Manchmal hat man auch mal Glück. Dieses eigenartige, aber faszinierende Rollenspiel hätte ich wohl nie gefunden, wenn ich nicht aus einer Laune heraus die Katze im Sack gekauft hätte.
Die Werke von H. P. Lovecraft haben mich schon seit meiner Jugend fasziniert. Alles fing an, als ich mich Anfang der 1990er durch das Frühwerk von Metallica gehört habe und dabei auf das Instrumental-Stück Call of Ktulu gestoßen bin. In Zeiten, in denen ich keinen Zugriff auf das Internet hatte, war es gar nicht so einfach herauszufinden, was dahinter steckte. Als ich dann auf Lovecraft und seine Erzählung Cthulhus Ruf stieß, las ich nach und nach alle Geschichten über die “Großen Alten”, spielte danach mit meinen Freunden das Cthulhu-Pen-and-Paper-Rollenspiel sowie diverse Brettspiele und befasste mich mit PC-Spielen, die sich dem Thema widmeten – und da gibt es einige. Da ich das Setting so mag, hatte ich sogar viel Spaß an Spielen, die bei anderen nicht so gut angekommen sind. Zuletzt beispielsweise bei The Sinking City, das ich sogar richtig großartig fand, da ich großzügig über alle Unzulänglichkeiten hinwegsehen konnte. Aber ich kenne längst nicht alle.
Eine andere meiner Schwächen sind Spiele-Bundles, ich bin vor allem anfällig für “Mystery-Bundles” à la “Zahle 5 Euro und bekomme 10 zufällige Steam-Keys”. Auch ein Grund, warum meine Steam-Bibliothek mittlerweile groteske Ausmaße angenommen hat, aber lassen wir das. Und dies führte zu meinem “Glücksgriff”, der mich zu diesem User-Artikel inspiriert hat.
Denn einer dieser Zufalls-Steam-Keys war Stygian – Reign of the Old Ones aus dem Jahr 2019. Und ich hatte zuvor noch nie etwas darüber gehört, obwohl ich eigentlich genau die Zielgruppe bin. Ein Rollenspiel mit Rundenkämpfen (ich bin beispielsweise großer Xcom-Fan), handgezeichneter Grafik (ich mag handgezeichnete Adventures) und Cthulhu-Setting. Meine Güte, du wunderschönes Spiel, wo warst du die ganze Zeit? Warum hast du dich bis heute nicht bemerkbar gemacht? Eine kurze Recherche auf unserer aller Lieblingsspieleseite Gamersglobal förderte vier News zu Tage. Ich erfahre, dass dies ein Kickstarter-Projekt war. Einen Test gibt es hier aber leider nicht. Aber nun kenne ich die Prämisse des Spiels: Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen, die Welt nicht mehr zu retten. Denn die Großen Alten sind bereits erwacht, und wir müssen uns in dieser Welt zurecht finden.
Spoiler-Warnung
In diesem Artikel möchte ich euch meine persönlichen Geschichten erzählen, die ich in Stygian erlebt habe. Falls ihr das Rollenspiel also selbst noch spielen möchtet, erwarten euch hier einige Spoiler.
Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen
Ich starte das Spiel und werde im Titelbildschirm von Cthulhu höchstpersönlich begrüßt. Er erhebt sich wie ein Titan über eine Stadtsilhouette und macht von vorneherein klar, wer hier der Boss ist. Dann entdecke ich die Option, meinen eigenen Charakter zu erstellen. Schnell kommen die Erinnerungen an das Pen-and-Paper zurück. Ich erstelle einen Aristokraten, dessen Blutlinie verflucht ist, und der sich auf Forschung und Okkultismus spezialisiert hat, um den Fluch wieder loszuwerden. Zudem ist er esoterisch angehaucht, was spieltechnisch dazu führen wird, dass ich bei Gesprächen dafür belohnt werde, wenn ich esoterische Antworten gebe. Alternativ hätte ich auch einen vorgefertigten Charakter nehmen können, aber welcher Rollenspieler, der etwas auf sich hält, würde das schon machen?
Und dann geht es los. Der Vorspann erklärt mir, dass ich vor einem Jahr, als die Welt noch in Ordnung war, bereits eine Begegnung mit dem “Unheimlichen” hatte, der mir auftrug, ihn nach dem “Schwarzen Tag” in Arkham zu treffen. Dieser Schwarze Tag trat dann tatsächlich ein, als die Großen Alten erwachten und die Apokalypse begann. Also nichts wie nach Arkham, um den Unheimlichen zu finden.
Mitten in der Nacht erwache ich auf einem heruntergekommenen Dachboden, und da steht er vor mir. Der Unheimliche. Noch bevor ich etwas unternehmen kann, dreht er sich um und geht die Treppe hinunter. Also schnappe ich mir die Gaslampe neben meinem Bett und eile ihm hinterher, in die Nacht hinaus. Dort sehe ich zum ersten Mal das heruntergekommene Arkham, während ich der mysteriösen Gestalt durch die Straßen folge. Auf dem Platz vor meiner Absteige finde ich eine umgestürzte Statue von Präsident Lincoln. Auf seinem Podest thront nun eine primitive, aus Holz improvisierte Statue von Cthulhu.
Aus dem Nichts erscheinen plötzlich geisterhafte Tanzpaare, die sich zur seltsamen Geigenmusik bewegen. Fast scheint es so, als hätte der Unheimliche sie nur für mir mich hergeholt. Als sei das nicht gruselig genug, hören die Paare nun auf zu tanzen und fangen an, sich gegenseitig zu ermorden. Ich wende meine Blicke ab und erkenne gerade noch, wie der Unheimliche durch das Tor zur Miskatonic Universität schreitet.
Und dann erwache ich erneut. Aha, der älteste Trick überhaupt, ein Traum im Traum. Oder war es doch real? Das Spiel zieht mir erst einmal etwas von meiner geistigen Gesundheit ab, schließlich habe ich gerade einen Horror erlebt. Na gut. Ich bin also wieder auf dem Dachboden, den ich mir scheinbar für die Nacht gemietet habe, und wieder steht dort jemand vor meinem Bett. Diesmal ist es mein Butler Werner. Sein Charakterblatt verrät mir, dass er dazu ausersehen ist, meiner Familie bis zum Tode zu dienen. Dann erblicke ich mein Inventar (meine Sachen waren praktischerweise in einer Truhe auf dem Dachboden verstaut) und ziehe mir erst einmal meine adretten Aristokratensachen an, bewaffne mich mit einem Revolver und gebe Werner einen Schlagstock in die Hand. Außerdem wird klar, dass Zigaretten die neue Währung der Postapokalypse sind. Und dann gehe ich auf Erkundungstour.
Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt
Bevor ich allerdings aus dem Gebäude herauskomme, erkenne ich, dass ich oberhalb einer Kneipe genächtigt habe, dem Old Eel House. Der Besitzer versucht mir ein paar Zigaretten zusätzlich zu entlocken, indem er mir erzählt, dass ich letzte Nacht meine Zeche nicht bezahlt hätte, aber dies kann ich dank meiner Rhetorik-Werte locker entkräften. Dem leicht bekloppten Mann an der Dartscheibe erteile ich noch eine Lektion in Sachen Manieren und dann geht es raus auf die Straße.
Ich wandere zunächst einmal umher, sammle jede Menge Kram ein und treffe eine Menge obskurer Leute. So ziemlich alle sind durch den Wind, aber wen wundert’s. Ich erfahre von der hiesigen Mafia und beobachte, wie sie einen unschuldigen Passanten umbringen. Ich rede mit den Anwohnern und finde viele Schläger, die bestimmte Sachen beschützen. Ich besuche einen Antiquitätenladen, der nur Schlüssel als Tauschobjekte annehmen möchte und einen Waffenladen, dessen Besitzer wohl so einigen Dreck am Stecken hat. Ich finde auch Gebäude, die mir noch verschlossen bleiben. Ich rede mit einer Frau, die ihren Mann sucht. Und ich finde eine Bank, die von zwei Schlägern bewacht wird. Zumindest dachte ich das, bis einer der Schläger mir erklärt, dass sie nicht die Bank bewachen, sondern darauf aufpassen, dass nichts herauskommt…
Kampf dem Kapitalismus
Beim Erkunden der Bank treffe ich auf einen netten Bankangestellten, der auf den zweiten Blick doch eher wahnsinnig geworden zu sein scheint. Plötzlich schreit er mich an, und ich stecke unverhofft in meinem ersten Kampf. Das Spiel warnt mich, dass die Kämpfe schnell tödlich enden können, und dass es keine Schande ist, die Flucht nach vorne anzutreten. Aber was soll schon groß passieren? Den ersten Kampf beende ich relativ problemlos, obwohl mir klar wird, dass ich bei der Charaktererstellung vielleicht doch mal einen Punkt auf Schusswaffen hätte legen sollen. Leider merke ich auch, dass das Kampfsystem ziemlicher Mist ist, kein Vergleich mit Xcom und Konsorten, also hülle ich hier einmal den Mantel des Schweigens darüber.
In den weiteren Räumen finde ich immer mehr verrückt gewordene Bankangestellte, und dann passiert es: Die Banker, bewaffnet mit Steinen und einem irren Geschrei, sind einfach in der Überzahl, und mein treuer Werner mit seinem Schlagstock in der Hand geht über den Jordan. Er hat also wirklich bis zu seinem Tode gedient. Ich schaffe es gerade so auf dem Zahnfleisch, lebend aus dem Kampf zu entkommen. Also das war mit den gefährlichen Kämpfen gemeint?!
Ich muss nun den Verlust von Werner ertragen und erleide ein Trauma.
Hmm… neu laden oder weiterspielen? Weiterspielen natürlich, Verlust gehört einfach mit dazu. Allerdings verlasse ich erst einmal den Ort des Schreckens und gehe wieder auf die Straße. Das Spiel teilt mir freundlich mit, dass ich mich nun doch endlich mal etwas ausruhen solle, also suche ich mir am Rande der Stadt eine nette kleine Übernachtungsmöglichkeit. Beim Übernachten lese ich noch ein wenig, was mir hilft, etwas besser zu regenerieren. Kaum eingeschlafen, befinde ich mich scheinbar in den Traumlanden. Dort treffe ich einen Mann namens Randolph Carter, der mir erklärt, dass er auf der Suche nach Inspiration wäre. Scheinbar handelt es sich hier um den vermissten Mann der Frau, die auf den Straßen von Arkham getroffen habe und der sich nun in den Traumlanden befindet…
Am nächsten Morgen spricht mich ein spanischer Gentleman an und fragt, ob ich ihn nicht für Personenschutz bezahlen möchte. Nach einer kurzen Gehaltsverhandlung (in Kippen versteht sich) schließt er sich mir an, wie praktisch.