New Tales from the Borderlands

2014 veröffentlichte Telltale Games mit Tales from the Borderlands eines der für die Firma charakteristischen Episoden-Adventures, das zwar auf den Borderlands-Shootern von Gearbox basierte, aber eine eigenständige Geschichte voller Humor und schräger Ideen erzählte. Es gilt bis heute als eines der besten Telltale-Spiele – auch der Autor dieser Zeilen hatte enormen Spaß mit der Geschichte von Rhys und Fiona . Wie gut der von Gearbox selbst entwickelte Nachfolger New Tales from the Borderlands abschneidet, klärt dieser Test.

Trio mit zwei Fäusten

New Tales from the Borderlands setzt ein Jahr nach Borderlands 3 auf der Raumstation Atlas im Orbit des Planeten Promethea ein. Hier forscht die Wissenschaftlerin Dr. Anu Dhar für einen Waffenkonzern an… nein, nicht an Waffen. An Geräten. Und zwar Geräten, die die Welt besser machen sollen. Klar, dass das auf Dauer nicht auf Gegenliebe beim Arbeitgeber stößt. Zusammen mit zwei weiteren spielbaren Charakteren steuert sie aber genau deswegen auf das Abenteuer ihres Lebens zu. Da wäre ihr Adoptivbruder Octavio, der auf dem Planeten große Pläne schmiedet aber kleine Erfolgs-Brötchen backt. Und Fran Miscowicz, die ein paar Stunden Wuttherapie brauchen könnte.

Die Wege dieser drei kreuzen sich, weil der Planet von der Firma Tediore angegriffen und unterjocht wird. Mit Octavios Kumpel LOU13, einem philosophisch angehauchten Attentäter-Roboter, müssen sie ein Team werden, um eine Chance gegen Tediore zu haben. Und um von LOU13 gut bewertet zu werden. Der Roboter bewertet die Aktionen des Spielers und berechnet am Ende jeder der fünf Episoden eine Gesamtwertung der Teamleistung. Getrennt bewertet werden zusätzlich die Beziehungen von jeweils zwei Figuren untereinander, also zum Beispiel von Anu und Fran. LOU13s Wertungen schalten unterschiedliche Enden frei, sind also durchaus wichtig, aber gute Teamwork-Scores sind nicht immer einfach zu erreichen. So ist Fran – eine Frau in den besten Jahren, deren Froghurt-Laden durch einen Unfall schwer beschädigt wurde – dauer-wütend und dazu sexuell auf der Suche. Durch die Mischung mit der unsicheren und stets nach dem Guten strebenden Anu und dem großmäuligen Octavio kommen in den besten Momenten großartige Dialoge zu Stande.

Das Problem am letzten Satz? “In den besten Momenten”. Die ersten beiden Stunden des Spiels führen die Charaktere und ihre Eigenheiten ein. Episode zwei und drei ziehen an und lassen auf Großes hoffen. Und dann? Dann folgen in Episode vier und fünf lange Passagen, in denen unser mühsam zusammengeschweißtes Trio wieder einzeln unterwegs ist. Gefolgt von quälenden Abschnitten, in denen die drei wieder zusammenfinden. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, wird ein anfänglich aufgebautes Geheimnis schlicht beim Ende übergangen. War was? Egal!

In a galaxy far far away

Die New Tales setzen auf der Unreal Engine 5 auf. Damit sind die alten technischen Hakeligkeiten zum Glück Vergangenheit, während Optik und Spielmechanik eng an den Vorgänger anschließen. In der Spielwelt verteilt finden sich auch die charakteristischen Lootboxen aus der Shooter-Vorlage. Das dort eingesammelte Geld gibt unser Trio wiederum für Kleidung und Accessoires aus, die aber keinerlei Auswirkungen auf den Spielverlauf haben.

