Spiele von Legend Entertainment #10: Callhan’s Crosstime Saloon

Kommt ein Mann in eine Bar. Dann ein sprechender Hund, ein außerirdischer windiger Handlungsreisender, eine Polizistin aus der Zukunft und und und… Willkommen bei Callahan‘s.

Am 16. April 1997 erschien Callahan’s Crosstime Saloon, das vorletzte Adventure der Firma Legend Entertainment. Leider erreichte es nie den Status einiger anderer Legend-Werke und ging dem kollektiven Spiele-Gedächtnis schnell verloren. Woran das lag? Der Qualität? Dem Marketing? Der Buchvorlage? Nun, unter anderem darum soll es in diesem Artikel gehen.

Erst verlassen wir aber gedanklich Virginia, den Firmensitz von Legend, und fahren einmal quer durch die USA, bis wir in Oakhurst 42 Stunden später wieder aus dem Auto steigen. Gleichzeitig sind wir auch ein paar Jahre in die Vergangenheit gesprungen. Gewöhnt euch lieber gleich an Zeitreisen in diesem Artikel, denn sie gehören auch zum Spielkonzept. Hier in Kalifornien arbeitet Josh Mandel für Sierra Online an Klassikern wie Pepper’s Adventures in Time, Laura Bow in The Dagger of Amon Ra und Space Quest 4 – Roger Wilco und die Zeitspringer. Allerdings trägt er seit längerem auch die Idee mit sich herum, aus einer eher unbekannten Roman-Serie ein Adventure zu basteln. Im Interview mit interactfiction sagt er:

Ein Jahrzehnt lang hatte ich das Gefühl, dass die Callahan’s Crosstime Saloon-Bücher eine außergewöhnliche Grundlage für ein Abenteuerspiel sein würden. Sierra lehnte “Callahan” ab, da sie zu diesem Zeitpunkt versuchten, ihre eigenen Charaktere zu etablieren und keine Charaktere zu verwenden, die sie lizenzieren müssten.

Sierra On-Line

Ich hoffe, dass ich mich nicht als kompletter Banause präsentiere, aber mir sagten diese Saloon-Bücher nichts. Die Ursprünge der Serie sind im Heft Analog Science Fiction and Fact zu finden, in dem die frühen Stories rund um die fiktive Bar Callahan’s Place veröffentlicht wurden. Ab 1977 kamen einige der Geschichten gesammelt in Buchform auf den Markt und mit Callahan’s Con erschien 2003 das bis heute letzte Buch – wobei die Kurzgeschichten im Laufe der Zeit von Romanen abgelöst wurden. Zum Inhalt kommen wir gleich noch, aber wir wollen Josh Mandel nicht aus den Augen verlieren. Der kannte die Geschichten rund um die Bar seit dem späten siebziger Jahren und hoffte seitdem auf seine große Chance, die aber bei seinem Arbeitgeber nie kam. Stattdessen änderte sich der Führungs-Stil bei Sierra.

Der Verkaufserfolg des Adventures Myst sorgte bei Sierra für ein Umdenken. Die bisherigen Spiele verkauften normalerweise mindestens 100.000 Exemplare und weit darüber hinaus, aber Myst zeigte, dass auch Millionen Schachteln über die Theken wandern könnten. In der nächsten Zeit kamen also immer neue Manager für einige Monate an Bord, probierten ihre Methoden aus und gingen wieder, weil sie durch die Bank nicht funktionierten. So jedenfalls erinnert sich Mandel im Video-Interview mit Matt Barton an diese Zeit. Während der unerfreulich verlaufenden Produktion von Space Quest 6 – Roger Wilco in The Spinal Frontier verließ er Sierra (auch wegen Vertragsunstimmigkeiten im Stile von “Hey, it’s business”) und heuerte bei Legend an – einer Firma, die seit Jahren für ihre Lizenzspiele bekannt war. Deren Mitgründer Bob Bates kannte er, seit er Betatester für dessen Infocom-Adventure Sherlock – The Riddle of the Crown Jewels war, auch wenn sich Bates bis heute nicht daran erinnern kann. Mandels erster kleiner  Einsatz war bei Mission Critical, für Shannara steuerte er bereits einiges an Text bei.

