Französische Computerspiele hatten in den achtziger Jahren einen gemischten Ruf: Technisch makellos und graphisch auf höchstem Niveau, spielerisch allerdings eher mittelmäßig. Ich hatte damals die CPC-Version von Asterix im Morgenland und war fasziniert von den tollen Bildern, die auf dem Grünmonitor fast wie aus dem Comic wirkten. Gleichzeitig war mir trotz Schachtel und Anleitung nie so recht klar, was die Minispiele dazwischen sollten und was eigentlich meine Aufgabe sein sollte. Der Titel stellte die Präsentation klar über ein spielerisch gelungenes Abenteuer. Was uns zu Reisende im Wind führt.
Das Spiel zum Comic
Als ASM-Leser war ich vom Uwe-Knierim-Test in der Ausgabe 05/87 tief beeindruckt. Ein spielbarer Comic? Mit vollständigem Comic-Heft in der Box? Wahnsinn! Vermutlich ein Glück für mich, dass in der schwäbischen Provinz keiner der zwei Händler das Spiel im Programm hatte. Denn so konnte ich nur von der tollen Verpackung träumen, bis ich sie im Kautzner Computer-Museum selbst in die Hand nehmen durfte. Auch der Nachfolger ist in der kleinen heiligen Halle dort zu finden und kann bei Interesse angespielt werden. Wobei nach ungefähr zwei Minuten auch schon alles an Gameplay enthüllt wurde, das im Spiel enthalten ist. Aber der Reihe nach:
Das ursprüngliche Medium der Reisenden waren Comics. Der französische Zeichner François Bourgeon schuf zwischen 1979 und 1984 in fünf Bänden eine abgeschlossene Geschichte, die sich um die junge Adelige Agnes de Roselande drehen. Die verdrehte Verwechslungsgeschichte rund um sie und das Waisenkind Isabeau de Marnaye spielt auf dem Monitor keine Rolle. Wichtig für den Spieler ist nur, dass sich Agnes in den französischen Matrosen Hoel verliebt. Da die Versoftung allerdings die Geschehnisse des zweiten Comic-Bands nacherzählt und sich auch keine Mühe gibt, innerhalb des Spiels wenigstens fünf bis sechs Zeilen der Einführung zu geben, sollte der beiliegende erste Band des Comics, Blinde Passagiere, vor dem ersten Stand gelesen werden. Denn sonst wird es eine ganze Weile dauern, bis die einzelnen Dialog-Fetzen wenigstens ein klein wenig eine zusammenhängende Welt ergeben.
Der Ausgangspunkt zur Reihe war übrigens ein Schiffmodell: Bourgeon baute die Fregatte Marie Caroline aus dem 18. Jahrhundert nach. Er begann, diese Modelle als Hintergrund für eine Geschichte zu nutzen- allerdings spielen große Teile der Reisenden im Wind auch an Land und zeigen den europäischen Lesern exotische Orte und oft genug auch weibliche Anatomie. Zuerst aber gilt es, Hoel von diesem Gefangenenschiff zu bekommen. Und schon sind wir mitten im Spiel – so weit man davon sprechen kann.
Die große Grafik im oberen Bildschirmbereich dient nur der Illustrierung der Geschehnisse. Ab und zu werden kleinere Bilder wie zum Beispiel Portraits ein- und wieder ausgeblendet. Das eigentliche Gameplay spielt sich aber in den beiden unteren Fenstern ab: Auf der linken Seite wird das Portrait der jeweils aktiven Person eingeblendet, im größeren rechten Fenster der zugehörige Dialog-Anteil. Die Aufgabe des Spielers: Dialoge durchklicken. Dazu fährt man mit den Cursor auf die gelbe oder die graue Schaltfläche und klickt darauf. Schon erscheinen das nächste Portrait und bei einem weiteren Klick auf dieses dann der Satz. Ist die Schaltfläche grün, können mehrere Charaktere durchgeklickt werden. An einigen wenigen Stellen stehen rot unterlegt verschiedene Dialog-Optionen zur Auswahl. Hier – und nur hier – gibt es die Möglichkeit, falsch abzubiegen und die Geschichte vorzeitig zu beenden.
Für sich genommen ist der spielerische Anteil also marginal. Da es keine Speicher-Option gibt, sind diese Tode umso ärgerlicher; außerdem gibt es auch Dialoge, die auf diese Art und Weise verpasst werden können. Hinzu kommt, dass die Dialoge so knapp gehalten sind, dass auch keine Verbindung zu den Figuren aufgebaut wird. Das einzige Element, das die Spielerschaft am Bildschirm halten könnte, ist daher die tolle Grafik, die in ihren besten Momenten auch Dynamik erzeugen kann. Zum Beispiel, wenn die Charaktere über das Panel hinausgreifen. Oder mehrere kleine Bilder mehr Geschichte erzählen als der Text. Darüber hinaus gibt es ab und zu auch etwas mehr Haut zu sehen. Schließlich befinden wir uns in einem französischen Spiel, das auf einem französischen Comic basiert. Die Software ist im Vergleich zur Vorlage tatsächlich noch recht zurückhaltend und legt mehr Wert auf die Landschaften.
Die Presse
Boris Schneider(-Johne) zeigte sich in der Happy Computer 6/87 nicht sonderlich beeindruckt und vergab nur 20 magere Pünktchen:
Ich hatte mich schon nach zwei Stunden bis ans Ende des Adventures gespielt, ohne jemals irgendwie gefordert gewesen zu sein. Vollkommen unverständlich ist mir, warum ein so dürftiges Programm derart teuer ist. Die langfristige Spielmotivation ist gleich null.
Für einen kleinen Zirkelschluss kommen wir nochmal auf den Test der ASM zurück. Wie es aussieht, lies sich Uwe Knierim von der Rückseite der Box… sagen wir: inspirieren. Der Schachteltext liest sich so:
Während der Kanonengefechte an Bord der FOUDROYANT, Schiff im Dienste seiner Majestät Ludwig XVI, werden Sie endlich wissen, was Angst bedeutet.
In der Savanne, im tiefen Afrika begegnen Sie wilden Raubtieren und werden eingeweiht in die Geheimnisse des Woodoo, …
In der ASM war nicht so viel Platz, so dass ein wenig gekürzt werden musste:
An Bord der FOUDROYANT geraten sie in Kanongefechte, in der Savanne Afrikas begegnen sie wilden Tieren und werden eingeweiht in die Geheimnisse des Woodoo.
Auch schick diese inspirierende Bearbeitung:
HOEL, ein bretonischer Matrose, muss Frankreich fluchtartig verlassen, da er – ungerechtfertigterweise – wegen Mordes gesucht wird. ISA, eine Abenteurerin, entpuppt sich als Komtesse, deren Adelstitel mißbraucht wurde. Um ihre Ehre und ihren Stand wiederzuerringen, durchkreuzen Sie die seltsame Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. (Original)
Daraus wurde:
HOEL, ein bretonischer Soldat, der Frankreich fluchtartig verlassen mußte, da er wegen Mordes gesucht wird, durchkreuzt mit ISA, einer Abenteurerin, die sich als betrogene Komtess entpuppt, die seltsame Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts. (Fälschung)
Praktisch, dass aus “Sie” – also die Spielerschaft ein “sie” – Hoel, Isa und die anderen Figuren – wurde. Diese tiefgreifende Beschäftigung mit der Packung – und bestimmt auch dem Spiel selbst führt zu 9 von 12 Punkten. Wobei im ganzen Test nicht erklärt wird, woher diese Begeisterung rühren könnte. Nur bei den Noten deuten die 10 für Grafik, Story (welche Story?) und Atmosphäre an, was Uwe Knierim so gefallen hat.
Reisende im Wind 2
Bereits 1987 konnten begeisterte Reisende den Nachfolge-Titel ins Disketten-Laufwerk schieben. Der Klappentext spart nicht mit vollmundigen Worten, wirkt allerdings wie mit dem Wörterbuch neben der Tastatur aus dem Französischen übersetzt:
Francois Bourgeon hat die Nutzung seines Werks für eine Software nur unter der Bedingung akzeptiert, dass der Geist dieses Geschichtsblattes getreu wiedergegeben wird. Die Autoren dieses Adventure haben mit der gleichen Ausdauer und anspruchsvollen Disziplin gearbeitet wie dieser Bretone, Magier der Bilder auf den Flügeln der Phantasie.
Das Spiel verarbeitet die Geschichte des dritten Comic-Bands “Handel mit schwarzer Ware”. Im Guten wie im Schlechten ist das Game wie der Vorgänger aufgebaut. Die Art der Präsentation und damit auch das Spielprinzip gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Die Vorgeschichte wird in einigen knappen Zeilen erklärt und lässt uns dann in Afrika allein. Auch hier fährt der Spieler nur den Bildschirm ab und klickt sich durch Dialoge, die ab und zu den Bildschirmtod bedeuten. Bis auf die Grafiken motiviert hier leider wieder wenig. Das führt zu ähnlichem Presse-Echo wie bei Teil eins:
Martina Strack verwendet in der ASM 10/87 weite Teile ihres Tests darauf, die Steuerung zu erklären und viele Wörter in Anführungszeichen zu setzen. Woher sie die 11 Punkte für die Atmosphäre ableitet, wird nicht klar. Sie endet mit:
Das Adventure lebt von den Grafiken und Dialogen zwischen den Personen sowie den vielfältigen Möglichkeiten, wie das Ganze wohl ausgehen mag. Die Atmosphäre ist sehr dicht. Der Sound, der das Spiel ständig begleitet, ist Geschmackssache… Jedermanns Sache ist es [das Spiel] jedoch nicht.
Das britische Games Magazine vergab 43 Prozent und fasst das Dilemma der Spiele in einem einzigen Satz sehr gut zusammen:
The graphics in all versions are very nice indeed, it’s a shame the same cannot be said of the gameplay.
Beide Spiele bieten die Möglichkeit des Speicherns an. An und für sich keine herausragende Meldung. Doch da es sich bei Reisende im Wind um eine Visual Novel handelt, wird der Spielstand-Datenträger “Situation Disc” genannt. Der Spieler hat also jederzeit die Möglichkeit, zu Situation 0-9 zurück zu gehen und sich erneut durch Dialoge zu klicken. Viel Spaß dabei.
Hat sich dieser Ruf, dank Cryo, nicht noch weit in die 90er gezogen?
kleiner Fehler:
“Als ASM-Leser war ich war ich vom Uwe-Knierim-Test…”
Danke für den Hinweis, ist verbessert 🙂
Ja, der Ruf blieb noch eine ganze Weile speziell. Habe allerdings selbst Anfang der 90er bis Mitte 90er eine Lücke in meiner Spieler-Laufbahn und taste mich langsam in diesen Jahren voran.
Ach je, ich bin alt… Ich hab Asterix im Morgenland als 6-jähriger Knirps zusammen mit meinem Papa gespielt und genau die gleichen Gedanken gehabt… Sah toll aus, aber was muss ich bitte machen.
Schöner Bericht, leider kenne ich beide Spiele nicht, meine Eltern wären damals auch sicher nicht über so freizügige Bilder erfreut gewesen, ich musste später Larry 1 auch im Geheimen spielen.
Die französischen Grafikblender gab es also schon immer.
Ich habe eins der schlimmen 3D-Larry-Dinger gespielt. War ja erst mal froh, dass es eine Fortsetzung gibt. Schlimmes Spiel, aber ich blieb dran. Und dann kam meine Frau zur Tür rein, als irgendein Affe hinter Glas sich selbst anfasst. Der Rest des Spiels ist nur peinlich – aber ausgerechnet diese Stelle ist oberpeinlich.