Buch-Vorstellung: The Games That Weren’t

Jedes Spiele-Studio hat sie im modrigen Keller liegen: Spiele, die aus dem ein oder anderen Grund nie das Licht der Welt erblickten. Frank Gaskin hat sich der Suche nach diesen Titeln verschrieben und in seinem Buch „The Games That Weren’t“ einige davon näher vorgestellt. Blättern wir mal rein.

18.945 Spiele sind im Jahre 2024 auf der Vertriebs-Plattform Steam erschienen. Und selbst diese äußerst beeindruckende Zahl stellt nur einen Teil der Games-Veröffentlichungen dar, da auch auf Konsolen, im Indie-Bereich und auf älteren Plattformen regelmäßig Spiele-Nachschub herauskommt. Was da im Laufe der Jahre zusammengekommen ist, dürfte auch für den „spezialgelagertsten“ Geschmack Titel in Hülle und Fülle bereithalten. Wer also sollte sich da noch für Projekte interessieren, die aus dem ein oder anderen Grund nie erschienen sind? Spiele, die kurz vor Veröffentlichung eingestampft wurden? Umsetzungen für 8-Bit-Systeme, die sich nicht mehr gelohnt haben? Titel, die wegen schlechter Tester-Rückmeldungen zurückgehalten wurden?

Die Webseite (und was davor geschah)

Frank Gaskin ist genau so ein Mensch. 1993 entdeckte er im britischen Magazin Commodore Force einen Artikel des Autoren Ian Osborne namens That was the game that wasn’t. Osborne stellte auf drei Seiten einige C64-Titel wie Gauntlet 3 – The Final Chapter oder Eye of the Moon vor, das ursprünglich die Lords-of-Midnight-Trilogie hätte abschließen sollen. Gaskins Fantasie war entzündet: Wie wäre es wohl, diese Sachen tatsächlich spielen zu können? War es vielleicht möglich, die Dateien irgendwo zu finden? In seinem jugendlichen Leichtsinn – Gaskin war damals 11 Jahre als – streckte er seine Fühler in der C64-Szene aus und wurde sogar teilweise fündig. Ermutigt von diesen Erfolgen durchstöberte er alte Magazine und fand Vorschauen oder Werbung von weiteren verlorenen Spielen.

1997 begann Gaskin mit seiner eigenen Rubrik in der Zeitschrift Commodore Zone. Ihr Titel: „Games That Weren’t“. Nach sechs Ausgaben war die Rubrik leider samt der kompletten Commodore Zone am Ende. Stattdessen startete er 1999 die Webseite GTW64, die dank einer fleißigen Community schnell wuchs. Ursprünglich nur dem C64 gewidmet, wandelte sich die Seite im Laufe der Jahre – und fand ihr neues Heim schließlich unter dem Namen Games That Weren’t.

Das Buch

Einszweidrei im Sauseschritt spulen wir einige Jahre vor. Die Ur-Idee zu Games That Weren’t war nun fast 20 Jahre alt – und Frank Gaskin war überraschenderweise mitgealtert. Obwohl sein Sujet – unveröffentlichte Videospiele – schon per Definition ein flüchtiges Gut sind, machte sich Gaskin erstmals Gedanken darüber, was von seinem ganzen Werk Bestand haben würde. Webseiten konnte man abschalten, digitale Medien gingen regelmäßig verloren. Aber da gab es ja noch diese alte Kulturtechnik…

So entstand die verrückte Idee, ein Buch über unveröffentlichte Spiele zu schreiben. Wobei ich keine Ahnung hatte, wie viel Arbeit das mit sich bringen und wie es aussehen würde. Es sollte nicht einfach nur wiedergekäuter Inhalt von der Website sein, sondern frische Sachen. Dazu sehr detailliert und mit Beiträgen von den direkt Beteiligten. Außerdem wollte ich alle Systeme aus den wichtigsten Jahrzehnten der Spieleindustrie abdecken.

Frank Gaskin auf gamesthatwerent.com

In Sam Dyer, dem umtriebigen Chef des britischen Verlags Bitmap Books fand Frank Gaskin einen partner in crime, der ihn in allen Belangen unterstützte. Im Vorwort des Buchs geht Gaskin ein wenig auf die Entstehung ein, die natürlich nicht nach (Zeit-)plan gelaufen ist, doch das Endergebnis war aller Mühen wert. Auf 644 Seiten kann der Leser tief in die Parallel-Geschichte der Spiele-Entwicklung eintauchen und sich sehr lange darin verlieren.