Space Quest 6

Belgariad

Sein erstes eigenes Projekt sollte auf der fünfteiligen Buchreihe Belgariad von David Eddings basieren – einer klassisch gestrickten Fantasy-Story, die sich wie so viele andere Serien auch sehr eng an J.R.R. Tolkien anlehnt. Mandel arbeitete monatelang eine Geschichte aus, schickte sie an Eddings und dieser lehnte umgehend ab:

Eddings schickte uns [den Vorschlag] zurück und erklärte verärgert, dass er nicht wolle, dass Kinder in seinem Universum herumlaufen und sich gegenseitig schlagen und erschießen, und dass er kein Interesse habe. Ich vermute, dass Eddings‘ Wahrnehmung aller Computerspiele durch das Anschauen einiger Nintendo-Spiele oder Wolfenstein oder so etwas geprägt wurde, denn mein Vorschlag war reines Adventure und in keiner Weise ein Actionspiel.

Für diesen Artikel hat mir Josh sehr umfangreich und wahnsinnig nett auf meine Fragen geantwortet. Ich hatte ihn gefragt, ob sein Spiel denn sehr von den Büchern hätte abweichen sollen:

Mein Belgariad-Design war im Grunde ein interaktiver Ansatz für das erste Buch der Reihe. Ich habe zwar ein paar neue Nebencharaktere eingeführt, aber keiner davon war für die Handlung sehr wichtig. Sie waren nur dazu da, das Design funktionieren zu lassen. Ich war sehr enttäuscht, als Eddings das Design beiseite wischte, ohne es überhaupt zu prüfen! Ich hatte viel darüber nachgedacht und viel Arbeit darauf verwendet, das Design wie eine Belgariad-Welt wirken zu lassen, und dass er es sofort verwarf, weil er die Natur eines Abenteuerspiels nicht verstand … das gab mir natürlich das Gefühl, dass ich viel Zeit und Mühe verschwendet hatte.

Bob Bates und Mike Verdu fragten Josh Mandel, welche Autoren er sich stattdessen für eine Adaption vorstellen könnte. Er schlug seine beiden damaligen Favoriten vor: Spider Robinson und Dean Koontz. Legend Entertainment entschied sich für die erste Option und besorgte Josh die Rechte. Er war am Ziel.

Dialoge laufen wie zum Beispiel auch in Death Gate in eigenen Fenstern ab.

Legends Arbeitsprozesse

Mandel stellte bei Legend allerdings eines schnell feststellte: In der kleinen Firma war praktisch jeder ein Programmierer. Er selbst hält sich im ausführlichen Interview mit Adventure Gamers für den Angestellten Nummer 13 oder 14, während die Grafiker und Musiker alle Freiberufler und damit nicht im Firmengebäude waren. Er war also der einzige Designer bei Legend, der nicht programmieren konnte. Das erschwerte zwar die Kommunikation innerhalb des Teams, dennoch war er begeistert. Legend konnte im technischen Bereich nicht im Konzert der ganz großen Konkurrenz mitspielen; aber der Wille, diesen Nachteil mit guten Design auszugleichen, war immer spürbar:

Wir hatten regelmäßig Treffen, bei denen fast das gesamte Unternehmen eingeladen wurde, um das Spieldesign zu überprüfen und auseinanderzunehmen. Es war viel disziplinierter und anspruchsvoller als bei Sierra, wo im Wesentlichen jeder Designer ohne Input von anderen Designern tat, was er wollte. Wenn ein Sierra-Spiel in die Betatestphase kam, war das vielleicht das erste echte Feedback, das der Designer zu seiner Arbeit bekam. Bei Legend mussten wir bereit sein, alle unsere Designentscheidungen auf der Grundlage der Intaktheit der Geschichte und der Rätselkonstruktion zu verteidigen, und nicht nur auf Grundlage ihrer Kosten.

