Das Adventure-Soft-Vermächtnis #2: Horror Soft

Die Geschichte der Woodroffes geht weiter! Die Textadventure-Zeit ist zwar vorbei, aber das Schicksal weist Mike Woodroffe wieder einmal den Weg. Im zweiten Teil der Reihe wird es blutig.

Es ist 1988. Die Textadventures sind Geschichte und die Erstellung von Arcadespielen ist nicht die Erfüllung für Mike Woodroffe und seine Mitarbeiter. Während er mit seinem Team an Heroes of the Lance arbeitet, besucht er eine Commodore-Show. Dort trifft er Keith Wadhams, der ihm von seinen Spielideen berichtet. Wadhams erzählt in einem Interview:

Ich suchte nach einer Möglichkeit, ein Spiel zu entwickeln und hatte ein paar Ideen im Hinterkopf. Ich hatte auch schon die Idee für Elvira, aber ich war sicher, dass ich aufgrund fehlender Rechte den Namen nicht verwenden dürfte. Ich hatte mein Konzept zuvor bereits Mandarin Software vorgestellt, die es allerdings als “zu blutig” abgelehnt haben.

Oldies but Goodies

Für Mike Woodroofe ist die Idee offenbar nicht zu blutig, denn schlussendlich landet Keith Madhams bei seinem Label Horror Soft, das eigens für den Vertrieb von Gruselspielen gegründet wird. Somit hat das Schicksal wieder die Weichen für die nächsten Jahre gestellt, in denen Horror Soft eine Handvoll Horror-Spiele unter die Leute bringt.

Personal Nightmare

Im Logo von Horror Soft räkelt sich Elvira zwar schon vor einem Grabstein mit dem Firmenschriftzug, auf ihren ersten Spiele-Auftritt muss die “Herrin der Dunkelheit” aber noch etwas warten. Denn zunächst arbeit das Team um Woodroffe an Personal Nightmare (manchmal auch …A Personal Nightmare genannt). Passend zum Jahr 1989 wird das Spiel für Amiga, Atari ST und PC entwickelt.

Zum Team gehören neben Mike Woodroffe auch der Ideengeber Keith Wadhams, der Entwickler Alan Cox, den Mike bereits Seas of Blood programieren ließ und der später eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Linux-Betriebssystems spielen wird, sowie Alan Bridgman, der seit Heroes of the Lance dabei ist. Alan Cox programmiert für Personal Nightmare die erste Version der AGOS-Engine, die noch einige Jahre weiterentwickelt und eingesetzt wird. Sie basiert auf der Open-Source-Engine AberMUD und wird später auch in das ScummVM-Projekt aufgenommen.

Im Gespräch mit Oldies but Goodies schwärmt Wadhams von dieser Zeit:

Es ist ein echtes Team. Ich bringe die Ideen ein, wir diskutieren ein bisschen über das Konzept, erstellen Skizzen, versuchen, ein paar Zeichnungen auf den Bildschirm zu bringen, und sehen, was wir machen können. Die Geschichte beginnt sich zu entwickeln.

Oldies but Goodies

Aber auch die Grafiker sollen ihre Ideen einbringen. Dabei entsteht zwar die Herausforderung, die unterschiedlichen Werke zu einem einheitlichen Stil zusammenzubringen, am Ende sind aber alle mit dem Ergebnis zufrieden.

Und worum geht es in Personal Nightmare? Kurz zusammengefasst spielt ihr einen Pfarrerssohn, der aufgrund eines merkwürdigen Briefs in sein Heimatdorf zurückkehrt und feststellt, dass sein Vater verschwunden und jeder Dorfbewohner seltsam und feindselig ist. Natürlich stecken die Mächte des Bösen dahinter, und eure Aufgabe ist es, sie zu besiegen!

Man sieht dem Spiel noch deutlich die Textadventure-Vergangenheit seiner Macher an, obwohl man hier schon von einem frühen Point-and-Click-Adventure mit Grafik  aus der Ego-Perspektive sprechen darf. Ihr könnt in einem Menü Wörter zusammenklicken, die ihr bisher immer eintippen musstet. Insgesamt ist die Steuerung aber nicht besonders ausgereift und bietet noch viel Luft nach oben.

Unter dem Strich sind die Verkäufe ausreichend, damit es mit dem nächsten Spiel weitergehen kann:

In den Urheberrechtsmitteilungen steht, dass wir etwa 10.000 Exemplare verkauft haben. Man kann sagen, dass es einigermaßen gut funktioniert hat. Aber uns ist eine Menge Geld entgangen, weil wir es nicht in den USA verkauft haben.

