Near-Mage

Abrakadabra, Simsalabim, dreimal schwarzer Kater, Hokuspokus, Salmei, Dalmei, Adomei, Hex-Hex! All diese Zaubersprüche braucht ihr bei Near-Mage…nicht.

Wie die Zeit vergeht: Gibbous – A Cthulhu Adventure, das sympathische Erstlingswerk des rumänischen Studios Stuck In Attic, hat mittlerweile auch schon sechs Jahre auf dem Buckel. Da dort die Finanzierung über Kickstarter ganz gut geklappt hatte, folgte im Jahr 2021 eine weitere Kampagne. Diese war mit 125.000 Euro sogar noch erfolgreicher und stellte für das Jahr 2023 eine indirekte Fortsetzung ihres Point-and-Click-Adventures in Aussicht: Near-Mage. Mit zwei Jahren Verspätung ist es nun erschienen und wir haben es für euch getestet.

Back to School

Illy befindet sich gerade in einer Orientierungsphase zwischen Schule und Berufsleben. Ihre Eltern werden langsam ungeduldig und finden es gar nicht gut, dass ihre Tochter ihre Zeit fast nur mit Videospielen verbringt. Da erreicht Illy eine Nachricht von ihrer Tante aus Transsylvanien, die sie über den Sommer zu sich einlädt. Kurze Zeit später ist Illy fest entschlossen, dem Ruf zu folgen. Die Eltern sind zwar nicht begeistert davon, dass Illy zu der „verrückten“ alten Tante reisen möchte, die dickköpfige junge Frau lässt sich aber nicht davon abbringen.

Im Flugzeug hat Illy erste Visionen von einem geheimnisvollen Ort, der in der Geschichte eine wichtige Rolle spielen wird. Die restliche Strecke legt sie mit dem Zug zurück und landet schließlich in der rumänischen Stadt Sighișoara, wo sich das Haus ihrer Tante Domnica befindet. Die alte Dame begrüßt ihre Nichte herzlich, stellt ihr ein eigenes Zimmer zur Verfügung und ermutigt sie, die Gegend zu erkunden. Das lässt sich Illy nicht zweimal sagen. Sie klappert die Ort ab und spricht mit den Einwohnern. Dabei hört sie Gerüchte von einer mythischen Stadt namens Rakus, die sich nach ein wenig Forschungsarbeit und einem Gespräch mit Tante Domnica als wahr herausstellen.

Durch ein Portal reist Illy nach Rakus und wird sogleich von Kreaturen begrüßt, die sie kurz zuvor nur im Bereich der Fantasie verortet hätte. Aber nicht nur das: Der ganze Ort ist magisch – allen voran natürlich die Akademie für die arkanen Künste, die Illy „magisch“ anzieht. Ihr könnt es euch denken: Illy wird mit ein wenig Hilfe ihrer Tante als Zauberschülerin an der Akademie aufgenommen und beginnt somit ihr „Near-Mage“-Studium. Und hier fängt die Geschichte erst so richtig an…

Illy Vraja, mächtige Fast-Magierin

Neben Sighișoara und Rakus ist die Akademie der nächste größere Ort: Hier findet ihr Klassenräume, Lehrerzimmer, Gemeinschaftsräume, Schlafräume, eine Bibliothek usw. – so ziemlich das, was ihr auch erwarten würdet. Euer Harry-Potter-artiger Alltag beginnt damit, dass ihr die Grundregeln der Magie erlernt: Jeder Zauber besteht aus drei unterschiedlichen Element-Teilzaubern, die ihr erst einmal im Unterricht erlernen müsst. Damit könnt ihr im Laufe des Spiels eine nette Auswahl an Zaubern in euer Grimoire schreiben, dürft diese aber immer nur in bestimmten Situationen anwenden.

Auch außerhalb der Schule habt ihr gut zu tun – meistens erhaltet ihr Aufträge von den unterschiedlichen Einwohnern, die ihr nicht selten auf verschiedene Arten erledigen könnt, manchmal auch mit Magie. Im weiteren Spielverlauf versucht ihr also, euren Abschluss zu machen und die Storyfäden, die sich ergeben, zu verknüpfen. Dabei nimmt Near-Mage auch direkten Bezug auf die Geschehnisse aus Gibbous. Am Ende wird es dann ein wenig „dramatisch“ und auch wieder ein wenig „Lovecraftig“ – das gehört wohl einfach zu dem „Kiteehverse“ getauften Universum, in dem sowohl Gibbous als auch Near-Mage spielen, dazu. Aber für Lovecraft-Verschmäher gibt es Entwarnung: Diese Elemente spielen wirklich nur am Rande eine Rolle.