Da Josh von Sierra kam und dort mit einer völlig anderen Software gearbeitet hatte, konnte ich mir die technische Seite dieser neuen Konstellation nicht vorstellen. Mir gegenüber erklärte er das dann gefundene Procedere folgendermaßen:

Wir haben einen sogenannten “Pseudo-Code” erstellt, der es mir ermöglichte, in vielerlei Hinsicht so zu arbeiten, wie ich es (von Sierra) gewohnt war, der den Programmierern aber dennoch half. Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, als einer der Programmierer das System nicht verstanden hatte und jedes einzelne Objekt in seinem Abschnitt (ich glaube, es war die Pjotr-Geschichte) “benutzbar” machte, das heißt, man konnte auf alles zeigen und es würde ins Inventar wandern. Natürlich musste die komplette Arbeit also noch einmal gemacht werden!

Zwar zog er von Kalifornien an seine neue Wirkungsstätte, schrieb allerdings einen Großteil seiner Texte auf einer einsamen Ranch. Er spricht in diversen Interviews sehr offen von der Depression, in der er sich zu dieser Zeit befand. In seinem Adventure Gamers-Interview fasst er es am besten zusammen:

Ich schrieb “Callahan’s” trotz all seiner Witze und optimistischen Themen in einer der dunkelsten Phasen meines Lebens. Ich war lähmend deprimiert, absolut unsicher bei jedem Wort, das ich schrieb, und bei jeder Entscheidung, die ich traf, und hatte mich auf einer 11 Hektar großen Farm im ländlichen Virginia ziemlich gut isoliert. Der Großteil des Spiels wurde dort geschrieben.

 

Ich richtete mich in einem “Sky Chair” (einem schlingenähnlichen Stuhl, der von der Decke hängt) ein und befestigte einige Seile im Haus, damit ich das Garagentor vom Sky Chair aus öffnen und schließen konnte (damit ich meinen Hund ins Haus und aus dem Haus lassen konnte). Mit meinem Laptop saß ich Tag und Nacht auf diesem Stuhl, schrieb und schlief und stand nur auf, wenn es unbedingt sein musste. Ich bin sicher, es war eine Hölle, mit mir zusammenzuarbeiten, weil ich einen sehr engen Blickwinkel hatte: Ich habe mich so sehr in das Spiel gestürzt, weil es das Einzige war, was ich überhaupt vollenden wollte.

Manche Getränke verleihen wohl tatsächlich Flügel. In einer Geschichte gehts ins Weltall.

Mir gegenüber ergänzte Josh:

Die meiste Arbeit habe ich auf der Ranch erledigt, die ich damals gemietet hatte. Aber es gab Zeiten, in denen ich ins Büro ging, wir die neuesten Grafiken von Kinetic Arts und die Musik durchgingen und ich mir Notizen machte. Der Rest des Teams machte dies auch: Wir waren dort sehr kooperativ, und ich danke dem gesamten Team von Legend dafür, dass es mitgeholfen hat, das Spiel so zu gestalten, wie es sich schließlich präsentierte.

Tatsächlich war es eine der anderen – Kathleen Bober, glaube ich, aber ich erinnere mich nicht genau – die erkannte, dass Kinetic Arts Kunstwerke von Norman Rockwell und anderen Quellen verwendete, um sie in das Spiel zu integrieren, was aus urheberrechtlicher Sicht ein großes Problem darstellte. Wir hätten in große Schwierigkeiten geraten können, wenn das Spiel mit dem urheberrechtlich geschützten Artwork einer anderen Person ausgeliefert worden wäre! Jim Montaunus und ich haben viel Zeit damit verbracht, an der Steuerung des Raumschiffs zu arbeiten, das Sie mit Noah steuern. Sie musste logisch und konsistent sein und die Symbole mussten gut vermitteln, was passieren würde, wenn man die Tasten drückte.

Bei den Grafiken überprüfte ich meistens die reingekommenen Sachen und gab direkt Rückmeldungen an Kinetic Arts wie zum Beispiel: “Wir müssen dieses Detail hier haben” und so weiter. Ich drängte sie auch, andere Dinge aufzunehmen, die sie sich selbst ausgedacht hatten. Als Vorlage verwendete ich die Splash-Seiten des MAD Magazine aus der Frühphase seiner Fernseh- und Filmsatiren, auf denen es hunderte kleine Details gab, die man sehen und über die man lachen konnte. Deshalb habe ich sie immer dazu ermutigt, noch mehr “Zeug” hinzuzufügen.

Bars wie Callahan’s gibt es in vielen der Geschichten – nur eben speziell.

Spider

Der Autor der Kurzgeschichten rund um Callahan’s Place heißt Spider Robinson – wobei “heißt” schon einmal falsch ist. Seinen richtigen Vornamen hält der Autor nämlich eisern unter Verschluss. In Deutschland sind seine Werke vergleichsweise selten verlegt worden. So gab es nur zwei schmale Bände zur Spielvorlage – und selbst diese sind noch mit anderen Geschichten und Artikeln des Autors ausgepolstert worden. Wer also das komplette Werk genießen will, sollte der englischen Sprache nicht abgeneigt sein – und Wortspiele mögen. Ja, da werden schlechte Erinnerungen an Companions of Xanth wach, aber alles wird gut. Versprochen.

The Place to be

Was ist aber denn nun Callahan’s Bar? Nun, im Grunde handelt es sich um eine ganz normale Kneipe. Mal abgesehen davon, dass die Beleuchtung sehr viel heller ist, als in solchen Ecken üblich, weil der Betreiber dunkle Bars nicht mag. Dass jedes Getränk gleich viel kostet (50 Cent – die Geschichten sind eben schon älter), würde ich mir auch in anderen Läden wünschen. Im Kamin landen jeden Abend dutzende von leeren Gläsern, die die Gäste rein pfeffern. Aber vor allem ist Callahan’s Bar ein Laden, in dem du über deine Probleme reden kannst – und dir tatsächlich geholfen wird. Wie es so schön in der ersten Geschichte namens “Der Typ mit den Augen” heißt: “Callahan verliert laufend Stammkunden. Nachdem sie lange genug bei ihm aufgekreuzt sind, stellen sie fest, dass sie keinen Kummertrunk mehr brauchen. Um so einen Saloon handelt es sich.” Nicht Alkohol ist die Lösung. Sondern die Gemeinschaft.

Wie oben bereits erwähnt: Die Callahan-Geschichten sind kurz und relativ unzusammenhängend. Zwar bleibt das Stammpersonal im Großen und Ganzen gleich, aber neue Gäste tauchen mit neuen Sorgen auf und nach einer Weile wieder ab. Ein perfektes Szenario für eine Vorabend-Serie. Oder ein Adventure. Josh schrieb mir:

Ich dachte, dass der episodische Charakter des Spiels es mir ermöglichen würde, mehr Charaktere und Orte vorzustellen, als ich es sonst tun könnte. Der Charakter der Bücher ermöglichte es mir auch, mich jeweils auf ein oder zwei Charaktere zu konzentrieren und Geschichten speziell über sie zu erzählen. Der Einzige, den ich ausgelassen habe, war Doc, denn wie ich während der Entwicklung der Geschichten erfuhr, schrieb Spider bereits eine „Origin“-Story für Doc und ich wollte mich da natürlich nicht dazwischen drängeln. Da die Geschichten in den Büchern außerdem kurz waren, gab es für mich viele natürliche Unterbrechungen im Spielgeschehen, die es dem Spieler ermöglichten, ein Spiel zu Ende zu spielen und dann ein neues Spiel zu beginnen, ohne sich an alles erinnern zu müssen, was zuvor passiert war … „Kapitelumbrüche“, wie wir das nannten.

