Slender Threads

Das erste „richtige“ Point-and-Click-Adventure, das wir in diesem Jahr auf DKSN besprechen, kommt vom argentinischen Studio Blyts. Wir verraten euch, was wir von ihrem neuesten Spiel namens Slender Threads halten.

Das Adventure-Jahr 2025 ist noch nicht so richtig ins Rollen gekommen, dennoch erwarten wir in den nächsten Wochen und Monaten einige neue Genre-Vertreter, auf die wir uns teilweise schon jahrelang gefreut haben – mehr dazu lest ihr hier auf DKSN, sobald diese erscheinen.

Jetzt schickt sich Slender Threads an, das erste Adventure-Highlight des noch jungen Jahres zu werden. Die Entwickler von Blyts haben zumindest schon einige Point-and-Click-Erfahrungen in ihrem langjährigen Bestehen gesammelt, unter anderem mit ihrem Adventure Kelvin and the Infamous Machine oder der „Tatortreiniger“-Puzzle-Reihe Nobodies. Dann schauen wir doch einmal, ob ihnen diese Erfahrung bei Slender Threads weitergeholfen hat.

Tod eines Handlungsreisenden

Harvey Green sieht sich selbst eigentlich als neuen Stern am Autoren-Himmel an, der von der Welt bisher nur nicht verstanden wurde. Die Realität schickt ihn allerdings als Handlungsreisenden für Bücher anderer, deutlich erfolgreicheren Autoren in die Kleinstadt Villa Ventana, deren genaue Lage im Spiel undefiniert bleibt. Schon kurz nach der Ankunft in seinem schäbigen Hotelzimmer wird er von Visionen heimgesucht: In einer dunklen Hütte in einem dunklen Wald sieht er seinen offenbar abgetrennten Kopf an der hölzernen Trophäenwand dieser Behausung hängen.

Wäre das nicht schon unangenehm genug, nehmen ihn die Einwohner des kleinen Städtchens auch nicht gerade herzlich auf. Doch Harvey will sich davon nicht entmutigen lassen und stattdessen die skurrile Ortschaft und deren Umgebung als Inspirationsquelle für sein neues Buch nutzen. Er bekommt den Tipp, sich zu diesem Zweck einmal mit dem „merkwürdigen“ Oswaldo zu unterhalten, der in direkter Nähe zum Hotel wohnt. Dort angekommen, schallt ihm eine Radionachricht entgegen, die offenbar seinen Namen erwähnt. Als er das Haus betritt, sind sowohl Oswaldo als auch das Radio unauffindbar.

Damit beginnt die erste Rätselkette, in der Harvey das Radio finden muss. Hier entfaltet die Geschichte langsam aber sicher auch ihre Mystery-Komponente, die in Harvey immer mehr Fragen aufkommen lassen: Was hat es mit den Visionen auf sich? Was steckt hinter der Radio-Nachricht? Was ist mit Oswaldo passiert? Doch damit nicht genug, die Geschichte bekommt auch noch einen bösen Touch, den man durchaus auch als schwarzhumorig bezeichnen könnte: Harveys Aktionen scheinen ungewollt „mysteriöse Unfälle“ anzuziehen, die für manche Bewohner des Orts zu einer lebensbedrohlichen Angelegenheit werden…

Im Laufe der Geschichte klappert Harvey einige Lokalitäten in Villa Ventana ab und lernt auch das Umland des Städtchens kennen. Manche Orte dienen dazu, um bestimmte Rätsel lösen zu können, andere wiederum werfen weitere Fragen auf. Ob euch die Auflösung gefällt, müsst ihr selbst herausfinden – ihr werdet aber zumindest nicht mit einer Vielzahl an ungeklärten Fragen im Regen stehen gelassen.

Klassisch und Modern

Slender Threads präsentiert sich auf vorbildliche Weise als modernes Adventure, das seine Wurzeln nicht vergessen hat. Soll heißen: Es lässt sich wunderbar mit dem Gamepad steuern (auch auf dem Steam Deck), was in dem Fall eine direkte Steuerung der Spielfigur sowie die Möglichkeit, die Hotspots mit den Schultertasten durchzuschalten beinhaltet. Die wichtigsten Dinge wie Aktionen, Inventar und Übersichtskarte sind bequem per Knopfdruck ausführbar. Technisch läuft es einwandfrei, bis auf wenige kleinere Aussetzer bei der Wegfindung. Wer auf diesen „neumodischen Kram“ keine Lust hat, kann auch auf die klassische Maussteuerung zurückgreifen, die ebenfalls gut funktioniert. Anders als bei vielen aktuellen Adventures gibt es hier nicht nur „Anschauen“ und „Benutzen“ sondern auch „weitere Aktionen“. Das Spiel schlägt zwar immer eine sinnvolle Aktion vor, ihr könnt aber stattdessen eine andere Aktion wählen („Lupe“, „Hand“, „Mund“). Um dies zu verdeutlichen, hier ein fiktives Beispiel:

Unsere Spielfigur Jürgen betritt einen Raum, in dem sich Vampiro und Nischenliebhaber unterhalten. Wir können nun Vampiro oder Nischenliebhaber als Hotspot auswählen und das Spiel schlägt uns „Mund“ als Option vor. Ihr möchtet aber nicht mit ihnen „Reden“, sondern erst einmal einen Blick auf die beiden werfen, also wählt ihr die Aktion „Lupe“ aus. In diesem Fall kann dies auch „Belauschen“ bedeuten. Ihr hört den beiden also zu und stellt fest, dass Vampiro schlecht über eure geliebten Sierra-Adventures redet, während Nischenliebhaber versucht, diese zu verteidigen. Ihr entscheidet euch also nun, das „Hand“-Symbol auf Vampiro anzuwenden, um ihm aufgrund dieses Affronts einen Klapps auf den Hinterkopf zu geben. Danach klickt ihr mit der empfohlenen Aktion auf Nischenliebhaber, um ihm zu seinem erlesenen Geschmack zu gratulieren.

So hätte ich mir das zumindest gewünscht. Ich kann mich allerdings an keine Situation erinnern, in der ich nicht auch mit der vorgeschlagenen Aktion weitergekommen wäre. Dennoch eine nette Idee! Auch nett ist das integrierte Notizbuch, das Harvey selbstständig füllt und auf euren Wunsch hin auch mit Tipps zur Lösung der aktuellen Aufgabe versieht. Ebenso nett, dass ihr lange Laufwege mit einem Klick auf die Übersichtskarte vermeiden könnt, obwohl auch die Laufgeschwindigkeit angenehm schnell gewählt wurde. So sollte es in einem modernen Adventure aussehen!

Inspiriert von den Besten

Ein Blick auf die Screenshots, gepaart mit der oben beschriebenen Steuerung, legt wohl den Schluss nahe, dass die Macher Return to Monkey Island mochten. Zumindest erinnern sowohl die schlacksigen Figuren mit ihren prägnanten Nasen sowie die 3D-Umgebungen, die das Gefühl von 2D-Kulissen gepaart mit hübschen Kameraschwenks vermitteln, stark an den letzten Eintrag der Piraten-Comedy-Reihe. Dennoch ist die Optik eigenständig genug und wirkt vor allem auch in Bewegung sehr hübsch – wenn ihr dem Stil etwas abgewinnen könnt.

Die englischen Sprecher machen wieder einmal einen sehr guten Job, das ist ja in letzter Zeit erfreulicherweise (trotz des Nischendaseins des Genres) fast schon zum Standard geworden. Die Texte wurden unter anderem auch auf Deutsch übersetzt und funktionieren bis auf ein paar hakelige Übersetzungen gut. Die Musik hält sich dezent im Hintergrund, oft reichen zur Untermalung der düsteren Stimmung auch einfach atmosphärische Klänge.

Das Rätseldesign fügt sich in das positive Gesamtbild ein und deckt viele bekannte Rätselarten ab. So haben es beispielsweise Dialogrätsel, Inventarrätsel, Logikrätsel und sogar ein kleines, aber nicht störendes Mini-Labyrinth in das Spiel geschafft. Auf Mini-Spiele wurde hier aber komplett verzichtet. Es gibt zwar Stellen, an denen ihr durchaus ein wenig knobeln könnt, aber richtig schwer oder gar unfair wird es im ganzen Spiel nicht – und zur Not hilft auch ein Blick in das Notizbuch. Der Fokus liegt also eher auf dem Storytelling und weniger auf den Puzzles, auch wenn diese für ein Adventure in ausreichender Anzahl vorhanden sind. Ob euch die Geschichte (und wohin sie sich am Schluss entwickelt) aber gefällt, ist stark vom Geschmack abhängig. Sie deckt mehr Ebenen ab, als der geneigte Spieler zu Beginn offensichtlich erkennen kann, verstrickt sich aber nicht allzu sehr und ist in ihrer Auflösung immerhin recht schlüssig und nicht vollständig mit Logiklöchern durchzogen.

Fazit

Slender Threads ist erst vor kurzem auf meinem Radar aufgetaucht, nämlich als ich mir einen Überblick über die im ersten Quartal anstehenden Adventure-Veröffentlichungen verschaffen wollte. Daher bin ich völlig ohne Vorwissen in das Spiel gegangen und wurde für knapp über vier Stunden gut unterhalten. Die erzählte Geschichte ist für mich ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist sie recht clever konstruiert und spielt auch schön mit der Mehrdeutigkeit des Spiele-Titels, andererseits konnte ich schon recht früh absehen, in welche Richtung sich das alles entwickeln sollte. Dem Spielspaß hat das aber keinen Abbruch getan, denn es spielte sich fluffig weg und hat bei mir als Adventure-Fan die richtigen Knöpfe gedrückt. Ob wir es aber hier mit einem zeitlosen Klassiker zu tun haben, der auf ewig in den Köpfen bleiben wird, wage ich aber zu bezweifeln.

Nichtsdestotrotz: Von mir gibt es eine Empfehlung, wenn ihr mal wieder Lust auf eine gut produzierte Mystery-Geschichte mit schwarzem Humor, schrägen Todesfällen, markanter Optik und moderner Technik habt. Ihr findet Slender Threads ab heute auf Steam und GOG für knapp unter 20 Euro.

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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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8 Comments on “Slender Threads”

  1. Vielen Dank für den Bericht!
    Das hört sich für mich wie ein Spiel an, das man sich zulegt, wenn gerade Flaute im Backlog ist. Kommt auf meine „mal schauen“-Liste. 😉

  2. Hah, das klappt also zum Feierabend, super!
    Ich habe auf das Spiel gewartet, heute morgen vor der Arbeit
    geguckt, da war es noch nicht released.

    In *diesem* Fall habe ich ausnahmsweise nur fix bis zu
    Deinem Fazit heruntergescrollt.
    Da steht nichts, was mich jetzt am Kauf hindern würde 🙂
    (Deine immer lesenswerten, weiteren Buchstabenkombis
    führe ich mir später zu Gemüte – Danke dafür, auch, das Du hier so fix bist 🙂 )

  3. Ich habe Slender Threads immerhin schonmal auf der Wunschliste und da bleibt es nach deinem Text auch. Liest sich, als wäre es ein gutes Spiel für einen Adventure-Anhänger, der an schweren Rätseln verzweifelt.

    Danke für deine Einschätzung. 🙂

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