Und so darf sich eine gewisse Dame auf ihr Bildschirmdebüt freuen…

Pressespiegel: Personal Nightmare

“Michael Woodroffe ist ein glänzendes Comeback gelungen. Personal Nightmare ist ein Grafik-Adventure-Anfang, der Vorbild für weitere noch bessere Werke sein wird. Absolut empfehlenswert!”

Manfred Kleimann in der ASM 9/1989 (via kultboy.com) (Wertung: 12 von 12 für Atmosphäre, ASM-Hit)

Sein Kollege Bernd Zimmermann ist nicht ganz so angetan, gibt aber auch gute 10 von 12 Punkten für die Atmosphäre. Bei der Gesamtwertung (Preis / Leistung) einigen sich beide Tester auf 8 von 12 Punkten, da das Spiel einige Schwächen abseits der Atmosphäre doch einige Schwächen aufweist.

“Wen soll’s da bitte gruseln? Viele läppische Bildchen der dämonischen Finstermänner entlocken jedem videogestählten Achtjährigen allenfalls ein amüsiertes Glucksen. Erst im Lauf des Spiels gewinnt die Grafik allmählich an Qualität. Grundidee und Story von Personal Nightmare sind wirklich nicht übel, doch bei der Ausführung hapert’s.”

Heinrich Lehnhardt in der Power Play 8/1989 (via kultboy.com) (Wertung: 59 %)

Elvira

Anfang der 1980er Jahre erhält die US-amerikanische Schauspielerin Cassandra Peterson von einem US-TV-Sender das Angebot, eine Sendung für B-Horror-Filme zu präsentieren. Passend zum Thema erschafft sie die Kunstfigur Elvira, angelehnt an Vampira und Morticia Addams. Dabei setzt sie vor allem auf Gothic-artigen Sexappeal und lockere Sprüche. Mit dieser Mischung gelingt ihr der Durchbruch und ihre Sendung Movie Macabre, die von 1981 bis 1993 in den USA läuft, wird ein großer Erfolg. Außerhalb ihrer Heimat erlangt sie 1988 mit der Kinofilm-Adaption Elvira – Herrscherin der Dunkelheit weitere Bekanntheit.

Keith Wadhams ist zu diesem Zeitpunkt offenbar bereits Fan und hat schon Pläne für ein Elvira-Spiel, als er Mike Woodroffe auf besagter Amiga-Show kennenlernt. Und es ist wieder einmal Mike, der einen Lizenzdeal aushandelt. Laut eines Interviews mit The Adventurers Guild gelingt ihm das, weil beide zu diesem Zeitpunkt den selben “Talent-Agenten” haben…

Jedenfalls besitzt Horror Soft nun die Lizenz, die Figur Elvira in ihren Spielen (und offenbar auch in ihrem Logo) zu verwenden und Keith Wadhams kann nun endlich sein Elvira-Spiel machen. Doch erst einmal wird die AGOS-Engine neu aufgesetzt, da sie laut Cox zu überladen und kompliziert ist. Die neue Version basiert dann auf Varianten von AberMUD5. Die Geschichte des Spiels schreibt Wadhams in Zusammenarbeit mit Mike und Simon Woodroffe sowie Alan Bridgman. Außerdem werden die Jungs ab sofort auch von Mikes Frau Patricia Woodroffe, die Sekretariatsaufgaben übernimmt, unterstützt.

Das erste Elvira-Spiel erscheint 1990 und soll wie die Vorlage trashigen Horror mit Humor transportieren. Es erinnert auf Screenshots noch ein wenig an Personal Nightmare, allerdings wird der untere Teil des Bildschirms anstelle von Text nun mit Inventar-Symbolen und Charakterwerten gefüllt. Es entwickelt sich zu einem Hybrid aus Adventure und Action-Rollenspiel mit wundervoller 16-Bit-Pixelgrafik (wobei auch die 8-Bit-Konvertierungen später durchaus zu gefallen wissen). Seinen Kultstatus erhält es aber vor allem wegen der liebevoll inszenierten Todesszenen, die sich vor den B-Horror-Movies, die hier Pate standen, nicht verstecken müssen.

