Quantum Witch

In niedlicher Pixeloptik verhandelt Quantum Witch ziemlich große Themen und badet gleichzeitig in popkulturellen Anspielungen und Brüchen durch die vierte Wand.

Die Ein-Frau-Entwicklerin NikkiJay verarbeitete in dem Spiel eigene Erfahrungen: Ihre Familie war von beiden Seiten aus bereits seit zwei Generationen Anhänger eines Kults, in den sie selbst auf diese Weise geboren wurde. Nun, sie war jung und stellte Fragen. Zum Beispiel fiel ihr auf, dass die verkündeten Wahrheiten immer mal wieder angepasst wurden – dies aber keiner der Anhänger infrage stellte.

Erst als junge Erwachsene konnte sie einen Abschluss finden und den Kult verlassen – und noch viel länger dauerte es, bis sie ihre Erfahrungen in diesem Computerspiel verarbeiten konnte. Erst brachte sie sich selbst bei, Pixelgrafiken zu erstellen. Dann setzte sie sich an die Geschichte und begann zu programmieren.

Inhaltsverzeichnis

Die Story

Hauptfigur bei Quantum Witch ist die junge Schäferin Ren, die mit ihrer Partnerin in dem kleinen Reich Hus lebt. Alles scheint in bester Ordnung zu sein – abgesehen von den ausgebüxten Schafen (die hier „faer“ heißen, aber genauso wuschelig-wollig zu sein scheinen). Natürlich sucht Ren die Tiere und lernt dank dieser ersten Aufgabe die Umgebung kennen. Neben vielen Gesprächen verteilt sie Streicheleinheiten an Katzen, entdeckt Händler, die anderen Welten entsprungen zu sein scheinen, und wird schon bald von einem Kult verehrt – dessen Mitglieder immer wieder betonen, dass es sich bei diesem Konstrukt selbstverständlich NICHT um einen Kult handelt!

Ein wenig Kampftraining später hat Ren gelernt, dass große Kisten kein Hindernis für die moderne Frau von heute sind. Und wer nicht so trottelig wie ich durch die Gegend läuft und Kisten am Bildschirmrand übersieht, startet durch einen beherzten Handkantenschlag die eigentliche Hauptstory, die Ren vor größere Entscheidungen und teilweise auch sehr viel Text stellt. Denn durch eine gut gemeinte Tat gegenüber einer ihr fremden Frau hat sie Ereignisse in Gang gesetzt, deren Ausgang niemand vorhersagen kann. Auch nicht das Skelett, das durch die Zeit sehen kann. Ja, das gibt es – und ja, es kann auch den Skeleton Dance tanzen.

Ab diesem Zeitpunkt werden die zuvor nur sehr vagen Andeutungen, dass in Hus irgendetwas nicht stimmen kann, handfester. Allerdings wird gleichzeitig auch die verwendete englische Sprache schwieriger – ist aber durchaus noch beherrschbar. Für einige Spieler könnte die Gratwanderung zwischen ernsten philosophischen Fragen und Popkultur-Gags schwierig sein. Für mich war die Mischung genau richtig, doch das dürften Spieler mit anderer Erwartungshaltung naturgemäß anders sehen.

Diese Ausbrüche aus der Ernsthaftigkeit sind von NikkiJay durchaus beabsichtigt. Sie selbst sagt dazu in einem Interview mit Vice.com:

Die Inspiration für die Geschichte ist ein bisschen … chaotisch!

Sie basiert auf meinen eigenen Erfahrungen als Kind in einer Gruppe, die sich von der Gesellschaft abgeschottet hat, bestimmte Aspekte der medizinischen Versorgung ablehnte und Angst einsetzte, um ihre Mitglieder zu kontrollieren.

Die Themen des Spiels drehen sich um die Befreiung aus genau dieser Art von Zwang und den Umgang mit den Folgen – meistens mit einer guten Portion schwarzem Humor.

Für mich ist es ein sehr persönliches Spiel, das sich mit unterschiedlichsten Traumata auseinandersetzt, dabei aber trotzdem leicht zugänglich und mit einem Augenzwinkern bleibt. Es war fast schon eine Art Therapie für mich: den Schrecken der Vergangenheit in absurde Situationen zu verwandeln, über die man lachen kann.

