Harmony: The Fall of Reverie

Der Beitrag “Spiele-Check: Harmony The Fall of Reverie – Visual Novel von Don’t Nod” erschien zuerst am 02.07.2023 auf GamersGlobal als User-Inhalt unter Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 3.0 DE DEED.

Ein neues Story-Adventure von Don’t Nod? Da bin ich doch sofort mit dabei! Schließlich waren Titel wie Life is Strange oder Tell me Why Genreperlen, auch wenn sie keine großen spielerischen Herausforderungen geboten haben. Aber ich konnte mir sicher sein, dass sie eine interessante Geschichte erzählen, die ruhig beginnt und dann immer mehr Fahrt aufnimmt. Dass da eine kleine Welt mit gut geschriebenen Charakteren für mich bereitsteht, in der ich mich in der Rolle der Hauptfiguren bewegen und alles in Ruhe erkunden kann. Ich durfte emotionale Momente und schicksalsreiche Entscheidungen erwarten – auch wenn diese nicht immer weitreichende Konsequenzen für den Fortgang der Geschichte hatten.

Mit diesen Erwartungen, aber ohne weitere Vorkenntnisse starte ich also das neueste Werk des französischen Studios, Harmony: The Fall of Reverie, und bin erst einmal sehr angetan von der Optik. Das Intro besticht durch wunderschöne Hintergründe, toll gezeichnete Figuren, emotionale Musik und eine Prämisse, die mein Interesse weckt. Ich spiele Polly, die nach zehn Jahren Abwesenheit wieder in ihre Heimat, die Mittelmeerinsel Atina, zurückkehrt, um das Verschwinden ihrer Mutter zu untersuchen. Atina wird mittlerweile von einem Megakonzern kontrolliert, an dem George Orwell seinen Spaß hätte.

Visual Novel statt Adventure

Ehrlich gesagt, dürfte ich mich über das Folgende nicht beschweren, etwas ähnliches ist mir mit Varney Lake schon einmal passiert. Schon damals hatte ich ein Adventure erwartet und ein Textwegklick-Spiel, von Anhängern des Genres auch Visual Novel genannt, bekommen. Aber das kann ich Harmony nicht ankreiden, auch wenn ich diese Art von Spiel nicht mag. Ich klicke mich also möglichst unvoreingenommen durch die ersten, gut ins Deutsche übertragenen, Texte. Die Atmosphäre, getragen durch die Grafik und Musik sowie die fantastischen englischen Sprecher, bestätigen die Produktionsqualität, die mir das Intro versprochen hat.

Und nach ein paar Minuten keimt in mir ein wenig Hoffnung auf. Das Spiel scheint wohl mehr zu bieten, als ich zunächst befürchtet hatte! Ich finde im Elternhaus meiner Protagonistin nämlich recht schnell ein magisches Amulett, oder besser gesagt: Es findet mich. Es schwebt ins Badezimmer, lässt sich in die gefüllte Badewanne fallen und zieht mich hinterher. Plötzlich befinde ich mich in Reverie, einer anderen Welt, deren Namen ich ja schon aus dem Spieletitel kenne.

Entscheidungen, sonst nichts

In Reverie renne ich zunächst in die Arme von „Seligkeit“. Sie erklärt mir, dass sie eine personifizierte „Bestrebung“ ist, von denen es noch weitere gibt, und deren Avatare ihr im Aufmacherbild ganz oben sehen könnt. Und sie offenbart mir, dass ich in dieser Welt nicht Polly, sondern die Bestrebung „Harmonie“ bin. Aha, so langsam können wir uns also die Bedeutung des Spieletitels herleiten.

Als Harmonie kann ich in die Zukunft blicken und damit den Fortgang der Geschichte beeinflussen. Dies passiert in einem Entscheidungsbaum, den mir das Spiel unter dem Namen „Mantik“ präsentiert. Hier befindet sich im Grunde genommen die einzige relevante Spielmechanik. Ich entscheide das ganz Spiel über praktisch immer nur, welchem Pfad ich folgen möchte, und lese ansonsten Texte oder lausche den englischen Sprechern. Im besten Fall bekomme ich eine weitere der wirklich tollen Zwischensequenzen präsentiert.

Für manche Entscheidungen muss ich vorher bestimmte Bedingungen erfüllen. Je nachdem, welchem Pfad oder welcher Bestrebung ich vorher gefolgt bin, habe ich „Bestrebungskristalle“ gesammelt. Habe ich beispielsweise mehrere Entscheidungen getroffen, die dem Pfad der Macht folgen, gab’s dafür Machtkristalle. Diese darf ich dann an den passenden Stellen einsetzen. Viele Knotenpunkte verbaue ich mir durch meine Entscheidungen, aber in eine Sackgasse kann ich nie geraten.

Wo ist denn jetzt das Spiel?

In einem Story-Adventure erwartet ich naturgemäß nicht viel Spielmechanik, aber diese Erwartung wird von Harmony: The Fall of Reverie noch unterboten. Die zentrale Spielmechanik hat bei mir nicht gezündet: Ich wollte gar nicht wissen, wohin mich meine Entscheidungen führen werden. Lieber entscheide ich mich spontan, um mit den emotionalen Konsequenzen zu leben. Auch das direkte Steuern einer Spielfigur, die Erkundung der Welt, gerne auch Rätsel – all das habe ich schmerzlich vermisst.

Die Geschichte ist wirklich gut und hat mich zumindest ein wenig vom „fehlenden Spiel“ abgelenkt. Und gerne lobe ich noch einmal die Präsentation, die mir durchweg gut gefallen hat. Aber nur im Entscheidungsbaum herumklicken und ansonsten Gespräche über mich ergehen lassen? Das ist mir zu wenig, selbst für ein Story-Adventure. Immerhin ist der Umfang mit seinen fünf Akten mit jeweils etlichen Kapiteln recht ansehnlich, und manche Spieler mögen vielleicht auch einen weiteren Anlauf nehmen und andere Entscheidungen ausprobieren.

Fazit

Unter dem Strich war Harmony: The Fall of Reverie als typische Visual Novel nichts für mich – aber ich kann mir gut vorstellen, dass es seine Zielgruppe findet. Von Don’t Nod hätte ich mir aber dann doch mehr Spielmechanik gewünscht! Da lege ich meine Hoffnung dann wohl doch lieber in Deck Nine, die bereits wundervolle Spiele im Life-is-Strange-Universum erschaffen haben und kurz vor der Veröffentlichung von The Expanse – A Telltale Series stehen. Bei Don’t Nod werde ich jedenfalls in Zukunft vorsichtiger sein.

  • Visual Novel für PC, Playstation 5, Switch, Xbox One
  • Einzelspieler
  • Für Leseratten
  • Preis: 24,99 Euro
  • In einem Satz: Wunderschön präsentierte Geschichte, aber praktisch ohne Spielmechanik.
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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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