Journey: The Quest Begins

Infocom-Spiele ruhten seit ihren Ursprüngen auf einem mächtigen Fundament: dem Parser. Selbst die späteren Spiele wie Shogun oder Sherlock, die das Spielerlebnis mit Grafiken ergänzten, rüttelten nicht daran. Zwar gab es bei dem unvollendet gebliebenen Film-Spiel zu The Abyss erstmals ergänzende Verb- und Objekt-Leisten, doch die Spielerschaft durfte jederzeit selbst zur Tastatur greifen. Bis zu Journey: The Quest Begins.

Dürren! Krankheiten! Hungersnöte!

Die Hintergrundgeschichte greift klassische Fantasy-Elemente auf: Das Land wird seit fünf langen Jahren von Dürren geplagt, die Krankheiten und Hungersnöte mit sich bringen. Welcher Schatten des Bösen auch immer dafür verantwortlich sein mag: Nur der zurückgezogen lebende Zauberer Astrix scheint Rat und Rettung bringen zu können. Doch die Gruppe, die ihn suchen sollte, ist seit Monaten verschollen. Nun wird eine neue Gemeinschaft ausgesandt, um Hilfe zu finden. Angeführt wird sie von Bergon, dem Zimmermann. Als Heiler der Gruppe fungiert Esher, die Zauberkunst erledigt Praxix. Und dann ist da noch Tag. Dieser Bursche beaufsichtigt die Vorräte und schreibt den Bericht zu den Abenteuern. Aus dieser Sicht erleben Spieler:innen die Geschichte, die sich auf dem Bildschirm auch tatsächlich wie eine nachträgliche Erzählung aus dessen Feder liest.

Das erste Bild des Spiels in der Mac-Version.

Bereits nach wenigen Zügen kann die kleine Gruppe in einem Gasthof noch um den Abenteurer Minar erweitert werden, doch nach dieser Begegnung gibt es keinerlei Möglichkeit mehr, die Gemeinschaft längerfristig zu erweitern. Dies sollte allerdings auch nicht nötig sein, denn Minars Scouting-Fähigkeiten ergänzen die anderen Begabungen perfekt. So manche Wegwahl würde ohne ihn ein schlimmes Ende nehmen. Umso schlimmer, dass er schon wenige Züge nach unserem Kennenlernen verschwindet. Und dies kurz nach der Begegnung mit Garlimon, dem mutmaßlich einzigen Überlebenden der letzten Expedition. Es wirkt, als sei er verrückt geworden, denn außer der Warnung, dass die ganze Gruppe sterben wird, ist nicht viel aus ihm heraus zu bekommen.

Umso wichtiger, Minar wiederzufinden. Während dieses Abenteuers können die einzelnen Gruppen-Mitglieder ihre jeweiligen Fähigkeiten erstmals ausspielen. Außerdem wird Tag kurz darauf von der Gemeinschaft getrennt, während er allein in eine Höhle vordringt und ein Nymphen-Reich entdeckt. Einige Abenteuer später hat er Minas befreit und ein blaues Amulett aus einer Schatzkammer entwendet. Und noch ein wenig später breitet Astrix eine epische Quest vor der Gemeinschaft aus: Sie benötigen nicht nur das blaue Amulett der Nymphen. Auch Elfen, Zwerge und Zauberer besitzen jeweils einen dieser Anhänger. Mit allen vieren könnte eine wagemutige Gruppe zwei weitere magische Steine finden – und mit diesen wiederum den einen Stein aufspüren, mit dem sich das Böse vernichten lässt, das sein schreckliches Haupt gerade erhebt. Nun, das ist mal eine Aufgabe! Nicht nur an dieser Stelle erinnert Journey: The Quest Begins an die Werke von John R.R. Tolkien. Das Treffen mit Minar erinnert zum Beispiel an die erste Begegnung der Hobbits mit Aragorn in Der Herr der Ringe, aber die Welt ist eigenständig genug, um immer neue Überraschungen zu bieten.