Wenn Du irgendwann mal über etwas kichern musstest und Dich im nächsten Moment gefragt hast, ob Du das überhaupt darfst – dann habe ich genau das erreicht, was ich wollte! Und ja, Du darfst lachen. Du hast meine Erlaubnis!

Pixelkunst

Quantum Witch präsentiert sich als Plattformer in Pixeloptik. Allerdings prägte NikkiJay für das Spiel den Begriff „Plotformer“, weil ihr Schwerpunkt klar auf der Geschichte liegt. Entsprechend beschränkt sich die Kampfmechanik auf zwei einfache Schläge beziehungsweise Tritte und auch die Plattform-Mechanik ist anfangs mehr Mittel zum Zweck. Etwas später wird das Hüpfen schon etwas komplizierter, weil Rens neu erweckte magische Fähigkeiten auch verschiedene Ebenen behüpfbar machen – dies allerdings unter Zeitdruck.

Die Grafik ist – wenn man den Stil denn mag – sehr schön gepixelt. Wenn Ren durch die Gegend hüpft, macht das Zuschauen einfach Spaß – allerdings bewegen sich die wenigsten anderen Figuren. Diese sind für gewöhnlich tagsüber immer an der gleichen Stelle zu finden und nachts an einer anderen. Und so nett es ist, mit den anderen Figuren zu plaudern: Wenn die Geschichte fortgeschritten ist und ich Alles und Jeden wieder anklicke, ob sich der Dialog verändert hat, dann nervt das im dritten Versuch dezent.

Fazit

Quantum Witch erwartet von der Person vor dem Bildschirm vor allem eines: Aufmerksamkeit. Wer wie ich dazu neigt, in einem Plattformer die Texte nur zu überfliegen, ist hier völlig falsch. Erst nachdem ich das endlich verstanden hatte, entfaltete sich der ganze Zauber des Spiels. „Zauber“ hier bitte nicht falsch verstehen: Neben all den lustigen Momenten verhandelt Quantum Witch wirklich die großen Themen und rutscht von „Zauber“ auch gerne in „schwarze Magie“ ab. Nebenbei bietet es einen großen Wiederspielwert, weil es zig Verzweigungen in den Quantenuniversen gibt. Ja, Quanten. Wie Ren selbst sagt: Warum muss momentan überall was mit Quanten drin sein?

Zum Schluss kann ich sagen: Mir hat Quantum Witch nach anfänglichem Fremdeln (weil ich mich mehr auf die lustigen Sprüche und weniger auf die tiefe Story konzentriert habe) sehr viel Spaß gemacht. Weil im unten angehängten Video-Interview mit NikkyJay und im oben erwähnten Interview mit Vice.com häufiger darauf eingegangen wird: Das Spiel schlägt hohe Wellen in der LGBTQ+-Szene, da die Entwicklerin selbst lesbisch ist und ihre Erfahrungen in das Spiel eingeflossen sind:

Als queeres Baby saß ich in den sterilsten, langweiligsten Fluren, die man sich nur vorstellen kann, und hörte alten Männern zu, wie sie in einem seltsam hypnotischen, fast monotonen Ton darüber redeten, wie großartig es sein wird, wenn alle Lesben tot sind … Sagen wir mal so: Ich hatte nicht gerade das beste Gefühl mir selbst gegenüber.

Nikkijay auf Vice.com

Im Grunde ist die sexuelle Ausrichtung von Ren und allen anderen Bewohnern von Hus natürlich vollkommen egal. Diese Erfahrungen der Entwicklerin setzen nur einen weiteren Stein in die Mauer, die Kulte um ihre Anhänger bauen.

Bis zum 1. Juli 2025 ist Quantum Witch noch rabattiert auf Steam erhältlich, doch auch den regulären Preis von 9,75 Euro ist das Spiel definitiv wert. Setzt euch mit einem Getränk eurer Wahl vor den Bildschirm und bringt Zeit und Lesegeduld mit. Dann wird euch das Spiel in seine Welt ziehen.

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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