Die Spiele werden in chronologischer Reihenfolge präsentiert. Kein Wunder also, dass von den ersten Titeln meistens keine Screenshots oder Design-Dokumente überliefert sind. Doch mit Hilfe von Interviews schafft es Gaskin dennoch, teilweise tiefe Einblicke zu liefern. Dabei unterscheiden sich die jeweiligen Beiträge allerdings beträchtlich: Werden einige Spiele mit einer Doppelseite abgehandelt, auf der für gewöhnlich ein großer Screenshot und der nötigste Text stehen, gehen andere Kapitel sehr ins Detail. Zum Beispiel werden dem Spiel Daffy Duck Starring in Great Paint Caper 12 Seiten gewidmet. War der zugehörige Artikel auf der Webseite schon recht ausführlich, taucht das Buch tief in die Entstehungsgeschichte ein und zitiert aus vielen Interviews mit den Beteiligten. Das ist auch kein Wunder, denn Gaskin war ganze 18 Jahre hinter der C64-Version des Spiels her, bis es schließlich 2015 im Diskettenkasten des Grafikers Ashley Routledge auftauchte.

Auch die fertig produzierte, aber eben nie veröffentlichte Half-Life-Version für die Dreamcast-Konsole wird mit einem langen Kapitel geehrt. Oder das Spiel Starring Charlie Chaplin, das zwar in der C64-Version irgendwann aufgetaucht ist – doch die Atari-ST-Version, die in Previews besprochen und in Magazinen beworben wurde, bleibt verschollen. In solchen Fällen wurden die verpixelten Magazin-Scans einiger Screenshots Pixel für Pixel nachgebaut, um im Buch einen Eindruck vermitteln zu können, wie das Spiel auf dem 16-Bit-System ausgesehen haben könnte. Fans automobiler Action können sich 18 Seiten lang ausmalen, was für ein tolles Spiel Carmageddon TV auf PC, Playstation 2 und Xbox hätte sein können, wenn sich Publisher und Team nicht zerstritten hätten.

Passend zum Inhalt präsentiert sich das Buch in typischer Bitmap-Books-Qualität. Das bedeutet: Toller Druck, stilsicheres Cover, reich illustriert, hervorragende Buchbindung, sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und unglaublich gut verpackter Versand. Nur wer wie ich beim Auspacken das Buch auf eine Ecke fallen lässt, wird beschädigte Ware bekommen. Das Päckchen müsste schon im Kanal baden, damit dem Buch auf dem Weg in euer Zuhause etwas passiert.

Rolle rückwärts

Was gibt es Schöneres als einen sich schließenden Kreis? Aus diesem Grund endet dieser Artikel (fast) dort, wo er angefangen hat: Auf der Webseite, mit der Frank Gaskin The Games That Weren’t ins Rollen brachte. Denn obwohl das Buch umfang- und kenntnisreich geschrieben ist und trotz der vielen Bilder, die sich auf den Seiten tummeln, gibt es zu den behandelten Spielen noch viel mehr Material.

Als Ergänzung gibt es auf der Webseite eine eigene Rubrik namens Bonus Book Content, die weitere Informationen zu den behandelten Spielen bündelt. Allein die Dreamcast-Version von Half-Life wird mit 71 zusätzlichen Bildern noch ein wenig lebendiger. Es finden sich Artikel-Scans, Packungs-Bilder und Fotos des Dreamcast-Handbuchs. Das Chaplin-Spiel wird auf der Webseite ebenfalls reichlich mit Design-Unterlagen bedacht. Wer also nach dem Buch immer noch nicht genug von unveröffentlichten Spielen hat: Da draußen geht es weiter! Gut so!

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Über Jürgen

Geschichts- und Musik-Liebhaber mit einer Schwäche für viel zu lange Computerspiele. Der Werdegang CPC - Pause - PC und Konsolen sorgt dafür, dass ich noch so viele schöne alten Perlen entdecken darf.

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6 Comments on “Buch-Vorstellung: The Games That Weren’t”

    1. Spontan hab ich keines in Erinnerung. Noch nicht mal Warcraft Adventure oder Star Trek: The Secret of Vulcan Fury. Gerade Zweiteres hätte mich sehr gefreut.

      1. Ersteres ist ja inzwischen nicht mehr so unveröffentlicht und Vulcan Fury gabs doch mal ein genaueres Interview, dass es quasi bis auf die Aufnahmen nie irgendwas brauchtbares zu Vulcan Fury gab.

        1. Viele Spiele in dem Buch sind ja „nicht mehr so unveröffentlicht“. Bei Fury kenne ich mich nicht so aus. Gab es da nicht vor einem oder zwei Jahren Spielszenen, die entdeckt wurden?

      2. Das Warcraft-Adventure hätte mir vermutlich zu der Zeit damals gefallen. Ich habe mir ein Video dazu angeschaut und kann aber auch verstehen, warum das eingestellt wurde. Heute habe ich kein Interesse mehr, das nachzuholen.

        1. Ach, das Warcraft Adventure war ganz okay. Ich habe es nach dem Leak mal durchgespielt. Hatte meinen Spaß damit aber, ja, ein echter Hit wäre es auch damals nicht geworden.
          Es ist nicht besonders lang oder schwer. Kann man durchaus mal nachholen.

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