Eternal Strands

Eternal Strands ist das Erstlingswerk des Studios Yellow Brick Games. Dahinter verbergen sich allerdings Branchenveteranen wie Mike Laidlaw (Leaddesigner von unter anderem Dragon Age: Origins) und Frederic St-Laurent (Leaddesigner von Assassin’s Creed Syndicate). Überhaupt scheint ein Großteil des Teams aus Ubisoft-Beständen zu kommen. Grafiker Sebastien Primeau hat ebenso an der Assassinen-Saga gewirkt wie Komponist Austin Wintory. Gute Voraussetzungen also für ein rundes Spielerlebnis.

The Wall

Die Spielwelt bietet klassische Geheimnisse: Ein seit Jahrzehnten magisch abgeriegelter Ort namens Enklave, mystische Wesen, in Ungnade gefallene Weber. Äh, was? Weber? Ja, so werden in Eternal Strands die Magiebegabten genannt. Da sie – beziehungsweise ihre Vorfahren – an einem großen Unglück und den darauf folgenden Kriegen schuld sein sollen, ziehen sie in kleinen Gruppen möglichst unauffällig durch die Lande und versuchen, am Leben zu bleiben. Der Spieler übernimmt mit Brynn die „Spitze“ dieser Gruppe. So werden die Späher/Kämpfer genannt, die die gefährlichen Aufgaben übernehmen und in bisher unerforschte Gebiete vordringen.

Während des Intros wird unsere kleine Gemeinschaft an der Grenze der Enklave von einem seltsamen Nebel eingekreist, dem sie nur knapp und unter Verlust vieler Vorräte entkommen und die Barriere durchdringen können. Als die Gefahr hinter sich liegt, sehen Sie dies:

Nun gilt es, das Beste aus Situation und Chance zu machen: Nachdem unsere kleine Gruppe ihr Lager errichtet hat, darf Brynn zu ihrer ersten größeren Erkundungstour aufbrechen. An dem ausgesuchten Lagerplatz steht ein sogenanntes Webtor. Diese sollen in früheren Zeiten als eine Art Schnellreise- und vor allem Transport-Portale gedient haben. Es wäre also von Vorteil, weitere solche Tore zu finden. Und es würde der Gruppe auch nicht schaden, wenn Drynn Rohstoffe heranschaffen könnte. Bei der überstürzten Flucht ist Vieles verloren gegangen, mit dem wir das Lager und unsere Ausrüstung verbessern könnten. Für Ersatz könnte allerdings schnell gesorgt sein, weil sich sehr viele Dinge in der Umgebung zerlegen lassen. Teilweise fühlt sich das wie eines der LEGO-Spiele an, wenn Drynn mit ihrem Schwert auf Sträucher, Bäume oder Kisten eindrischt und dann die frisch erspielten Waren einsackt.

Aus Gründen, die wohl nur Yellow Brick Games kennt, ist das Inventar für diese Rohstoffe sehr begrenzt und kann nur über Lagerausbauten erhöht werden. Gewichtsprobleme gibt es allerdings keine: Drynn kann problemlos zehn große Eisenbrocken mit sich schleppen, aber bei nur einem einzigen freien Inventarplatz gibt es keine Chance, gelbe UND rote Baumwolle einzusacken. Das bremst ungemein aus und wird auch bei mehreren geöffneten Webtoren nur bedingt besser. Falls Drynn aus welchem Grund auch immer stirbt, kann sie bis zu vier Rohstoff-Stapel zum Wiederherstellungspunkt retten. Auch diese Einschränkung fühlt sich für mich mehr wie eine Bestrafung als eine Rettung an.

Diese Rohstoffe sind der Motor, der den Spielfortschritt am Laufen halten soll, denn Drynn kann ihre Fähigkeiten und Kampfwerte nur durch Verbesserungen an Waffen oder Rüstung steigern. Sie selbst bleibt in dieser Beziehung ein unbeschriebenes Blatt, während Resistenzen und Kräfte in ihre Ausrüstung fließen. Ihr bleibt also nichts anderes übrig, als weiterhin Dinge zu hamstern – am besten natürlich in einer höheren Qualitätsstufe. Selbst die anfängliche Kombo aus einfachem Schild und ebensolchem Schwert zeigt mit ersten Verbesserungen gleich ein ganz anderes Verhalten. Habe ich bei meinem ersten Ausflug in die Wildnis noch bei jedem Gegner geflucht, der mir über den Weg lief, konnten mir kurz darauf einzelne Widersachen nur ein höhnisches Lächeln abringen. Mehrere Antagonisten sind aber immer eine Herausforderung, da sie Drynn gerne in die Zange nehmen.

Klon-Gegner

Schlaue Gegner schön und gut, doch ein Spielspaßbremser ist die nicht vorhandene Vielfalt der Feinde. Im Startgebiet, durch das ich wegen der Rohstoffjagd oft gewandert bin, sind es drei verschiedene: Ein tierischer Nahkampfgegner in blau, Armbrustschützen und gemeine Tierchen, die sich fast vollständig unsichtbar machen können. Auch die Angriffe dieser Gegner bleiben recht gleichförmig. Ein Glück, dass Drynn dank ihrer magischen Fähigkeiten sehr unterschiedlich agieren kann und auf diese Weise jeder Spieler seinen ganz eigenen Stil entwickeln kann. Neben klassischen Nahkampf- und Fernkampfwaffen sorgen Drynns wachsende magische Fähigkeiten für Unterhaltung. Eiszauber frieren die Gegner ein, mit kinetischen Kräften bewirft sie die Feinde mit Felsen oder sie verbrennt ganze Landstriche. Leider sorgt das Physik-System des Spiels dafür, dass einige Kämpfe ungewollt komisch aussehen. Vermutlich sollen nach hinten weggeschleuderte Gegner einen wuchtigen Schlag simulieren. Sie wirken in diesen Momenten allerdings eher wie eine geschleuderte Stoffpuppe. Dennoch: Gerade die Kämpfe gegen die großen Ark sind sehr schön gestaltet und sorgen für Panik.

Ebenfalls schön gemacht: Ab und zu treffen sich Gegner, wenn sie auf der Karte flanieren. Dann fangen sie an, sich zu bekämpfen. Das ist kein Schaukampf für den Spieler, sondern am Ende bleibt tatsächlich nur ein Sieger übrig. Das kann ein des Kämpfens überdrüssiger Spieler natürlich auch ausnutzen, indem er zum Beispiel per Fadenzug einen Gegner über eine Klippe schubst, unter der sich weitere Feinde tummeln. Zum Schluss gilt es nur noch, den geschwächten Rest zu erledigen.

Neben ihrer Nützlichkeit im Kampf sind Drynns Kräfte essentiell für ihr Vorankommen in der Geschichte. Zum Beispiel kann sie größere Abgründe mit einer selbst geschaffenen Eisbrücke überwinden, die glücklicherweise physikalische Realitäten außer Acht lässt. Auch ihre Kletterkünste sind nicht zu verachten. Sie kommt an jeder Felswand oder anderen Materialien hoch. Nur ihre Ausdauer ist hier ein limitierender Faktor, fällt aber nie ins Gewicht. Lustigerweise war ich nicht fähig, Drynn eine bereitstehende Leiter schmackhaft zu machen. Dort versagten ihre Fähigkeiten, während sie die Wand direkt daneben hochkraxelte.

Die Technik

Die Präsentation des Spiels ist ansprechend ausgefallen. Die 3D-Grafik gibt sich keine Blöße, sorgt aber auf meinem System für wild drehende Lüfter. Bei Gesprächen blendet die Grafik die gezeichneten Figuren ein, deren Gesichtsmimik sich je nach Stimmung ändert. Und dann gibt es noch einen dritten, zeichentrickartigen Grafikstil, der in wenigen Zwischensequenzen genutzt wird. Mir will nicht recht in den Kopf, warum hier nicht wie sonst auch auf die 3D-Modelle zurückgegriffen wird, besonders störend fand ich den Stilbruch aber nicht. Die Sprachausgabe ist grundsätzlich gelungen, wobei mir die Gespräche manches Mal zu sehr nach Hafermilch-Käffchen am Prenzlauer Berg und zu wenig nach gefährlicher Fantasywelt klangen. Auch die Optik einiger Charaktere verstärkt diesen Eindruck, ohne mich zu sehr abzuschrecken.

Wie motivierend die Rohstoff-Gegner-Lager-Spirale auf Dauer ist, bleibt jedem selbst überlassen. Mich haben die Gespräche im Lager, die mich mit Hintergrund-Informationen über die Welt und ihre Bewohner füttern, kalt gelassen. Aber ich habe mich über jeden Ausbau der einzelnen Stationen gefreut – auch wenn der Umbau graphisch nicht besonders zelebriert wird. Meiner raffgierigen Ader steht das extrem limitierende Inventar-System im Wege und die Erkundung der Welt belohnt mich zwar immer mal wieder mit schönen Ausblicken, doch fehlt mir ein wenig mehr Abwechslung.

Wäre meine Motivation als Kurve dargestellt, ginge sie ständig nach oben, nach unten, nach oben… Denn wenn ich einen neuen Bauplan für eine alte Waffe gefunden habe und dafür noch zweimal rote Baumwolle brauche, renne ich gerne zum zigten Mal durch den Bereich direkt vor dem Lager.

Immortal: Fenyx Rising bietet eine noch etwas stilisiertere Grafik und abwechslungsreicheres Gameplay und Shadow of the Colossus bietet noch etwas kolossalere Gegner. Doch wer ein gelungenes Action-Adventure mit schönen Magie-Ideen sucht, wird hier fündig.

Offenlegung: Ich habe ein kostenloses Rezensionsexemplar dieses Produkts von keymailer.co erhalten.

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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3 Comments on “Eternal Strands”

  1. Kurz vor Release gab es eine Demo (dies es jetzt interessanterweise nicht mehr gibt), die ich mir mal angeschaut habe. Das Konzept hinter der Spielmechanik klingt ganz spannend, hat mich aber nicht überzeugt. Ich war schnell genervt und wurde nicht warm damit. Ok, ich bin nicht der geduldigste und Shadow of the Colossus war auch nicht meins, könnte auch daran liegen. Ansonsten sah das Spiel ganz vielversprechend aus. Unkluge Idee die Demo offline zu nehmen. So könnten es alle mal probespielen, die es interessiert. Danke für den Test!

    1. Danke Dir. In den ersten Stunden war ich auch mehrmals versucht, das Spiel abzubrechen. Aber dann geht es doch wieder hoch mit der Motivation. Und dann wieder runter, wenn ich die teilweise obskure Physik sehe. Insgesamt macht es aber doch mehr Spaß – wenn ich das reine „Auf-den-Gegner-kloppen“ vermeide und wider meiner Natur auch andere Möglichkeiten ausprobiere.

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