Die Firma Sierra On-Line hat im Laufe ihrer Geschichte viele Adventures auf den Markt gebracht. Dabei wurde eine riesige Bandbreite an Themen abgedeckt: Die Spieler wurden ebenso in den Weltraum wie in Märchenreiche geschickt, sie verkörperten Polizisten ebenso wie liebeskranke Schwerenöter. Doch ein Segment wurde stiefmütterlich behandelt: Historisch verankerte Geschichten. Nur dank der Autorin Christy Marx finden sich zwei Spiele im Sierra-Portfolio, die sich um britische Sagengestalten drehen. Hier schauen wir uns den ersten Ludographie-Eintrag genauer an – und ignorieren den ungelenken Versuch, das Sierra-Erkennungszeichen namens „Quest“ irgendwie in den Titel einzubauen.
Die Vorgeschichte
Conquests of Camelot beginnt mit einem ausführlichen Intro-Film, der uns in die mittelalterliche Welt des sagenhaften König Artus und seiner Tafelrunde entführt. Die blühenden Landschaften, die unter seiner Herrschaft gediehen, verfallen vor seinen Augen. Der Magier Merlin führt dies auf die unglückselige Liebe zwischen der Königin Guinevere und dem edelsten Ritter seiner Zeit, Lancelot, zurück. Denn obwohl Artus diese Zuneigung schweren Herzens duldet, vergiftet sie doch sein Gemüt und damit indirekt die britischen Gefilde. Gewässer werden faulig, der Weizen verrottet auf den Feldern, die Früchte verdorren an den Bäumen.
In dieser Stunde der Not erscheint den Rittern der Tafelrunde eine Vision des heiligen Grals. Dieser Kelch verspricht laut Merlin die Heilung der tiefen Landes-Wunden. Und so reiten die besten Ritter Englands aus, um das Wunder-Gefäß zu finden: Sir Lancelot, Sir Galahad und Sir Gawain. Diesen Teil übernimmt Conquests of Camelot aus den alten Sagen. Im Spiel allerdings kommt keiner der Ritter zurück, so dass der König selbst sein Reich retten muss. Der Magier Merlin warnt Artus: Während der anstrengenden Suche werden sowohl sein Geist, seine Geschicklichkeit als auch seine Moral geprüft werden. Denn nur der bußfertige Mann wird bestehen.
Die ursprüngliche Sage
Auch wenn Leser dieser Seite bei dem heiligen Gral vermutlich den Kelch eines Zimmermanns vor Augen haben, der sich hinter vielen Fallen in einer Höhle verbirgt und von einem uralten Kreuzritter bewacht wird: Die Sage um dieses Gefäß ist viel älter. Die frühesten Erwähnungen stammen aus dem 12. Jahrhundert. In seiner unvollendet gebliebenen Erzählung Perceval oder die Erzählung vom Gral lässt Chrétien de Troyes den Grail von besagtem Perceval finden. Diese Ritterfigur wird später in weiteren Erzählungen, zum Beispiel von Wolfram von Eschenbach und darauf aufbauend von Richard Wagner ausgebaut (hier eine kurze Zusammenfassung des Bühnenweihfestspiels – keine Sorge, es tut nicht weh). Ähnliche Gefäße wie der heilige Gral finden sich in vielen älteren Überlieferungen. Zum Beispiel gibt es in der keltischen Überlieferung den Kessel der Gottheit Dagda. Eine andere Ursprungs-Idee verfolgt Ludwig Emil Iselin in seinem Buch „Der morgenländische Ursprung der Gralslegende“ aus dem Jahre 1909. Doch ob der christliche Mythos tatsächlich auf älteren Texten aufbaut, ist in der Forschung umstritten.
In den verschiedenen Texten werden dem Gral teils unterschiedliche Ursprünge und Kräfte zugesprochen. Meist gilt er als der Kelch, aus dem Jesus bei seinem letzten Abendmahl getrunken habe. Bei dessen Kreuzigung fing Josef von Arimathäa, ein reicher Einwohner Jerusalems, das Blut Jesu damit auf. Der Legende nach wurde Josef nach Jesu‘ Auferstehung für vier Jahrzehnte ins Gefängnis geworfen und kam als alter Mann nach England, wo er seinen Wanderstab mit den Worten „Are we not weary all“ (übersetzt: Sind wir nicht alle müde?) in den Boden stieß. Der Stab trieb zu einem Dornbusch aus, der auch heute noch auf dem Wearyall Hill nahe Glastonbury stehen könnte, wenn nicht immer wieder Vandalen die Krone absägen oder Triebe zerstören würde. Falls man der Überlieferung überhaupt Glauben schenken möchte, wurde der ursprüngliche Busch allerdings bereits während des englischen Bürgerkriegs gefällt und seitdem immer wieder Nachfolger gepflanzt.
