Ja, ich gebe es zu: Ich bin polyamorös – zumindest, wenn es um Spiele geht. Diesmal möchte ich meine Liebe zu einem Puzzle-Adventure-Juwel erklären, das viel mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte.
Ich erwache auf einem Schrottplatz und sehe meine eigene Leiche. Ich bin tot? Wer bin ich überhaupt? Aber Zeit, um darüber nachzudenken, habe ich keine, denn schon ertönt eine Stimme in meinem Kopf, die mir befiehlt, sie zu retten. Wen? Und dann sehe ich das Mädchen, das die Arme in die Höhe streckt, weil ein Mann sie mit einer Waffe bedroht. Aber ich bin tot und kann mich nicht bewegen, wie soll ich sie retten? Die Stimme in meinem Kopf erklärt mir, dass ich meine Seele ab sofort in Gegenstände in meiner Nähe transferieren kann. Also verlasse ich meinen leblosen Körper und springe in die Schranke, die sich neben dem Killer befindet. Und jetzt?
Ich lerne, dass ich die Gegenstände aktivieren kann, von denen ich Besitz ergriffen habe. Also öffne ich die Schranke in dem Moment, als der Killer sein Opfer erschießen will und mache somit meinen ersten „Geistertrick“. Die kurze Ablenkung nutzt das Mädchen, um wegzurennen, leider ist der Killer wieder schneller auf den Beinen, als gedacht. Mit der Waffe im Anschlag geht er auf das Mädchen zu und ich suche mir einen Weg durch die Gegenstände auf dem Schrottplatz, um das Schicksal des Mädchens zu verändern und ihr Leben zu retten…
Nein, ich hatte keinen abstrusen Traum, sondern habe euch nur die ersten paar spannungsgeladenen Minuten von Ghost Trick – Phantom-Detektiv wiedergegeben. Okay, einen Protagonisten mit Gedächtnisverlust zu steuern ist tatsächlich alles anderes als originell, aber dafür macht das Spiel dieses Klischee mit seinen anderen Ideen mehr als wett. Diese stammen größtenteils von Shu Takumi, dem Schöpfer der Ace Attorney-Spiele – das hierzulande bekannteste Spiel der Reihe dürfte wohl Phoenix Wright – Ace Attorney – Dual Destinies sein. Ich habe das Spiel vor über zehn Jahren auf dem Nintendo DS gespielt und krame es immer mal wieder gerne hervor, weil es so anders ist, als alle anderen. Bei meiner Beschreibung beziehe ich mich immer auf die europäische DS-Version, die unter anderem auch deutsche Bildschirmtexte bietet.
Wie spielt man Ghost Trick?
Im Kern ist Ghost Trick ein Adventure, in dem es darum geht, die Geheimnisse der Geschichte zu lüften und dafür zu sorgen, dass sie möglichst gut ausgeht. Aber wie ihr das veranstaltet, hebt sich deutlich von allen anderen mir bekannten Adventures ab.
Ihr schlüpft in die Rolle des kürzlich ermordeten Sissel, der aus anfangs unbekannten Gründen die Chance bekommt, seinen Mord aufzuklären und andere Leben zu retten. Dabei wird er von einem Geist, der sich selbst „Ray“ nennt und eine Schreibtischlampe beseelt, unterstützt. Dieser führt euch in die Welt der „Geistertricks“ ein. Allerdings müsst ihr leider auch erfahren, dass ihr nur noch bis zum nächsten Morgen Zeit habt, da ihr euch danach „auflöst“.
Um im Spiel voranzukommen, müsst ihr zwischen der „echten“ und der Geisterwelt hin- und herwechseln. In der Geisterwelt wird zunächst die Zeit angehalten, dann könnt ihr eure Seele in sogenannte „Kerne“ in der Nähe transferieren und damit Gegenstände in der echten Welt, in der die Zeit dann wieder weiterläuft, manipulieren. Das kann dann so aussehen, dass ihr eure Seele auf dem Bildschirm per Touch- beziehungsweise Stylus-Steuerung zum nächsten erreichbaren Kern zieht, dann auf die Realebene wechselt und dort eine Aktion („Geistertrick“) auslöst. Ziel ist dabei immer, die Geschehnisse im Land der Lebenden zum Positiven zu beeinflussen. Im ersten Kapitel könnt ihr beispielsweise den Killer mit einer Gitarre oder einer Fahrradklingel ablenken und einen Ventilator sowie einen Mixer dazu bringen, eine Flagge zu hissen, an deren Kern ihr euch festhaltet, um in die Höhe zu steigen und dann wiederum dem Killer eine Falle zu stellen…
Das Zeitlimit von vier Minuten klingt dabei aber schlimmer, als es ist. Nicht immer werdet ihr es auf Anhieb schaffen, alle Opfer zu retten, aber ihr könnt jederzeit an den Anfang der vier Minuten oder an einen Kontrollpunkt danach zurückspringen, um euer Glück noch einmal zu versuchen.
Nun kommt aber noch ein Twist dazu: Ihr könnt auch von „frischen“ Leichen Besitz ergreifen, die nicht länger als einen Tag tot sein dürfen (allerdings nicht von unserer eigenen Leiche). Wenn ihr das macht, könnt ihr in die Zeit vier Minuten vor dem Tod dieser Person zurückkehren und mit euren Geistertricks versuchen, das Leben der Person zu retten. Ist die Person zu diesem Zeitpunkt noch bei Bewusstsein, könnt ihr sogar mit ihrem Geist kommunizieren.
Und was ist daran so faszinierend?
Capcom ist hier wirklich eine tolle Mischung aus spannender und mysteriöser Geschichte mit einzigartigem Gameplay gelungen. Im weiteren Spielverlauf werdet ihr mit einigen Story-Twists aber auch neuen Gameplay-Mechaniken überrascht (Stichwort „Gegenstände austauschen“). Dabei sieht es für so ein altes Spiel wirklich auch heute noch sehr nett aus, es ist witzig geschrieben und hat sympathische Protagonisten und hassenswerte Antagonisten – also genau so, wie man es von einem Abenteuerspiel erwartet.
Ich möchte aber auch nicht verschweigen, dass es gegen Ende auch schon einmal zu Trial-and-Error-Passagen kommen kann, schließlich wird es mit der Zeit immer schwieriger, die Geistertricks richtig zu timen. Aber ein wenig Herausforderung darf das Spiel ja auch bieten. Außerdem gibt es leider keine alternativen Lösungswege, aber das wäre auch vielleicht zu viel des Guten gewesen. Mich fasziniert auch heute noch, wie zugänglich das Spiel von Anfang an ist, und wie andersartig das Gameplay gegenüber den meisten anderen Spielen ist.
Klingt gut! Wo kann ich Ghost Trick kaufen?
Die europäische Nintendo-DS-Version mit deutschen Bildschirmtexten könnt ihr nur noch gebraucht erwerben, leider werdet ihr auf einschlägigen Plattformen und Auktionshäusern mit ungefähr 50 Euro und aufwärts zur Kasse gebeten, was für ein elf Jahre altes Spiel doch schon gewagt ist.
Im Jahr 2012 erschien auch eine Version für das iPad, aber ob die auf aktuellen Modellen noch lauffähig oder überhaupt noch zu kaufen ist, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht kann ja einer der Leser diese Frage in den Kommentaren beantworten. Die ersten Szenen sollen in dieser Version auch kostenlos spielbar gewesen sein. Scheinbar gab es auch eine Android-Version in Japan, die hierzulande aber leider nie erschienen ist. Schade, denn die Steuerung passt perfekt auf das Touch-Display eines Smartphones.
Wer von euch kennt das Spiel und wem konnte ich es wenigstens etwas schmackhaft machen? Ich würde mich freuen, wenn ihr dazu einen Kommentar hinterlasst.
Und falls ihr meine erste Liebeserklärung verpasst hat, schaut doch mal in meinen Clash of Heroes-User-Artikel hinein.
(Dieser Beitrag erschien zuerst am 1. Mai 2022 auf GamersGlobal)