Ob Contra mit Lebensenergie oder Castlevania mit weniger Gegnern: Nachfolgend erfahrt ihr alles über die Hintergründe zu den Unterschieden zwischen japanischen und westlichen Spieleversionen.
Wenn über alte Spiele aus den 80er und 90er Jahren gesprochen wird, halten sich oft einige falsche Vorstellungen. Manche Fehlannahmen beziehen sich auf den Schwierigkeitsgrad der damaligen Konsolenspiele. Zum Beispiel, dass die Spiele in Japan pauschal besonders schwer gewesen sein müssen. Unterlegt wird dies mit der Geschichte, dass Nintendo of America damals die japanische Version von Super Mario Bros. 2 abgelehnt hatte, da diese zu schwer und unfair gewesen sei. Dabei war zwischen Ende der 1980er bis ungefähr Mitte der 90er das Gegenteil der Fall: Japanische Versionen bekannter Videospiele waren sehr oft einfacher und fairer balanciert als die jeweiligen westlichen Versionen. Es gibt etliche Beispiele, die ich später in diesem Artikel nennen werde. Bevor wir aber zu den Spielen kommen, folgt ein geschichtlicher Abriss über den weltweiten Verleihmarkt verschiedener Medien. Dieses Verständnis ist für das Thema wichtig.
Am Anfang waren japanische Studenten
Wir befinden uns in Japan im Jahr 1980: In den 1970er Jahren wurden Kassettenrekorder marktreif – Sie wurden einzeln oder als Teil von Stereoanlagen verkauft. Stereoanlagen bestanden damals meist aus einem Kassettenrekorder, einem Radio und einem Plattenspieler. Da kamen einige Studenten auf eine clevere Idee: Warum nicht einen Schallplattenverleih eröffnen? Der Deal sah folgendermaßen aus: Für nur 10% des Originalpreises des Musikalbums konnte der Kunde eine Schallplatte ausleihen; leere Audiokassetten wurden ebenfalls zum Kauf angeboten. Natürlich nutzten die Kunden das Angebot um diese Alben auf Kassette zu kopieren – und das für einen günstigen Preis!
Der ganze Markt war damals noch völlig unreguliert, daher konnten sich die entsprechenden Shops rasend schnell im ganzen Land verbreiten. Bereits ein Jahr nach der Ersteröffnung gab es über 1.000 Verleihgeschäfte. Im Laufe der 80er Jahre sollte diese Zahl auf über 6.000 Läden im ganzen Land anwachsen. Natürlich gab es bald Versuche der japanischen Musikindustrie, diese Läden zu verbieten. Doch die Zahl der Läden wuchs so schnell, dass der japanische Gesetzgeber zurückschreckte. Zum einen haben sich auch die Verleiher zu einer Lobbygruppe zusammengeschlossen, um bei der Politik zu lobbyieren. Vor allem aber setzte sich auch die japanische Elektronikindustrie für den Erhalt der Shops ein. Denn Firmen wie Sony oder Panasonic profitierten von dem Boom: Sie verkauften so viele Stereoanlagen, Kassettendecks und Leerkassetten wie nie zuvor. Es war eine Goldgrube.
Die internationale Musikindustrie war in höchster Alarmbereitschaft. Die große Sorge: Würde sich das Verleihgeschäft nach japanischem Vorbild auch in den westlichen Ländern durchsetzen, wäre das Geschäftsmodell ernsthaft bedroht. So kam es, dass ab 1980 sowohl in den USA als auch in den europäischen Ländern eine lautstarke und aggressive Kampagne gegen das Tape Recording gestartet wurde. „Home Taping Is Killing Music“ lautete beispielsweise der dramatisch klingende Slogan der britischen Musikindustrie. Damals ging es vordergründig um Abgaben auf Leerkassetten und gegen Mixtapes. Dass es in Japan bereits einen florierenden Verleihmarkt gab, wurde verschwiegen – man wollte die Leute nicht auf dumme Ideen bringen. Und wenn es dann doch solche Läden gab, nach dem Vorbild der ebenfalls aufkommenden Videotheken, wurden die Labels sofort aktiv und klagten dagegen.
Die Lobbyarbeit fruchtete: Anfang der 80er Jahre wurde der kommerzielle Verleih von Musikalben in den europäischen Ländern entweder reguliert oder teilweise verboten. Die USA zogen 1984 im Rahmen eines neuen Copyright-Gesetzes nach. Damit war der Kampf für die internationale Musikindustrie vorerst gewonnen. Diese Info merken wir uns für später!