Die bis heute einflussreichste Fassung der Gralssage schrieb Thomas Malory im Jahre 1485: Le Morte d’Arthur. Wobei das Buch wie zum Beispiel die Märchen der Gebrüder Grimm eher eine Sammlung und Übersetzung anderer Quellen ist. Malory hat aus den ihm bekannten Sagen eine relativ durchgehende Geschichte geformt und weiter gesponnen. In den ursprünglich acht Bänden wird die Geschichte des Königs Artus erzählt, so dass begierige Grals-Leser bis Band sechs durchhalten müssen. Hier – wie schon in früheren Versionen der Geschichte ist es der Gralsritter Sir Gawain, der wegen seines reinen Herzens den Kelch findet. Zuvor begeben sich während der langen Erzählung auch andere Ritter – wie auch im Spiel – auf die Queste. Im Gegensatz zu Conquests of Camelot bleibt der König allerdings in seiner Burg zurück und wartet ungeduldig auf die Rückkehr der Helden.
Christy-anisiert
Geschrieben wurde Conquests of Camelot von der Autorin Christy Marx. Bevor sie zu Sierra stieß, hatte sie bereits die Skripte einiger Comics wie Red Sonja und Masters of the Universe beigesteuert. Außerdem arbeitete sie an Skripten für Zeichentrickserien wie Spider-Man, Teenage Mutant Ninja Turtles oder federführend an Jem and the Holograms. Gemeinsam mit ihrem Gatten Peter Ledger schuf sie auch die Comicreihe Sisterhood of Steel. Zu den Computerspielen kam sie dann per Zufall: Als im Jahre 1988 der bis heute längste Streik der Writers Guild of America Marx‘ Einkommensquellen nahezu trockenlegte, kam ihr der Zufall zu Hilfe.
Ein Headhunter rief bei uns an, um zu fragen, ob mein damaliger Ehemann, der australische Künstler Peter Ledger, Interesse daran hätte, Grafiken für Sierra-Computerspiele zu gestalten. Da ich keine Gelegenheit ungenutzt lassen konnte, fragte ich nach, ob sie auch nach Autoren suchten. Kurz darauf fuhren Peter und ich nach Oakhurst, um Ken und Roberta persönlich kennenzulernen. Als wir den Raum wieder verließen, war klar: Wir würden nach Oakhurst ziehen und ein King-Arthur-Spiel für Sierra On-Line entwickeln.
The Adventures Guild, 2016
Für Ken Williams als Sierra-Chef war die Figur des König Artus eine wunderbare Gelegenheit, ein Spiel um eine bekannte Gestalt zu stricken, die keinerlei Lizenzgebühren kosten würde. Außerdem gingen sie so einer grundlegenden Diskussion mit Marx aus dem Weg:
Im ersten Gespräch mit Ken und Roberta stellte ich eine der wichtigsten Fragen: ‚Wenn wir eine neue IP für euch entwickeln, behalten wir dann irgendwelche Eigentumsrechte?‘ Ihre Antwort war klar: Nein, sie wollten sämtliche Rechte für sich. Da ich nicht bereit war, eine neue IP zu entwickeln, ohne zumindest teilweise Eigentumsrechte zu behalten, schlugen sie stattdessen vor, ein King-Arthur-Spiel zu entwickeln.
The Sierra Chest, 2017
Da sowohl Christie Marx als auch Peter Ledger von Mythologien und Legenden fasziniert waren, vergrub sich Marx in ihre Recherchen. Im umfangreichen Handbuch ist ein Auszug ihrer verwendeten Literatur abgedruckt und man kann sagen: Sie hat es sich nicht leicht gemacht. Den ursprünglichen keltischen Wurzeln der Sage und den später hinzugekommenen christlichen Anteile spürte sie in Sachbüchern, Nachschlagewerken und Romanen nach. Aus all diesen Informations-Stückchen formte sie schließlich ihre eigene Welt:
Anstatt mich langweilig und sklavisch an bestimmte Geschichten zu halten, griff ich die Essenz der Artus-Legenden und anderer Mythologien auf, um eine spannende Mischung zu erschaffen, die sowohl herausfordernd als auch unterhaltsam ist. Im Spiel wirst du sicherlich auf Ideen stoßen, die du noch nie mit der König-Artus-Geschichte in Verbindung gebracht hattest.
Conquests of Camelot Handbuch
Doch bei aller Liebe für das Projekt: Marx und Ledger hatten wenig Auswahl, da der Streik ihre Finanzen extrem belastete. Wie Marx sagte: „Entweder, wir würden das machen oder wir wären bankrott und würden unser Haus verlieren.“
Im Verlauf der Design-Phase entschloss sich Marx, Artus auch ins Heilige Land reisen zu lassen. Der Sage nach sollte der Gral zwar in England sein, doch ein wenig Weltenbummelei wertet jedes Spiel auf. Sie kontaktierte einen Freund, der in Israel aufgewachsen war und der sie mit Orten wie dem Teich von Siloah vertraut machte, so dass das Spiel hier wie auch in England auf realen Gegebenheiten aufbauen konnte.
