Loco Motive

Was als Game-Jam-Beitrag begann, wurde nun zu einem ausgewachsenen Point-and-Click-Adventure. Doch wie gut ist die aufgebohrte Version von Loco Motive wirklich?

Nicht nur in unserem Bericht über die Adventure-Engine PowerQuest fand die Game-Jam-Edition von Loco Motive Beachtung. Sie hat sich damals als so beliebt herausgestellt, dass die Macher dazu motiviert wurden, aus dieser „Proof-of-Concept-Version“ ein vollwertiges Adventure zu machen. Der Entwicklungsprozess hat sich dann aber doch länger gezogen als ursprünglich erhofft. Am 21. November erschien mit Loco Motive das erste kommerzielle Spiel von Robust Games, bestehend aus den Brüdern Adam Riches und Joseph Riches, über den Publisher Chucklefish.

Achtung Abfahrt

Der Titel Loco Motive deutet es schon an: Den Großteil dieses Comedy-Adventures verbringt ihr als Passagier an Bord einer luxeriösen Dampflokomotive, dem Reuss-Express. Die Besitzerin des Eisenbahnimperiums, zu dem der Reuss-Express gehört, ist Lady Unterwald, die angekündigt hat, ihrer Familie während einer Zugreise große Neuigkeiten bezüglich ihres Testaments preiszugeben. Ihr Anwalt Arthur A. Ackerman, seines Zeichens Bürohengst par excellence, soll sie dabei eigentlich unterstützen, doch durch eine Unachtsamkeit wirft er das geänderte Testament buchstäblich aus dem Fenster.

Wäre das nicht schon übel genug, kommt es kurz vor der Ankündigung noch schlimmer: Der Zug rauscht durch einen Tunnel, der alles in Dunkelheit hüllt (warum die Lichtquellen innerhalb des Zugs ebenfalls dunkel werden, erklärt das Spiel allerdings nicht). Diese Zeitspanne reicht dem Mörder, um Lady Unterwald zu töten und den restlichen Passagieren einen Schock zu verpassen.

Die oben geschildeten Ereignisse erzählt Anwalt Ackerman im Verhörraum einer Polizeistation, denn offenbar ist er einer der Hauptverdächtigen im Mordfall Lady Unterwald. Er ist auch der erste von drei Protagonisten, die ihr im Laufe des Spiels steuern dürft. Später gesellen sich noch ein erfolgloser Krimi-Autor, der sich neuerdings als Detektiv versucht, sowie eine Undercover-Fahnderin dazu. In eigenen Handlungssträngen erfahrt ihr deren Hintergründe, bis alle Fäden schließlich zusammenführen und die drei grundverschiedenen Charaktere vereint. Natürlich müsst ihr eure Unschuld beweisen und den tatsächlichen Mörder von Lady Unterwald finden.

Die Art, wie die drei Geschichten der drei Spielfiguren ineinander verwoben wurden, hat mir gut gefallen. Die letzten Abschnitte fand ich dann schon weniger spannend. Zum Ende hin geht der Lokomotive aus meiner Sicht leider etwas der Dampf aus, sozusagen.

Klassische Kost

Loco Motive ist ein klassisches Point-and-Click-Adventure mit klassischen Rätseln und Multiple-Choice-Dialogen, so wie der geneigte Adventure-Spieler es erwarten würde. Sowohl die Maus- als auch die Gamepad-Steuerung funktionieren gut, auch wenn mir das Anwählen der Hotspots auf dem Gamepad manchmal etwas unnötig kompliziert vorkam. Das Anvisieren eines Punktes mit dem rechten Analogstick oder das Durchschalten über die Schultertaste (leider nur in der Nähe der Spielfigur) hatte einige Male für Verwirrung gesorgt. Schön war hingegen, dass ich die Protagonisten auf Wunsch durch den Zug rennen lassen konnte, dennoch hätte ich mir oft genug eine Karte gewünscht, mit der ich unverzüglich die unterschiedlichen Orte hätte wechseln können.

Anders als es die weiter oben stehende Zusammenfassung der Geschichte vielleicht vermuten lässt, hat Loco Motive so gut wie keine Detektivspiel-Elemente. Es geht nicht darum, Beweise zu sammeln, Informationen aus Verdächtigen rauszukitzeln oder eigene Schlüsse zu ziehen. Vielmehr folgt ihr einer linearen Erzählung und räumt immer mal wieder kleinere Hindernisse aus dem Weg, um in der Geschichte voranzuschreiten.

Und hier liegt für mich auch einer meiner Hauptkritikpunkte: Das Spiel nimmt mich für meinen Geschmack zu sehr an die Hand. So können etwa manche Gegenstände erst mitgenommen werden, wenn ein gewisser Punkt in der Geschichte erreicht ist. Loco Motive arbeitet mit unsichtbaren Triggern, die mir manche Handlungen erst erlauben, wenn etwas bestimmtes passiert ist – eine größere Handlungsfreiheit hätte mir viel besser gefallen. Dabei fand ich die Rätsel eigentlich in Ordnung, auch wenn die Lösung oftmals auf der Hand lag. Im letzten Drittel zieht der Schwierigkeit stellenweise etwas an, so dass die integrierte Hilfe-Funktion in Form eines Telefonanrufs (bei einem echten Detektiv) durchaus ihre Daseinsberechtigung hat. Die gilt noch mehr für die mittlerweile wohl nicht mehr wegzudenkende Hotspotanzeige, die ich auch hier gerne nutze, um mir das Spielen etwas komfortabler zu machen.

Pixelige Pracht

Der Pixel-Grafik-Stil und das Adventure-Genre sind wie ein altes Ehepaar, das immer noch unzertrennlich seinen gemeinsamen Weg geht. Immer, wenn es mir begegnet, schlägt mein Herz höher. Bei Loco Motive hat mich die Optik schnell überzeugt. Während mir die Pixel-Zeichnungen sowieso schon gut gefallen, entfalten die liebevollen Animationen erst die ganze Pracht der Grafik. Nahezu jede Aktion der Charaktere, und sei es nur beim Kombinieren von Gegenständen, hat eine wundervolle Animation bekommen. Hier ist sehr viel Mühe reingeflossen, in der Form sieht man das nur selten in Adventures.

Die englische Vertonung klingt äußerst professionell, auch wenn ich manche Betonungen etwas zu übertrieben fand – aber in einem Comedy-Adventure sind diese wohl zumindest nicht fehl am Platz. Die deutschen Texte hinken da ein wenig hinterher. Zumindest an manchen Stellen sind mir holprige Übersetzungen aufgefallen, die das sonst gute Gesamtbild ein wenig getrübt haben. Eine deutsche Sprachausgabe ist nicht enthalten. Die Musik passt wunderbar in die Szenen und unterstützt deren Atmosphäre.

Leider ist die technische Umsetzung im jetzigen Zustand nicht ganz einwandfrei. Besonders in den späteren Kapiteln sind mir einige optische Ungereimtheiten aufgefallen. So konnte ich zum Beispiel durch manche Objekte auf dem Bildschirm einfach hindurchlaufen. In dem Kapitel, in dem der dritte Charakter vorgestellt wurde, waren sogar plötzlich die zuvor gesammelten Gegenstände nicht im Inventar sichtbar. Zum Glück hatte sich das nach einem Neustart von selbst behoben, so dass ich nicht auf einen älteren Spielstand zurückgreifen musste. Dennoch sollte hier noch nachgebessert werden.

Fazit

Nach etwa sechs Stunden Spielzeit lief der Abspann von Loco Motive über meinen Bildschirm. Dies scheint sich mittlerweile als Standard zu etablieren, hatten doch die zuletzt von mir gespielten Adventures Prim und Mindlock – The Apartment eine ähnliche Länge.

Der Einstieg und vor allem die Animationen haben mich wirklich begeistert, mit zunehmender Spieldauer ist dieses Gefühl doch leider etwas abgeflacht, unter anderem wegen kleineren technischen Problemen und der nachlassenden Erzählung. Nichtsdestotrotz ist Loco Motive immer noch ein gutes Comedy-Adventure, das sich Freunde von hübscher Pixel-Grafik und einer nicht allzu tiefgehenden, aber zumeist witzigen Geschichte einmal genauer ansehen sollten.

Loco Motive findet ihr auf Steam, GOG und im Nintendo Store zum Preis von 17,99 Euro. Bis zum 5. Dezember gibt es noch einen Einführungsrabatt von 10 Prozent.

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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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11 Comments on “Loco Motive”

  1. Vielen Dank für den tollen Test. Das Spiel macht mich optisch und vom Setting her sehr an.

    „So können etwa manche Gegenstände erst mitgenommen werden, wenn ein gewisser Punkt in der Geschichte erreicht ist. Loco Motive arbeitet mit unsichtbaren Triggern, die mir manche Handlungen erst erlauben, wenn etwas bestimmtes passiert ist – eine größere Handlungsfreiheit hätte mir viel besser gefallen.“ Das finde ich aber gar nicht gut. Sind denn die Dinge wenigstens „aktivierbar“ und die Figur sagt sowas wie, dass sie das jetzt net braucht? Dann fände ich es ok. In echt würde ich ja auch net alles mitschleppen, nur weil es lose rumliegt 😀

    Der zeitliche Umfang gefällt mir ebenfalls.

    1. „Sind denn die Dinge wenigstens „aktivierbar“ und die Figur sagt sowas wie, dass sie das jetzt net braucht?“
      In vielen Fällen ist das nicht so. Man sieht einen Gegenstand, aber er wird erst später zum Hotspot. Aber mich nervt es auch schon, wenn ich ihn anklicken und erst später mitnehmen kann.

  2. Dank Hendrik und Konsorten vom Zankstelle-Podcast bin ich auf euch hier gestoßen und schaue schon länger immer mal wieder gern vorbei, tolle Tests und Artikel!

    Vielen Dank auch für diesen Tipp, um Weihnachten rum zocke ich gern mal ein PnK-Adventure und suche schon lange nach einem Detektiv-Game, das ein bisschen dem Klassiker „Cruise for a Corpse“ ähnelt, nur in besser spielbar und logisch. Meine Frage wäre: Wie viel Comedy steckt hier denn so drin? Sind die Figuren ähnlich gut gezeichnet wie im genannten Klassiker (der euch sicher bekannt ist)? Und für andere Tipps in diese Richtung wäre ich natürlich auch dankbar 🙂

    Grüße an euch, m

    1. Hallo! Schön, dass du hierher gefunden hast. Vielen Dank für dein Lob.
      An Cruise for a Corpse habe ich nur noch dunkle Erinnerungen, aber das war wohl deutlich ernster als Loco Motive, was stark auf Comedy setzt.
      In diesem Monat wird es hier einen Adventure-Ranking-Artikel von mir geben mit den besten 50 Adventures aus den letzten 5 Jahren. Da wird dann hoffentlich etwas für dich dabei sein.

      1. Adventure-Ranking hört sich sehr gut an, freue mich drauf!

        Cruise for a Corpse ist ein Game in klassischer Agatha-Christie-Kammerspiel-Manier, alles auf einer großen Segelyacht, dessen Besitzer den Tod gefunden hat. Die Rätsel sind eher ärgerlich als logisch, weil mit jedem Spielfortschritt einfach die vorhandenen Räume „neu bestückt“ werden, ohne wirkliche Hinweise oder so, man läuft also ständig die einzelnen Zimmerchen aufs Neue an und sucht und sucht und sucht …aber die Dialoge sind klasse, eben ganz ohne Comedy

        1. Wenn du Agatha Christie erwähnst, bietet sich natürlich die neueste Mord-im-Orient-Express-Versoftung an. Auch die letzten beiden Sherlock-Holmes-Spiele von Frogwares finde ich empfehlenswert.

          1. Danke für den Hinweis, ich bin gerade mit Poirot im Orient-Express, das Ticket gab es für einen Zehner im Angebot. Und ja, das Game ist ziemlich hüftsteif und recht mager und hakelig animiert, macht am Anfang aber einen stimmungsvollen Eindruck und durchaus Spaß. Jetzt allerdings, nach ein paar Stunden, lässt das Ganze schon sehr nach, ich sag jetzt mal nichts näherers, weil ich nicht spoilern will. Bin jedenfalls gespannt, ob sich alles noch berappelt … bereits sagen kann ich, dass sich die Entwickler mit ihrer ärmlichen 3D-Grafik keinen Gefallen getan haben.
            Auch gespannt bin ich auf deine Top 50, da ist sicher was für mich dabei.

          2. Also ich fand die Grafik auf der PS5 eigentlich okay, auf welchem System spielst du denn? Ich hatte auf jeden Fall viel Spaß mit dem Spiel, unter anderem auch mit der erweiterten Storyline.

          3. Ich zocke auf einem recht alten PC, der ein solches Adventure aber durchaus packen sollte. Die Grafik ist, finde ich, technisch sicher okay, also Texturen und so. Aber sie ist mir eine ganze Ecke zu steril, blank, detailarm, statisch, bisschen zu 3D-Basisbaukasten, wenn ich es mal böse formuliere. Einen flauschigen, vollmöblierten, da und dort sicher auch mal speckigen Orient-Express, in dem ein recht blutiger Mord passiert, stelle ich mir jedenfalls anders vor.
            Die Screenshots von Loco Motive oben sehen für mich erheblich stimmungsvoller aus. 🙂

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