Hunchback: The Adventure

Höret der Glocken hellen Klang. Bim-Bam-Bim-Bam. Über den Dächern von Paris eilt der Glöckner von Notre Dame seinem Fräulein in Not zu Hilfe.

Die Wege so mancher Vorlage sind verschlungen. So erging es auch Victor Hugos’ Roman Der Glöckner von Notre Dame aus dem Jahre 1831: Verarbeitete die Firma Ocean doch in den Jahren 1983 und 1984 den Klassiker zu zwei Plattform-Spielchen. Hier überwindet der namensgebende Glöckner Fallgruben und Gegner, um am Leveende eine Glocke zu läuten. Dass er dabei immer wieder an Seilen schwingen muss, die verdächtig nach Pitfall! aussehen, ist sicherlich ein unglaublicher Zufall und der Thematik geschuldet.

Heutzutage ist Ocean vor allem für massenhaft rausgehauene Lizenzspiele zweifelhafter Qualität bekannt. Ach, wem versuche ich, hier etwas vorzumachen? Ich setze also erneut an: Heutzutage ist Ocean vor allem für massenhaft rausgehauene Lizenzspiele minderer Qualität bekannt. Wer Beweise für diese nicht besonders steile These benötigt, kann sich hier über zwei Stunden lang jedes einzelne Spiel dieser Kategorie anschauen und Perlen wie Highlander, Clive Barker’s Nightbreed oder Knight Rider bewundern. Die Genres, die Ocean bediente, waren allesamt eher action-orientiert. Mit wenigen Ausnahmen, von denen eine den Titel Hunchback – The Adventure trägt.

Abenteuer Literatur

Das farbenfrohe Cover des Spiels deutet bis auf den Titel nicht an, dass es sich anders als die beiden bisherigen Hunchback-Titel spielen wird. Wie viele Spieler in Erwartung eines „richtigen“ dritten Teils mit der kleinen Cassette nach Hause gelaufen sind, wäre interessant zu wissen. Einige enttäuschte Gesichter dürften von den heimischen Flimmerkisten angestrahlt worden sein. Dabei ist das Adventure tatsächlich ziemlich farbenfroh und basiert immerhin auf einem kompletten Roman mit Handlung und allem Drum und Dran. Klar, ein wenig mussten überflüssige Handlungsstränge abgeschnitten werden und die Entwicklungs-Reihenfolge Roman -> Plattformer -> Adventure führte zu einigen Ungenauigkeiten. Und zu Unterschieden in der Tonalität. Wir vergleichen die jeweiligen ersten paar Sätze:

Heute vor dreihundertachtundvierzig Jahren sechs Monaten und neunzehn Tagen erwachten die Pariser unter dem Geläute aller Glocken, welche innerhalb des dreifachen Bereiches der Altstadt, Südstadt oder des Universitätsviertels und der Nordstadt mit lautem Schalle ertönten.

Und dennoch ist der 6. Januar 1482 kein Tag, von dem die Geschichte eine Erinnerung bewahrt hat. Nichts Merkwürdiges war an dem Ereignisse, welches seit dem Morgen die Glocken und die Bürger von Paris so in Bewegung und Erregung versetzte. Weder war es ein Ueberfall der Picarden oder der Burgunder, noch ein glänzender Jagdaufzug, noch ein Studententumult im Weingarten von Laas, noch ein Einzug »unseres allergnädigsten Herrn, des sehr gefürchteten Herrn Königs«, noch auch eine hübsche Aufknüpfung von Spitzbuben und Diebinnen im Gerichtshofe zu Paris.

Victor Hugo: Der Glöckner von Notre Dame

Auf den 1986 üblichen Heimcomputern ist der Speicherplatz natürlich begrenzt. Daher kommt Ocean hier schneller zum Punkt:

Welcome to Hunchback the adventure!

Your mission, should you decide to accept it, is to find and rescue Esmerelda from the clutches of the evil Cardinal. You are Quasimodo. That is the good news.

Hunchback: The Adventure

Der flapsigere Ton und die bunte Grafik machen den Rest des Spiels über die Musik. So findet Quasimodo direkt zu Beginn ein Buch mit dem schönen Titel „Bell ringing for the death“. Brüller. Ebenfalls von Anfang an auffällig: Die verschnörkelte Schrift sieht zwar schick aus, verhindert allerdings flüssiges Lesen. Mehr als einige Zeilen pro neuer Umgebung gibt es allerdings auch nicht zu tun für die Augen. Bis auf die Protagonisten hat das Adventure nicht besonders viel von der Vorlage übernommen – doch damit sollte Mitte der 1980er auch kein Spieler ernsthaft gerechnet haben.

Eingesammelte Gegenstände stellt das Spiel im oberen Bildschirmdrittel graphisch dar. Nicht schlecht. Allerdings auch keine technische Meisterleistung, basiert Hunchback: The Adventure technisch doch auf der Engine von The Neverending Story, das im Vorjahr erschienen war. Beide Spiele stammen vom gleichen Team: Ian Weatherburn designte und programmierte; Steven Cain steuerte die Grafiken bei. Die hübsche Kathedrale, die ihr im großen Bild oben seht, bleibt euch übrigens für das komplette Spiel erhalten. Es ändern sich immer nur die kleineren Bilder im Vordergrund. Hier finden sich dann zu Beispiel die Inventar-Gegenstände, andere Charaktere oder kleinere Umgebungs-Vignetten wie der Altar.

Diese eine große Hintergrund-Grafik führt natürlich dazu, dass ich mich ohne eine selbst gemalte Karte heillos verlaufe. Denn das Spiel ist gar nicht so klein. Das sieht man auch ganz wunderbar auf einer Karte, die auf maps.speccy.cz zu sehen ist. Apropos Spectrum: Selbst diese Fassung ist wunderbar farbenfroh. Der kleine Kerl hier am Rand ist die Sinclair-Version von Quasimodo. Auch wenn er bei seinem ersten Auftritt eher wie ein Teenager aussieht, wächst er im wahrsten Sinne des Wortes schnell in seine Rolle hinein – und die grellbunten Spectrum-Farben sorgen bei einigen Gegnern für einen hübschen Comic-Effekt.

Kämpfe

Ja, Kämpfe. Auf seinem Weg zu Esmeralda trifft Quasimodo im wahrsten Sinne des Wortes immer wieder auf Wachen des Kardinals. Bestehungsversuche oder raffinierte Rätselketten sucht der geneigte Adventurespieler hier vergeblich. Stattdessen hilft nur >kill guard. Je nach Bewaffnung unseres tapferen Glöckners verlaufen solche Kämpfe besser oder schlechter. Mit einem Schwert reicht meistens ein einzelner Angriff – sollte Quasi quasi waffenlos mit blanker Faust angreifen, muss er häufiger gegen den Gegner anrennen und kann natürlich im Umkehrschluss auch getroffen werden. Ein Glück, dass in einem französischen Spiel immer mal wieder Wein oder Baguette zu finden sind, die Mut und Kampfeskraft wieder herstellen.

Interessanterweise sind in der Anleitung die Verben abgedruckt, die Hunchback: The Adventure versteht. „Kill“ ist nicht darunter – ich kann jedoch aus eigener Erfahrung sagen, dass es funktioniert. „Stab“, „Cut“, „Hit“, „Smash“ und „Attack“ sind ebenfalls möglich. Sieht so aus, als wäre dieser Bereich für die Entwickler sehr wichtig gewesen. Da bleibt natürlich nicht mehr viel Platz für andere Verben. Siebzehn weitere sind es noch – und unwichtige Worte wie „examine“ sind nicht dabei.

Finesse ist bei diesen „Kämpfen“ jedenfalls nicht gefragt. Vermutlich sollen sie Spannung erzeugen, wirken aber fremd in der Adventure-Umgebung. Nur ein oder zwei Wachen – oder eine Garnison – die mit Adventure-Logik überwunden werden, würden dem Spiel besser zu Gesicht stehen als die immer gleichen Pseudo-Kloppereien.

Wer ist das Monstrum und wer ist der Mann?

So rätselt sich unser tapferer Quasimodo in drei Abschnitten Stück für Stück durch die Straßen von Paris – samt eines Abstechers durch düstere Dungeons (die wir nur mit einer angezündeten Laterne durchqueren können) und in die Hölle. Der dort ansässige Dämon ist glücklicherweise mehr an Gold als an Seelen interessiert. Am Ende stellt sich natürlich noch der böse Kardinal zwischen Quasimodo und Esmeralda. Doch auch ihn besiegt der Glöckner im fairen Zweikampf und befreit die Gefangene. Wie glücklich sie dabei aussieht, könnt ihr in diesem kleinen Bild bewundern.

Ist Hunchback: The Adventure denn nun ein gutes Spiel? Summasagenwirsoherum: Es kommt auf die Erwartungshaltung an. Der Parser ist extrem eingeschränkt, die Handlung hat mit dem Buch nicht viel zu tun und die Kämpfe ergeben keinen rechten Sinn. Auf der Haben-Seite steht allerdings eine hübsche Präsentation und gegen Ende abwechslungsreiche Umgebungen. Eurer Sammlung zuhause fehlt nichts, wenn ihr die Packung nicht im Regal habt – einen Blick ins Spiel habe ich dennoch gerne riskiert. Das Buch ist allerdings um Welten besser – und eine bessere Abwandlung der Geschichte stellt der Disney-Film dar.

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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