Besonders schön, dass die Hintergrundgeschichte dieser Welt bei verschiedenen Gelegenheiten noch erweitert wird: Praxis – oder in seltenen Fällen ein anderer Charakter – kann dazu aufgefordert werden, Legenden zu unterschiedlichen Themen zu erzählen – was er dann auch ausführlich tut. Das Spiel geht sowieso schon verschwenderisch mit Texten um, doch hier wird die Atmosphäre gleich noch dichter, während zum Beispiel die Geschichte der Magie erzählt wird. Später trifft Tag auf Vertreter anderer Völker, die ihm viel über ihre jeweilige Sagenwelt erzählen können. Dies alles ist optional, doch lesen sich diese Legenden so schön, dass Textfreunde in Journey alles lesen sollten, was sich ihnen bietet.

Parser-, doch nicht wehrlos!

Wie eingangs geschrieben, verzichtet Journey: The Quest Begins auf einen Parser. Die Steuerung, die sich Infocom stattdessen hat einfallen lassen, findet sich am unteren Bildschirmrand und verteilt sich auf die dort dargestellten fünf Fenster. Ganz links stehen die Befehle, die die komplette gerade verfügbare Gruppe betreffen. Dazu gehören zum Beispiel Richtungsanweisungen oder Kampfbefehle. Daneben aufgelistet sind alle aktuellen Gemeinschafts-Mitglieder, deren individuelle Befehle sich in den drei Fenstern daneben finden. Neben Praxix’ Namen steht zum Beispiel häufig der Befehl “Cast”. Wählt der Spielende dies aus, erscheinen die entsprechenden Möglichkeiten im Fenster daneben und der Zauberer wirkt die entsprechende Magie. Oder Tag soll beim Händler etwas kaufen. Das (überschaubare) Angebot wird dann erneut im vierten Fenster aufgelistet.

Bei einem derart eingeschränkten Vokabular wie in Journey stellt sich natürlich die Frage, ob das Spiel nicht zu einfach geraten ist. Schließlich verhindert es nicht nur Falscheingaben, sondern gibt auch selten mehr als eine Handvoll Möglichkeiten vor. Die geneigte Spielerschaft sei beruhigt: Zu leicht ist Journey ganz gewiss nicht. Auf der Box prahlt Infocom mit der Botschaft “Einfach zu erlernen, aber anspruchsvoll zu spielen”. Und das stimmt. Im Handbuch heißt es später “Es gibt keine Sackgassen. Probiere ruhig Dinge aus und ergreife sich bietende Chancen. Jede deiner Aktionen wird die Story weiter vorantreiben.” Und das ist gelogen.

Im Grunde ist Journey ein Abenteuer-Spiel-Buch, wie sie Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre bekannt wurden. An Abzweigungen oder kniffligen Stellen wie verschlossenen Türen bieten solche Bücher verschiedene Wege, wie es weitergehen könnte. Spielende haben auf einer Buchseite ein Inventar, in das sie gefundene Gegenstände wie Münzen oder Waffen eintragen können und einen Charakterbogen mit den verschiedenen Eigenschaften der Spielfigur. Dieses Prinzip greift Journey auf, lässt allerdings die Rollenspiel-Aspekte wie Charaktereigenschaften weg. Die eigene Spielfigur benötigt in Journey keinen bestimmten Stärke- oder Geschicklichkeitswert, um eine Tür zu öffnen. Hier gibt es stattdessen Adventure-typisch Rätsel, die gelöst werden müssen. Ein Inventar ist jedoch vorhanden: Praxix benötigt für seine Zauber allerlei Essenzen, die ebenso wie eine gekaufte Karte oder Verpflegung in den Gruppen-Rucksäcken landen.

Wie auch in den Buchvorlagen bietet Journey bis auf die Scouting-Funktion keine Möglichkeit, vorausschauend zu spielen. Das ging natürlich auch bei den parsergetriebenen Adventures nicht, doch hier fühlt sich der Spielende vom Spiel an der Nase herum geführt. Wer nur die Möglichkeiten “rechts”, “links” und “zurück” angeboten bekommt, reagiert auf schlechte Nachrichten feindseliger als jemand, der sich selbst in eine ausweglose Situation hinein geschrieben hat. Noch dazu gibt es in Journey genügend Gelegenheiten, sich in eine Sackgasse zu spielen und das Spiel von vorne beginnen zu müssen. Die erwähnten magischen Essenzen zum Beispiel sind ein sehr rares Gut und reichen auf keinen Fall, wenn man der Anleitung folgt und “ruhig einfach mal Dinge ausprobiert”. Wer sich auf den verschlungenen Bergwegen zum Zauberer Astrix verirrt, darf auch die Option “Give up” auswählen. Dies führt allerdings nicht dazu, dass sich die Gruppe am Fuße des Berges wieder sammelt. Nein, stattdessen führt Tag in seiner Erzählung aus, dass die Gruppe tatsächlich aufgegeben hat und nach Hause gegangen ist – allerdings gibt er bei solchen Gelegenheiten auch einige Tipps, wie es die Gruppe beim nächsten Mal besser machen könne. Dennoch wirft der Spielende spätestens ab diesem Zeitpunkt eine weitere Handbuch-Idee über Bord: “Sie werden es ausreichend finden, nur bei jedem Besuch beim Zauberer Astrix zu speichern.”

Die Spielmechanik wirkt dank der Gruppe und der jeweils eigenen Befehle an die einzelnen Mitglieder ein wenig wie ein Rollenspiel. Dem trägt auch das Cover Rechnung, denn dort prangt stolz das Logo “Infocom Role-Play Chronicles”. In einer Werbebroschüre buk Infocom allerdings etwas kleinere Brötchen und definierte diese Chronicles als Kombination von Infocoms Erzähler-Expertise und der Essenz eines Rollenspiels. Zu besagter Essenz gehörten offensichtlich weder spielerische Freiheit noch Charakterentwicklungen. In Kämpfen bietet Journey dem Spielenden für gewöhnlich nur die Möglichkeiten “Angriff”, “Verteidigung” und manchmal “Rückzug” an – Feinheiten aus dem Rollenspiel sucht man hier vergeblich. Es gibt weder Taktik noch ausgewürfelte Werte.

Die Golden-Age-Trilogie

Im Interview für die Dokumentation Get Lamp sprach der Designer des Spiels, Marc Blanc, davon, dass Journey: The Quest Begins für ihn ein Experiment war. War es möglich, eine interaktive Geschichte ohne die Tastatureingaben zu erzählen? Seine Idee war nicht, direkt die beste Version eines solchen Spiels vorzulegen. Er hoffte darauf, die Grundlagen zu schaffen und ging davon aus, dass andere Designer mit besseren Ideen in anderen Spielen alles besser machen würden. Die Gelegenheit dazu hätte sich ja bereits kurz nach diesem Titel ergeben müssen, denn das Spiel trägt den Untertitel “The Quest Begins” nicht umsonst. Journey war als erster Teil der Golden-Age-Trilogie gedacht, doch die beiden Nachfolger gingen nie in Entwicklung. Weder existiert eine kurze Zusammenfassung der Geschehnisse noch die angedachten Namen.

Es wäre in der Tat spannend gewesen, die weitere Entwicklung von Blancs Ideen zu sehen. Was bleibt, ist ein schön geschriebener Fantasy-Ausflug mit viel zu vielen Sackgassen. Wenn Praxix wieder einmal zu wenige Essenzen in seinem Zauberbeutel hat oder schon wieder eine Figur stirbt, weil die Gruppe falsch abgebogen ist, zerrt und zehrt das an der Geduld der Spielenden. Doch die schönen Bilder aus der Pixel-Feder von Donald Langosy, der diese Aufgabe schon bei Shogun übernommen hatte, entschädigen für diesen Frust. Mit genügend Beharrlichkeit und Schreibmaterial neben der Tastatur ist Journey: The Quest Begins nicht nur zu schaffen, sondern es macht häufig auch Spaß – wenn man oft genug speichert.

Avatar-Foto

Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

Alle Beiträge anzeigen von Jürgen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert