Harold Halibut

Manche Tests von Harold Halibut loben die Kölner Knetfiguren über den grünen Klee, doch handelt es sich hier wirklich um ein gutes Adventure?

Quelle des verwendeten Bildmaterials: Slow Bros.

Die über zehn Jahre andauernde Entstehungsgeschichte von Harold Halibut aus dem Hause Slow Bros. (Nomen est Omen?) würde einen eigenen Artikel füllen und wäre mit Sicherheit spannender und abwechslungsreicher, als die Geschichte, die uns im Spiel präsentiert wird. Oh, habe ich jetzt schon zu viel verraten?

Bleiben wir doch zunächst bei der (einzigen) Besonderheit von Harold Halibut, die euch wohl spätestens beim Betrachten der ersten Screenshots aufgefallen ist: Fast alles, was ihr im Spiel seht, wurde zuvor handgefertigt und dann per 3D-Scan digitalisiert. Die Idee: Lasst uns doch unsere Kindheitserinnerungen, in denen wir mit Lego und Knete unsere eigenen Abenteuer gebaut und gespielt haben, in einem Videospiel abbilden. Kann man machen, ist aber offenbar nicht sehr effektiv und vor allem kein Garant für ein gutes Spiel. (Für die Umsetzung kam hier übrigens der Adventure Creator zum Einsatz.)

Etwas ähnliches haben ja auch schon die Macher von Trüberbrook festgestellt: Ein paar schön gebaute Kulissen sorgen noch lange nicht dafür, dass daraus ein tolles Adventure wird.

Was ist hier überhaupt los?

Die Erde steht (wie so oft) am Rande eines Atomkriegs und die Menschheit sucht nach neuen bewohnbaren Planeten (Wo steckt Alpha Centauri, wenn man ihn braucht?). Also wird das riesige Raumschiff FEDORA 1 (lustige Indy-Anspielung: Check), das praktisch eine ganze Stadt beherbergt, losgeschickt, um “das Überleben der Menschheit zu sichern”. 250 Jahre später liegt das Raumschiff auf dem Grund eines außerirdischen Ozeans. Glück im Unglück: Die Außenhülle hat es einigermaßen unbeschadet überstanden und die Bewohner können ihr Leben auf dem Meeresboden weiterführen.

Ihr seid Harold Halibut, ein schüchterner Mittzwanziger, der einem miesen Job als Labor-Assistent und Aushilfs-Handwerker nachgeht. Zu Beginn des Spiels erwacht ihr in eurem kargen Zimmer. Nicht einmal eine Bettdecke hat man euch gegönnt. Kurze Zeit später werdet ihr abgeführt, weil ihr noch unbezahlte Gebühren habt. In der “Gebühren-Einzugs-Zentrale” begegnet ihr weiteren Knetfiguren und klickt euch durch die ersten belanglosen Gespräche (Spoiler: Es werden noch viele, viele mehr!). Bis dann endlich die Professorin (eure mütterliche Chefin) auftaucht und euch mit nach Hause nimmt. Dann bekommt ihr eure ersten Aufgaben: Holt dort was ab, bringt da was hin, schraubt hier dran herum, repariert dies und das etc.

Selbst Harold fällt auf: Da muss es doch mehr im Leben geben! Und dies intoniert er mit seiner tollen Gesangsstimme inbrünstig, während er zum wiederholten Male einen Filter reinigt. Und tatsächlich: Irgendwann fischt er aus besagtem Filter ein fremdartiges Lebewesen…

Außerdem scheint sich ein Ausweg aufzutun: Möglicherweise lässt sich die FEDORA 1 wieder in Betrieb nehmen. Doch bis dahin ist es noch ein lang(weilig)er Weg. Mehr möchte ich nicht von der sowieso schon dünnen Geschichte vorwegnehmen, nur soviel: Die sich andeutenden Twists werdet ihr meilenweit gegen den Wind riechen.

Und wie spielt sich das so?

Zuerst einmal müsst ihr euch von der Vorstellung eines Point-and-Click-Adventures lösen. Gamepad-Steuerung ist angesagt. Aber diese ist, wie das Gameplay im Allgemeinen, sehr einfach gehalten. Der Großteil des Spiels besteht daraus, eure digitale Aufgabenliste abzuarbeiten. Dies sieht dann so aus, dass ihr durch das relativ große Raumschiff wandert, bis ihr den Zielpunkt erreicht habt (schlimme Erinnerungen an Verne: The Shape of Fantasy wurden bei mir wach). Wenn ihr dabei die “Rennen”-Taste gedrückt haltet, bewegt sich Harold ein ganz klein wenig schneller. Dann drückt ihr einen Knopf und seht meist eine selbst ablaufenden Szene. Vielleicht dürft ihr auch einmal ein Gespräch mit euren Knetfigur-Kumpanen führen oder ein Minispiel spielen. Das war es. “Könnte Spuren von Rätseln enthalten” (mir sind keine im Gedächtnis geblieben).

Die vielerorts so bewunderte Liebe fürs Detail kann ich den Figuren und Schauplätzen nicht absprechen, trotzdem hat sich der Look bei mir sehr schnell abgenutzt. Das Charakterdesign ist bei manchen Figuren recht gelungen, besonders bei den Aliens. So manch menschliche Figur ist aber wirklich richtig hässlich geworden. Insgesamt konnte ich mit der Grafik leben, der darin gesteckte Aufwand ist aber aus meiner Sicht höchstgradig verschwendet. Vielleicht hätten die Macher irgendwann umschwenken und aus diesem 10-Stunden-Langeweile-Stück einen ordentlichen 2-Stunden-Film schneiden sollen. Denn mehr ist Harold Halibut nicht: Eine Art “interaktiver Film”, der viel zu lang geraten ist. Die Schere hätte dem Spiel wirklich gut getan: Die ersten Stunden im Unterwasser-Gefängnis sind einfach furchtbar langweilig. Dann wird es besser. Aber: Warum muss ich mich erst bis hierhin quälen? Am stärksten fand ich die Szenen außerhalb des Raumschiffs, in denen ich meinen außerirdischen Fischi-Freund und sein Fischi-Volk besuchen durfte. Danach geht es leider (fast) wieder in den selben alten Trott auf der FEDORA 1 zurück, bis dann im letzten Viertel ein winziges Quäntchen Dramatik aufgebaut wird, die im von mir herbeigesehnten Ende gipfelte.

Fazit

Wow, über zehn Jahre daran gearbeitet, und dann kommt so etwas dabei raus. Es tut mir wirklich leid für die Slow Bros., aber aus den oben genannten Gründen ist Harold Halibut für mich bisher der Reinfall des Jahres. Wo andere Tiefgang und interessante bis philosophische Themen in das Spiel interpretieren möchten, gehen mir ganz andere Gedanken durch den Kopf. Wenn ich die die letzten acht oder neun Stunden, die ich mit Harold und den anderen Schnarchnasen verbringen “musste”, resümiere, komme ich zu folgendem Schluss: Ich möchte meine Lebenszeit zurück! Insofern hat mich das Spiel doch ein wenig nachdenklich gemacht.

Denjenigen, die nach diesen deutlichen Worten immer noch mit dem Gedanken spielen, sich auf die Welt des Heilbutt-Harrys einzulassen, sei gesagt, dass es nur eine englische Sprachausgabe gibt. Deutsche Texte sind enthalten. Der englischsprachige Markt ist verständlicherweise wichtiger. Die deutsche Synchronisation würde nicht genug einspielen. So die Aussage der Entwickler. Mehr möchte ich nicht hinzufügen.

“Official Trailer” von Harold Halibut
Avatar-Foto

Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

Alle Beiträge anzeigen von TheLastToKnow

11 Comments on “Harold Halibut”

  1. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das richtig verstanden habe: Das ist keine Kaufempfehlung? 😉
    Sehr schön geschrieben! Und schade um die tolle Optik.

    1. Ich vermute, dass das Spiel bei dir besser weggekommen wäre. Du hast ja glaube ich kein Problem mit gemächlichem Gameplay. Fort Solis und The Invicible kamen bei dir ja auch ganz gut an, oder?

  2. Ich verstehe auch nicht, woher der Hype um dieses Spiel kommt. Ja ok, von der Optik anscheinend. Aber Spaß bringt die nicht. Ich hab ja nicht mal die Demo beendet. Die umständliche Gamepad-Steuerung, bei der man Hotspots erst erkennt, wenn man davor steht. Ein weinerlicher Tagträumer als Protagonist. Ein Szenario vom Typ “humorvolle Dystopie” (oder zumindest der Versuch davon), das man schon x-mal so ähnlich (und witziger) gesehen hat. Nee, das ist nix, sorry.

    1. Einige sehen halt im Spiel den künstlerischen Anspruch und meinen dadurch, dass das Spiel eben so gewollt ist und man es deswegen auch nicht kritisieren sollte. Total prätentiös.
      Bei Filmen, die man passiv konsumiert und normalerweise 2 Stunden gehen lasse ich das durchgehen, aber eben nicht bei nem Spiel über mehrere Stunden und für 40€.

  3. Die Grafik finde ich toll, aber wie schon geschrieben wurde, es fehlt wieder mal völlig an Substanz in der Story. Trüberbrook lässt grüßen. Ich verstehe nicht warum nicht ein fähiger Storyschreiber mit ins Boot geholt wurde. Hat man allen ernstes gedacht eine schöne Grafik trägt ein Game alleine? Schade ums Setting und das keine deutsche Sprachausgabe spendiert wurde macht einen Preis von 35,- Euro total unrealistisch. Zum Glück haben sich die Reviews diesmal getraut kritisch zu sein, bei Trüberbrook hat man damals ja zig Auszeichnungen noch hinterher geschmissen. Wurde das nicht auch Spiel des Jahres beim Computerspielepreis? Traurig!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert