Mit dem Ende der ursprünglichen Larry-Trilogie hatte deren Designer Al Lowe die Geschichte fein säuberlich zusammengeschnürt und einen Gameplay-Loop geschaffen: Am Ende des dritten Spiels setzt sich Larry an einen Computer und beginnt, Teil eins für Sierra On-Line zu programmieren. Finito, Ende, Aus, Micky Maus. Lowe war wieder frei für andere Ideen – und stürzte sich auf die Erfindung des Internet-Gamings. Was das mit Leisure Suit Larry 5 zu tun haben soll? Gemach, gemach!
The Missing Floppies
Der mysteriöse, nie erschienene vierte Larry-Teil spukt immer wieder durch das Internet. Al Lowe erzählt gerne mal, dass er nach Larry 3 schlicht nicht davon ausging, dass Serien mehr als drei Spiele hervorbringen könnten (FIFA war damals noch nicht auf dem Markt). Oder dass er am Ende der Entwicklung so erschöpft und genervt gewesen sei, dass er einen vierten Teil kategorisch ausschloss. Oder dass ihm beim besten Willen kein geeigneter Fortsetzungsplot einfallen wollte.

Tatsache ist, dass er an einem weiteren Larry-Spiel gearbeitet hat, das es allerdings nie zu einem offiziellen Namen geschweige denn einem tragfähigen Konzept gebracht hat. Im Januar 1991 schlossen sich Al Lowe, Jeff Stephenson und Matthew George mit viel Kaffee und einer Idee in einem Büro ein. Ihr Ziel: Sierra On-Line online zu bringen. Auf seiner Internetseite erinnert sich Lowe an den zündenden Funken:
Wir waren so naiv, so selbstsicher (und so dumm?). Als Ken mit der Idee von Adventurespielen kam, bei denen mehrere Spieler über Modems miteinander interagieren konnten, sagten wir nur: „Klar, Ken. Klingt großartig!“ und setzten uns tatsächlich hin, um es zu machen.

Leisure Suit Larry 4 hätte als Vehikel für diese Online-Idee dienen sollen. Doch selbst, wenn das Spiel (und damit die Grafiken, Sounds und der Programmcode – eben alles, was viel Speicherplatz frisst) wie bisher in einer Schachtel an die Spieler verkauft wird, blieb die Internetverbindung der Flaschenhals. Wenn es überhaupt ein Modem in den Haushalten gab, so waren es 1200-Baud-Modelle. Natürlich wären die neuen 2400er-Geräte viel besser geeignet, doch Sierra war ja nicht Origin Systems. Der Erfolg der Firma beruhte immer darauf, dass möglichst viele Menschen ihre Spiele kaufen konnten und die entsprechende Hardware besaßen.

Falls sich ein Leser gerade die Frage stellt, wie schnell er sich 1200 Baud vorstellen darf: Langsam. Noch langsamer. Noch viel langsamer. Und durch diesen Flaschenhals mussten die Daten durch. Nach einigen arbeitsreichen Wochen programmierte Lowe eine Mühle-Variante, um die Datenübertragung überhaupt testen zu können. Nachdem das funktionierte, folgten ein Backgammon- und ein Schachspiel. Doch wie sich mehrere Spieler mit ihren Spielfiguren und all den sich ständig ändernden Variablen wie zum Beispiel sichtbaren Gegenständen umgehen sollten, war immer noch nicht geklärt. Sierra On-Line machte das Beste aus der Situation und beschloss, aus den Brettspielen und allem, was sonst noch so funktionierte, das eigentliche Online-Programm zu basteln. The Sierra Network war allerdings kein Erfolg beschieden. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden. Statt eines Online-Larry-Spiels entwickelte Al Lowe nun also doch eine Offline-Fortsetzung. Doch: wo ansetzen?

Das typische Helden-Gedächtnis

Die Grund-Problematik einer Larry-Fortsetzung hatte sich in den letzten Monaten nicht geändert: Wie sollten Larry und seine Freundin Patti in neue Abenteuer gezogen werden, wenn sich doch gerade erst alles zum Guten gewendet hatte? Ganz einfach: Lowe ließ innerhalb der Serie einige Zeit verstreichen und stattete Larry mit Gedächtnisverlust aus. Dieser Kniff wird bei Rollenspielen gerne angewandt, um die anfängliche schwächliche Verfassung der Hauptfigur zu erklären. Dieses Problem gibt es bei Larry qua Natur nicht, stattdessen wischt Lowe alles an Handlung vom Tisch und wirft dem Spieler immer wieder einzelne Brotkrumen an „vergessenen“ Geschehnissen aus dem angeblichen Larry-4-Teil vor die Tastatur, aus denen sich dieser eine eigene Geschichte spinnen kann.

Leisure Suit Larry 5: Passionate Patti macht beim Geheimdienst mit (im Original: Leisure Suit Larry 5: Passionate Patti does a little Undercover Work) – um den vollständigen Spielenamen ein einziges Mal in diesem Artikel ausgeschrieben zu haben – beginnt mit einem spärlich animierten, aber ungefähr 15 Minuten langen Intro-Film. Wir spielen Mäuschen bei einer Chefetagen-Besprechung der örtlichen Mafia. Während sich Sparten wie der Drogenhandel steigender Umsätze erfreuen, sellt Sex trotz Investitionen in Gangster-Rap einfach nicht mehr. Niemand kauft sich die einschlägigen DVDs, wenn neuerdings im Kabelfernsehen gleichwertige Ware frei Haus geliefert wird. Für diesen Durchhänger (Höhö) muss dringend eine Lösung gefunden werden. Ob Zufall oder nicht: Sechs Monate später beschäftigt sich eine schmierige Medienfirma damit, eine Moderatorin für „America’s Sexiest Home Videos“ zu finden. Logisch, dass diese Person Heilige und Hure zugleich sein soll. Dank aufopfernder Arbeit des zuständigen Abteilungsleiters sind mittlerweile nur noch drei Damen im Rennen. Doch wie finden wir nun die Gewinnerin?

Silas Scruemall, der Vorsitzende der Versammlung, hat eine hervorragende Idee: Am besten geeignet wäre eine Frau, die sich an wirklich jeden Mann ranschmeißt – und sei er noch so unattraktiv und langweilig. Daher müsste ein solcher Kerl mit versteckter Kamera die drei Finalistinnen in ihrem natürlichen Habitat aufsuchen und seine Erlebnisse filmen. Nur: Wo könnte sich solch ein Verlierer finden?
Dem mündigen Leser dürfte klar sein, dass diese Rolle dem Serienhelden Larry Laffer auf den Leib geschneidert ist. Und Larry Laffer, das sind in diesem Falle natürlich wir alle, wenn wir in seinen Polyester-Anzug schlüpfen und uns auf den Weg machen. Scruemall ermahnt Larry noch, dass die Spezialkamera wegen ihrer kleinen Größe nur wenig Batterie-Power und Bandlänge hat, dann geht es los. Intro-Ende, Spiel-Anfang.

Die Technik
Diese ersten Spieleindrücke zeigen direkt eine der größten Neuerungen von Leisure Suit Larry 5: Die Graphik erstrahlt nun dank der SCI1-Engine in 256 VGA-Farben. Diese Pracht nutzt das Spiel auch weidlich aus und hat den früheren realistisch(er) gehaltenen Grafikstil über Bord geworfen. Hier regieren verschobene Blickwinkel samt knalliger Muster auf Gebäuden und Teppichen. Zum besseren Vergleich zeige ich euch hier den ersten Raum des Spiels in der EGA-, der VGA- und der Amiga-Fassung:



Ähnlich auffällig wie die graphischen Veränderungen ist die neue Steuerung. Den Parser hat Sierra mit dem wenige Monate zuvor erschienen Larry-1-VGA-Remake in Rente geschickt. Larry 5 übernimmt diese neue Icon-Steuerung im Guten wie im Schlechten. Zwar vermisst wohl niemand die Suche nach dem richtigen Wort, doch sorgt die Beschränkung auf wenige Handlungsmöglichkeiten für einen geringeren Schwierigkeitsgrad. Angeblich hatte zu dieser Zeit eine Umfrage unter Sierra-Nutzern ergeben, dass viele Spieler die Adventures nicht durchspielen konnten. Eventuell war Larry 5 auch eine Reaktion darauf.

Wie dem auch sei: Mit seinen neuen Icons und der Kamera bewaffnet sammelt Larry noch ein wenig Inventar-Material ein und fährt zum Flughafen. Flugs aus der beiliegenden Broschüre den zum Reisetermin passenden Code ausgewählt, am Automaten die Kreditkarte belastet und schon nach wenigen weiteren Hürden sitzt er am Fensterplatz und blickt auf das einfache Volk hinab. Und während er sanft ins Reich der Träume hinübergleitet, träumt er von einer uns wohlbekannten Frau. Patti, die Protagonistin aus Leisure Suit Larry 3: Passionate Patti auf der Suche nach vibrierenden Muskeln (im Original: Leisure Suit Larry 3 – Passionate Patti in Pursuit of the Pulsating Pectorals) hat auf den Stufen des Parthenons einen Auftritt am Flügel und wird frenetisch gefeiert. An dieser Stelle schneidet Larry 5 wie schon anno dunnemal zu Patti und der Spieler erlebt den nächsten Spielabschnitt aus ihrer Sicht.

Ladies Second

Pattis Karriere verlief leider nicht so gut, wie Larry das gerade geträumt hat. Gerade beendet sie in einer versifften Kneipe ihren Auftritt vor einigen betrunkenen Kerlen und wird direkt danach vom Besitzer des Ladens gefeuert. Ihre Zuhörer würden zu gut zuhören und zu wenig trinken. Überhaupt wäre ihr ganzer Vertrag sowieso ungültig – Geld gibt es also auch nicht. Glücklicherweise wartet direkt vor der Tür schon die Anschluss-Beschäftigung. FBI-Inspektor Desmond, klassisch im Trenchcoat gewandet, bittet Patti um ihre Hilfe. Denn auch den Staatsorganen ist die oben erwähnte Verbindung des organisierten Verbrechens mit der Unterhaltungsindustrie ein Dorn im Auge. Sie brauchen jemanden, der sich unauffällig in den inneren Zirkeln der Musikbranche bewegen kann und gleichzeitig unabhängig genug ist, um auch mal etwas zu riskieren. Jemanden wie Patti.

Sie bekommt zwei Ziele genannt: Zum einen werden von einem jungen Toningenieur namens Reverse Biaz unterschwelligen Botschaften in Hardrock-Musik reingemischt, zum anderen werden in den letzten Jahren die Raptexte immer obszöner, was das FBI auf das organisierte Verbrechen schiebt. Schließlich würden diese finsteren Gesellen davon profitieren, wenn die Moralvorstellungen der Jugend unterminiert wird. Zentrum dieser Entwicklung soll die Band „2 Live 2 Screw“ sein, die in Philadelphia ihr Hauptquartier aufgeschlagen hat. Beide musikalischen Verbrechen scheinen mit einer Person namens Julius in Verbindung zu stehen, doch wer hinter dieser Bezeichnung steckt, ist unbekannt.

Neben der persönlichen Genugtuung, es der Musikbranche heimgezahlt zu haben, könnte Patti als Lohn sogar ein Konzert im Weißen Haus winken. Da sie ja gerade sowieso ohne Engagement da steht und die Reisekosten erster Klasse das Problem der Regierung sind, willigt Patti ein. Sie muss sich nur noch flott einer medizinischen Untersuchung unterziehen und sich beim Waffenmeister unauffällige Ausrüstungsgegenstände wie einen BH-Flammenwerfer besorgen. Ab geht’s. Ab in die schicke Limousine, in der Patti wie zuvor Larry ins Träumen kommt. Allerdings phantasiert sie von einem erfolgreichen Kerl namens Donald Tramp. Nun, manche Gags altern schlecht.

Flughäfen. Flughäfen sind immer gleich.

Nachdem die Geschichte nun in beiden Strängen in Gang gekommen ist, landet Larry in New York und macht sich daran, der ersten Finalistin näher zu kommen. Dass dies selbstverständlich nicht ohne Komplikationen abläuft, dürfte Fans der Reihe und Adventurefreunden klar sein. Der Chronist des Spiels, also ich, trete an dieser Stelle allerdings zurück und empfehle euch, dem Spiel – Sierra-Abneigung hin oder her – eine Chance zu geben. Nicht nur gibt es Running Gags wie die immer gleich aussehenden Flughäfen oder Sprüche der Limousinen-Chauffeure. Nein, viele der Örtlichkeiten sind einfach richtig unterhaltsam. Zwar gibt es mit den Akku-Lade-Orgien und der einen oder anderen Nickeligkeit auch Nerv-Momente, doch die halten sich dank des Icon-Interfaces in Grenzen. Gönnt euch also ruhig ein wenig „Undercover Work“ und genießt das leider letzte Larry-Spiel, bei dem ihr zwei Protagonisten steuern könnt.


Danke für den ausführlichen Bericht, das waren noch Zeiten, Larry, Roger, Sonny, Graham, Gabriel, Laura, alles Begleiter meiner Jugend.
Und Larrys Mädels, das waren meine ersten zarten feuchten Träume 😉
Larry 3 war mein Lieblingsteil – und an manchen Tages ist er das heute noch. Ich fand es einfach einen gelungenen Abschluss. Ich kann also Al Lowe durchaus verstehen, dass er das auch so empfand und eigentlich gar kein Larry 4 machen wollte.
Ich selbst war damals von der Präsentation von Larry 5 gleicharmaßen abgeschreckt und begeistert. Ich musste mich erst in den neuen Comicstil gewöhnen. Aber er macht den Slapstick natürlich … wie soll ich das nennen? Glaubwürdiger? Lustiger?
Na, er passt dann einfach noch mehr als bei der „pseudorealistischen“ Grafik von vorher.
Der Wechsel auf die Icon-Steuerung war natürlich zeitgemäß. Ich persönlich fand es schade. Gerade auch weil Sierra sich erst noch mit der neuen Art des Puzzledesigns finden musste.
Larry 5 war dadurch viel zu einfach. Und da sich Al auch noch dazu entschieden hatte, Tode aus dem Spiel zu nehmen, war ich mehr oder weniger an einem Nachmittag durch.
Nichtsdestotrotz mag ich das Spiel irgendwie. Ich mag auch Patti und fand es schade (aber nachvollziehbar), dass man sie bei den letzten beiden Larry-Spielen dann rausgestrichen hat.
Ich halte – neben meinem persönlichen Liebling Yacht nach Liebe – die beiden Teile 3 und 5 auch für die besten. Hauptsächlich, weil mit den zwei Figuren schön viel Abwechslung dabei ist und Patti die Welt natürlich mit anderen Augen sieht. Teil 6 wirkte mit seiner Geschichte deshalb für mich wie ein großer Schritt zurück.
Hmm… ich glaube, ich habe Larry 5 und 6 entweder nie gespielt oder direkt wieder vergessen. Teil 7 fand ich dann wieder gut (glaube ich zumindest, habe das Spiel in diesem Jahrtausend noch nicht gespielt)…