die Technik

Wie schon die Companions of Xanth nutzt Death Gate eine grafische Oberfläche mit anklickbaren Verben auf der linken Bildschirmseite. Eine Kompassrose ermöglicht die Fortbewegung, das Inventar am unteren Bildschirmrand bietet Überblick. Der augenfälligste Unterschied ist der Sprung in der Auflösung. Schon auf dem sonst so schönen Cover springt uns neben “CD-ROM” und “Voice” auch “Super VGA” entgegen. Die daraus resultierende Auflösung von 640 auf 480 Bildpunkte nutzt das Spiel auch weidlich aus und präsentiert sich auch heute noch (bis auf einige animierte pixelige Zwischensequenzen) äußerst ansehnlich. Parallel ist auf der CD-ROM übrigens auch eine MCGA-Auflösung in 320 auf 200 Bildpunkten, die ich aber nur von einigen wenigen Screenshots kenne.

In seinem hier schon mehrfach erwähnten Blog geht Glen Dahlgren auch auf die einzelnen Künstler und die begrenzten Möglichkeiten ein, 1994 weitere Zeichner zu finden:

Tatsächlich habe ich für Gateway die Gelben Seiten aufgeblättert und unter “Künstler” nachgesehen. Ein Anruf, den ich tätigte, war Kathleen Bober, die diese Geschichte über ihren Eintritt in die Spielebranche immer noch erzählt.

Für Death Gate brauchte er weitere Unterstützung und sein Team wuchs. Viele der angeheuerten Künstler arbeiteten nicht digital, so dass zum Beispiel die Hintergründe, die David Cherry schuf, eingescannt werden mussten. Fred Devita war ein weiterer Neuzugang. Ursprünglich sollte er, wie alle anderen Künstler auch, komplette Räume entwerfen. Also Hintergrund, Gegenstände und die dort agierenden Figuren. Laut Dahlgren war Fred bei Hintergrund-Grafiken aus welchen Gründen auch immer vergleichsweise langsam, dafür stachen seine Figuren alle anderen Künstler aus. Fred Devita wurde also exklusiv für die Protagonisten des Spiels abgestellt und schuf einige wirklich wunderschöne Grafiken.

Eine davon stellte natürlich Lord Xar dar. Als Überraschung für Glen Dahlgren besorgte sich Fred Devita von dessen damaliger Freundin ein Foto des Designers und nutzte es als Vorlage. Dahlgren war von diesem Vorgehen wohl nicht so begeistert, aber eine gealterte Version des Bilds schaffte es dann doch ins Spiel – und die ursprüngliche Variante wird in den Credits eingeblendet, wenn Dahlgrens Name erscheint.

Glen Dahlgren im Abspann (links) und im Spiel (rechts)

Einen kleinen, vielleicht romantisierten Einblick in die Art und Weise, wie Legend Entertainment geführt wurde, verdanken wir ebenfalls Fred Devita, der an diesem Projekt als freischaffender Künstler arbeitete. Zu Beginn seiner Anstellung arbeitete Fred an vollständigen Räumen. Er war langsam und natürlich schlichen sich, da er nicht vor Ort arbeitete und anhand von groben Skizzen arbeitete, immer wieder Fehler ein. Da Legend Entertainment aber nicht nach Arbeitszeit sondern nach fertig gestellten Räumen zahlte, wurde es langsam eng für Devita. Eines Tages sagte er wie nebenbei zu Dahlgren, dass er Insolvenz anmelden müsse, aber natürlich trotzdem weiter an dem Spiel arbeiten würde. Glen war geschockt. Dass die Arbeit für Legend Entertainment einen Menschen in die Armut treiben könnte, hätte er nicht gedacht. Sein Budget aber war ausgereizt. Er ging zu Mike Verdu, um über die Situation zu sprechen. Verdu war sofort damit einverstanden, Devitas’ Gehalt zu verdoppeln. Wieder ein Zitat aus Dahlgrens Blog:

Das machte mich fassungslos. Ich wusste, dass diese Lösung nicht in mein Budget passen würde, aber Mike hat es erweitert. Er war bereit, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich wusste in diesem Moment, dass ich für die richtige Person im richtigen Unternehmen arbeite. Ich rannte zum Telefon. Es war ein wunderbarer Moment, Fred von den neuen Bedingungen erzählen zu können.

Nicht ganz so romantisch waren die Folgen der Spiele-Entwicklung für Glen Dahlgren. Im schon mehrmals zitierten Blog schreibt er:

Gegen Ende von Death Gate hatte ich mich in einem Hotelzimmer verschanzt, das nur eine kurze Autofahrt von der Scheune entfernt war, die wir als Sprachaufnahme-Studio nutzten. Tagsüber wies ich die Schauspieler an, die Zeilen aus dem Spiel vorzulesen. Und die ganze Nacht über habe ich Fehler im Code behoben. Schlafmangel, Überarbeitung und wochenlange Abwesenheit von allem, was ich kannte, forderten ihren Tribut. Ich wurde paranoid. Ich wurde krank. Ich bin fast völlig zusammengebrochen.