Nun gut: Der britische König sucht den Gral und Heilung also an verschiedenen Orten auf der Welt. Doch selbst die längste Reise beginnt mit einem ersten mutigen Schritt. Und den geht Artus in seinem eigenen Schloss Camelot. Nach dem Vorspann finden sich Spieler und englischer König auf dieser Übersichtskarte wieder.
The Glorious Quest
Der Entschluss des Königs ist gefasst: Er wird sich auf die Suche nach dem heiligen Gefäß begeben. Doch Vorsicht ist geboten: Die Sage lehrt, dass nur ein würdiger Mensch bei dieser Queste erfolgreich sein kann. Wird Artus auch nur eine seiner Tugenden vermissen lassen, wird ihm der Gral verwehrt bleiben. Zunächst streift unser Held allerdings durch seine Burg und rüstet sich. Denn wenn einer eine Reise tut, dann benötigt er Geld, Waffen und Rat. Letzteren erhält er von Merlin, der ihm auf einer großen Landkarte auch einige Wegpunkte an die Hand gibt, die Artus aufsuchen sollte. Ein kleiner Garten ist der Aufenthaltsort der Königin, die Artus herzlich verabschiedet, während ihre Gedanken offensichtlich bei Lancelot weilen. Immerhin küsst sie ihren Gatten und schenkt ihm eine Rose.
In der Kapelle kann der König beten. Und da Geben seliger denn Nehmen ist, antworten ihm die Götter sogar, wenn er ein wenig Gold opfert. Götter? Ja, denn Marx greift die keltisch-römisch-christliche Mischung der damaligen Zeit auf. So erhört nicht Jesus sondern Mithras unser Gebet und schenkt Artus Visionen der vermissten Gralsritter. Alle drei stecken in Schwierigkeiten und rufen ihren König um Hilfe an. Eine weitere Gold-Gabe an der christlichen Altar-Seite belohnt den König mit einer Vision des Grals und der erneuten eindringlichen Warnung, sich dieses Gefäßes würdig zu erweisen. Dann also auf, auf und davon. Ritter retten, Gral finden, Land heilen. Wie schwer kann das schon sein?
Wenn Finger über Tasten hasten
Während Artus nun auf seinem treuen Ross die Burg verlässt, möchte ich kurz über die Steuerung sprechen. Conquests of Camelot nutzt die 1988 mit King’s Quest IV: The Perils of Rosella eingeführte SCI-Engine. Die sorgte zwar für eine höhere Auflösung von 320 auf 200 Bildpunkten bei 16 Farben, doch noch verlässt sich Sierra auf die Interaktion via Parser. Die Spielfigur lässt sich mittels Mauszeiger oder Cursortasten bewegen und muss teils sehr genau an der vom Programm gewünschten Stelle stehen, um die erhoffte Reaktion des Spiels auszulösen. Da ein halbes Jahr nach Conquests of Camelot mit King’s Quest V: Absence makes the the Heart go yonder! die Point-and-Click-Steuerung Einzug in den Sierra-Code hielt, wirkt die Camelot-Steuerung heutzutage leicht angestaubt, doch mit ein wenig Eingewöhnung geht sie dennoch gut von der Hand. Nickeligkeiten bei Türen und anderen engen Durchgängen sind hier allerdings ebenso gegeben wie die Suche nach dem korrekten Wort für den Parser.
In der Zwischenzeit hat Artus die britischen Weiten erreicht. Die Welt steht ihm offen, so dass seine eigentliche Suche beginnen kann. Wobei der Ersteindruck der großen Karte mit den vielen Punkten trügt: Klicke ich frohgemut die einzelnen Landmarken an, kommen Meldungen wie „St. Sidwell’s waters in Exeter will reveal nothing of use“ oder „There is nothing of worth to milk from Braunton“. Am Ende bleiben vier Stationen übrig – zwar immer noch genug, doch dass die vielen Möglichkeiten zwar angezeigt, aber nicht genutzt werden können, schmerzt.
