Fangame-Corner #12: Wie Fans die Erinnerung an LCD-Spiele bewahren

In dieser „Fangame“-Ausgabe geht es nicht um ein einzelnes Spiel, sondern um eine kleine Bewegung: Verschiedene Fan-Entwickler digitalisieren alte LCD-Handhelds und bewahren so ein Stück Spielekultur.

Die Geschichte beginnt irgendwann im Jahr 1980. Gunpei Yokoi, damals 29 Jahre alt und ein junger Spieleentwickler bei Nintendo, beobachtet in einem Hochgeschwindigkeitszug Geschäftsleute. Diese versuchten, die Zeit mit ihrem Taschenrechner totzuschlagen. Da kam ihm die Idee: Könnte man nicht kleine, tragbare Spielkonsolen entwickeln? Eine Idee, mit der er rund zehn Jahre später die Welt der Videospiele revolutionieren sollte. Denn es war Yokoi-san, der das Konzept für Nintendos Game Boy entwickelte. Doch die Technik war Anfang der 80er Jahre noch nicht so weit.

Damals waren LCD-Bildschirme, wie man sie von Taschenrechnern kannte, im mobilen Bereich weit verbreitet. Die Grafiksegmente sind voneinander unabhängig und können einzeln angesteuert werden. Damit sahen die Spielfiguren zwar detaillierter aus als auf herkömmlichen Computersystemen jener Zeit, aber spritebasierte Animationen oder gar eine dynamische Spielwelt waren damit nicht möglich.

Das Ganze war eigentlich nur eine flüchtige Idee und der damalige Präsident von Nintendo, Hiroshi Yamauchi, schien von der Idee nicht sonderlich begeistert zu sein. Dennoch vereinbarte Yamauchi ein Treffen mit hochrangigen Managern von Sharp, dem damaligen Marktführer für Taschenrechner, und von da an sollte alles ganz schnell gehen: Die Game & Watch Spiele waren geboren. Wer diese Geschichte etwas ausführlicher nachlesen möchte, findet hier einen auf englisch übersetzten Aufsatz von Yokoi-san, den er noch zu Lebzeiten geschrieben hat. Er verstarb am 4. Oktober 1997 im Alter von nur 56 Jahren an den Folgen eines Autounfalls.

Die ersten drei Game & Watch-Spiele waren ein durchschlagender Erfolg. So entstanden in den 80er Jahren 56 verschiedene Game & Watch-Handhelds – einige Geräte wurden für Erwachsene konzipiert, andere für Kinder. Auch andere Entwickler wie Coleco, VTech und später auch klassische Spieleentwickler wie Konami und Acclaim stiegen in den Markt ein. In den osteuropäischen Ländern, damals noch hinter dem Eisernen Vorhang, entstanden mit den Elektronika-Handhelds Klone der Game & Watch-Spiele.

Bis in die 2000er Jahre bedienten verschiedene Firmen den Markt mit LCD-Handhelds. In den 90ern war es vor allem der amerikanische Spielehersteller Tiger, der den Markt mit Spielen zu allen möglichen Lizenzen – von WWF-Wrestling über Disney bis hin zu diversen Kinofilmen – regelrecht überschwemmte. Und in den 2000er Jahren waren LCD-Handhelds immer noch beliebte Werbegeschenke.

In diesem Artikel möchte ich drei Projekte von Fan-Entwicklern vorstellen, die alle auf ihre Weise diese alten LCD-Spiele digitalisieren und so einen Einblick in die technische Frühzeit des Videospiel-Mediums ermöglichen.

Madrigal’s Simulators

Homepage des Projekts

Dieses Spiel mit den Peanuts war eines der wenigen G&W-Spiele mit farbigen Sprites. (Madrigal’s Simulators)

Den Anfang muss natürlich der italienische Programmierer Luca Antignano machen, denn mit ihm begann die digitale Präservation der LCD-Spiele. Er wurde 1974 geboren und wuchs in den 80er Jahren mit Videospielen auf. Allerdings nicht mit elektronischen LCD-Spielen, sondern mit Heimcomputern wie dem C64. Schon als Kind brachte er sich selbst das Programmieren bei. Ende der 90er Jahre entdeckte er in einem Second-Hand-Laden alte LCD-Spiele und kaufte sie. Er fragte sich, warum es für diese Spiele keine Emulatoren gab. Die Antwort fand er bald selbst heraus: Im Gegensatz zu den 8- und 16-Bit-Prozessoren der 80er Jahre gab es für die 4-Bit-Mikroprozessoren keine ausführlichen Referenzhandbücher. Diese wurden damals von Konsolenherstellern wie Nintendo oder Sega an die Entwickler verteilt, damit sie die technischen Details ihrer Konsolen verstehen konnten. Diese Referenzhandbücher waren auch der Schlüssel für die Entwicklung der ersten Emulatoren in den 90er Jahren.

Luca fand schnell heraus, dass jedes LCD-Spiel seinen eigenen Mikroprozessor hatte und dass es eine Sisyphusarbeit wäre, für jedes dieser Spiele einen eigenen Emulator zu programmieren. Also beschloss er, diese Spiele digital nachzubauen beziehungsweise zu simulieren – daher der Name des Projekts. Mit einem handelsüblichen Scanner digitalisierte er zunächst den Handheld, die grafischen Elemente und die Sprites und baute mit dem so gewonnenen Material das Spiel Schritt für Schritt digital nach. Vom Spielfeld über das Spielverhalten und die Spielregeln bis hin zu den Peep-Geräuschen, die er mit einem Mikrofon aufnahm. Mit der Zeit ging er dazu über, die Geräte auseinander zu nehmen, um zum Beispiel die Hintergrundgrafiken besser scannen zu können.

So entstanden im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche digitale Rekonstruktionen alter LCD-Spiele. Vor allem von der Hongkonger Computerfirma VTech, deren Geräte über den italienischen Spielzeughersteller Polistil in Italien weite Verbreitung fanden. Später kamen vereinzelt Geräte von Nintendo, Coleco oder Bandai Electronics hinzu.

Gut gealtert sind diese Simulationen meiner Ansicht nach jedoch nicht. Es gibt weder Controller-Unterstützung noch eine Zoom-Funktion. Auch die Qualität der digitalisierten Bilder und Sprites sind nicht immer gut. Vieles ist jedoch auch mehrere Jahre alt und als Pionierarbeit ist die Sammlung meiner Ansicht nach immer noch beeindruckend. In den letzten Jahren hat Luca weniger an dem Projekt gearbeitet, auch weil er seit mehreren Jahren in Australien lebt und nicht mehr das Leben von vor 10 oder gar 20 Jahren führt. Er gibt sein gesammeltes Wissen jedoch gerne anderen Programmierern weiter.

Das Auswahlmenü von Madrigal’s Simulators mit einem kleinen Ausschnitt der insgesamt 62 digitalisierten Spiele.

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Über Nischenliebhaber

Ostdeutsches Videothekenkind der 90er Jahre. Liebt Spiele- und Retrokultur ebenso wie subkulturelle Musik aus aller Herren Länder und lange Spaziergänge durch dunkle Wälder des Erzgebirges.

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