Endlich ist der inoffizielle Nachfolger der Suikoden-Reihe erschienen. Ich habe mir die Nächte um die Ohren gehauen und kann euch nun ein Review präsentieren. Was ist gut gelungen und was nicht?
Titel: | Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes |
Erscheinungsdatum: | 23.04.2024 |
Plattformen: | Windows, Switch, PS 4 / 5, Xbox |
Entwickler / Herausgeber: | Rabbit & Bear Studios / 505 Games |
Homepage: | https://eiyudenchronicle.com |
Nach einer kleinen Gaming-Pause Ende der 90er hatte mir Sonys Playstation 2 wieder Lust aufs Hobby meiner Kindheit gemacht. Schnell war ich von japanischen Rollenspielen begeistert und habe zahlreiche PS1-Klassiker nachgeholt sowie damals aktuelle PS2-Titel mit großer Freude gespielt. Eine Reihe konnte mich besonders begeistern: Suikoden. Die Geschichten rund um Krieg, Verrat, Machtspielchen und das Einsammeln zahlreicher Charaktere haben meinen Nerv getroffen. Entsprechend groß war meine Erwartung, als 2020 der mittlerweile leider verstorbene Erfinder von Suikoden, Yoshitaka Murayama, und sein Studio Rabbit & Bear eine Kickstarter-Kampagne für ein neues Spiel starteten. Über 4,5 Millionen US-Dollar kamen zusammen und machten Eiyuden Chronicle zu einem der erfolgreichsten Spiele, die über dieser Plattform finanziert wurden.
Vom einfachen Dorfjungen zum Widerstandskämpfer
So viel sei vorweg gesagt: Die Geschichte orientiert sich stark an den alten Suiko-Spielen und gewinnt heute keinen Innovationspreis mehr. Wir übernehmen die Rolle des 17-jährigen Nowa, der aus einem kleinen Dorf stammt und sich der lokalen Wache anschließt, um Menschen zu helfen. Dabei entdeckt die Gruppe, dass das galdeanische Reich Runenlinsen untersucht, um deren magische Macht an sich zu reißen. Insbesondere Dux Aldric, Kommandant des Reiches, schreckt nicht vor Intrigen und Lügen zurück, um seine Macht zu erweitern. So kommt es in den ersten Spielstunden zum Krieg zwischen dem Reich und der Liga unabhängiger Nationen. Dabei tendieren zahlreiche Nationen dazu, sich dem Reich zu unterwerfen. In einer Burgruine wird daher die Basis einer Widerstandsbewegung errichtet und von dort brechen wir auf zu Missionen, um den Ländern zu helfen und das Reich zurückzudrängen.
Die Spielsysteme
Eiyuden Chronicle ist in vielerlei Hinsicht ein recht altmodisches Spiel, angefangen bei den Zufallskämpfen, die euch auf der Weltkarte und in den Dungeons erwarten. In den rundenbasierten Kämpfen wählt ihr eure Angriffe, Spezialattacken und Magie aus. Spezialattacken und magische Fähigkeiten werden durch Runen freigeschaltet, die ihr im Laufe eures Abenteuers findet und euren Charakteren zuweist. So ist es z.B. sinnvoll, einen Charakter mit vielen MP mit magischen Runen auszurüsten, während Nahkämpfer mit Runen ausgerüstet werden, die Boni auf die Angriffsstärke geben.
Die verschiedenen Figuren haben unterschiedliche Reichweiten. Nahkämpfer mit kurzer Reichweite werden in der ersten Reihe aufgestellt, Figuren mit mittlerer und langer Reichweite können in der zweiten Reihe aufgestellt werden. Allerdings können nur Bogenschützen oder Magier aus der zweiten Reihe Gegner aus der gegnerischen zweiten Reihe ins Visier nehmen. Auch werden Figuren in der ersten Reihe bedeutend häufiger attackiert, sollten also einen hohen Verteidigungs-Wert aufweisen. Diese taktischen Überlegungen kommen vor allem in späteren Kämpfen zum Tragen.
Kleiner Tipp: In den normalen Zufallskämpfen könnt ihr ruhig automatisiert kämpfen lassen. Das geht wesentlich schneller und funktioniert erstaunlich gut; außerdem kann die Kampfstrategie angepasst werden.
Neben den Kämpfen gehört vor allem der Ausbau eurer Burg zum zentralen Spielsystem. Abhängig vom Fortschritt innerhalb der Hauptgeschichte findet ihr auf der ganzen Welt Figuren, die ihr rekrutieren könnt. Die einen schließen sich einfach so an, für andere Figuren müsst ihr kleine Aufgaben erfüllen. So schließt sich beispielsweise der Schmied erst dann an, wenn man ihm zehn Brocken Eisenerz gibt. Andere Figuren wollen wiederum mit einer bestimmten Person sprechen oder kommen erst mit, wenn man einen bestimmten Charakterwert erreicht hat. Hilfe gibt es von der Hellseherin B’baba, die relativ früh rekrutiert werden kann. Diese gibt euch Hinweise, wo ihr nach weiteren Figuren suchen könnt. Außerdem kommt es häufiger vor, dass sich Charaktere von allein in eure Burg verirren. Es lohnt sich also, sich auch dort immer mal wieder umzusehen.
Neben den rekrutierbaren Figuren braucht ihr Ressourcen zum Ausbau eurer Burg, insbesondere Nahrung und Baumaterialien. Diese werden mit der Zeit in der Burg selbst hergestellt, sobald Farm, Weide oder Bergwerk aufgebaut wurden. Vor allem in den Dungeons findet ihr gerne mal seltenere Materialien. Über eine Übersichtskarte könnt ihr auswählen, welche Einrichtungen als nächstes gebaut werden. So entstehen mit der Zeit eigene Läden, eine Bibliothek, ein Restaurant und so weiter.
Wie bereits in den alten Suikoden-Spielen ist es auch in Eiyuden Chronicle ein fantastisches Gefühl, wie aus einer alten Ruine eine lebendige Burganlage entsteht. Das gehört auch hier für mich zu den großen Highlights des Spiels.
Abwechslung und Minispiele
Macht ihr mal Pause von den Kämpfen und der Beschaffung der Materialien, bietet Eiyuden Chronicle einige Möglichkeiten sich die Zeit auf andere Weise zu vertreiben. So könnt ihr beispielsweise Handelswaren in einem Dorf kaufen und in einem anderen Dorf weiterverkaufen und so Geld machen. Oder wie wäre es mit einem entspannten Angelausflug? Gut, zugegeben: Schon in den alten Suikoden-Spielen haben mich diese Tätigkeiten nicht weiter interessiert.
Das eingebaute Kartenspiel hat es mir schon eher angetan. Wenn man Glen in Arenside rekrutiert hat, kann bei ihm ein sehr einfaches und hübsch gestaltetes Kartenspiel gespielt werden. Zwei Spieler legen jeweils drei Karten in drei Spalten. Die Augenzahlen werden addiert und ergeben den Angriffswert. Wer in einer Spalte den höchsten Angriffswert hat, gewinnt. Boni gibt es für gleiche Farben, gleiche Zahlen usw. Um das Spiel spannender zu machen, können Kartenpacks gekauft werden, die das Spiel um zusätzliche Regeln erweitern.
Besonders habe ich mich jedoch über die Rückkehr des Kochwettbewerbs gefreut, das war schon in Suikoden 2 eines meiner Highlights. Habt ihr den Koch Kurtz rekrutiert, kommen nach einiger Zeit Köche einer sinistren Organisation ins Restaurant und wollen gegen Kurtz antreten. Hier agieren die bisher rekrutierten Figuren als Jury und es gilt, passende Gerichte auszuwählen. Diese findet ihr während des Abenteuers – häufig bei den NPCs in den Städten und Dörfern. Eigentlich ist auch das super simpel, aber aus irgendeinem Grund mag ich dieses Minispiel immer noch gern.
Zudem gibt es an einigen Stellen der Hauptgeschichte ein simples Strategiespiel, mit dem die kriegerischen Schlachten dargestellt werden. Keine Sorge: Auch Strategie-Muffel wie ich kommen damit gut zurecht.
Technik und Kritikpunkte
Seit einigen Jahren gibt es den Trend, 2D-Pixelsprites in 3D-Landschaften zu platzieren. Manchmal kann das sehr nett aussehen, wie in den Octopath Traveler Spielen von Square Enix, manchmal wirken diese Sprites jedoch auch verloren. Eiyuden Chronicle fällt für mich leider in die zweite Kategorie. Häufig wirken die 3D-Umgebungen wie ein Spiel aus der Playstation 3 Generation, in das man ein paar Pixelsprites gesetzt hat. Das ist für mich nur an wenigen Stellen wirklich schön und ästhetisch, meist wirkt dieser Grafikstil recht kalt auf mich. Mir hätte da ein durchgängiger Pixelstil deutlich besser gefallen.
Auch gibt es in der PC-Version keine Auflösung, die über 1080p hinausgeht. Im Jahr 2024 eine durchaus seltsame Entscheidung, gleichzeitig bleiben jedoch die Systemanforderungen vergleichsweise niedrig. Zum jetzigen Zeitpunkt sollte übrigens von der Switch-Version Abstand genommen werden, denn diese ist von starken Performance-Problemen geplagt. Es bleibt abzuwarten, ob das durch Patches noch ausgebessert werden kann.