Ihr spielt allerdings nicht Elvira, sondern einen Geisterjäger, der von Elvira beauftragt wird, ihr kürzlich geerbtes Schloss von ungebetenen Gästen zu befreien. Dazu gehören Vampire, Werwölfe und viele andere unangenehme Zeitgenossen. Das schafft ihr unter anderem, in dem ihr Tränke braut oder in etwas fummeligen Echtzeitkämpfen versucht, eurem Gegenüber den Garaus zu machen. All das könnt ihr mit der Maus steuern, Texteingaben gehören der Vergangenheit an.

Pressespiegel: Elvira

Die ASM vergibt 12 von 12 Punkten bei der Atmosphäre und 8 von 12 Punkten bei “Preis / Leistung”. Ja, das ist exakt die Wertung, die die ASM auch schon für Personal Nightmare vergeben hat. Auch hier gibt es einen ASM-Hit, zusammen mit der Empfehlung:

“Kauft euch das Ding und lasst euch verhexen, äh … verzaubern!”

Peter Braun in der  ASM 3/1991 (via kultboy.com) (Wertung: 12 von 12 für Atmosphäre, ASM-Hit)

Und wer ist wieder der Spielverderber? Richtig, die PowerPlay. Dort ist das Spiel nur 42 Prozentpunkte wert:

“Das Erforschen des Schlosses macht nur anfangs einigermaßen Spaß, weder die Adventure-, noch die Rollenspielelemente können langfristig begeistern.”

Heinrich Lehnhardt in der Power Play 3/1991 (via kultboy.com) (Wertung: 42 %)

Ganz anderer Meinung ist da der Amiga Joker. Dort kommt das Spiel einer Offenbarung gleich, die Gesamtwertung liegt bei 94 Prozent. Fazit:

“Was immer man sich von einem Adventure erwartet – Elvira hat’s!”

Max Magenauer im Amiga Joker 1/1991 (via kultboy.com) (Wertung: 94 %)

Doch das war es noch nicht! Während das Ursprungsteam beginnt, an einer Elvira-Fortsetzung werkeln, darf ein anderes Team ran, um einen Action-Titel zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit Flair Software, die auch schon bei der Rollenspiel-Elvira als Publisher fungierten, entsteht Elvira – The Arcade Game, das 1991 veröffentlicht wird. Dahinter stecken die Branchen-Veteranen Philip Scott,  Michael HedleyPhilip Nixon und Mark Sample.

Herausgekommen ist dabei ein Plattformer mit Elvira als Hauptfigur, mit der ihr euch durch eine Feuer- und eine Eis-Welt kämpfen müsst, um schließlich Zugang zu eurem transsilvanischen Schloss zu bekommen. Um die riesigen Levels und die darin befindlichen Monster bewältigen zu können, stehen euch eine ganze Reihe an Waffen, Zaubersprüchen und Power-Ups zur Verfügung.

Pressespiegel: Elvira – The Arcade Game

Gleich für zwei Magazine darf Max Magenauer das Spiel testen. Im Amiga Joker 2/1992 (via kultboy.com) zeigt er sich sehr angetan und vergibt 81 Prozentpunkte:

“Elvira – auch in der Actionvariante ein Genuß!”

Max Magenauer im Amiga Joker 2/1992 (via kultboy.com) (Wertung: 81 %)

Etwas anders sieht seine Meinung im Schwestermagazin PC Joker 2/1992 (via kultboy.com)  aus. Für dieser Version lässt er nur 70 Prozent springen und bemängelt:

“Im Vergleich mit der Amigaversion fällt die PC-Elvira leider etwas ab.”

Max Magenauer im PC Joker 2/1992 (via kultboy.com) (Wertung: 70 %)

Die PowerPlay findet die PC-Version gar nicht so schlecht und bewertet sie mit 70 Prozent. Die C64-Version wird allerdings mit 23 Prozent abgestraft:

“Eine etwas ungenaue Steuerung, unfaire Gegnerattacken und ungeschicktes Level-Design verwehren dem Programm ein freundlicheres Gesicht. Besonders die C-64-Version ist, im Gegensatz zur erheblich besseren PC-Fassung, ein Schlag unter die Gürtellinie.”

Michael Hengst in der Power Play 3/1992 (via kultboy.com) (Wertung: 23 % für C64, 70 % für PC)
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Über TheLastToKnow

Adventure-Fan aus dem Ruhrpott, groß (aber nicht erwachsen) geworden mit den SCUMM-Adventures in den 1990er Jahren. Spürt immer wieder kleine Indie-Perlen auf und zerrt sie ans Tageslicht.

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