Melon Head

Ein Künstler mit einem melonenförmigen Kopf soll für den gesichtslosen König eine Erweiterung seines Szepters erschaffen – und es wird noch abgedrehter!

Melon Head ist ein Indie-Titel, der so speziell ist, dass er die Nische in der Nische gefunden hat. Und: Es ist eine wahre Freude für Liebhaber dieser nischigen Nische. Ein Fest für Nischennischenliebhaber quasi. Ähem.

Lucy in the Sky with Diamonds

Als ich zuerst von Melon Head las, bildete mein Hirn zunächst Assoziationen zu den drei vegetarischen Kannibalen aus Monkey Island und dann zur Indie-Band The Lemonheads, die wohl hauptsächlich aufgrund ihrer Simon & Garfunkel Cover-Version von Mrs. Robinson in den Köpfen geblieben ist. Und schon sprangen meine Gedanken zu Blind Melon mit ihrem 1990er Hit No Rain. All dies hat zwar auf den ersten Blick nichts mit dem Spiel zu tun, aber auf gewisse Art irgendwie doch.

Die ersten Screenshots weckten dann meine Neugier, denn selten bekommt man heutzutage noch so ein kräftiges Cyan und ein heftiges Magenta, gespickt mit weiteren knalligen Farben aus einer limitierten Palette, in die Augen gedrückt. Und schon kam die nächste Assoziation: Die Figuren erinnerten mich an die abgefahrenen Gestalten aus dem wilden Zeichentrickfilm Yellow Submarine mit den Beatles (an dieser Stelle sei noch einmal auf Beatle Quest verwiesen). Auch die Story schien ähnlich schrullig zu sein wie die des gelben U-Boots und ließ mich glauben, hier einen spielgewordenen LSD-Trip vor mir zu haben.

Damit war mir endgültig klar: Dies hier ist etwas besonderes. Das musst du spielen. Und ich habe es gespielt und nehme schon einmal vorweg: Es ist etwas besonderes. So etwas spielt man nicht alle Tage. Doch ist Melon Head auch ein kompetentes Adventure oder ist es „nur“ eine sehr spezielle Spielerfahrung?

A Day in the Life

Kommen wir zunächst einmal zur Geschichte zurück, die uns das finnische Ein-Mann-Studio Wavey Games erzählen möchte. Ihr werdet in eine (wie der Autor sie nennt) „wahnwitzige Phantasiewelt“ versetzt und steuert in dieser einen bekannten Künstler, der in der Hauptstadt Cyan City ansässig ist. Nomen est Omen: Euer Kopf hat die Form einer Honigmelone, daher werdet ihr von allen Melon Head genannt. Das macht euch aber nicht zum Außenseiter, denn praktisch jede Figur dieser Welt ist eine absonderliche Gestalt. Mindestens farbenfroh, manchmal menschenähnlich, meistens phantasievoll gestaltet, aber nie langweilig.

Eines Tages werdet ihr in den königlichen Palast zitiert. Natürlich macht ihr euch sofort auf den Weg und eilt in den Thronsaal. Dort erfahrt ihr vom Sprecher des gesichtslosen Königs, dass euch eine besondere Ehre zuteil wird: Ihr dürft eine Erweiterung für den Stab des Königs entwerfen und herstellen. Und das bitte so schnell wie möglich. Also zieht ihr euch in euer Studio zurück und meditiert auf eurem gemütlichen Sitzsack. Und schon sprudelt die Inspiration in eure Melone und zeigt euch vor eurem inneren Auge, wie euer Werk auszusehen hat.

Doch für die Erschaffung eurer Kunst benötigt ihr noch Materialien, die ihr euch zusammensuchen müsst. Dies erweist sich alles andere als leicht und stellt euch vor einige Herausforderungen. Sobald ihr an ein Zugticket gelangt, führt euch Melon Head im weiteren Spielverlauf raus aus Cyan City, hinein in die große weite Fiebertraumwelt. Dann wird die Geschichte auch etwas komplexer und konfrontiert euch etwa mit der Unzufriedenheit der Bevölkerung, die sich vom König unterdrückt fühlt. Und wo es Unzufriedenheit gibt, gibt es auch Rebellen, die das Regime stürzen wollen. Je nachdem, wie ihr euch bei den Begegnungen entscheidet, fällt euer Ende des Spiels aus.

Magical Mystery Tour

Bei Melon Head handelt es sich um ein Ego-Adventure, das in Bezug auf die Steuerung gut mit dem zuletzt erschienen Devil’s Hideout vergleichbar ist. Ihr seht demnach die Welt aus den Augen des Protagonisten, könnt in der Spielgrafik Objekte manipulieren und in eurem Inventar Gegenstände ansehen, kombinieren oder mit Hotspots an eurem Standort benutzen. Anders als bei Devil’s Hidehout befinden sich hier die Charaktere inmitten der Spielgrafik und werden nicht einfach vor die Kulissen eingeblendet.

Durch die klare Lesbarkeit der extrem bunten 16-Farben-Dithering-Grafik fällt Pixel-Hunting flach. Neben der speziellen Grafik tritt die Musik etwas in der Hintergrund und wird manchmal etwas dudelig, was sich ja leicht mit dem Lautstärkeregler beheben lässt. Und nein, es kommen keine Beatles-Songs vor. Eine Sprachausgabe gibt es nicht, es sei denn ihr zählt die seltsamen Geräusche, die die Charaktere von sich geben, dazu.

Wer bei den Rätseln hängen bleibt, nutzt das integrierte Hilfesystem. Hierfür begibt sich Melon Head in einen meditativen Zustand, der ihm in einer Vision den nächsten naheliegenden Schritt offenbart. Ihr könnt zu jedem Zeitpunkt und beliebig oft speichern, was ja leider nicht in allen Spielen selbstverständlich ist. Auch an eine automatische Speicherfunktion wurde gedacht.

Die Erkundung der Welt und die Interaktion mit den Bewohnern ist herrlich absurd, trotzdem bleiben die Rätsel immer nachvollziehbar. Es findet sich auch das ein oder andere „Maschinenrätsel“ wieder, bei denen ihr die Logik eines Schlosses oder ähnliches verstehen müsst, aber auch dabei kann euch das Hilfesystem Tipps geben.

Hello, Goodbye

Dieses wild zusammenphantasierte, surreale Abenteuer ist sicherlich nicht für jedermann geeignet – ich hingegen hatte viele Stunden großen Spaß damit. Melon Head strotzt vor kreativen Ideen, die eine willkommene Abwechslung in das Genre bringen. Auch wenn Ego-Adventures nicht meine liebste Art von Spiel sind, habe ich mich hier sehr wohl gefühlt. Manche Rätsel waren so knackig, dass ich die eingebaute Hilfefunktion sehr gerne angenommen habe. Die Geschichte bietet genug Überraschungen, dass sie interessant bleibt. Solltet ihr euch unsicher sein, ob Melon Head etwas für euch ist, hält Wavey Games für euch eine Demoversion bereit.

Melon Head ist komplett auf englisch erschienen und kostet als Download auf itch.io schlanke 7,00 Euro.

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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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5 Comments on “Melon Head”

  1. Das Hilfesystem klingt sehr witzig. Danke für diese Vorstellung, auch wenn ich wie üblich davon Abstand nehme. Und besonders viel Dank gebührt Dir wegen der Beatles-Titel. The End.

  2. Melon Head ist wirklich eine kleine Indie-Perle. Auf die Default-EGA-Farbpalette der Grafik mit dem surrealen Touch irgendwo zwischen Captain Blood, Purple Saturn Day und Tass Times in Tonetown muss man sich natürlich einlassen können.

  3. Das hier beschriebene und die Bilder klingen unfassbar, skuril und spannend.

    Bei den Abstratktitäten von den Charakteren wirkts auf mich wie eine Mischung aus Picasso und Salvador Dali Kunst 😀

    Ich schau mir mal die Demo an 🙂

    Danke für den Artikel 😀

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