Every Little Thing She Does Is Magic

Ihr könnt Ilya entweder per Maus und Tastatur oder mit dem Gamepad herumscheuchen. Dabei dürft ihr euch auf Wunsch rennend durch die Hintergründe bewegen oder auf Knopfdruck zum nächsten Ausgang teleportieren. (Letzteres hat bei mir zumindest mit der Maus leider manchmal nur etwas hakelig funktioniert). Neben der Aktionstaste (die kontextsensitiv auch „Ansehen“, „Reden“, oder ähnliches bedeuten kann) und der Zaubertaste (die, wer hätte es gedacht, die gelernten Zauber auslöst) gibt es auch noch jeweils Schalter für das Anzeigen von Hotspots, der Übersichtskarte und eures Zauberbuchs. Auch die „Quests“, die ihr abzuarbeiten habt, haben eine eigene Übersichtsseite spendiert bekommen. Dafür habt ihr kein sichtbares Inventar – wenn ihr einen Gegenstand mitgenommen habt, wird dieser automatisch verwendet, wenn ihr später die richtige Stelle im Spiel anklickt. Diese Designentscheidung nimmt eine Menge Dynamik aus dem Adventure raus. Ich würde sogar behaupten, dass das Spiel dadurch nahezu rätselfrei ist. Und das ist leider nicht das einzige, was den Gesamteindruck getrübt hat, doch dazu später mehr.

Zunächst das Positive: Was das kleine Studio hier visuell geleistet hat, ist schon beeindruckend. Die hochauflösenden Hintergründe sind wunderschön gestaltet und die Charaktere toll animiert – auch wenn ihnen etwas mehr Details sicher besser zu Gesicht gestanden hätten. Ganz nett ist auch der Umstand, dass ihr Illy ein wenig umstylen könnt, wenn ihr das möchtet. Andere Frisuren oder Klamotten findet ihr in euren jeweiligen Kleiderschränken eurer unterschiedlichen Behausungen.

Die Zaubersprüche sehen ebenfalls toll auf dem Bildschirm aus und verändern teils sogar (für eine kurze Zeit) die Umgebung, lasst euch überraschen. Auch über die orchestrale, filmhafte Musik und die englische Sprachausgabe kann ich kein schlechtes Wort verlieren, ganz im Gegenteil. Die deutschen Texte stammen aus der Feder des passionierten (Nicht-nur-)Adventure-Übersetzers Marcel Weyers, der auch hier wieder einen guten Job gemacht hat. Die Geschichte ist recht simpel und die Wendungen gegen Ende sind ebenfalls nicht gerade umwerfend, aber wenn ihr Zauberschüler-Luft schnuppern wollt oder generell Fantasy-Welten mit schrägen Charakteren mögt, wird euch die Atmosphäre in Near-Mage vermutlich gut gefallen. Durch unterschiedliche Herangehensweisen an die verschiedenen Probleme und den möglichen Einsatz verschiedenster Zauber ergibt sich sogar ein gewisser Wiederspielwert. Klingt doch erst einmal nicht so schlecht, oder?

Es ist nicht alles magisch, was glitzert

Leider gibt es nicht nur Positives zu berichten. Mein Hauptkritikpunkt ist das Gameplay und das kaum vorhandene Rätseldesign. Leicht überspitzt zusammengefasst ist damit gemeint, dass ihr ihr das gesamte Spiel über von einem Ort zum nächsten geschickt werdet, nur um dort irgendetwas anzuklicken. Dann wird euch der nächste Schritt oder eine neue Aufgabe angezeigt. Spielerisch also ein sehr geringer Anspruch. Der löbliche Gedanke, Aufgaben (ich möchte sie nicht Rätsel nennen) auf mehrere Arten lösen zu können, macht das Spiel sogar noch leichter.

Das bedeutet allerdings nicht, dass ihr nicht hängenbleiben könnt. Nicht selten wisst ihr nicht genau, wo ihr genau hinmüsst, also heißt es die Orte abklappern – und das immer und immer wieder. Daher solltet ihr schleunigst den Flugzauber lernen, der euch das Teleportieren über die Karte ermöglicht – andernfalls wird eure geistige Stabilität deutlich leiden.

Während des gesamten Spiels kommen immer wieder niedliche kleine, pelzige Flugwesen, sogenannte Mitzkins, zu euch geflogen und überbringen euch Nachrichten. (In Rakus funktionieren die Handys nicht, also müssen diese kleinen Viecher als Brieftauben-Ersatz herhalten.) Gegen Ende übertreibt das Spiel das wirklich maßlos, fast jede Aktion von euch wird mit einem Mitzkin-Flug und einer damit verbundenen Nachricht quittiert. Richtig blöd wird es aber erst, wenn ihr euer Questlog abgearbeitet habt und kein Mitzkin auftaucht – dann geht es einfach nicht weiter. Bei mir ist dies mehrfach passiert. In den meisten Fällen war es (vermutlich) ein Bug, den ich nur mit dem Laden eines alten Spielstands beheben konnte, in seltenen Fällen habe ich etwas übersehen. Dazu sei aber auch gesagt, dass ich eine Vorab-Version gespielt habe, die mittlerweile mehrfach gepatcht wurde. Als Adventure-Freund kennt ihr natürlich die alte Regel „Save early, save often“, die euch auch hier möglicherweise etwas Kummer erspart.

Es ist außerdem sehr schade, dass viele gute Einfälle der Entwickler spielerisch kaum Auswirkungen haben und reine Gimmicks bleiben. Vielleicht musste aufgrund der langen Entwicklungszeit hier und da die Schere angesetzt werden? Einige Beispiele liste ich hier auf. So begleitet euch schon relativ früh im Spiel ein Schattenfuchs, der sich unsichtbar machen kann – eigentlich eine schöne Idee, doch er erscheint nur selten und wird kaum bis nie aktiv von euch eingebunden. Auch die Unterrichtsstunden, die euch die Elemente für eure Zauber beibringen sollen, sind vollkommen anspruchslos. Eure Lehrer sagen euch ein paar Sätze auf und ihr müsst im Anschluss lediglich die Kernaussagen richtig anklicken. Und es geht noch weiter: Sogar das gesamte Magiesystem ist mehr Schein als Sein. Wenn ihr keinen Wert darauf legt, könnt ihr fast komplett auf die Zaubersprüche verzichten und das Spiel trotzdem beenden. Sie sind meist auch nur alternative Rätsellösungen und nur in seltenen Fällen wirklich zwingend erforderlich. Zudem könnt ihr sie nur einsetzen, wenn das Spiel das gerade zulässt. Wenn dann manche Zaubereffekte von den Charakteren einfach ignoriert werden, fördert das auch nicht gerade die Immersion. Bei diesem Stichwort sollten noch die vielen Figuren, die die Welt bevölkern, erwähnt werden. Sie basieren auf rumänischen Sagen und umfassen Vampire, Ghule und vieles mehr und sind wirklich sehr hübsch gestaltet. Leider bestehen bei den meisten von ihnen kaum Interaktionsmöglichkeiten, mehr als ein immer gleicher Satz ist ihnen selten zu entlocken.

Fazit

Selten fiel mir die Beurteilung eines Adventures so schwer wie hier. Die acht Stunden, die ich in Transsylvanien verbracht habe, bereue ich zwar nicht, aber ich hatte mir so viel mehr von meinem Aufenthalt dort erhofft. Near-Mage ist auf der einen Seite so schön, voller liebevoller Details und fantasievoller Ideen. Auf der anderen Seite steht aber leider ein verwässertes Gameplay, das seinen Fokus mehr auf Einsteigerfreundlichkeit legt und daher wenig Herausforderung für Adventure-Profis bietet.

Wenn ihr also keinen großen Wert auf Rätsel legt und stattdessen lieber eine seichte Zauberer-Geschichte à la Harry Potter erleben und dabei in eine fantasievoll gestaltete Welt abtauchen möchtet, dann wird euch Near-Mage deutlich besser gefallen als mir. Falls ihr aber ein Point-and-Click-Adventure mit abwechslungsreichem Rätseldesign sucht, dann solltet ihr euch genau überlegen, ob ihr euch mit Illy ins Abenteuer stürzen möchtet.

Unabhängig davon wünsche ich dem sympathischen kleinen Studio aus Transsylvanien viel Erfolg mit ihrem neuesten Werk und würde gerne erleben, dass ein weiteres Spiel aus dem „Kittehverse“ das Licht der Welt erblickt! Das Ende deutet zumindest eine mögliche Fortsetzung an, wir dürfen also gespannt sein.

Ihr findet Near-Mage ab dem 27.05.2025 auf Steam und GOG mit deutschen Texten und englischer Sprachausgabe.

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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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