Im Zuge dieser kleinen Reise durch sein Reich trifft Artus auf einige Rätsel, seltsame Wesen und auf seine drei verloren gegangenen Ritter, die er aus ihren jeweiligen misslichen Lagen befreien muss. Um zum Beispiel zu Lanzelot zu gelangen, muss unserer kühner König einen gefrorenen See überwinden und das Herz der Eiskönigin erweichen. Sie hält unseren ersten Ritter gefangen, weil er ihre Liebe verschmäht. Artus solle ihr dankbar sein, dass sie ihm, dem König, einen Rivalen vom Leibe hält. Doch wahre Männerfreundschaft siegt über solche Trivialitäten. Nachdem Artus der Eis-Dame einen geliebten Gegenstand beschafft hat, bittet er im Gegenzug um die Freiheit seines Ritters. Diese will sie auch gewähren, verlangt allerdings zunächst einen Test. Artus solle drei Rätsel lösen, die mit den Eigenschaften einiger Blumensorten in Verbindung stehen. Auf diese Weise ist auch das wunderbar aufgemachte Handbuch als Kopierschutz mit ins Spiel integriert, weil dort die Blumen allesamt aufgeführt sind.
Nachdem er die drei korrekten Blumen benannt hat, bekommt Artus seinen Ritter wieder. Beziehungsweise wird Lancelot von der Eiskönigin zurück nach Camelot appariert, um sich dort zu erholen. Mittlerweile scheint es seiner eisigen Wächterin egal zu sein, dass er dort auch seine Herzenskönigin vorfinden wird, während Artus wegen genau dieser Liebe durch die Weltgeschichte reist. Von der Eismaid erhält Artus auch den Hinweis, dass der Gral sich mitnichten in englischen Gefilden befindet. Er solle nach Jerusalem reisen, um den Kelch zu finden. Praktisch, dass sein dritter vermisster Ritter dieser Spur ebenfalls gefolgt ist und nun weit entfernt von heimischen Gestaden auf Rettung hofft. Artus besteigt ein Schiff und segelt gen Jerusalem. Allerdings wäre Conquests of Camelot kein Sierra-Spiel, wenn er nicht auch einen anderen Zielort auswählen könnte. Segelt Artus zum Beispiel stattdessen nach Dublin, metzelt ihn eine Wikinger-Meute hin. Dann also lieber ins Heilige Land.
Dort eingetroffen, lassen wir Artus mit seiner Queste alleine. Die neue Umgebung sorgt natürlich für neue Gefahren, neue Rätsel und neue Minispiele. Besonders gut gefallen hat mir der Abschnitt auf dem Jerusalemer Basar. Dort tummeln sich eine Vielzahl von Menschen, denen Artus jeweils Gutes tun sollte, um seine Werte weiter zu steigern. Die Rätsel sind selten mal komplexer und wir müssen ständig zwischen den Bildschirmen hin und her wandern, aber die vielen Gespräche und kleinen Schicksale lassen das Gefühl aufkommen, an einem pulsierenden Fleckchen Erde wirklich etwas bewirken zu können.
Arthur – Twelve Points
Die bereits erwähnten Tugenden des Königs finden sich natürlich im Spiel wieder. Statt des sonst bei Sierra-Titeln üblichen Punktezählers, der fortwährend nach oben geht, sammelt Artus in drei verschiedenen Kategorien Punkte, um würdig genug für den Gral zu sein. Marx schlüsselt sie im Lösungsbuch folgendermaßen auf:
Ihre Geschicklichkeit wird durch die verschiedenen, ins Spiel integrierten Kampf- und Arcade-Sequenzen auf die Probe gestellt. Manchmal sind nur schnelle Reflexe gefragt, doch ebenso oft müssen Sie die Taktik Ihres Gegners durchdenken und eine passende Strategie gegen ihn entwickeln.
Die Prüfung Ihrer Weisheit ist ein zentrales Element des Spiels. Es geht darum, Wissen durch Beobachtung und vor allem durch gezielte Befragungen zu erlangen. Anschließend sollten Sie über das erworbene Wissen nachdenken und es bei Gelegenheit anwenden.
Die Prüfung der Seele dreht sich im Ihre geistige Reinheit und Ihr moralisches Verhalten. In jeder Legende über einen heiligen Kelch oder Gral wird der Wert desjenigen beurteilt, der versucht, ihn zu erlangen. Dieser Wert basiert auf Mut, Güte, Mitgefühl, Treue und ähnlichen positiven menschlichen Eigenschaften. Für genau diese Eigenschaften werden Sie in diesem Spiel belohnt, und nach diesen Taten wird Ihre Seele beurteilt.
Conquests of Camelot Hint Book
Heutzutage tummeln sich im Internet allerlei Listen mit der genauen Aufschlüsselung der Punkte. Wichtig war und ist es, möglichst jeden Gegenstand und jede Person zu untersuchen, zu öffnen, anzusprechen und auf jede erdenkliche Art zu benutzen. Die eingestreuten Action-Sequenzen ergeben je nach eingestelltem Schwierigkeitsgrad unterschiedliche erzielbare Punkte, so dass selbst bei perfekter Spielweise dank des leichtesten Schwierigkeitsgrades „nur“ 313 Skill-Punkte erzielt werden können. Von übrigens 379 erreichbaren – nicht wie im Spiel behauptet 368 oder wie im Lösungsbuch angegeben 362.
Auffällig ist das undurchsichtige Geld-System des Spiels. Artus führt in England drei Münz-Arten mit sich: Gold, Silber und Kupfer. Eine Goldmünze entspricht fünf Silbermünzen, einer dieser Silberlinge wiederum ist fünf Kupfermünzen wert. Hat Artus Camelot mit seiner prall gefüllten Börse erst einmal verlassen, kann er nur in Jerusalem (wo sich auch die Währung samt der Umrechnung ändert) wieder Geld erhalten – und selbst dann nur ein einziges Mal. Der ganze Rest des Spiels fühlt sich an wie ein üblicher Monat im Leben eines Angestellten: Das Geld fällt fast von alleine aus dem Geldbeutel und versickert. Umso lästiger ist es, dass nur in den wenigsten Momenten klar kommuniziert wird, welchen Betrag das Spiel von Artus erwartet. Gibt er in der Kapelle zu Spielbeginn nur Kupfer oder Silber, wird ihm der göttliche Segen nicht erteilt – die Münze ist dennoch verloren. Etwas später trifft der König auf einen Jäger, der sich Münzen erhofft. Münzen. Mehrzahl. Doch nach ein wenig Versuch und Irrtum stellt sich heraus, dass er auch mit einer einzelnen Kupfermünze zufrieden ist und Artus‘ Werte bereits durch diesen bescheidenen Betrag steigen. Den Speer wiederum, der unschuldig neben dem Jäger im Walde steht, gibt er uns nur gegen eine Goldmünze. Und dieser Speer wird im nächsten Bildschirm – und hier im nächsten Abschnitt sehr wichtig.
Minispiele
Wie viele andere Adventures bietet auch Conquests of Camelot Abwechslung von der eintönigen Rätsellöserei. Und wie viele andere Designer auch geht Christy Marx offensichtlich davon aus, dass die Spieler das goutieren werden. Ich denke allerdings, dass ich wie viele andere Spieler auch bereits beim ersten dieser Minispiele geflucht habe. Im Wald kommen Artus in schneller Folge drei Eber entgegen, die er mit dem eben erworbenen Speer töten kann und sollte – denn sonst tritt flott einer der Sierra-üblichen Bildschirmtode ein. Ein beherzter Druck auf die Space-Taste treibt dem Tier den Speer durchs Herz – doch dies funktioniert nur in einem extrem kleinen Zeitfenster. Noch dazu gibt es keinerlei Hinweis darauf, wann dieser perfekte Moment sein wird. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, müssen die drei Tiere nacheinander erlegt werden, ohne dazwischen speichern zu können. Einmal Glück reicht also nicht.
Nur wenige Bildschirme weiter trifft Artus auf den schwarzen Ritter, der ihn zu einem Lanzen-Wettstreit herausfordert. Auch hier gilt es, drei Durchgänge ohne Zwischenspeichern zu überstehen. Der Spieler kann die Positionen seines Schilds sowie seiner Lanze mit mehreren Tasten korrigieren, während sein Gegner auf ihn zureitet. Ziel ist es natürlich, die gegnerische Lanze mit dem eigenen Schild abzuwehren, während die Wucht der eigenen Lanze den schwarzen Wicht vom Pferd wischt. Zum Glück lässt sich der Schwierigkeitsgrad solcher Einlagen in drei Stufen regeln, doch eine siegreiche Taktik habe ich nicht gefunden. Letzten Endes habe ich Schild Schild sein lassen und nur versucht, mit meiner Lanze den Ritter gut genug zu treffen. Nur, um wiederum einige Bildschirme weiter wild mit dem Schwert fuchtelnd einen verrückten Mönch abwehren zu müssen. Man merkt es vielleicht an den subtilen Untertönen: Ich bin kein Freund dieser Einlagen und überstehe sie nur zähneknirschend, um danach wieder ein Adventure genießen zu können.
Tode
Jeder Leser eines Artikels über Sierra-Spiele fiebert der Antwort auf eine ganz bestimmte Frage entgegen: Gibt es wieder die Möglichkeit, zu sterben? Nun, ich kann euch beruhigen. Natürlich bietet auch Conquests of Camelot erneut ein Füllhorn an Chancen auf den Exitus. Der Eissee aus der Lanzelot-Episode ist selbstverständlich brüchig, die Eber tödlich – und selbst Pilze im Wald sollten mit Vorsicht betrachtet werden. Wobei Marx im Vergleich zu anderen Sierra-Designern einige Hinweise mehr gibt. Bei besagten Fungi-Ansammlungen warnt das Spiel explizit vor Verzehr. Wer es dennoch (sinnvollerweise nach dem Speichern) versucht, wird mit einem blümerant dreinblickenden Artus belohnt, bevor dieser verstirbt. Frühes Speichern, häufiges Speichern. Aber wem erzähle ich das?