Eingedenk der Tatsache, dass die komplette Entwicklung mit ein paar Legend-Leuten und einer Handvoll freier Mitarbeiter für gerade einmal 300.000 Dollar gestemmt wurde, ist das kein Wunder.

Was sagt der Designer? Was sagt die Presse?

Glen Dahlgren zeigt sich im Hintbook sehr enthusiastisch, wenn es um die Entwicklung des Spiels geht:

Death Gate war sowohl das anstrengendste als auch das befriedigendste Projekt an dem ich jemals gearbeitet habe. Es war das bis dato ehrgeizigste Projekt von Legend; es erforderte mehr Ressourcen und technischen Fortschritt als alle anderen Spiele der Firma zuvor.

Meiner Meinung nach sind die meisten Spiele von Anfang an verkrüppelt – besonders aus Sicht des Designers. Ihre Vision ist durch fehlende Geldmittel, fehlendes Talent, fehlende Leitung, fehlenden Speicherplatz, fehlende Zeit (soll ich weitermachen?) beschnitten. Ich habe Variationen dieser Einschränkungen zuvor in unterschiedlichem Maße erlebt. Jedes Produkt hat diese Probleme. Aber als sich Death Gate zu entfalten begann, lösten sich die Hindernisse auf.

Die schreibende Zunft sah es nicht ganz so positiv, aber alles in allem auch nicht schlecht. In der PC Player 1/95 vergab Jörg Langer 82 Prozent und kommentierte: “Um Death Gate zu genießen, sollten Sie angesichts der häufigen Gespräche und Bücher gut Englisch können. Zudem sind einige der Puzzles sehr schwer – niemals aber unfair. Für mich ist Death Gate der Beweis, dass die guten alten Textadventures noch nicht tot sind – auch wenn bei diesem Spiel kein einziges Wort eingetippt wird. Etwas weniger begeistert war Volker Weitz in der Power Play 2/95. Seine 74 Prozent begründete er so: “Mag die Buchvorlage noch so gehaltvoll und spannend sein: als Computerspiel bleibt nur ein schwacher Abglanz der fantastischen Herrlichkeit….. Was mir hingegen die Stimmung vermiest ist die unglaubliche Geschwätzigkeit im Spiel. Da muss man sich durch Unmengen von überflüssigen, völlig humorlosen Menüweisheiten wühlen, bis man zufällig den richtigen Satz anklickt und damit eine gewichtige Aktion auslöst.”

Nehmt das, Presse-Schergen!

Was fällt denn da aus der Schachtel?

Die Packungsbeilagen waren im Vergleich zu den bisherigen Legend-Titeln etwas dünn. Dafür konnte Death Gate mit einer exklusiven Kurzgeschichte von Weis, Hickman und Kevin Stein punkten, die allerdings mit gerade einmal 14 eher kurzen Seiten nicht genug Stoff für einen gemütlichen Lese-Abend bot. “Forever Falling” konzentriert sich auf die Vorgeschichte von Lady Ciang, einer Assassinen-Anführerin aus dem Buch-Zyklus. Entsprechend bietet die Geschichte keinerlei Anhaltspunkte, um Rätsel im Spiel zu lösen. Dennoch ist es wie im Vorwort stolz vermerkt “a little bit of extra magic”.

Death Gate war einer der wenigen Titel von Legend Entertainment, der auf der Plattform GoG erhältlich war. Leider steht der letzte Satz in der Vergangenheitsform, weil das Spiel relativ kommentarlos nach wenigen Monaten wieder von der Seite genommen wurde. Seither gibt es keine legale Möglichkeit, den Titel digital zu erwerben und euch bleibt nur der Griff zur guten alten Box, wenn ihr mal wieder richtig viel Text genießen möchtet.

Death Gate erschien in den USA im November 1994 und war bereits das vierte Spiel, das auf einer Buchlizenz von Random House basierte. Schon während der Entwicklung des Adventures machte der Verlag Nägeln mit Köpfen und pumpte 2,5 Millionen Dollar in Legend Entertainment. Die genaue Ausgestaltung dieser Vereinbarung ist mir nicht bekannt, aber Legend hatte nun Geld zur Verfügung, um auch auf dem CD-ROM-Markt mit den größeren Namen mitzuhalten.

Das war es bis hierhin. Ich hoffe, dass euch der kleine Ausflug in die Fantasy-Welt gefallen hat. Seid auch bei der nächsten Ausgabe dieser Artikel-Reihe mit dabei, wenn Legend Entertainment ausnahmsweise mal keine bekannte Fantasy-Buchlizenz zu einem Spiel verarbeitet.

Die vollständige Artikel-Reihe:
 
 
Schade, dass das Coverbild durch die Werbung verunstaltet wurde. (Foto: Oliver Knagge / Deutsches Videospielmuseum)

(Dieser Artikel erschien zuerst am 29. April 2023 auf GamersGlobal)

Avatar-Foto

Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

Alle Beiträge anzeigen von Jürgen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert