Videotheken waren ein Phänomen in den 80ern / 90ern. Nachfolgend möchte ich meine nostalgischen Gefühle zu dieser ausgestorbenen Institution erläutern. Und: Wie hat mich diese Zeit geprägt?
Um meine nostalgischen Gefühle einordnen zu können, ist der historische Kontext sehr wichtig: Geboren bin ich 1984 in der DDR. Als die Mauer 1989 fiel, war ich fünf Jahre alt – an diese Zeit habe ich heute ehrlich gesagt kaum noch Erinnerungen. Meine Erinnerungen setzen irgendwann im Jahr 1991 ein: Zur Einschulung habe ich ein Nintendo Entertainment System – kurz: NES – geschenkt bekommen. Was für ein fantastisches Einschulungsgeschenk, nicht? Gleich das ideale Gerät, um mich von der öden Lernerei abzuhalten! Aber die Pflegefamilie, in der ich aufwuchs, tickte glücklicherweise immer etwas anders.
Ein gesellschaftliches Phänomen ging aber auch an meiner Familie nicht spurlos vorbei: Massenarbeitslosigkeit. Nach der Wende wurde seitens der Treuhand ein Betrieb nach dem anderen dicht gemacht, es setzte eine beispiellose De-Industrialisierung ein. Auch im Chemnitz der 90er Jahre, wo ich aufgewachsen bin. Nun saß ich also da, mit dem NES und der kultigen 3-in-1 Cartridge bestehend aus Super Mario Bros., Tetris und Nintendo World Cup. Und ja, schon bald wurden mir der Klempner und die russischen Steine etwas zu langweilig. Gleichzeitig kosteten neue NES-Spiele zu jener Zeit gut und gerne 60 bis 70 D-Mark, was heute inflationsbereinigt 65 Euro entsprechen würde.
Jedes Wochenende eine neue bunte Welt
Zum Glück gab es damals schon die erste Videothek in der Nachbarschaft, die mich fortan jedes Wochenende sehen sollte. Dort konnte man natürlich Filme auf VHS, aber auch Videospiele ausleihen. Ein Tag kostete ungefähr 4 DM. Nun gab es die Besonderheit, dass die Videothek am Sonntag geschlossen hatte und einem dieser Tag nicht in Rechnung gestellt wurde. Somit konnte ich ein Spiel also für insgesamt drei Tage zu einem Preis von 4 DM behalten. Denn natürlich stand ich jeden Samstagmorgen Punkt 9 Uhr auf der Matte! Eigentlich war gesetzlich vorgesehen, dass immer ein Erziehungsberechtigter dabei war. Aber es war die Nachbarschaft, man kannte sich und somit wurde da auch mal ein Auge zugedrückt.
Während mein Freizeitprogramm unter der Woche daraus bestand, vor allem im Freien zu spielen oder Unternehmungen mit der Familie zu unternehmen (darauf wurde schon Wert gelegt!), galt meine Aufmerksamkeit an den Wochenenden immer neuen Fantasiewelten. Mit Dagobert Duck erkundete ich den Amazonas und den Mond, mit Captain Kirk, Spock und Pille besuchte ich ferne Planeten und mit meiner Mom löste ich gemeinsam knifflige Aufgaben in diversen Rätselspielen. Oder ich stritt mich mit meiner Schwester, wer nun dran war mit spielen.
Das Schöne daran war: Ich konnte innerhalb kürzester Zeit verschiedenste Spiele aus verschiedensten Genres ausprobieren und so bildete sich ziemlich früh einerseits ein Gefühl für Spiele, die ich mochte und nicht mochte. Aber auch ein Gefühl für die Vielseitigkeit des Mediums an sich! Und natürlich: Je mehr Spiele man spielte, desto kritischer wurde ich automatisch. Ich erkannte Strukturen in unterschiedlichen Spielen, fing instinktiv an zu vergleichen. Da NES Spiele häufig so kurz waren, waren sie dann irgendwann auch an einem Wochenende durchgespielt. Also hat uns das tatsächlich auch Geld gespart im Vergleich dazu, hätte man jeweiliges Spiel gekauft.
Grundlage für eine bis heute andauernde Faszination
Bis heute liebe ich dieses Medium. Aber es ist nicht der technische Aspekt, der mich fasziniert. Die Grafik eines Spieles könnte mir egaler nicht sein. Was auch daran liegt, dass ich damals als Kind schnell gelernt habe: Spiele mit guter Grafik müssen nicht unbedingt die besten auf spielerischer Ebene sein. Häufig waren es auch schon damals die eher unauffälligen Spiele, die spannende Ideen boten. Und diese Erkenntnis hat sich für mich bis heute bewährt.
Weswegen ich es heute liebe, eher in den Nischen der Spielekultur unterwegs zu sein. Angefangen bei seltenen Genres, über Fangames und Freeware, bis hin zu Neuentwicklungen für alte Konsolen. Während alle Welt über ein Spiel wie Hogwarts Legacy diskutiert, interessiere ich mich eher für das neueste Spiel der schwedischen Brüder Bertil und Arne Hörberg: Onion Assault. Und während sonst gerne auf technische Specs geschaut wird, frage ich mich lieber: Was kann mir ein Titel an spielerischen Werten bieten?
Meine Zeit mit der damaligen Videothek um die Ecke ging bis circa 1995. In dieser Zeit habe ich sicher hunderte Spiele für das NES und später auch Gameboy und SNES kennen-, und häufig auch lieben oder hassen gelernt. Dann kam natürlich die Pubertät und andere Themen wurden zunehmend wichtiger.
Dennoch: In meiner Historie als Gamer war diese Zeit sicherlich die prägendste.
Ich war ebenfalls Videothekenkind. Ich bin Jahrgang 1989. Meine Videothekenzeit begann daher, da hat deine wohl schon aufgehört.
Angefangen hat es mit SNES-Spielen. Damals hat meine Mutter sich regelmäßig die Stargate VHS-Kasetten ausgeliehen, weil die Folgen vor der Free TV-Premiere schon auf VHS veröffentlicht wurden. Das war jeden Mittwoch. Zusätzlich dann noch Spielfilme übers Wochenende, da auch bei uns der Sonntag nichts kostete. Ich durfte jedes Mal mit und mir ein Spiel fürs SNES ausleihen. Gerade Final Fight 2 und 3 haben wir wohl so oft ausgeliehen, dass wir die Spiele hätten auch locker kaufen können. Doch auch neben Final Fight habe ich so viele Spiele dadurch kennengelernt, was sonst niemals in meinem Budget gewesen wäre.
Zur Zeiten der PS1 war es dann üblich, dass man sich Spiele zum brennen ausgeliehen hat. Das war damals bei uns Gang und Gäbe. Mitte der 00er Jahre war es dann das Highlight, als die ersten Freunde eigene Videothekenkarten hatten. Die Generation von PS2, Gamecube und Xbox war die letzte, in welcher ich dann noch regelmäßig mit Freunden in Videotheken war. Ich bin danach auf den PC umgestiegen und parallel hat sich auch schon der Niedergang von Videotheken breit gemacht.
Das Konzept einer Videothek ist natürlich anachronistisch und heutzutage eben auch nicht wirtschaftlich haltbar. Dennoch werde ich immer eine gewisse Nostalgie damit verbinden.