Captain Bible in Dome of Darkness

Marvel-Filme haben uns ein Bild des Superhelden-Alltags vermittelt: Böse vermöbeln, Gute beschützen und reihenweise Einzeiler raushauen. All das gibt es hier auch. Das Spiel ist nur geschwätziger.

Vor einiger Zeit habe ich auf Twitter ein Spiel entdeckt, von dem ich noch nie gehört hatte. Zugegeben: Das passiert öfters mal. Aber dieses hier war anders: Es klang obskur genug, um interessant zu sein und ich wollte mehr darüber wissen. Computerspiele, die christlichen Glauben in den Mittelpunkt stellen, sind relativ rar gesät und soweit ich sie gesehen habe, eher durchklickbare Bilderbücher für Kinder als Spiele, wie ich sie sonst so kenne. Mit I am Jesus Christ steht auf Steam für dieses Jahr ein Titel in den Startlöchern, in der ihr 30 seiner Wunder in Ego-Perspektive nachspielen dürft. Oder ihr sorgt in The Secrets of Jesus dafür, dass der Gottessohn nach seiner überlebten Kreuzigung die Frau fürs Leben findet. Ganz so weit geht Captain Bible in Dome of Darkness allerdings nicht. Dafür ist sowohl seine Hintergrundstory als auch sein Protagonist auf eine seltsame Weise interessant. Mal sehen, ob ich euch diese Faszination ein wenig näher bringen kann.

Captain Bible in Dome of Darkness spielt in einer nicht näher benannten Zukunft. Über eine Stadt wird eine Käseglocke – Pardon, natürlich der Dome of Darkness – gestülpt und schneidet sie von der Außenwelt ab. Erzeugt wird diese Kuppel durch einen Turm der Täuschung, der die Menschen anfällig für Lügen macht. Bisher konnte von außen nur ein kleines Loch in den Dome geschnitten werden. Und durch dieses soll nun Captain Bible eindringen, um dem finsteren Treiben ein Ende zu bereiten. Schon hier ist auffällig, dass unser wackerer christlicher Captain auch bereit gewesen wäre, mit einem Großaufgebot die Feinde einfach abzuschlachten, aber dafür ist das Loch leider zu klein. Also bleibt ihm nur, alleine mit seiner elektronischen Bibel loszuziehen, um die Lügen und Täuschungen mit dem Buch der Bücher aus der Welt zu schaffen. Kleines Problem hierbei: Die Bibel wird beim Beam-Vorgang gelöscht und unser wackerer Held steht plötzlich ohne einen einzigen Bibelvers da. Wie soll er denn da die Lügen widerlegen? Aber auch hierfür gibt es eine Lösung: An eigens in die Stadt gebeamten Stationen kann Captain Bible jeweils ein Zitat finden und abspeichern. Wieso diese Stationen den Transport schadlos überstehen und die E-Book-Bibel nicht, wird leider nicht erklärt. Vermutlich sind die Stationen einfach stabiler, da mannsgroß – aber ihre robusten Speicherchips können dafür nur ein paar Wörter speichern. Tja, Digitales ist flüchtig.

Einen Vers haben wir schon mal.

Schere, Stein, Papier, Matthäus, Lukas

So weit die Grundidee dieses Spiels aus dem Jahre 1994. Entwickelt und vertrieben wurde es von der Firma Bridgestone Multimedia Group, die bis heute im christlichen Filmbereich aktiv ist. Auf ihrer Internetseite stehen als aktuellste Veröffentlichungen Filme wie Translated, in dem der Apostel Paulus in unserer Gegenwart und dem kleinen Kaff Rome, Oregon auftaucht. Oder The Exorcism in Amarillo, dessen Titel wohl selbsterklärend ist. Die Firma ist also bis heute aktiv, aber Captain Bible in Dome of Darkness blieb ihr erster und einziger Beitrag zum Videospiel-Markt. Der Kopf hinter diesem Spiel ist Peter Engelbrite, der für Epyx die Umsetzungen diverser Sport-Spiele wie der Winter Games auf dem Atari 2600 stemmte. In den folgenden Jahren konzentrierte er sich allerdings immer mehr auf den Markt christlicher Spiele und brachte zum Beispiel 1992 den Bible Builder auf den Markt, in dem der Spieler bereits Bibel-Verse korrekt zuordnen musste. Wie Engelbrite und die Bridgestone Multimedia Group zusammenfanden, konnte ich leider nicht herausfinden, weil Interview-Anfragen von mir ins Leere liefen.

Tatsache ist aber, dass ein recht kleines Team rund um Peter und Eve Engelbrite das Spiel entwickelt und veröffentlicht hat. Laut Moby waren vier Team-Mitglieder für die Bibel-Forschung zuständig und sieben Menschen trugen zur Grafik bei, während die eintönige Musik etwas mehr Input hätte vertragen können, da sie zwar sauber, aber recht uninspiriert vor sich hin pluckert.

Die Gegner sind abwechslungsreich und gut designed.

Zurück zum Spiel. Captain Bible ist also in den Dome of Darkness eingedrungen und findet direkt seinen ersten Bibelvers. Es kann losgehen! Was nun folgt, erinnert ein wenig an das Beleidigungsfechten aus The Secret of Monkey Island: Begegnet uns in den Gängen ein Gegner, blinkt am oberen Bildschirmrand eine Warnung in roter Schrift auf. Cyber Lie! Mit eben dieser Lüge wird Captain Bible nun konfrontiert. Zum Beispiel stellt sich uns ein großer Roboter entgegen und besteht allen Ernstes darauf, dass jeder Mensch, der von sich behauptet, ein Christ und auf einer Mission zu sein, vertrauenswürdig ist. Kein Problem für unseren tapferen Helden! Ist die richtige Antwort doch Matthäus 7:15: „Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen! Inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Flugs also den richtigen Spruch in der Cyber-Bibel gesucht und angeklickt. Anschließend gibt es noch einen kleinen Quicktime-Kampf gegen den Bösewicht, der aber in den seltensten Fällen ein Problem darstellen dürfte.

Problematisch wäre dagegen, wenn Captain Bible den korrekten Spruch noch nicht in seiner Bibel gespeichert hat. Denn ein eigenes Gedächtnis hat der gute Mann leider nicht. Neue Verse für seine Kämpfe gibt es nur an den verteilten Stationen, die teilweise erst dann erreichbar werden, wenn die Gegner davor aus dem Weg geräumt wurden. Das Spiel wird also recht schnell zu einer Art Puzzle-Spiel, bei dem die einzelnen Teile erst gefunden und an der richtigen Stelle verwendet werden müssen. Dazu bewegt ihr Captain Bible abschnittsweise durch eine dreidimensionale Umgebung, die durch Pfeile die jeweiligen Ausgänge anzeigt. Solltet ihr einem Gegner begegnen, den ihr noch nicht besiegen könnt oder bei dem ihr eine falsche Antwort ausgewählt habt, hat das aber keine Auswirkung. Cap schüttelt nur den Kopf und das Monster bleibt an Ort und Stelle stehen, bis wir die Erleuchtung gefunden haben. Eine Ausnahme stellen betretbare Räume dar, in denen Gegner lauern. Sollten wir dort keine richtige Antwort parat haben, erleiden wir Schaden, bevor wir uns zurückziehen.

Captain Bible dringt unauffällig in die Stadt ein.

You gotta have faith

Erleichtern kann ich mir die Kämpfe auf zwei Wegen: Zum einen kann ich sie schlicht und ergreifend auf Automatik schalten und muss mir dann nur noch Sorgen machen, dass der Zufallsgenerator dem Gegner zu viele Treffer zugesteht. Zum anderen kann ich Captain Bible in überall herumstehenden Kapellen beten lassen und dort Gott um das Schwert des Geistes, den Schild des Glaubens oder schlicht um eine Kerze bitten, die die Dunkelheit auf unserem Pfad erhellen soll. Natürlich bekomme ich diese Gegenstände nur mit der korrekten Bibelstelle. Wobei ich in den Kämpfen schon mit Schwert und Schild rum fuchtle, bevor ich sie eigentlich freigeschaltet habe. Das Erspielen der Gegenstände scheint auch keine Auswirkung auf die Schwierigkeit der Kämpfe zu haben. Nun gut. Zusätzlich kann ich in der Kapelle Bibles Glauben wieder auffüllen lassen, der in diesem Spiel die Gesundheitsanzeige ersetzt. Werde ich von Gegnern getroffen, leidet mein Glaube. Irgendwie logisch. Falls ich den Glauben mal völlig verloren haben sollte, erscheint ein Bild, das mich an die Wolken im Simpsons-Vorspann erinnert. Nur, dass statt des Seriennamens die klare Botschaft „Don’t give up!“ eingeblendet wird. Und schon ist Captain Bible samt aufgefülltem Glaubens-Konto in einer Kapelle und kann weitermachen.

Am Ende eines Abschnitts habe ich ein erkleckliches Arsenal an Bibelversen angehäuft und stehe nun dem jeweiligen Endgegner gegenüber. Dort ist es nicht mit einem Vers getan. Nein! Ich habe tatsächlich in einem längeren Gespräch ab und zu auch mehrere Antworten zur Auswahl, wobei meistens nur eine davon nicht wie kompletter Blödsinn klingt. Hier ist mein Gegner dann auch kein Roboter, keine Spinne oder ein insektenartiges Monster. Stattdessen muss ich einen verblendeten Menschen bekehren. Zum Beispiel betet im ersten Abschnitt eine junge Frau das Bildnis eines jungen, bärtigen, gütig blickenden Mannes an, der ein Schaf-Fell auf dem Kopf trägt. Angeblich sei er das neue Lamm Gottes. Aha! Da hatte ich doch schon einen passenden Spruch! Und siehe da: Nach ein wenig gutem Zureden verbrennt die Leinwand und statt des Mannes starrt eine Wolfsfratze auf uns herab. Jetzt gilt es! Die Frau zweifelt nun nicht etwa an ihrem Urteilsvermögen sondern an Gott. Aber auch das bekomme ich mit der richtigen Bibelstelle in den Griff. Sie strahlt mich an; ich sage ihr, dass ich sie beim Endkampf bestimmt noch brauche und schwupps bin ich plötzlich in einem langen Tunnel, durch den ich in den nächsten Abschnitt komme.

Der Wolf im Schafspelz.

Datenverlust

Und hier geht dann wieder alles von vorne los. Mal abgesehen von der Optik, da sich die Umgebung und die Gegner teilweise unterscheiden. Alles andere bleibt gleich. Und zwar wirklich alles. Ich bin kein großer Freund dieser Rollenspiel-Tradition, dass der Held ohne Gedächtnis aufwacht und sich alle seine Talente von Grund auf neu erarbeiten muss. Vor allem in Fortsetzungen ist so eine Mechanik einfach lächerlich. Aber Captain Bible treibt dieses Procedere genüsslich auf die Spitze: In jedem neuen Abschnitt schwirrt anfangs eine Drohne um unseren wackeren Helden und löscht mal eben seine Cyber-Bibel. Einmal würde ich mir das ja gefallen lassen. Aber spätestens beim zweiten Versuch hätte der wackere Captain doch sein Schwert in der Hand, mit dem er schon ganz andere Gegner niedergestreckt hat! Aber nix da! Flugs sind nur noch leere Seiten in der Bibel und ich darf ganz von vorne mit der Sammelei anfangen. Weil Captain Bible sich natürlich noch nicht mal Sprüche merken kann, die er in der Stunde davor mindestens zehnmal verwendet hat! Wie dem auch sei: Am Ende des Spiels gibt es noch einen kleinen Kampf gegen den Turm der Täuschung, bei dem der Captain… Nun, ich möchte nicht spoilern. Aber richtige Helden sind natürlich auch bereit, sich notfalls zu opfern. Schön an diesem Ende ist jedenfalls, dass die bisher bekehrten Menschen tatsächlich noch einen helfenden Einfluss haben und nicht einfach nur Staffage sind.
 
Obwohl ich im bisherigen Text vielleicht einen anderen Eindruck vermittelt habe: Jenseits der Grundidee funktioniert Captain Bible in Dome of Darkness verblüffend gut. Bei Impossible Mission suche ich Puzzle-Teile in den Bildschirmen, während ich hier eben Bibelverse sammle, um weiter vorzudringen. Da sich Captain Bible auch als Lernspiel für Kinder versteht, ist es nur eben nicht so schwer wie Impossible Mission und verzichtet auf Sprungpassagen oder sich bewegende Gegner. Ziehe ich die christlichen Anteile ab, bleibt ein gut produziertes Spiel übrig. Die farbenfrohen Figuren stehen in starkem Kontrast zu den eintönigen Korridoren, die zwar in jedem großen Abschnitt ihr Aussehen verändern, aber innerhalb dieses Levels praktisch gar nicht variieren. Der Spielablauf ordnet natürlich alles dem Lern-Aspekt unter und eignet sich nicht für tagelange Sessions. Dialogfenster kann ich nur weiterschalten, wenn ich mit dem Mauszeiger in die Nähe des Fenster und nicht einfach irgendwo auf den Bildschirm klicke. Und die Laufanimation des tapferen Captains wirkt doch etwas albern. Aber auf eine seltsame Art und Weise habe ich trotzdem in den letzten Tagen viel Spaß mit meinen Ausflügen unter den Dome of Darkness gehabt. Leider hat Peter Engelbrite auf meine Interview-Anfrage nicht geantwortet und viele Fragen bleiben offen. So frage ich mich schon, warum es bei diesem einzelnen Spiel des Publishers blieb, während Engelbrite dem Genre bis heute treu blieb. Oder nach welchen Kriterien das Sammelsurium an Gegner zusammengestellt wurde? Warum Captain Bible sich nichts selber merken kann? Wie groß das Budget eines solchen Spiels war? Wie groß der Markt für solche religiösen Titel war oder ist? Und vor allem, ob der Titel der erste Teil einer Reihe hätte werden sollen? Die Namensgebung des Spiels deutet ja darauf hin.

Wie sieht es mit euch aus? Hattet ihr Kontakt mit ähnlichen Spielen? Zum Beispiel auf dem C64 mit der Reihe The Baker Street Kids?
 
Das ewige Licht hat aufgerüstet.

(Dieser Artikel erschien zuerst am 24. April 2021 auf GamersGlobal)

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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