Zu Beginn jeder Episode fasst ein sarkastischer Erzähler die bisherigen Geschehnisse zusammen, dazu gibt es eine recht statische Illustration. An einer Stelle des Spiels wechselt der Grafikstil auch kurz zu einer hübschen Pixeloptik. Die Sprachausgabe erfolgt wahlweise in Englisch oder Französisch, deutsche Untertitel sind verfügbar und im Gegensatz zu den alten Telltale-Spielen fehlerfrei und komplett übersetzt. Dennoch schade, dass mein Blick regelmäßig zwischen Darstellung und Untertiteln hin und her huscht.

Max Headroom: QTEs und Minispiele

Die New Tales bieten uns nur äußerst begrenzte Möglichkeiten, in das Geschehen einzugreifen. In Momenten, die Spannung erzeugen sollen, dürfen wir uns mit Quicktime Events ein wenig mehr als Meister des Geschehens fühlen. Schwierig wird es hier dank großzügiger Zeitlimits nie. Die Charaktere haben dazu noch unterschiedliche Fähigkeiten. Anu repapiert mit ihrer Technik-Brille Geräte, indem sie die Gegenstände dreht und auf Knopfdruck auf eine farblich hervorgehobene Stelle schlägt. Ja, so hab ich beim Spielen auch geschaut. Noch besser ist das dreiteilige Minispiel, mit dem Octavio elektrische Gegenstände hacken kann. Manchmal muss er Werbebanner wegklicken, also mehrmals X drücken. Oder aber in ein Netzwerk eindringen, also mehrmals X drücken. Oder einen dreistelligen Zahlencode knacken. Die Lösung hat mit X zu tun. Das einzig Lobenswerte hierbei ist die Möglichkeit, diese “Spiele” zu überspringen.

Home… äh: Vaultlander

Zusätzlich eingebaut ist mit dem Sammelfiguren-Spiel Vaultlander noch eine weitere unsinnige Spielzeitstreckung. Im Laufe der Handlung werdet ihr zu Kämpfen aufgefordert, in denen ihr mit eurer Action-Figur gegen die Figur eines Gegners kämpft. Der Gewinner erhält die unterlegene Figur. Die Figuren unterscheiden sich im Angriffs- und Verteidigungswert, dennoch ist das Spiel – Überraschung – viel zu einfach. Wie in den QTEs habt ihr alle Zeit der Welt, um auszuweichen. Angegriffen wird wiederum mit einer einzigen Taste (ich überlasse es eurer Phantasie, sie zu erraten) – wobei kein Rhythmus und keine Taktik notwendig sind, um kritische Treffer auszulösen. Neben den im Kampf erbeuteten Figuren erweitert ihr euer Arsenal mit in den Leveln versteckten Figuren. Wobei “versteckt” bedeutet, dass in der Bildschirmecke ein Hinweis eingeblendet wird, wenn ihr euch in der Nähe befindet.

Fazit

Natürlich war nicht damit zu rechnen, dass Gearbox die bisherige Telltale-Formel aufbricht. Da die New Tales technisch sauber und spielmechanisch ohne größere Überraschung erzählt werden, steht und fällt das Spiel mit der Geschichte. Und diese schwächelt leider auf einem Großteil der ungefähr zehn Stunden Spielzeit. Große Teile der Episoden zwei und drei beweisen, dass die Entwickler auch ein in sich langsames Format wie ein Story-Adventure packend und mit Schwung erzählen können, aber leider schließen sich noch zwei weitere Episoden an. Die eingestreuten Mini-Spiele sollen das Geschehen auflockern, sind aber uninspiriert und lähmen die Geschichte mehr als dass sie Abwechslung bringen. Und so bleibt der in der Deluxe-Version enthaltene Vorgänger unübertroffen.

  • Story-Adventure
  • Einzelspieler
  • Für Einsteiger
  • Preis: 39,99 Euro auf Steam
  • In einem Satz: Interaktive Serie mit schwacher zweiter Hälfte und störenden Minispielen

Dieser Artikel erschien erstmals am 04. November 2022 auf GamersGlobal.de.

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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