Wer alle Tode erleben möchte, hat in drei kurzen Videos von YouTube-Nutzer MrWhitman die Gelegenheit dazu. Lasst euch von der Menge nicht täuschen: Viele der Tode sind problemlos vermeidbar oder kündigen sich zumindest an. Wer das erste Mal an einem der Eber gescheitert ist, speichert zukünftig direkt vor einer Actionsequenz ab, ebenso bei Rätseln wie den Blumen im Eispalast.
Die Entwicklung
Christie Marx und Peter Ledger kamen zwar aus erzählerischen beziehungsweise künstlerischen Berufen, doch das zu diesem Zeitpunkt noch recht neue Medium Computerspiele war ihnen bis dahin fremd. Am nächsten dran dürfte Marx mit der von ihr geschriebenen Episode Video-Man der Serie Spider-Man and His Amazing Friends gewesen sein. Entsprechend fremd war beiden die technische Seite einer Spiele-Produktion. Marx spielte sich erst einmal durch jedes bis dahin erschienene Sierra-Adventure und schrieb sich die Dinge auf, die für sie funktionierten. Sie sprach mit den Programmierern, um zu erfahren, was technisch überhaupt umsetzbar war und sie schaute den anderen Designern vor Ort über die Schulter. Bei Sierras Programmierer Robert Heitman lernte sie direkt eine wichtige Lektion:
Ich fragte ihn, ob er dieses und jenes umsetzen könnte. Er sagte: „Wir können alles machen. Aber hast du die Zeit und das Geld dafür?“
MAMECast
Es gab keine festgelegten Design-Strukturen und jeder arbeitete nach seiner ganz eigenen Methode. Marx konnte aus den Design-Unterlagen von Jim Walls, dem Erfinder der Police Quest-Reihe, am meisten lernen, weil sie ihrer Erinnerung nach am ehesten strukturiert waren und ihrem eigenen Ansatz am nächsten kamen.
Als ich dort [in Oakhurst] ankam, herrschte eine offene und kreative Atmosphäre. Wir hatten viel Freude beim Entwickeln von Spielen und konnten uns frei entfalten. Da die Spiele für uns alle neu waren, experimentierten wir ohne Scheu und genossen die gemeinsame Zeit.
The Sierra Adventure
Gemeinsam mit Guruka Singh Khalsa, Sierras erstem hauptamtlichen Producer, entwickelte Marx die ersten Ideen. Er erinnert sich im Interview mit Shawn Mills:
Wir saßen draußen auf dem Gras, skizzierten Dinge. Wir unterhielten uns über die Logik von Rätseln und waren begeistert von überraschenden Wendungen, wenn wir sie in die Rätsel einbauen konnten.
The Sierra Adventure
Khalsa war zwar begeistert von Marx‘ schneller Auffassungsgabe und ihrem storygetriebenen Ansatz, dennoch stellte sie die neue Aufgabe vor Probleme. Comics und Fernsehserien sind linear erzählte Medien, während Computerspiele – und hier in besonderem Maße Adventures – nonlinear erzählt werden. Marx bemühte sich, dieser Erzählform gerecht zu werden, wurde aber von anderen Sierra-Mitarbeitern immer wieder aufgefordert, noch offener zu designen. Was dies wirklich bedeutete, wurde ihr erst bei einer Convention in Fresno bewusst, auf der sie die erste Hälfte des Spiels erstmals Spielern außerhalb von Sierra zeigte:
Ich stand da und beobachtete sie. Diese Menschen agierten völlig chaotisch und handelten ohne jegliche Logik. Sie taten einfach alles, was ihnen gerade in den Sinn kam, ohne auf die Hinweise zu achten. In diesem Moment wurde mir endlich klar, was die anderen meinten.
MAMECast
Parallel versuchte Peter Ledger, mit den Einschränkungen der EGA-Auflösung und den 16 Farben zurechtzukommen. All seine bisherigen Arbeiten hatten ihn nicht auf so etwas vorbereitet. Laut Khalsa sagte Ledger: „Ich bin Künstler! So kann ich keine Kunst schaffen!“ Der Grafiker machte seinen Frieden mit dem Spiel erst, als er eine Idee hatte. Khalsa:
Peter fragte, ob er alte druidische Ikonologie in das Spiel einbauen könne. Eine Menge phallischer Pilze und solche Dinge. Ich sagte: „Du kannst in das Spiel einbauen, was immer du willst.“ Daraufhin war er begeistert und hatte viel Spaß dabei, geheime Easteregg-Artworks einzubauen.
The Sierra Adventure
Eastereggs
Neben den Symbolen, bei denen sich Ledger austoben konnte, gibt es auch zwei klassischere Eastereggs. Das erste ist bereits in Camelot versteckt. Wer in der Schatzkammer die völlig offensichtliche Eingabe „ham and jam and spam a lot“ tippt, wird mit einer kurzen Tanzeinlage und der Einblendung „In memory of Graham Chapman“ belohnt. Der britische Komiker, Mitglied der Monty Pythons, verstarb 1989 und wird uns allen als Brian und – im Zusammenhang mit Conquests of Camelot besonders – König Artus aus Die Ritter der Kokosnuss in Erinnerung bleiben. Wer diesen Ausschnitt noch nicht kennt, sollte sich fünf Minuten für den Andachtsgottesdienst zu Chapmans Ehren Zeit nehmen.
Ist König Artus später im Spiel am Hafen angekommen, kann er sich das Schiff genauer betrachten. Bei „look name“ erhält der Spieler die Auskunft „It is Greek for Kristi“. Wer es genauer wissen möchte und dann noch „look kristi“ eintippt, wird mit der Einblendung „Peter loves Christy and Christy loves Peter and that is all you need to know.“ belohnt.
Einen kleinen Rausschmeißer zum Schluss habe ich noch: Der Name des Spiels war nicht ganz so sehr in Stein gemeißelt, wie es heutzutage wirkt. Im Sierra-eigenen Magazin aus dem Frühjahr 1990 schreibt Bridget McKenna von „Conquests of Camelot 1: The Search for the Grail“. Christy Marx selbst nennt das Spiel im eigens verkauften Lösungsbuch ebenfalls mit der Ziffer. Sie hat allerdings nie in Interviews über eine angedachte direkte Fortsetzung gesprochen, also war diese Namensgebung eventuell ein Fehler. Ein Sierra-Spiel ohne Nummerierung? Nahezu undenkbar! Zum Glück gab es dennoch ein zweites Spiel von Marx. Während sie sich bereits intensiv für ein zweites Spiel mit der griechischen Mythologie beschäftigte, winkte Roberta Williams mehrere Male mit immer größeren Zaunpfählen: Robin Hood wäre derzeit doch DAS Thema. Was Christy Marx daraus gemacht hat, ist definitv einen eigenen Artikel wert.
Quellen: Der sehr kurze, aber dabei sehr informative Interview-Podcast MADECast des Museum of Art and Digital Entertainment war extrem hilfreich. Matthias Egeler hat ein wunderbares kurzes Buch über den heiligen Gral geschrieben. Auf Sierra Chest sind sowohl ein Interview mit Christie Marx als auch die das Spiel betreffenden Seiten aus dem Sierra Magazine Spring 1990 zu finden. Außerdem kann man dort dem Soundtrack lauschen. Das Interview auf The Adventure Guild konzentriert sich zwar sehr auf den Nachfolger, aber auch Camelot wird ein Besuch abgestattet. Die wenigen Seiten, die Shawn Mills in seinem Buch The Sierra Adventure dem Spiel widmet, sind ebenfalls vollgepackt mit Interview-Schnipseln – ganz besonders die Einlassungen von Guruka Singh Khalsa waren sehr wertvoll für mich. Die ganzen Quellen, in die ich mich wegen der Gralsgeschichte vergraben habe, tun hier nichts zur Sache. Sagen wir: Ich habe es übertrieben, weil es so spannend war. Wo es sinnvoll war, habe ich die entsprechenden deutschen Wikipedia-Einträge verlinkt. Die Auflistung der verschiedenen Punkte habe ich der Seite eristic.net entnommen.
Ein äußerst gelungener Artikel zu einem interessanten Adventure, das für meinen Geschmack allerdings zu viele Design-Sünden begeht. Also ein klassisches Sierra-Spiel. 😉
Danke für deine Mühe, die Hintergrundinfos waren mal wieder spannender als das Spiel selbst. 🙂
Sehr schöner und ausführlicher Artikel zum, meiner Meinung nach, besten Adventure von Sierra. Die Karte hing jahrelang über meinem Schreibtisch. Ich habe das Spiel geliebt und es steht auf der Liste von Spielen, die ich irgendwann nochmal spielen möchte. Das würde ich mir mal als Remake und dann am besten noch als Rollenspiel wünschen. Im Nachhinein betrachtet, ist es das beste Spiel zu der Gralssage das ich kenne. Was hätte Arthurian Legends nur für ein Spiel werden können… (geplantes Artus-Spiel von Origins auf der Engine von Ultima VII (Das beste Spiel aller Zeiten!)). Vielen Dank für den Link zur Sierra Chest mit dem Soundtrack. Mein Soundtrack, den ich vor Jahren auch irgendwo mal gezogen habe, hat nämlich nur 35 Stücke, der hier hat 52. *schlurp*
PS: Der Link zu der kurzen Zusammenfassung des Bühnenweihfestspiels funktioniert nicht.
Arthurian Legends? Klingt spannend. Geplant leider weniger 🙁 Ich bin derzeit an Conquests of the Longbow dran und bin mir noch nicht sicher, welches Spiel gewinnt. So oder so ist Camelot ein gelungenes Adventure mit tollem geschichtlichen Ansatz. Ich liebe so etwas.
Oha, der Link war tatsächlich komplett hinüber. Seltsam. Jetzt müsste es gehen. Freut mich, dass ein Leser tatsächlich auf die Sachen klickt 🙂
Vielen Dank für diesen ausführlichen Artikel!
Man liest buchstäblich, wie viel Arbeit und Energie du da reingesteckt hast. 😊
Ich selbst wurde mit vielen der Sierra-Titel nie so richtig warm. Dieses Game hier ist allerdings komplett an mir vorbeigegangen.
Umso schöner, es dank deines Artikels so Revue passieren zu lassen. 🫶
Ich habe ja mittlerweile einiges an Interviews und Artikeln über Sierra gelesen. Offensichtlich haben sich dort einige seltsamen Gestalten zusammen gefunden, die ohne Vorkenntnisse oder genaue Vorgaben mit Spieldesign angefangen haben. Ich will die Schwierigkeiten vieler Sierra-Adventures nicht kleinreden, finde eher die Trefferquote erstaunlich, in der mir die Sachen dann trotzdem gefallen. So etwas wie Playtesting gab es in dieser Firma viel zu spät. Aber falls Du mal in eines reinspielen möchtest: Conquests of the Longbow hat wegen seiner Item-Steuerung einige Schwierigkeiten weniger als Camelot.
Klugscheißermodus an:“ Es heißt Icon-Steuerung.“ Klugscheißermodus aus.
Der Artikel ist wirklich super, schöne Hintergrundinfos, die ich so gut wie alle nicht gekannt habe.
Vielen Dank, freue mich schon auf den Artikel über Conquest of the Longbow.
Du hast natürlich recht. Keine Ahnung, was mich da geritten hat 😀
An Longbow bin ich zwar dran, werde aber eine Weile brauchen. Erst einmal bin ich auf der Buchmesse in Frankfurt. Und dann mal sehen, wie viel Zeit ich erübrigen kann. Denn natürlich will ich es möglichst gut machen – und verplempere jetzt schon zu viel Zeit damit, die alten Hood-Sagen zu lesen.
Ein sehr schöner Artikel zu einem echt wundervollen Spiel!
Vor vielen Jahren als Teenager fragte ich mal einen meiner Lehrer (als wir gerade das Thema hatten), was denn seiner Meinung nach die gelungenste Umsetzung der Arthus-Legende sei. Er lächelte mich an und meinte fast schon leicht beschämt: „Es gibt da so ein Computer-Spiel…“
Und, ja, es ist eine verdammt gelungene Umsetzung der Gralslegende und eines meiner allerliebsten Adventures.
Es hat schon seine sperrigen Sächelchen, die man halt auf sich nehmen muss. Und dass man hier noch nicht wie im Nachfolger, die Action-Sequenzen ganz abschalten kann, ist schon schade.
Aber sonst ist das Spiel schon (für ein Parser-Spiel) sehr bequem: Die Maussteuerung für die Bewegung ist sehr präzise (wenn auch natürlich nur in einer geraden Linie), die Tatsache, dass man mit Rechtsklick ganz Vieles einfach mit der Maus anschauen kann, erleichtert die Wortfindung enorm, wenn man nicht genau erkennt, was das auf dem Bild denn sein soll.
Vielleicht der großartigste Aspekt – so sehr ich die Puzzleketten und die Story auch mag – ist aber die Atmosphäre des Spiels: Du hast das schon toll beschrieben, aber ich finde, das darf ruhig nochmals gelobt werden. Allein die Tatsache, dass Merlin der Erzähler ist, und ganz viel wundervolle Beschreibungen, Erklärungen und Erzählungen beiträgt, finde ich hervorragend!
Ja, der Nachfolger ist dann in eigentlich allen Belangen nochmals besser, aber schon dieses kleine Meisterwerk hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen.
Wow :O
Erstmal die Bilder vom Spiel gefallen mir sehr sehr gut, das wirkt sogar heute noch immer sehr sehr hübsch.
Die Entstehungsgeschichte finde ich auch äußerst interessant und hätte nicht gedacht, daß es ein Sierra Spiel gibt, daß die „typischen Tode“ hier ein wenig umgeht.
Und der Merlin gepixel erinnert mich sehr an dem Zauberer am Anfang von King’s Quest V oder dem anderen Zauberer, der Dich im Spiel verwandeln kann.
Der ganze Artikel ist super 😀