Manhattan ist einer der ersten Schauplätze abseits der Bar

My name is Jake

Wir schlüpfen in die Rolle von Jake Stonebender, einem von Callahans Stammgästen. Jake ist Folksinger und hat wegen selbst reparierten Bremsen seine Familie verloren, aber das spielt im Adventure keine Rolle. Zu Beginn des Spiels blicken wir durch seine Augen in Callahan’s Bar, wo sich das übliche Sammelsurium an Gestalten tummelt – alte Bekannte aus den Büchern ebenso wie einige Neuzugänge. Zum Beispiel kann Jake dem “Biker Dude” einige Bräuche dieser Bar erklären, die aus den Büchern bekannt sind. Der “Schnelle Eddie” sitzt am Klavier und spielt auf Wunsch einige eigene Songs zur Untermalung. In Wirklichkeit hören wir hier Spider Robinson selbst – was allerdings auch seine einzige Einmischung in das Spiel war. Unter den Gästen findet sich auch Doc Webster, der neben einer Tafel wartet und das Spiel direkt damit einläutet, dass er wunderbare neue Rätsel – zehn an der Zahl – auf Lager hat. Das ist in Callahan’s Bar völlig normal, denn am Mittwoch ist Rätselabend.

Thema der heutigen Runde sind alte Bands – und die Art und Weise, wie Callahan’s Crosstime Saloon mit Worten umgeht, wird hier direkt deutlich. Zum Beispiel müssen wir den Namen einer Band erraten, deren Namen sich aus folgenden Beschreibungen herleiten lassen sollte: “Broth”, “Paddle” und “Vagabond”. Mein Lösungsansatz war, dass ich bei “Vagabond” auf “Tramp” gekommen bin und den Rest geraten habe, denn statt eines glatten “Supertramp” kommt natürlich “Soup”, “Our”, “Tramp” raus. Ein wenig schleifen und polieren, dann ist die Lösung sonnenklar. Ob das für einen Muttersprachler einfach ist, kann ich nicht beurteilen. Ich für meinen Teil hatte reichlich Probleme bei Sachen wie “Slender projectiles” und “Legend” – und das ist noch eines der leichteren Rätsel. In praktisch jeder Besprechung und jedem Kommentar zu dem Spiel wird dieser Anfang gerüffelt. Da starten wir in ein neues Spiel und kommen direkt aus dem ersten Raum nicht raus? Natürlich habe auch ich Josh gefragt, ob ihm dieses Problem damals schon klar war:

Wenn ich gewusst hätte, wie sehr das Eröffnungsrätsel die Spieler verlangsamen könnte, hätte ich es vielleicht später im Spiel platziert. Aber da so viele Geschichten diese Rätselart enthalten, dachte ich, dass es eine gute Einführung in die Charaktere und die Wortspiel-Stimmung bei Callahan’s wäre.

Space Taxi to the sky

Wer diese Hürde aber überwunden hat, dem steht die Welt offen. Und das (fast) buchstäblich, denn da sich Josh bei den einzelnen kürzeren Abenteuern auf ein bis zwei Figuren aus der Bar konzentrieren konnte, führte jedes Abenteuer in eine gänzlich andere Umgebung. Neben Manhattan, dem südamerikanischen Dschungel oder dem Weltraum besucht der Spieler auch ein rumänisches Gruselschloss oder die Zukunft. Josh Mandel holte viel aus der ursprünglichen Idee heraus:

Ich wollte die Bar als “Drehscheibe” für die verschiedenen Geschichten nutzen, aber ich hatte das Gefühl, dass es visuell sehr statisch werden würde, wenn ich viel Zeit in der Bar selbst verbringe. Und während ich an den Geschichten arbeitete, dachte ich an alle möglichen Arten von interessanten Umgebungen, die sich aus der Tatsache ergeben könnten, dass die Gäste der Bar so unterschiedliche Hintergründe hatten. Deshalb wollte ich diese Chance voll ausnutzen.