War der Musikverleih wirklich der Untergang?
Zurück nach Japan. Auch dort haben wir inzwischen das Jahr 1984 erreicht. Auch dort sollte das Urheberrecht neu geregelt werden, denn seit 1980 hatte sich etwas Entscheidendes getan: Es gab nicht mehr nur Verleihgeschäfte für Musik. Bald folgten auch Verleiher für Computersoftware, die oft sogar beim Knacken der entsprechenden Programme halfen. Und nach dem Erscheinen von Nintendos Family Computer im Jahr 1983, der japanischen Version des Nintendo Entertainment Systems, wurden auch Videospiele verliehen. Zwar konnten NES-Spiele damals (noch) nicht illegal kopiert werden, aber NES-Spiele wie Excitebike oder Pinball hatten lediglich eine Spieldauer zwischen 30 bis 60 Minuten. Sie konnten problemlos ausgeliehen, durchgespielt und wieder zurückgegeben werden.
Die japanische Musikindustrie witterte noch einmal Morgenluft und versuchte erneut, die japanische Regierung zu einer gesetzlichen Regelung zu bewegen. War sie 1980 noch allein, so hat sich die Musikindustrie nun mit der Software- sowie der Videospielindustrie, namentlich Nintendo, zusammengetan. Nun erhöhten alle drei Branchen den Druck auf die Regierung. Lediglich die Filmindustrie hielt sich überwiegend raus, in Japan wie in den USA, weil diese damals vor allem mit der Kinoauswertung das meiste Geld verdiente. Die japanische Regierung gab dem Druck nach und es folgten Regeln:
- Die Verleiher sollten künftig für jedes verliehene Produkt Abgaben an die Musik- und Filmindustrie zahlen. Außerdem einigte man sich auf eine Karenzzeit von einigen Wochen für neue Musikalben. Zu einem Verbot des Musikverleihs wie im Westen kam es jedoch nicht. Dazu waren die Verleiher zu groß und in der Bevölkerung zu populär geworden.
- Doch die Software- und Spieleindustrie hat sich durchgesetzt! Seit 1984, und übrigens bis heute, ist der kommerzielle Verleih von elektronischer Software ausnahmslos verboten.
Bevor ich zu Nintendo komme, möchte ich kurz das Thema japanische Musikindustrie abschließen. Schaut man sich die aktuellen Umsatzzahlen an, ist man als westlicher Beobachter überrascht: 2022 wurde der Gesamtumsatz der japanischen Musikverkäufe auf 307 Milliarden Yen geschätzt, das sind etwa 1,94 Milliarden Euro. Während in den USA oder Europa der Anteil physischer Tonträger wie CD oder Vinyl nur noch bei rund 10 Prozent liegen, sind es in Japan stolze 66 Prozent. Die Gründe sind sicherlich vielschichtig. Häufig wird die alternde Gesellschaft genannt, aber auch in den westlichen Ländern gibt es eine alternde Gesellschaft – und dennoch hat das Musikstreaming den Verkauf von Musik nahezu verdrängt.
Es gibt einige Experten, die vor allem den Boom des Verleihgeschäfts zwischen den 80er bis in die 2000er Jahre als Hauptgrund für die Treue zum physischen Tonträger sehen. Die Menschen sind intensiver mit dem Medium aufgewachsen und haben die zahlreichen Musikgeschäfte auch als sozialen Raum kennengelernt. Das führte beispielsweise dazu, dass illegales Filesharing in Japan in den 2000er Jahren eine viel geringere Rolle spielte als im Westen. Durch die Verleihgeschäfte konnten auch Kinder und Jugendliche mit wenig Taschengeld teilhaben. Gleichzeitig haben sich die Musikgeschäfte in den letzten Jahren auch gewandelt, sprechen heute mehr Hardcore-Musikfans als den breiten Mainstream an, organisieren kleine Konzerte, et cetera.
Nintendo war auf sich allein gestellt
Doch zurück zu unserem Thema. In Japan entwickelten sich die Verkäufe des Famicom und den dazugehörigen Spielen prächtig. Nun galt es, den westlichen Markt zu erobern. Oder zunächst den amerikanischen. Das japanische Famicom erhielt ein neues Design und erschien im Oktober 1985 als Nintendo Entertainment System in den USA. Nach dem Videospiel-Crash von 1983 war die Öffentlichkeit skeptisch, und es dauerte eine Weile, bis sich das Gerät und die dazugehörigen Spiele durchsetzten. Mit qualitativ hochwertigen Titeln wie Super Mario Bros., Castlevania oder Mega Man stellte sich der Erfolg ein: Allein 1987 konnten beispielsweise zwei Millionen Geräte verkauft und eine installierte Hardwarebasis von 4 Millionen erreicht werden. In den darauf folgenden Jahren nahm der Erfolg stetig zu: Bis zum Dezember 1991 wurden 30 Millionen Geräte verkauft, zwischenzeitlich beherrschte Nintendo 83% des amerikanischen Videospiele-Marktes.
Durch den neuerlichen Videospiel-Boom wurden auch die amerikanischen Videotheken aufmerksam. Wie bereits erwähnt, hatte die Filmindustrie nicht die Absicht, den Verleih zu unterbinden. Vielmehr einigten sich die Verleiher mit den Verwertern auf eine Abgabe. Auf diese Weise schossen die Videotheken in den USA wie Pilze aus dem Boden. 1988 gab es beispielsweise mehr als 25.000 Videotheken. Hinzu kamen zahlreiche Musik-, Lebensmittel- und Drogeriemärkte, die ebenfalls Videos verliehen. Hier wird die Zahl für das Jahr 1988 auf 45.000 Geschäfte geschätzt.
Es dauerte nicht lange, bis auch die Videotheken begannen, NES-Spiele anzubieten. Vor allem Blockbuster, eine der damals größten Videothekenketten, zog den Unmut von Nintendo auf sich: Sie kauften Spiele zum Großhandelspreis ein und verliehen sie an ihre Kunden. Nintendo sah davon keinen Cent. In den Jahren 1988/89 kam es schließlich zu Gerichtsverfahren, gleichzeitig versuchte Nintendo, bei den Gesetzgebern Gehör zu finden und verwies auf das Musikverleihverbot von 1984. Nintendo scheiterte vor Gericht und auch die amerikanische Politik ließ Nintendo abblitzen. Die Begründung: Das Verbot des Musikverleihs beruhte darauf, dass es kinderleicht war, Musik von Schallplatten oder CDs auf Kassetten zu kopieren. NES-Module waren dagegen alles andere als leicht zu verfielfältigen. Die Videotheken durften weitermachen.
Dabei muss man natürlich im Hinterkopf behalten, dass Nintendo zwar mit ihrer Konsole erfolgreich war, das Videospiel-Medium in der damaligen US-Gesellschaft jedoch nicht sonderlich ernst genommen wurde. Nintendo konnte als einzige Firma auch keinen großen Druck aufbauen wie noch ein paar Jahre zuvor im Zusammenschluss mit der Musikindustrie auf die japanische Regierung. Die US-Musikindustrie hat ihre Schlacht bereits geschlagen, die Filmindustrie zeigte ebenfalls kein Interesse. Es folgten ein paar Nebenkriegsschauplätze, zum Beispiel verklagte Nintendo Blockbuster wegen den Kopien der Spielanleitungen, aber an sich war es das an dieser Front.
Das hat Spass gemacht zu lesen.
Es gibt einige an sich gute Spiele, die aber allzu mühsam sind, und wo man erst nen Schubs geben muss, damit sie ihr Potential entfalten. Das wäre eine interessante öffentliche Datenbank: prozentuale Verteilung aller Spieler abhängig vom Spielverlauf und Schwierigkeitsgrad. All die Levels und Enden, die viele nie eigens erlebten – eventuell auf YouTube angeschaut.
Danke für den tollen Artikel. Mir haben besonders die detaillierten Beispiele gefallen. Die Sache mit Contra Hard Corps war mir bekannt, der Rest war mir neu!
Das Patchen der Spiele mit Romhacks ist mir oft zu umständlich aber bei manchen Spielen muss es wohl sein.
Ich habe es jetzt mal selber getestet und mir die Japanische Version von Contra Hard Corps auf Genesis vorgenommen.
Ich habe die Japanische Verdion direkt durchspielen können. Das Spiel ist in der Japanischen Version nicht schwerer als zum Beispiel Gunstar Heroes.
Zum Vergleich: In der US Version von Contra Hard Corps schaffe ich nicht mal den zweiten Level.
Wahnsinn!