Die Teilung Deutschlands durch eine offizielle Grenze ist zwar schon seit einigen Jahrzehnten Geschichte, doch haben sich in den beiden Staaten BRD und DDR in vielen technischen Bereichen während ihres Bestehens die Dinge unterschiedlich entwickelt. Fuhren in der DDR Trabant und Wartburg über die Straßen, so waren es in der BRD der Käfer und der Golf. Doch während diese Autos auch im Westen bekannt waren und sind, ist die Computer-Szene der Deutschen Demokratischen Republik zwischen Flensburg und Sonthofen nahezu unbekannt. René Meyer beleuchtet diese Szene in seinem Buch Von Robotron bis Poly-Play gemeinsam mit vielen Zeitzeugen genauer.
I call this number
Der erste Teil des Buchs bietet einen schnellen Überblick über die Entwicklungen in der DDR im EDV-Bereich bis in die 1980er Jahre. Das beginnt mit der Schickard-Rechenmaschine aus dem Jahre 1623, geht über Lochkarten-Systeme und endet entsprechend abrupt, als gerade noch begehrenswerte Geräte mit dem Mauerfall von einem Tag auf den anderen stark im Wert fielen.
Schwerpunkt sind natürlich die 1970er und 80er Jahre, in denen die DDR mit eigenen Chip-Fabrikaten die EDV-Technik im großen Umfang verfügbar machen wollte. Problematisch war dabei das Embargo durch westliche Firmen, das nur mit großen finanziellen und organisatorischen Mühen umgangen werden konnte:
In einem Fall wird über einen österreichischen Mittelsmann ein Gamma-Spektrometer aus den USA bestellt, auf dem Flughafen Wien in einen Wohnwagen umgeladen und in die Tschecheslowakei gefahren. Dort wird es auf einem Waldweg nachts an die StaSi übergeben, wo es noch vor Ort von Wissenschaftlern auf seine Funktionstüchtigkeit überprüft wird. Die Belohnung für die Vermittlung: 600.000 Schilling, das Mehrfache eines Jahresverdienstes.
Auch in diesem Buch gibt es die Bilder von zimmergroßen Apparaten, die mit einem schreibtischgroßen Bedienpult gesteuert werden mussten. Was ich in Büchern über westliche Computer eher selten gesehen habe, sind allerdings die hier ebenfalls vorhandenen Bilder von Politikern, von Paraden, bei denen Computer auf Bollerwagen präsentiert wurden und viele Wortbeiträge, bei denen von Schwierigkeiten berichtet wurden. Dass gleichzeitig in zwei verschiedenen volkseigenen Betrieben Kleincomputer auf Basis des gleichen Chipsatzes entwickelt wurden, war ungewöhnlich. Spätestens mit den beiden fertigen Geräten, dem KC 85/1 und dem KC 85/2, begann auch in der DDR eine kleine, aber umtriebige Computerszene Fuß zu fassen. Faszinierend übrigens, wie unterschiedlich die beiden Rechner bei aller Namensgleichheit waren.
Von Robotron bis Poly-Play versammelt sehr viele Erfahrungsberichte, die an den passenden Stellen in die Erzählung eingestreut werden. Entwickler, Lehrer, Computer-Nutzer und Verkäufer berichten allerdings meist recht trocken von ihren Erlebnissen. Welche Umwege und Lötkenntnisse nötig waren, um ein vollständiges Gerät zusammen zu bekommen, ist trotzdem spannend zu lesen und war schon recht abenteuerlich. Da wurden Schreibmaschinen zu Druckern umfunktioniert und fröhlich Kabelverbindungen geschaffen, an die niemand gedacht hatte. Und dass 2012 bei einer Operation noch ein problemlos funktionierender Herzschrittmacher aus DDR-Beständen entdeckt wurde, zeugt von Qualität. Solche Geschichten halten bei der Stange und trösten über Passagen hinweg, die den jeweiligen Leser eventuell weniger interessieren. Doch für einen vollständigen Überblick über DDR-Computertechnologie sind sie unabdingbar – und gefallen dafür sicherlich anderen Lesern.
For a data date
Der Titel des Buchs verspricht und hält viel. Leser, die sich das Buch wegen des Untertitels „Computer und Videospiele in der DDR“ gekauft haben sollten, könnten allerdings über weite Strecken des Buchs enttäuscht sein. Spiele spielen erst im hinteren Viertel eine prominente Rolle und werden zuvor nur hin und wieder gestreift. Dafür erhält der Leser einen profunden und spannenden Überblick über die komplette Computer-Szene samt aller Schliche, die einzelne Menschen angewendet haben. Westverwandtschaft, Intershop, Verwandte in der Parteispitze… Über Umwege war Vieles möglich – und den Rest erledigte der eigene Erfindergeist.
Trotz des spannenden und mir völlig neuen Themas brauchte ich verhältnismäßig lange, um das Buch fertig zu lesen. Der nüchtern gehaltene Stil ist inhaltlich passend gewählt, erfordert aber damit auch ein höheres Maß an Konzentration als ich abends im Bett beim Lesen für längere Zeit aufbringen kann. Doch sobald ich ein paar Minuten Zeit hatte, habe ich mich an die nächsten Abschnitte gesetzt, weil es eben auch interessant ist, in diese für mich völlig fremde Welt einzutauchen. Eine Information noch an alle Menschen, die ihre Bücher möglichst pfleglich lesen möchten: Der Text ist recht nahe an den inneren Falz des Buches gedruckt. Das erschwert es, das Buch ohne Knick im Buchrücken zu lesen. Bei mir führt das zu ständigen Kopf-Verrenkungen.
Auf der Seite des Eulenspiegel-Verlags findet sich auch eine Leseprobe des Buchs, das ich hiermit allen Interessierten empfehle.
Danke für die Vorstellung, das Buch könnte auch etwas für mich sein. Auch wenn ich keins der Geräte jemals besessen habe.