Meiner Meinung nach nutzte er sie tatsächlich voll. Neben der phantastischen Umgebungen und Geschichten bleiben auch einzelne Begegnungen im Gedächtnis. Wie die mit dem Kellner, der nicht einfach nur Helfen möchte. Nein, wenn schon, dann doch bitte erst nach einem Verhör voller Gewalt. Wir versuchen es mit einem “Indian Burn” – einer Technik, die auf meinem Schulhof “Brennnessel” hieß – aber damit ist der junge Mann nicht zufrieden. Stattdessen wirft er sich selbst gegen Wände und Tische und schlägt sich ein paar Mal, bis er endlich erschöpft und blutend bereit ist, uns zu helfen.

Oder die Stelle, in der das Spiel einen Rätsel-Gang zurückschaltet und folgende Botschaft einblendet:

Hinweis: Im folgenden Gespräch wurde jeglicher brillante Witz und leichtfertige Kommentare entfernt und durch schlichte Darlegungen und allzu offensichtliche Hinweise ersetzt, damit Sie sehen können, was Sie mit einem billigeren Computer-Abenteuerspiel von geringer Qualität bekommen würden.

Und genau das zieht das Spiel dann im nächsten Dialog durch: Die Lösung des “Rätsels” wird nicht nur einfach gegeben. Nein, die Charaktere unterhalten sich noch darüber, dass die “Lösung” ja ganz offensichtlich sei – und wiederholen sie nochmal.

Die an allen Ecken und Enden lauernden Wortspiele sind (soweit ich sie verstehen konnte) unglaublich witzig und ein paar Niveau-Stufen über denen des ähnlich veranlagten Xanth-Spiels, aber das macht die darauf basierenden Rätsel leider nicht unbedingt leichter. Viele andere Rätsel sind aber Standard-Inventar-Basteleien oder mit ein wenig Grips problemlos lösbar.

Die einzelnen Grafiken sind drehbar – 360 Grad stehen euch offen. Wenn eine Tür oder eine Straße in eine Richtung begehbar ist, dann ändert sich der Cursor, der ansonsten nur über interessanten Gegenständen den Namen einblendet. Nach einem Klick gibt es dann ein kleines, kontextsensivites Menü – oder ihr wählt einen Inventar-Gegenstand aus und versucht euer Glück damit. Verben sind vollständig aus der Oberfläche verschwunden. Die große Fläche im unteren Bildbereich wird für die Texte verwendet.

Die Sprachausgabe ist hervorragend gelungen und die einzelnen Sprecher machen einen tollen Job. Musikalisch sind einige schmissige Melodien dabei, an anderen Stellen kommt mir der Klangteppich allerdings ein wenig beliebig vor. Aber immerhin nie störend.

“Hey! Meine Augen sind hier oben!”

Grab the money and run

Ein schöner, entzückender Rücken.

Die ursprünglichen Rechte-Inhaber haben natürlich unterschiedliche Herangehensweisen an so ein Lizenzspiel. Einige wollen alles ganz genau bestimmen und lassen sich jede Zeile vorlegen, ob auch alles in ihrem Sinne geschrieben ist. Andere wiederum verkaufen die Lizenz, interessieren sich nicht für das Ergebnis und heucheln dann bei Erscheinen Begeisterung. Und dann gibt es da noch Spider Robinson. Der schreibt im Vorwort zum Hint Book: “Als Legend Entertainment die Rechte an Callahan’s kaufte, wollte ich nur das Geld ausgeben und das Resultat ignorieren.” Klingt lustig, war aber ernst gemeint. Noch gehört Spider also zu Kategorie zwei der Rechte-Inhaber. Was ihn aber umgestimmt hat und warum er im Spiel sogar selbst zu hören ist, erzählte mir Josh:

Spider vertrat zunächst die Einstellung: “Solange der Scheck gedeckt ist, könnt ihr machen, was ihr wollt.” Aber ich hielt ihn trotzdem auf dem Laufenden, da ich wissen wollte, ob ich etwas tat, was seiner Meinung nach zu untypisch war. Als wir darüber sprachen, dass er Musik für das Spiel machen sollte, war er sofort interessiert. Und als wir ihm erzählten, wie hoch das Budget war und dass er die Musiker auswählen konnte, mit denen er zusammenarbeiten wollte und die innerhalb unseres Budgets lagen, war er begeistert, denn das bedeutete, dass er mit einem seiner Idole in der Musikwelt, Amos Garrett, zusammenarbeiten konnte. Ich glaube, wir hatten das Budget für fünf Songs. Nach der Veröffentlichung des Spiels veröffentlichte Spider eine limitierte CD mit den Songs des Albums.