Oft habe ich in anderen Rezensionen den starken Grind-Faktor als Kritikpunkt gelesen. Und ich habe mich regelmäßig gefragt: Welchen Grind meinen die Autoren? Im Laufe der Spielzeit findet man zwei, drei Handvoll Charaktere, die einem am besten gefallen und mit denen man am besten zurechtkommt. Dadurch, dass nur sechs Figuren an den Kämpfen teilnehmen und entsprechend Erfahrungspunkte bekommen, wird es irgendwann Unterschiede geben. Dann sind die einen Charaktere schon auf Level 36, die anderen noch auf Level 22. Das Schöne ist aber, dass die schwächeren Charaktere in den Kämpfen mit den stärkeren Monstern enorme Levelsprünge machen. Also der Charakter mit Level 22 bekommt nach so einem Kampf gleich 3000 Erfahrungspunkte und steigt auf Level 25. Nach einer Handvoll Kämpfe ist der Charakter ungefähr auf dem gleichen Level wie die anderen. Von den Grindfesten anderer JRPGs ist das meiner Ansicht nach weit entfernt.
Negativ fiel mir dagegen auf, dass es insbesondere ab Burglevel 3 nötig ist, doch ab und an alte Dungeons nach Materialien zu durchsuchen. Das ist eine Spielzeitstreckung, auf die ich gut hätte verzichten können. Allgemein hätte ich das System mit den Ressourcen nicht vermisst. In alten Suikoden-Spielen hat es lediglich gereicht, die Figuren zu rekrutieren und sie bekamen ihre Räume und Einrichtungen automatisch gebaut. Das hätte ich mir hier auch gewünscht.
Fazit
Unterm Strich hatte ich als alter Suikoden-Fan mit Eiyuden Chronicle viel Spaß. An diese Fans, sowie Liebhaber altmodischer JRPGs, richtet sich auch das Spiel. Häufig geäußerte Kritikpunkte empfinde ich gar nicht als solche: Die Zufallskämpfe werden mit den automatisierten Kämpfen abgefedert und das häufig vorgebrachte „Grinding“ ist nicht mal ansatzweise vergleichbar mit den Grindfesten anderer JRPGs oder den Free-To-Play-Mechaniken westlicher moderner Vollpreisspiele. Durch Minispiele gibt es Abwechslung, die Bosskämpfe sind teilweise sehr kreativ und die Dungeons haben eine schöne Rätseldichte – etwas, was ich im Review-Text noch gar nicht angesprochen habe. Der Star bleibt jedoch der Aufbau der Burg, auch wenn ich hier das Ressourcen-System als eher störend empfinde.
Wer sich mal wieder für 60+ Stunden in ein JRPG verlieren möchte, kommt mit Eiyuden Chronicle auf seine Kosten.
Hundert Charaktere? Da fällt mir ein, dass ich das letzte Lego-Spiel immer noch nicht richtig angefangen habe…
Ich finde den Grafikstil auf den Bildern gar nicht schlecht, hab aber natürlich die alten Spiele vor Augen. Vermutlich werde ich aber nie in die Verlegenheit kommen, das Spiel tatsächlich mal in den Fingern zu haben. Aus dem Bereich liegt bei mir noch so viel auf Halde, weil ich das alles theoretisch toll finde und dann keine Zeit dafür habe.
Früher (TM) habe ich solche Spiele auch wirklich gern gespielt, bis dann irgendwann die schöne SNES-Pixel-Grafik von hässlicher PlayStation-3D-Grafik abgelöst wurde. Ich gebe zu, dass mich dein schöner Bericht schon ein wenig neugierig auf das Spiel gemacht hat…
Ich spiele gerade noch Shadow of the Timb Raider zuende, und dann kommt das Spiel dran. Freu mich schon drauf. Was mich interessieren würde, hast du Rising gespielt?
Jup, sogar zu 100% – aber ehrlich gesagt kaum mehr Erinnerungen dran. 😀
So bin jetzt seit 20 h auf der Suche nach den 100 dabei, und finde es klasse. Hab genau das bekommen was ich erwartet habe. Würdiger Nachfolger im Geiste. 🙂
Danke für dein Review. Ich hoffe du hast die 70h dafür mit Spaß und nicht mit Zwang, so schnell wie möglich einen Test zu veröffentlichen, verbracht.
Mir bringt Suikoden seit dem 2. Teil nichts mehr. Obwohl dieser ja sehr gut sein soll, fand ich den ersten besser, immersiver. Ich hatte wenig Spaß mit Teil zwei und habe nach einigen Stunden aufgehört. Vielleicht gebe ich ihm eine neue Chance wenn ich meinen Stapel ab verfügbarem, spielbaren Material abgebaut habe. 🙂
Es ist ziemlich genau, was ich erwartet habe. Dank Gamepass Abends immer mal wieder 1 – 2h. Sehr entspannend ohne zu langweilen.
Vagrant Story – das ich gerade parallel an der Röhre spiele – ist das bessere Spiel, aber auch anstrengender zu spielen.