In den letzten Jahren gab es einen großen Schwung an Buch-Neuerscheinungen rund um das Computerspiel-Thema. Ob es daran lag, dass die Design- und Programmier-Recken in das Alter kommen, in dem sie gerne mal zurückblicken? Oder war Corona daran schuld? Jeder sitzt mit sich und seinen Gedanken alleine zuhause und sagt sich “Na gut, dann schreib’ ich halt ein Buch!” – Aus welchem Grund auch immer: Selten gab es so viele Hintergrund-Informationen aus erster Hand wie in den letzten Jahren.
Einer dieser Titel ist “Revolution – The Quest for Game Development Greatness” – und es ist trotz des Wörtchens “Quest” im Titel nicht von einem ehemaligen Sierra-Angestellten geschrieben. Stattdessen griff Tony Warriner gemeinsam mit Co-Autor Martin Mulrooney zum (vermutlich digitalen) Stift und erzählt aus seiner Sicht die Geschichte des britischen Studios Revolution Software. Warriner gründete zusammen mit Charles Cecil, David Sykes und Noirin Carmody die Spieleschmiede im März 1990 und hat alle Höhen und Tiefen mitgemacht. Kein Wunder also, dass sein Buch mit 600 Seiten nicht gerade kurz geraten ist.
Finanziert wurde der Druck der Erstauflage über Kickstarter. Mit erfreulich wenigen Tiers brachte die Schwarm-Finanzierung 31.809 Pfund von 619 Unterstützern ein.
- PDF 32 Dollar
- Hardcover inklusive PDF 45 Dollar
- Special Edition (57 Dollar / Early Bird 45 Dollar)
Letztere Variante bot neben dem PDF noch einen schönen Schuber und den eigenen Namen in den Buchcredits.
Als Warriner auf der Plattform den digitalen Klingelbeutel aufstellte, war das Buch bereits größtenteils fertig geschrieben. Natürlich feilte das Team noch an den Kanten, aber die größte Veränderung war in dieser Phase, dass Charles Cecil die Erlaubnis für den Abdruck der schönen Charakter-Konzeptzeichnungen aus dem ersten Baphomets Fluch-Spiel gab. Diese rahmen nun die Kapitel stimmungsvoll ein. Auch ansonsten geizt das Buch nicht mit Bildern. Der Text nimmt gute 400 Seiten ein, dazwischen tummeln sich wahnsinnig viele Bilder von Spielepackungen, Veranstaltungen und Einblicken in die Räumlichkeiten bei Revolution Software. Teilweise frage ich mich allerdings, weshalb ausgerechnet dieses oder jenes Bild noch unbedingt mit ins Buch musste. Verwaschene, unscharfe Bilder ohne Erkenntnisgewinn wechseln sich ab mit spannenden Einblicken in die Entwicklungsgeschichte. So oder so lockern sie das Buch auf und auch die Schriftgröße trägt ihren Teil zu einem entspannten Lesegenuss bei.
Da der größte Teil der Arbeit bereits vor der eigentlichen Kampagne erledigt war, ist die Kickstarter-übliche Verzögerung recht kurz ausgefallen: Die Bücher sollten laut ursprünglichen Plan im Januar 2023 ausgeliefert werden – Anfang April gab es ein Kickstarter-Update von Tony, in dem er sich Stück für Stück durch die Besteller-Liste kämpft. Nun, nach dem erfolgreichen Versand, gibt es das Buch noch in gedruckter Form (zum Beispiel bei Retroshirty). Allerdings hat Warriner bereits anklingen lassen, dass dies die einzige gebundene Ausgabe bleiben soll. Eine im Raum wabernde Paperback-Variante wird wohl entschieden weniger Bilder enthalten, wenn sie überhaupt gedruckt wird.
Warriners Computer-Werdegang ist (abgesehen von seinem ersten eigenen Rechner) klassisch für britische Programmierer seiner Generation: 1983 ein Camputers Lynx (nein, ich habe mich nicht verschrieben), der Schwenk auf den Amstrad CPC und erste Versuche in Basic. 1986 war er 16, hatte sein Prüfungsjahr und wollte ein eigenes Spiel entwickeln und auf den Markt bringen. Das mit dem Spiel hat geklappt, das mit den Prüfungen nicht. Um Obsidian auf den Markt bringen zu können, suchte Warriner eine ortsansässige Software-Firma und fand Artic Computing. Für Revolution-Fans ist dies eine der Keimzellen der späteren Firma, denn auf der anderen Seite des Schreibtischs saß Charles Cecil, der das Programm ankaufte.
Seine weiteren frühen Spiele-Kreationen beschreibt Warriner mit humorvoller Note und streut (ganz der Programmierer, der er ist) immer wieder Code-Zeilen ein oder verliert sich kurz in den Schwierigkeiten guter Portierungen, wenn man den Original-Code nicht sauber programmiert hat. Die Wildwest-Mentalität der damaligen Zeit wird schön am Beispiel des offiziellen WM-Spiels World Cup Carnival aus dem Hause U.S.Gold deutlich. Der Publisher hatte die Lizenz – aber kein Spiel. Also kauften sie die Rechte an einem älteren Artic-Titel, Tony und Co. programmierten noch Minispiele wie Elfmeterschießen dazu und ab in die Regale! Ultima Ratio, die Arcade-Umsetzung Indiana Jones and The Temple of Doom, Warhawk. Warriner streift viele Spiele, an denen er beteiligt war und beleuchtet die britische 1980er-Szene mit liebevollem Blick. Dass er an der Umsetzung des Zeichentrickfilms El Dorado beteiligt war, war mir ebenso wenig bewusst wie seine Programme, die er für Gizmondo entwickelte.
Der Schwerpunkt des Buchs liegt aber natürlich bei den Revolution-Titeln. Tony Warriners besondere Liebe gilt bis heute Beneath a Steel Sky, auf das er während des ganzen Lesespaßes immer wieder Bezug nimmt. Natürlich kommen auch die Baphomets Fluch-Titel nicht zu kurz. Wir lernen viel über die Entstehung des eigenen Engine Virtual Theatre, die NPCs im Spiel virtuelles Leben einhauchen sollte. Und wer sich schon immer gefragt hat, wie Revolution Baphomets Fluch auf den GBA portieren konnte, wird hier Antwort finden: Mit Gewalt! Tony erzählt lang, detailliert und teilweise technisch – aber nie langweilig. Die Anekdoten zu den iPhone-Umsetzungen und die Schwierigkeiten auf Android-Geräten sind ebenso fesselnd wie die Erklärungen zum Director’s Cut, der bis heute unter Fans umstritten ist. Und natürlich beschreibt Warriner auch den Nervenkitzel, Baphomets Fluch 5 per Kickstarter anzuschieben. Das Buch muss natürlich irgendwann enden – und Tony schrieb sein Nachwort im Juli 2022. Schön, dass die Revolution-Geschichte trotzdem nicht zu Ende ist und mit einem Kickstarter zu (mal wieder) einer neubearbeiteten Version des ersten Baphomets Fluch das nächste Kapitel aufschlägt.
Ach ja, schöner Artikel, der mich daran erinnert, dass ich das Buch endlich mal lesen sollte.
Weniger Pixel-Adventures, mehr Bücher!
Danke für den Hinweis, habe gar nichts von dem Buch gewusst. Gerne mehr Rezensionen!
Gerne doch. Dann nehm ich mir eventuell nochmal Cyber Jack vor 🙂
CyberJack? Das kenne ich nur als Kartenlesegerät. 😉