Sowohl Spider Robinson als auch Josh Mandel berichten davon, dass Josh mit einem Laptop und dem fertigen Spiel bei Spider auftauchte und sie es in einer sehr langen Tages-Sitzung (Spider spricht von 14 Stunden inklusive zweier Pinkelpausen) durchspielten. Dafür, dass der Buchautor Computer samt ihrer Spiele sonst nicht besonders mochte, war das ein Beweis für die Güte des Spiels, würde ich sagen.

Ja und dann?

Die deutsche Ausgabe des ersten Bands

Nach der Entwicklung des Spiels verließ Josh Mandel die Firma wieder. Legend war seiner Einschätzung nach konstant in Geldnöten – und da er als einziger Designer nicht bei anderen Projekten als Programmierer aushelfen konnte, wollte er nicht einfach nur laufende Kosten anhäufen. “Es schien, als würde nacheinander jeder Designer an die Reihe kommen – und mein nächster Versuch läge weit in der Zukunft. Ich wusste zwar, dass ich bei Text und Dialogen helfen konnte, wie ich es bei “Shannara” getan habe, aber ich konnte nicht bei der Programmierung helfen, was die Stärke aller anderen war.”

Vermutlich spielte auch die mangelnde Unterstützung von Take Two eine Rolle, deren Marketing Callahan’s Crosstime Saloon als Western-Spiel bewarb. Mandel vermutet, dass sich beim Publisher niemand die Mühe gemacht hatte, wenigsten einmal die CD ins Laufwerk zu schieben und sich das Produkt selber mal anzusehen. So wurde aus dem “Saloon” des Titels einfach das Marketing abgeleitet. Außerdem schaffte Take Two es  auch, eine verbuggte Beta statt des fertigen Gold Masters auf den Markt zu bringen. Noch einmal Josh Mandel im adventuregamingclassic-Interview:

Ich glaube, dass die Leute bei Take Two damals die mit Abstand zynischsten Menschen waren, mit denen ich je zusammengearbeitet hatte. Man muss schon große Verachtung für Spiel und Kunden empfinden, um Callahans Crosstime Saloon als Western-Spiel zu veröffentlichen und zu bewerben, weil sich niemand im Unternehmen die Mühe gemacht hat, es vor der Veröffentlichung zu spielen – oder auch nur zu fragen, worum es geht. Sie haben sich nur den Namen angesehen.

Mir gegenüber ergänzte er:

Insgesamt machten sie sehr wenig Werbung, so dass ich nach der Veröffentlichung des Spiels auf viele Leute traf, die noch nie davon gehört hatten. Ich glaube nicht, dass an der Art und Weise, wie sie das Spiel bekannt gemacht und veröffentlicht haben, viel richtig war, daher war ich sehr verärgert.

Die Jahre nach seinem Legend-Abstecher arbeitete Josh Mandel als Freelancer und schrieb zum Beispiel Dialoge für Jagged Alliance 2, eines der Carmen Sandiego-Spiele und einen Strategie-Führer zu Police Quest – SWAT 2. Außerdem arbeitete er an einigen Lern-Programmen im Gesundheitsbereich und brachte hier das Kinder-Abenteuer The Adventures of D.M. Dinwiddie, Physician-In-Training heraus. Er hat also vor und nach seinem Legend-Abenteuer noch viele Spiele gemacht, dennoch sagt er:

Am stolzesten bin ich auf Freddy Pharkas und Callahan. Es gibt jedoch Elemente bei beiden, die ich ändern würde. Ich wollte nie wirklich den ganzen Fäkalhumor in Freddy haben, weil ich dachte, Blazing Saddles hätte das mit der Furzszene am Lagerfeuer perfekt abgedeckt. Und ich hatte damit gerechnet, dass ich bei Callahan’s die Chance bekommen würde, die Gags und Wortspiele auszusortieren, die nicht zu meiner Zufriedenheit funktionierten. Es war keine Zeit.

Wer nach diesem Artikel noch ein Lust hat, sich weiter mit Josh Mandel zu beschäftigen: Auf talesfromthecollection findet ihr noch ein weiteres Interview mit ihm, das Legend Entertainment nur in einem Halbsatz streift, sich aber mit seinen unterschiedlichen Rollen im Laufe der Jahre beschäftigt.

Die Wertungen

In der PC Player 6/97 war Monika Stoschek nicht nur ein wenig enttäuscht: “So richtig legendär ist es nicht, was Legend da aus den Kultbüchern von Robinson herausgekitzelt hat… Die einzelnen Aufgaben sind halbwegs logisch und auch für Einsteiger geeignet. Nervig fand ich, dass die Reihenfolge genau eingehalten werden muss… Der Abschuss ist das Wortpuzzle am Anfang, bei dem mal egal ist, wie man was reinschreibt, dann aber wieder völlig logische Einträge ungültig sind. Ohne Lösungsheft wäre das Abenteuer für die meisten zu Ende, ehe es richtig angefangen hat, da man um dieses Rätsel nicht herum kommt. Für einen solchen Patzer sind drei Sterne zwar noch gnädig, aber weil es danach ganz brauchbar weitergeht, auch gerechtfertigt.” Three out of five ain’t bad – aber so richtig gut leider auch nicht.

Mit 70 von 100 Punkten urteilt die Power Play 6/97 ähnlich harsch: “Wenn ich “CCS” mit drei Attributen charakterisieren müsste, so wären dies “leselastig”, “humorvoll” und “antiquiert”. Denn nur noch selten trifft man in einem modernen Adventure auf dermaßen ausführliche Textpassagen. gespickt mit anspielungsreichen Wortverdrehern. Nur noch selten muss man sich jedoch auch mit dermaßen rudimentärer Grafik arrangieren: Kaum eine Animation bringt Leben in die handwerklich nicht immer gut gemachten Standbilder. Nach zaghaften Video-Experimenten in „Mission Critical“ besinnt sich Legend eben auf die alten Tugenden. Und die bestehen aus einer brauchbaren Story und qualitativ sowie quantitativ überdurchschnittlichem Rätselanteil, verpackt in ein Interface, das nicht minder flexibel als ein Parsersystem ist.”

Und die PC Games gleichen Datums unterbietet das noch locker mit 61 Punkten: “Außer Tresen nix gewesen: Schulenglisch-Gebildete scheitern bereits am ersten Rätsel und kommen nicht einmal aus der Kneipe heraus. Wer’s trotzdem schafft oder im Hintbook spickt, wird im weiteren Verlauf mit brillianten Wortspielereien und trockenem Humor verwöhnt, daß es nur so aus dem Lautsprecher staubt. Nicht ganz einfach und nur für Legend-Erfahrene empfehlenswert!” Wobei ich den Schulenglisch-Verweis zwar nicht zurückweisen, aber dem Spiel nun wirklich nicht anlasten kann.

Abschließen möchte ich mit einem Satz von Josh Mandel, den ich voll und ganz unterschreibe: “Die Spiele von Legend Entertainment haben meiner Meinung nach nie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient hätten.” Ergänzen kann ich nur: Das gilt ganz besonders für Callahan’s Crosstime Saloon. Kommt doch auch vorbei und trinkt was.

Die vollständige Artikel-Reihe:
 
 
Das Abenteuer wartet.

(Dieser Artikel erschien zuerst am 19. August 2023 auf GamersGlobal)

Avatar-Foto

Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

Alle Beiträge anzeigen von Jürgen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert